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Full text of "Naturwissenschaftliche Wochenschrift"

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~^ 


Naturwissenschaftliche 
Wochenschrift 


BEGRÜNDET  VON   H.  POTONlfi 

HERAUSGEGEBEN 
VON 

Prof.  Dr  H.  MIEHE 

IN  BERLIN 


NEUE  FOLGE.    20.  BAND 

(DER  GANZEN  REIHE  36.  BAND) 

JANUAR  —  DEZEMBER  1921 

MIT  112  ABBILDUNGEN  IM  TEXT 


JENA 
VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER 
1921 


Alle   Rechte  vorbehalten. 


Register. 


I.  Größere  Originalartikel 
und  Sammelberlchte. 

Alvcrdes,  F.,  Erblichkeit  und  Nicht- 
Erblichkeit.   377. 

Armbruster ,  L.,  Neue  Urkunden  über 
das  älteste  Haustier.   193. 

Balss,  H.,  Über  Stridulationsorganc  bei 
dekapoden  Crustaceen.  697. 

Berger,  A.,  Über  die  Geschichte  und 
die  neuesten  Fortschritte  der  Kenntnis 
der  Kakteen.    353. 

Czepa,  A.,  Die  Reizwirkung  der  Rönt- 
gen- und  Radiumstrablen.   657. 

Dahl,  Fr.,  Täuschende  Ähnlichkeit  mit 
Bienen,  Wespen  und  Ameisen.  70. 

Dahms,  P.,  Über  Pflanzenabzüge  und 
Weingeist  zur  OrdenszeiL   177. 

Eichinger,  A. ,  Die  Entstehung  von 
Roterden  und  Laterit.  409. 

E  n  g  e  1  h  a  r  d  t ,  V.,  Dante  und  das  Welt- 
bild des  Mittelalters.  529. 

Färber,  Ed.,  Das  Kontinuitätsprinzip  in 
der  Chemie.   705. 

Fricke,  H.,  W'ind  und  Wetter  als  Feld- 
wirkungen der  Schwerkraft.  97. 

Fr  öl  ich,  W. ,  Der  Segelflug  und  ver- 
wandte Bewegungen  in  Luft  und  Was- 
ser.   197. 

Galant,  S.,  Die  .xerotherme  Ameiseninsel 
Saint  TriphoQ.  258. 

Garns,  H. ,  Übersicht  der  organogenen 
Sedimente  nach  biologischen  Gesichts- 
punkten. 569. 

Garns,  H. ,  Zur  Ameisengeographie  von 
Mitteleuropa.  4 14. 

Gicklhorn,  J.,  Notiz  über  Stentur 
igneus  als  Ursache  auffallender  Wasser- 
verfärbimg. 382. 

Goebel,  K. ,  Pöanzcn  als  Wetter- 
propheten.  129. 

Greinacher,  H. ,  Eine  umkehrbare 
Ventilröhre.  381. 

Grimpe,  G.,  Chelifer  als  Schmarotzer. 
628. 

Gumbel,  E.  J.,  Spekulatives  aber  die 
Endlichkeit  der  Welt.  85. 

Halbfafl,  W.,  Kreislaufprozeß  des  Was- 
sers. 86. 

Hansen  ,  A.,  Zur  Metamorphosenlehre.   7. 

Heikertinger,  Fr,  Täuschende 
Ähnlichkeit  mit  Wespen  und  Bienen 
(Sphekoidie).  589. 

Heikertinger,  Fr.,  Täuschende  Ähn- 
lichkeit mit  .Ameisen  (Myrmekoidie).  709. 


Heller,  H. ,  Wie  orientiert  sich  die 
Ameise."  44g. 

H  e  1 1  e  r ,  H  ,  Wilhelm  Ustwalds  Forschun- 
gen zur  Farbenlehre.    425. 

Hennig,  Edw. ,  Neue  Ansichten  von 
der  Entstehung  des  Erdbildes.  681. 

Hcrfs,  A. ,  Die  Haut  der  Schnecken  in 
ihrer  Abhängigkeit  von  der  Lebens- 
weise.  601. 

Hoppe,  W. ,  Aufbau  und  geologische 
Geschichte  der  Sinaihalbinsel.  209. 

Kästner,  M. ,  Bemerkungen  zur  Ent- 
stehtmg  und  Besiedlung  des  Trocken- 
torfs.   33. 

Keller,  R.,  Elektromikroskopie.  665. 

Killermann,  S.,  Zur  Geschichte  der 
Einführung  der  Papageien.   545. 

Klingelhöffer,  W. ,  Der  Farbensinn 
des  Menschen  und  seine  angeborenen 
Störungen.  321. 

Kobel,  F.,  Problem  der  Wirlswahl  bei 
den  parasitischen  Pilzen.    113. 

Kranich feld,  H. ,  Gemeinschaftdien- 
liche Zweckmäßigkeit,  die  Lösung  des 
Problems  der  Dysteleologien.  513. 

K  r  a  n  i  c  h  f  e  1  d  ,  H. ,  Eine  neue  Unter- 
suchung der  fremddienlichen  Zweck- 
mäßigkeit. 617. 

Krenkel,  E.,  Moorbildungen  im  tropi- 
schen Afrika.  Sl. 

Kuhn,  K.,  Die  Ausbreitung  der  elektri- 
schen Wellen  und  die  Konstitution  der 
Atmosphäre.  8. 

Kuhn,  K.,  Neuere  Erfolge  von  Max- 
wells  Theorie  der  Elektrizität.   585. 

Kuhn,  O. ,  Zur  Biologie  unserer  ein- 
heimischen Egel.  473. 

Küster,  E.,  Das  Typhetuni  in  der  frühen 
deutschen  Graphik.  49. 

Lenk,  E.,    Vom  Leben    zum  Tode.   726. 

Liek,  E. ,  Über  Altem  und  Verjüngung. 
l6l. 

Lilienthal,  G.,  Über  den  Segelflug  der 
Vögel  und  das  Fliegen  der  Fische.  64I. 

Ltndinger,  L.,  Ein  neuer  Weg  zur 
Schädlingsforschung.  255. 

Martienssen,  O. ,  Gesetz  und  Zufall 
in  der  Natur.   505. 

Mar  Zell,  H.,  Der  Holunder  (Sambucus 
nigra)    in  der  Volkskunde.    133. 

Mertens.  R.,  Über  die  Funktion  des 
Schwanzes  der  Wirbeltiere.  721. 

Meyer,  A.,  Empirie  und  Wirklichkeit. 
361. 

Mo  h  oro  V  icii  ,    St.,     Die    Folgerungen 


der  aUgemcinen  Relativitätstheorie  und 

die  Newtonsche  Physik.  737. 
Möbius,    M.,     Zur    Metamorphose    der 

Pflanzen.   739. 
Möller,    W. ,    Der    hypothetische  Welt- 

älher.  577. 
N  i  c  k  e  1 ,  G.,  Äther  und  Kelativitätstheorie. 

430- 

Nölke,  Fr.,  Über  den  Kreislaufprozeß 
des  Wassers.  310. 

Ulbricht,  K.,   Dauer  der  Eiszeit.  229. 

Olbricht,  K.,  Gedanken  über  die  Ent- 
wicklung der  menschlichen  Kultur  usw. 
476. 

Passarge,  H.,  Die  Birotationstheorie. 
118. 

Potonie,  R. ,  Zur  Bildung  der  Braun- 
kohlenflöze und  Ökologisches  über  den 
Braunkohlenwald.  225. 

Potonif,  R.,  Paläoklimatologisches  im 
Lichte  der  Paläobotanik.  382. 

Pratje,.\.,  Das  Leuchten  der  Tiere.   433. 

Prell,  H. ,  Die  Grundtypen  der  gesetz- 
mäßigen Vererbung.  289. 

Radovanovitch,  Was  ist  die  Zeit- 
669. 

Rautber,  M.,  Deszendenzprobleme,  er- 
örtert   an    den    Steinheimer    Planorben. 

US- 
Reiche,  K.,   Eine  uralte  Kochsalzgewin- 
nung in  Mexico.  498. 
R  e  i  n  k  e ,    J.,    Besitzt    ein  Vogel    Einsicht 

in  kausale  Zusammenhänge-  742. 
Schmidt,    A,    Zur    Wünschelrutenfrage. 

328- 
Scholl,    J. ,      Einsteins     Weltbild     eine 

Zablenüktion?   18 1. 
Schönherr,  Br.,  Lorentz-Einstein.   I. 
Schuster,  J.,  Hundert  Jahre  Phylopalä- 

ontologie  in  Deutschland.  305. 
Schwartz,  M.,    Was  ist  Pflanzenschutz  J 

532- 

Stromer,  E.,  Die  Rückbildung  der  Hüft- 
beine bei  Seekühen.  4 II. 

Termer,  Fr.,  Kakao  und  Schokolade 
bei  den  alten  Mexicanern  und  anderen 
mittelamerikanischen  Völkern.  65. 

Tischner,  Homöopathie  und  moderne 
Biologie.  625. 

Vierhapper,  Fr.,  Eine  neue  Einteilung 
der  Pflanzengesellschaften.  265,  281. 

Vogtherr,  K. ,  Über  die  kosmischen 
Bewegungen  des  .\thers.  393. 

Voß,  H.,  Die  künstliche  Parthenogenese 
de§  Froscheies,  3>6, 


3^^4t; 


IV 


Register. 


Weber,  Fr.,  Pflanze  und  Elektrizität. 
241,  249. 

Wiei3mann,  H.,  Die  biologisclien  Vor- 
gänge im  Boden.  489. 

Wilhelmi,  J.,  Zur  Ausgestaltung  der 
Schädlingsbekämpfung.  312. 

Will  er,  A. ,  Aus  dem  Stoffhaushalt 
unserer  Gewässer.   17. 

Willer,  A.,    Neues  über  Maränen.  561. 

Winkler,  H. ,  Christian  Gottfried  Nees 
von  Esenbeck  als  Naturforscher  und 
Mensch.  337. 

Zache,  E. ,  Die  chemischen  Nieder- 
schläge   des    norddeutschen   Diluviums. 

457- 
Zimmermann,    R.,     Vorkommen    des 
Ziesels  in  Sachsen.  102. 


II.   Einzelberichte. 

A.  Allgemeines,  Biologie, 

Zoologie,  Anatomie, 

Vererbungslehre. 

Aichel,  O.,    Kiefer-  und  Zahnwachstum 

usw.  552. 
Ariens-Kappers,    C.  U.,  Weshalb  ist 

die  Hirnrinde  gefaltet  f  iio. 
Barrows,  A.,  In  Stein  bohrende  Assclo. 

389- 

Baumann,  H.,  Anatomie  der  Tardi- 
graden.  671. 

Bro  wer,  G.  A.  und  V  erwey ,  J.,  Vogel- 
warte Noordwijk  aan  Zee.   106. 

Coccidium  bigeminum  bei  Füchsen.  304. 

D  e  c  o  p  p  e  t ,  M.,  Maikäferproblem  in  der 
Schweiz.   299. 

Eggeling,  H.  V.,  Inwieweit  ist  der  Wurm- 
fortsatz am  menschlichen  Blinddarm  ein 
rudimentäres  Gebilde?  J02. 

Fehlinger,  H. ,  Das  Carnegie-Institut 
zu  Washington.   12. 

Floericke,  K.,   GewöUuntersuchungen. 

539- 

Friedenthal,  H.,  Bildung  der  mensch- 
lichen Geschlechtszellen.   465. 

Goldschmidt,  R. ,  Die  quantitative 
Grundlage  von  Vererbung  und  Artbil- 
dung. 331. 

Grote,  H.,  Ornis  Rufllands.  523. 

Henning,  H.,  Farbige  Ölkugeln  im 
Sauropsidenauge.  692. 

Hesse,  Einfluß  des  Untergrundes  auf 
das  Gedeihen  des  Rehes.  639. 

Hermaphroditismus  bei  verschiedenge- 
schlechtlichen   Zwillingen    des    Rindes. 

233- 

Holmgren,  N.,  Parietalorgane  und 
ihre  Innervation  bei  Fischen.    346. 

Holmgren,  N. ,  Nervus  terminalis  bei 
Knochenfischen.  348. 

Jegen,  G.,  Biologie  und  Anatomie  eini- 
ger Enchylräiden.  57. 

Karstedt,  Blastogener  Hermaphroditis- 
mus. 152. 

Key,  W.  E.,  Erbveranlagung  und  soziale 
Tüchtigkeit.  349. 

Klaatsch,  H.,  Ausbildung  der  mensch- 
lichen GliedmaSen.  370. 

Komarek,    Höhlenfauna.  690. 

Kunze,  K.,  Zentralnervensystem  der 
Weinbergschnecke.  676. 

Latzin,  H.,  Möglichkeiten  der  theore- 
tischen Biologie.    453. 


Mackens  en,  C.  v..  Künstliche  Beleuch- 
tung der  Hühnerställe.   717. 

Martell,  P.,  Stammesgeschichte  des 
Hausrindes.   745. 

Math  er,  T. ,  Naturschutz  in  den  Ver- 
einigten Staaten,  55. 

Naturschutz  in  Holland.  3S8. 

Naumann,  Raubseeschwalbe.   747. 

Pax,  F.,  Schlesiens  Stellung  in  tiergeo- 
graphischer Hinsicht.  644. 

Plath,  O.  E. ,  Blutsaugende  Fliegen- 
larven. 334. 

Prell,  Problem  der  Unbefruchtbarkeit. 
440. 

Schömmer,  Geschlechtsbestimmung  im 
Hühnerei.  184. 

Schrader,  Geschlechtsbestimmung  bei 
den  Mottenläusen,  go. 

Schulze,  P.,  Deutsche  Hydren.  398. 

Schulze,  P.,  Cordylophora  lacustris. 
651. 

Schuster,  W.,  Nahrung  der  am  Wasser 
lebenden  Vögel.   109. 

Seyfarth,  C,  Langerhanssche  Inseln. 
716. 

Spemann,  H.  und  Falkenberg,  H., 
Zum  Determinationsproblem.  369. 

Steinhardt,  Elefant  des  Kaokofeldes. 
612. 

Study,  Für  und  wider  Darwin.   555. 

Verne,  J. ,  Die  Natur  des  roten  Farb- 
stoffes der  Crustaceen.   55- 

Versluys,J.,  Limulus,  eine  zum  Wasser- 
leben übergegangene  Arachnoide  ?    loö. 

Volz,  W.,  Urwald  als  Lebensraum.  202. 

Wachs,  H.,  Restitution  des  Auges  nach 
E.\stirpation  von  Retina  und  Linse  bei 
Tritonen.   123. 

Weigold,  H.,  Wanderungen  der  See- 
schwalben. 371. 

Wille,  J.,  Deutsche  Schabe.  319. 

Zeleny,  Rückbildung  der  Augen  bei 
Drosophila.  648. 

Zimmermann,  R. ,  Ende  des  Wisents. 
107,   717. 

Zimmermann,  R.,  Kurzohrige  Erdmaus, 
Microtus  subterraneus.  223. 


B.   Botanik,   Bakteriologie, 
Landwirtschaft. 

Andre,  Ursachen  des  periodischen  Dik- 
kenwachstums  des  Stammes.    153. 

Barlot,  J.,  Farbreaktionen  zur  Unter- 
scheidung der  Pilze.   154. 

Baumgärtel,  O.,  Problem  der  Zyano- 
phyzeenzelle.   loS. 

Brudeck,  M.  J.,  Desinfektionskraft  von 
Formaldehydpräparat  K.  p.  und  Kresol- 
präparat  Nr.  72.  350. 

Bracht,  E. ,  Surapfzypressenwald  in 
Florida.   124. 

Bürge  ff,  H.,  Sexualität  und  Parasitis- 
mus. 204. 

Burgeff,  H.,  Eigenartige  Form  des 
Parasitismus.   137. 

Geyr  v.  Schweppenburg,  Pflanzen- 
geographie der  inneren  Sahara.   318. 

Gothan,  W.,  Weiteres  über  die  „ältesten 
Landpflanzea".  39g. 

Heinricher,  E.,  Mistel  und  Birnbaum. 
28. 

Heinricher,  Bestäubung  der  Mistel. 
232. 

Haberlandt,  G. ,  Wundhormone  als 
Erreger  von  Zellteilungen.  592. 


Kühl,  H. ,  Bekämpfung  von  Pflanzen 
Schädlingen  mit  kolloidalem  Schwefel 
636. 

Melchior,  H. ,    Saugorgane  der  Mistel 

554- 
Molisch,  H.,  Aschenbild  und   Pflanzen 

Verwandtschaft.  234. 
Murbeck,  Sv. ,    Biologie    der    Wüsten 

pflanzen.  220. 
Riede,  ,,Hydropoten"  bei  Wasserpflanzen 

535- 
Schneider   und  Kochmann,    Hirten 

täschel  in  der  Medizin,    230. 
Schulz,    A. ,    Ein    vergessener  Botanike: 

des   16.  Jahrhunderts.  417. 
Simon,    S.  V.,    Stoffstauung    und    Neu 

bildungsvorgänge  in  isolierten  Blättern 

1S3. 
Skottsberg,     C. ,    Botanischer    Garten 

mit  Naturschutzgebiet.  691. 
Tröndle,  Aufnahme  von  Stoffen  in  die 

Zelle,   158. 
Wettstein,  F.  v.,  Reinkultur  der  Algen. 

6S9. 
Wettstein,  ^.  v,,  Künstliche   Partheno- 
genese bei  Vaucheria,  467. 
W  i  s  s  e  1  i n  g  h  ,  C,  v.,  Untersuchungen  über 

Osmose.  136. 


C.    Physiologie,  Medizin 

(einschl.  Veterinärmedizin), 

Psychologie,  Hygiene. 

Ankylostomum  in  Tierbeständen.  304. 

Biedermann,  W. ,  Wesen  und  Ent- 
stehung diastatischer  Fermente.  221. 

Carre,  Wie  eine  Infektionskrankheit  ent- 
steht. 745. 

Domo,  Einflüsse  des  Klimas  auf  die 
Gesundheit.   153. 

Ernst,  Schutzimpfung  bei  Maul-  und 
Klauenseuche.  746. 

Fox,  H.,  Erkrankung  der  Pankrfasdrüse 
bei  Tieren.  304. 

Gildemeister,  Erforschung  der  mensch- 
lichen Hörgrenze.  631. 

Gley,  Lehre  von  der  inneren  Sekretion. 

75- 
Kunze,   Die  Empfindung  der  Richtung, 

aus  der  der  Schall  kommt.   lo. 
Langer,  Chemotherapeutische  Leistung. 

693- 

L  e  u  p  o  1  d  ,  Beziehungen  zwischen  Neben- 
nieren und  Keimdrüsen.  419. 

Nervöse  Erscheinungen  bei  Tieren  infolge 
von  Eingeweidewürmern.  z6o. 

Pferderäude,  Übergang  auf  den  Menschen. 
704. 

Ratten  als  Überträger  der  Trichophytie 
beim  Pferde.   183. 

Reuter,  Spirochätenkrankheit  beiVögeln. 

155- 

S  z  ä  s  z  ,  Technik  des  Geflügelimpfens.  200. 

Zwaardemaker,  Physiologische  Wirk- 
samkeit des  Kaliums.  713. 


D.    Geologie,    Hydrographie, 
Paläontologie, 

Bärtling,  R. ,  Die  Endmoränen  der 
Hauptvereisung  zwischen  Teutoburger 
Wald  und  Rheinischen  Schiefergebirge. 

59- 

liergt,   W. ,    Das  Muttergestein  des  Ser- 


Kegisler. 


pentias  im  sächsischen  üranulitgcbirge. 

370- 

Brauns,  R.,  Meteorstein  von  Forsbach. 
276. 

Cloos,  R.,  Geologie  der  Schollen  im 
schlesiscben  Tiefengestein.   156. 

Cloos,  H.,  Mechanismus  tiefvulkanischer 
Vorgänge.  701. 

Feh  linger ,  H.,  Bergbau  in  Me.xiko.  319. 

GletscherbeweguDg  in  der  Schweiz  im 
Jahre  1919.    56. 

Haenel,  H.,  Warum  schlägt  die  Wün- 
schelrute aus?    II. 

Heim,  A.,  Deckentheorie  an  der  Grenze 
von  West-  und  Ostalpen.  204. 

Hilber,  V.,  Die  geologische  Stellung 
des  Faläolithikums.    54. 

Hohen  stein,  V.,  Die  Löß-  und  Schwarz- 
erdeböden Rheinhessens.  58. 

Hohenstein,  V.,  Schlesische  Schwarz- 
erde. 594. 

Jäger,  Fr.,  Die  Austrocknung  Südafri- 
kas. 52. 

KoSmat,  Geologische  Bedeutung  der 
Schweremessung.   453. 

Krenkcl,  G. ,  Beriebt  über  eine  For- 
schungsexpedition in  Deutsch-Ostafrika. 

53- 

Mügge,  O. ,  Petrographie  des  älteren 
Paläozoikums  zwischen  Albungen  und 
Witzenhausen.  86. 

zur  Mühlen,  L.  v.,  Magnesitbergbau 
am  Galgenberg  bei  Zobten.  333. 

zur  Mühlen,  L.  v..  Die  baltischen  Öl- 
schiefer. S50. 

Neynaber,  K.,  Wirkung  von  Spreng- 
granaten und  Minen  auf  verschiedene 
Bodenarten.   302. 

Pfizenmeyer,  Mammutvorkommen  im 
Jakutsgebiet.   732. 

Philipp,  H.,  Eine  neue  Theorie  der 
Gletscherbewegung.  274. 

Range,  P.,  Geologie  und  Mineralschätze 
Angelas.  301. 

Schmitz,  G.,  Deutsche  Olschieferlager. 
452. 

Schneider  höhn,  H.,  Asphaltgänge  im 
Fischflußsandstein  im  Süden  von  Süd- 
westafrika. 89. 

Stutzer,  O. ,  Geologie  der  oligozänen 
Pechkohlenflöze  Oberbayerns.  332. 

Werth,  E. ,  Dauer  der  Spät-  und  Post- 
glazialzeit. 29. 

Wüst,  G.,  Verdunstung  auf  dem  Meere. 
58- 


E.    Geographie. 

Klute,  F.,  Geographie  des  Kilima- 
ndscharogebiets. 235. 

Mager,  F.,  Kurland.  348. 

Rein,  G.  K.,  Abessinien.  673. 

Sapper,  K. ,  Innertropische  Akklimati- 
sation.  595. 

Skottsberg,  C. ,  Die  Juan-Fernandez- 
(Robinson-)lnseln.   596. 

Wi  tiaczil ,  E.,  Die  Grenzlage  Wiens.  11. 


F.  Völkerkunde,  Anthropologie, 
Vorgeschichte. 

Baker,    F.    C,     Eiszeitliche    Menschen- 
knochen in  Nordamerika.   598. 
Davenport,   C.  B.    und   Love,  A.  G., 


Körpeimängel  in  den  Vereinigten  Staa- 
!      tcn.   157. 

McDougall,  W. ,  Psychische  Veran- 
lagung und  Volkscharakter.  405. 

C  o  h  n ,  L. ,  Zweck  des  Tragens  von 
Nasen-,  Lippen-  und  Wangenpilöcken. 
13s-  ' 

Fischer,  E.,  Variieren  der  morphologi- 
schen    und    physiologischen    Merkmale  ' 
der  Menschen.    41Ö. 

Hilzheimer,  Ursprung  des  Menschen- 
geschlechts.  123. 

Klaatsch,  Die  Entstehung  der  artiku- 
lierten Sprache.    418. 

K  r  a  u  s  e ,  G  r.,  Ethnologie  der  Balier.  610. 

Martin,  R.,  Bedeutung  einer  anthropo- 
logischen Untersuchung  der  Jugend.  109. 

Martin,  R.,  Skelettkultur.  650. 

Montelius,      Absolute    Datierung     der 
i      älteren  und  jüngeren  Steinzeit.   170. 

Smith,  E.  VV.  und  Dale,  A.  M.,  Die 
Ilavölker  Nord-Rhodesiens.    537. 

Teßmann,  G.,  Weltanschauung  der  Na-  1 
turvölker.  63S.  ' 

Verworn,  M. ,  Bonnet,  R. ,  Stein- 
mann, G.,  Die  diluvialen  Skclettfundc 
von  Oberkassel  bei  Bonn.  402.  | 

Werth,  Altsteinzeitliche  Funde  im  Sinai- 
gebietc.  275, 


G.    Physik,  Meteorologie, 
Astronomie. 

A  b  b  o  t ,  Helligkeitsänderungen  der  Sonne. 
420. 

Bergstrand,  Entfernung  des  großen 
Orionnebels.  90. 

Dreis,  J.,  Wolkenstruktur  und  Wolken- 
flächen.  15. 

Fowler,  W.,    Doppelstern    vom    Algol- 
typus.   537. 
!  Gehlhoff,  G.  und  Schering,  H.,  Ab- 
sorptionsmessungen in  Luft.   172. 

Graff,  Hauptebene  der  Milchstraße.  446. 

G  u  ra  b  e  1  .Wahrscheinlichkeitstheoretische 
Betrachtungen  zur  Endlichkeit  der  Welt. 

731- 

Jahreszeitlypen.    186. 

John,  St.,  Keine  Bestätigung  der  Rela- 
tivitätstheorie.   420. 

Kapteyn  und  van  Rhijn,  Gesetz  der 
Verteilung  der  Fixsterne.  78. 

Lenard,   Gegen   die   Relativitätstheorie. 

S5I- 
Ludendorff  und  Heiskanen,  Radial- 
I      geschwindigkeit       der      veränderlichen 
!      Sterne.  551. 

j  Meyermann,  Ring  des  Saturn.  421. 
;  M  i  1 1  i  k  a  n  ,  Ausdehnung  des  ultravioletten 
!      Spektrums.    79. 
O  1 1  m  a  n  n  s ,  Mechanik  der  physikalischen 

Anziehungserscheinungen.  231. 
Pease  und  Anderson,    Ein    Gasstern. 

446. 
Pickering,    Durchmesserraessung    eines 

Fixsterns.  637. 
Ramsauer,  C.,  Lichtelektrische  Wirkung 

unterteilter  Lichtquanten.  611. 
Regener,  E.,    Unterschreitung  des  Ele- 

mentarquantums.   95. 
Rutherford,  Zerlegung  von  Elementen 

durch  «-Strahlen.  728. 
Shapley,    Neue  Forschungen    auf    dem 

Gebiete  der  Stellarastronomie.   536. 
Slipher,      Spiralnebel     mit     auffallend 
großen  Geschwindigkeiten.  421. 


Stcbbins,   Algol.   552. 

Tietgen,    H.,     Tönen  der  Telegraphen- 

und  Fernsprcchleitungen.  57. 
Tubandt,   C,  Die  Eleklrizitätsleitung  in 

festen  kristallisierten  Stoffen.  387. 
Walter,  B. ,    Solarisationserscheinungen. 

155- 

We  th,  M.,  Der  positive  Spitzenstrom.  121. 

Wiechert,  .Äther  im  Weltbild  der  Phy- 
sik. 037. 

Zecher,  G.,  Dopplereffekt  im  Röntgen- 
spektrum. 260. 


H.    Chemie,    Mineralogie, 
Kristallographie. 

Aminoff,  G. ,  s.   Flink. 

Asch  an,  O.,  Neue  Bestandteile  des  Ko- 
lophoniums. 647- 

Auerbach,  R.,  Polychromie  des  kollo- 
idalen Schwefels.  92. 

Bagster,  L.  S.,  s.  Dehn. 

Bamberger,  M.  und  Grengg,  R., 
Farben  von  Mineralien  bei  tiefen  Tem- 
peraturen. 317. 

Böggild,  O.  B.,    Neue  Mineralien.  316. 

Bragg,  W.  L,,  Anordnung  der  Atome. 
in  Kristallen.   608. 

Bruhns,  G.,  Hilfsmittel  für  Ablesen  an 
Büretten.  452. 

Bürki  Fr.,  und  Schaaf ,  F.,  Zerfall  des 
Hydroperoxyds  durch   Basen.  715. 

C 1  a  s  s  e  n ,  A.  und  N  e  y  ,  O.,  Atomgewicht 
des  Wismuts.  299. 

Cooling,  G,  s.  Dehn. 

Crommelin,  Elektrischer  Widerstand 
der    Metalle    bei    tiefen  Temperaturen. 

55°- 

Dehn,  M.,  Theorie  chemischer  Um- 
setzungen.  29S. 

Dennison,  D.  M. ,  Kristallstruktur  des 
Eises.   582. 

Dhar,  N.  R.  und  Ch  att erj  i,  G.,  Pepti- 
sation.  646. 

Dittler,  E. ,  Experimentelle  Versuche 
zur  Bildung  silikatischer  Nickelerze.  173. 

Eitel,  W.,  Zinkblende  im  Basalt  des 
Bühls  bei  Kassel.   104. 

Fischer, Fr.  undSchrader,  H.,  Her- 
kunft des  Benzols  bei  der  Leuchtgas- 
gewinnung. 93. 

Flink,  G.,  Neue  Mineralien.  633. 

Gibbs,  W.,  Neue  Form  der  Phasen- 
regel. 715. 

Groh,  J.  und  Hevesy,  G.  v.,  Selbst- 
diffusionsgescliwindigkeit  des  geschmol- 
zenen Bleis.   201. 

Haller,  R.,  Hydroperoxyd  als  Lösungs- 
mittel 11.  371. 

Hatschek,  E,  Abnorme  Liesegangsche 
Schichtungen.  92. 

Heß,  K.,   Aufbau  der  Zellulose.  467. 

Hieber,  W.,  Methode  zur  Bestimmung 
allelotroper  Gleichgewichte.    672. 

Hoff  mann,  Radioaktivität  aller  Ele- 
mente.  139. 

Hönigschmidt,  O.  undBirkenbach, 
Atomgewicht    des  Wismut.    56. 

Hönigschmid,  O.  und  Dir  ken  bac  h  , 
L.,   Atomgewicht  des  Berylliums.   567. 

Hüll,  A.  V/.,  Röntgenstrahlenanalyse  der 
Kristallstruktur  von  Metallen.   58 1. 

Hüll,  A.  W.,  Kristallstruktur  des  Cal- 
ciums. 671. 

Kossei,  A.  und  Giese,  G. ,  Farbstoff 
des  grünen  Eiters.  33 1. 


IV 


Register. 


Weber,  Fr.,  Pflanze  und  Elektrizität. 
241,  249. 

Wießmann,  H.,  Die  biologischen  Vor- 
gänge im  Boden.  489. 

Wilhelmi,  J.,  Zur  Ausgestaltung  der 
Schädlingsbekämpfung.  312. 

Will  er,  A. ,  Aus  dem  Stoff  haushält 
unserer  Gewässer.   17. 

Willer,  A. ,    Neues  über  Maränen.  561. 

Winkler,  H. ,  Christian  Gottfried  Nees 
von  Esenbeck  als  Naturforscher  und 
Mensch.  337. 

Zache,  E. ,  Die  chemischen  Nieder- 
schläge   des   norddeutschen  Diluviums. 

457- 
Zimmermann,    R.,     Vorkommen    des 
Ziesels  in  Sachsen.   102. 


II.   Einzelberichte. 

A.  Allgemeines,  Biologie, 

Zoologie,  Anatomie, 

Vererbungslehre. 

Aichel,  O.,    Kiefer-  und  Zahnveachstum 

usw.   552. 
Ariens-Kappers,    C.  U.,  Weshalb  ist 

die  Hirnrinde  gefaltet?   HO. 
Barre  WS,  A.,  In  Stein  bohrende  Asseln. 

389. 

Baumann,  H. ,  Anatomie  der  Tardi- 
graden.  671. 

Bro  wer,  G.  A.  und  Ve  rwey ,  J.,  Vogel- 
warte Noordwijk  aan  Zee.   106. 

Coccidium  bigeminum  bei  Füchsen.  304. 

Decoppet,  M.,  Maikäferproblem  in  der 
Schweiz.  299. 

Eggeling  ,  H.  V.,  Inwieweit  ist  der  Wurm- 
fortsatz am  menschlichen  Blinddarm  ein 
rudimentäres  Gebilde?   702. 

Fehlinger,  H. ,  Das  Carnegie-Institut 
zu  Washington.   12. 

Floericke,  K.,   Gewölluntcrsuchungen. 

539- 

Friedenthal,  H.,  Bildung  der  mensch- 
lichen Geschlechtszellen.   465. 

Goldschmidt,  R. ,  Die  quantitative 
Grundlage    von  Vererbung    und  Artbil- 

duDg.  331- 

Grote,  H.,  Ornis  Rußlands.  523. 

Henning,  H.,  Farbige  Olkugeln  im 
Sauropsidenauge.  692. 

Hesse,  Einfluß  des  Untergrundes  auf 
das  Gedeihen  des  Rehes.  639. 

Hermaphroditismus  bei  verschiedenge- 
schlechtlichen   Zwillingen    des    Rindes. 

233. 

Holmgren,  N. ,  Parietalorgane  und 
ihre  Innervation  bei  Fischen.    346. 

Holmgren,  N. ,  Nervus  terminalis  bei 
Knochenfischen.  348. 

Je  gen,  G.,  Biologie  und  Anatomie  eini- 
ger Enchyträiden.  57. 

Karstedt,  Blastogener  Hermaphroditis- 
mus. 152. 

Key,  W.  E.,  Erbveranlagung  und  soziale 
Tüchtigkeit.  349. 

Klaatsch,  H.,  Ausbildung  der  mensch- 
lichen Gliedmaßen.  370. 

Komarek,    Höhlenfauna.  690. 

Kunze,  K.,  Zentralnervensystem  der 
Weinbergschnecke.  676. 

Latzin,  II.,  Möglichkeiten  der  theore- 
tischen Biologie.    453. 


Macke nsen,  C.  v.,  Künstliche  Beleuch- 
tung der  Hühnerställe.   717. 

Mar  teil,  P. ,  Stammesgeschichte  des 
Hausrindes.   745. 

Mather,  T. ,  Naturschutz  in  den  Ver- 
einigten Staaten.   55. 

Naturschutz  in  Holland.  3S8. 

Naumann,  Raubseeschwalbe.  747. 

P  a  X ,  F.,  Schlesiens  Stellung  in  tiergeo- 
graphischer Hinsicht.  644.  1 

Plath,  O.  E. ,  Blutsaugende  Fliegen- 
larven. 334. 

Prell,    Problem    der   Unbefruchtbarkeit. 

j     440- 

ISchömmer,   Geschlechtsbestimmung  im 
Hühnerei.   184. 
Schrader,   Geschlechtsbestimmung    bei 

den  Mottenläusen.  90. 
Schulze,  P.,  Deutsche  Hydren.  398. 
[Schulze,     P.,     Cordylophora    lacustris. 
j      651. 
'Schuster,  W.,  Nahrung  der  am  Wasser 

lebenden  Vögel.  109. 
Seyfarth,    C,    Langerhanssche    Inseln. 

I       716- 

Spemann,  H.  und  Falkenberg,    H., 
i      Zum  Determinationsproblem.  369. 
jSteinhardt,    Elefant    des  Kaokofeldes. 
I      612. 

Study,  Für  und  wider  Darwin.   555. 

Verne,    J. ,    Die   Natur    des  roten  Farb- 
stoffes der  Crustaceen.   SS- 
Vers  1  u  y  s ,  J.,  Limulus,  eine  zum  Wasser- 
leben übergegangene  Arachnoide  ?    106. 

V  o  I  z ,  W.,  Urwald  als  Lebensraum.  202. 

Wachs,  H.,  Restitution  des  Auges  nach 
E.xstirpation  von  Retina  und  Linse  bei 
Tritonen.    123. 

Weigold,  H.,  Wanderungen  der  See- 
schwalben. 371. 

Wille,  J.,  Deutsche  Schabe.  319. 

Zeleny,  Rückbildung  der  Augen  bei 
Drosophila.  648. 

Zimmermann,  R. ,  Ende  des  Wisents. 
107,  717. 

Zimmermann, R.,  Kurzohrige  Erdmaus, 
Microtus  subterraneus.  223. 


B.   Botanik,   Bakteriologie, 
Landwirtschaft. 

Andre,  Ursachen  des  periodischen  Dik- 
kenwachstums  des  Stammes.   153. 

Barlot,  J.,  Farbreaktionen  zur  Unter- 
scheidung der  Pilze.   154. 

Baumgärtel,  O.,  Problem  der  Zyano- 
phyzeenzelle.   108. 

Brudeck,  M.  J.,  Desinfektionskraft  von 
Formaldehydpräparat  K.  p.  und  Kresol- 
präparat  Nr.  72.  350. 

Bracht,  E. ,  Sumpfzypressenwald  in 
Florida.   124. 

Burgeff,  H.,  Sexualität  und  Parasitis- 
mus. 204. 

Burgeff,  H. ,  Eigenartige  Form  des 
Parasitismus.   137. 

Geyrv.  Schweppenburg,  Pflanzen- 
geographie der  inneren  Sahara.   318. 

Gothan,  W.,  Weiteres  über  die  „ältesten 
Landpflanzen".  399. 

Heinricher,  E.,  Mistel  und  Birnbaum. 
28. 

Heinricher,  Bestäubung  der  Mistel. 
232. 

Haberlandt,  G. ,  Wundhormone  als 
Erreger  von  Zellteilungen.  592. 


Kühl,  II.,  Bekämpfung  von  Pflanzen 
Schädlingen  mit  kolloidalem  Schwefel 
636. 

Melchior,  H. ,    Saugorganc  der  Mistel 

554- 

Molisch,  II.,  Aschenbild  und  Pflanzen- 
verwandtschaft. 234. 

Murbeck,  Sv. ,  Biologie  der  Wüsten 
pflanzen.  220. 

Riede,  „Hydropotcn"  bei  Wasserpflanzen 

535- 
Schneider   und  Koehmann,    Hirten 

täschel  in  der  Medizin.    230. 
Schulz,    A. ,    Ein    vergessener  Botanike 

des   16.  Jahrhunderts.  417. 
Simon,    S.  V.,    StolTstauung    und    Neu 

bildungsvorgänge  in  isolierten  Blättern 

1S3. 
Skottsberg,     C. ,    Botanischer    Garten 

mit  Naturschutzgebiet.  69 1. 
Tröndle,  Aufnahme  von  Stoffen  in  die 

Zelle.   158. 
Wettstein,  F.  v.,  Reinkultur  der  Algen. 

689. 
We  ttst  ein  ,  «J.  v..  Künstliche   Partheno- 
genese bei  Vaucheria.  467. 
W  i  s  s  e  1  i  n  g  h  ,  C.  v.,  Untersuchungen  über 

Osmose.   136. 


C.    Physiologie,  Medizin 

(einschl.  Veterinärmedizin), 

Psychologie,  Hygiene. 

Ankylostomum  in  Tierbeständen.  304. 
Biedermann,    W. ,    Wesen    und    Ent- 
stehung diastatischer  Fermente.  221. 
Carre,   Wie  eine  Infektionskrankheit  ent- 
steht. 745. 
Dorno,    Einflüsse    des    Klimas    auf   die 
Gesundheit.   153. 
'  Ernst,    Schutzimpfung    bei    Maul-    und 
Klauenseuche.  746. 
Fox,  H.,  Erkrankung  der  Pankreasdrüse 
i      bei  Tieren.  304. 

;  Gildemeister,  Erforschung  der  mensch- 
I      liehen  Hörgrenze.  63I. 
j  Gley,  Lehre  von  der  inneren  Sekretion. 

75- 
[Kunze,    Die  Empfindung   der  Richtung, 
aus  der  der  Schall  kommt.   10. 
Langer,  Chemotherapeutische  Leistung. 

!    693. 

L  e  u  p  o  1  d  ,  Beziehungen  zwischen  Neben- 
nieren und  Keimdrüsen.  419. 

Nervöse  Erscheinungen  bei  Tieren  infolge 
von  Eingeweidewürmern.  260. 

Pferderäude,  Übergang  auf  den  Menschen. 
704. 

Ratten  als  Überträger  der  Trichophytie 
beim  Pferde.   183. 

Reuter,  Spirochätenkrankheit  beiVögeln. 

155- 

S  z  ä  s  z ,  Technik  des  Geflügelimpfens.  200. 

Zwaardemaker,  Physiologische  Wirk- 
samkeit des  Kaliums.  713. 


D.    Geologie,    Hydrographie, 
Paläontologie. 

Bärtling,  R.,  Die  Endmoränen  der 
Hauptvereisung  zwischen  Teutoburgcr 
Wald  und  Rheinischen  Schiefergebirge. 

59- 

Bergt,   W.  I    Das  Muttergestein   des  Scr- 


Register. 


pcütins  im  sächsischen  Granulilgebirge. 

370- 

Brauns,  R.,  Meteorstein  von  Forsbach. 
276. 

Cloos,  R.,  Geologie  der  Schollen  im 
schlesischen  Tiefengestein.   156. 

Cloos,  H.,  Mechanismus  tiefvulkanischer 
Vorgänge.   701. 

Kehlinger  ,  H.,  Bergbau  in  Mexiko.  319. 

Gletscherbewcgung  in  der  Schweiz  im 
Jahre  1919.    56, 

Uaenel,  H.,  Warum  schlägt  die  Wün- 
schelrute aus?    II. 

Heim,  A.,  Deckentheorie  an  der  Grenze 
von  West-  und  Ostalpen.  204. 

Hilber,  V,,  Die  geologische  Stellung 
des  Paläolithikums.    54. 

Hohcnstein,V.,  Die  Löfl-  und  Schwarz- 
erdeböden Rheinhessens.  58. 

llohenstein,  V.,  Schlesische  Schwarz- 
erde. 594. 

Jäger,  Fr.,  Die  Austrocknung  Südafri- 
kas. 52. 

Koßmat,  Geologische  Bedeutung  der 
Schweremessung.    453. 

Krenkel,  G. ,  Bericht  über  eine  For- 
schungsexpedition in  Deutsch-Ostafrika. 

53- 

Mügge,  O. ,  Petrographie  des  älteren 
Paläozoikums  zwischen  Albungen  und 
Witzenhausen.  86. 

zur  Mühlen,  L.  v.,  Magnesitbergbau 
am  Galgenberg  bei  Zobten.  333. 

zur  Mühlen,  L.  v..  Die  baltischen  Öl- 
schiefer. 550. 

Neynaber,  K.,  Wirkung  von  Spreng- 
granaten und  Minen  auf  verschiedene 
Bodenarten.   302. 

Pfizenmeyer,  Mammulvorkommen  im 
Jakutsgebiet.  732. 

Philipp,  H.,  Eine  neue  Theorie  der 
Gletscherbewegung.  274. 

Range,  P.,  Geologie  und  Mineralschätze 
Angelas.  301. 

Schmitz,  G.,  Deutsche  Ölschieferlager. 
452. 

Schneider  höhn,  H.,  Asphaltgänge  im 
Fischflußsandstein  im  Süden  von  Süd- 
westafrika. 89. 

Stutzer,  O. ,  Geologie  der  oligozänen 
Pechkohlenflöze  Oberbayerns.  332. 

Werth,  E. ,  Dauer  der  Spät-  und  Post- 
glazialzeit. 29. 

Wüst,  G.,  Verdunstung  auf  dem  Meere. 
58- 


E.    Geographie. 

Klute,  F.,  Geographie  des  Kih'ma- 
ndscharogebiets.  235. 

Mager,  F.,  Kurland.  34S. 

Rein,  G.  K.,  Abessinien.  673. 

Sapper,  K. ,  Innertropische  Akklimati- 
sation. 595. 

Skottsberg,  C. ,  Die  Juan-Fernandez- 
(Robinson-)Inseln.  596. 

Witlaczil,  E.,  Die  Grenzlage  Wiens.  11. 


F.  Völkerkunde,  Anthropologie, 
Vorgeschichte. 

Baker,    F.    C,     Eiszeitliche    Menschen- 
knochen in  Nordamerika.   598. 
Davcnport,   C.  B.    und   Love,  A.  G., 


j      Körperraängel  in  den  Vereinigten  Staa- 
!      ten.   157. 

McDougall,  W. ,  Psychische  Veran- 
lagung und  Volkscharakter.  405. 

C  o  h  n ,    L. ,     Zweck     des    Tragens     von 
Nasen-,    Lippen-    und  Wangenpflöcken. 
'     _i38. 

j  Fischer,  E.,  Variieren  der  morphologi- 
schen und  physiologischen  Merkmale 
der  Menschen.    416. 

Hilz heimer,  Ursprung  des  Menschen- 
geschlechts.  123. 

Klaatsch,  Die  Entstehung  der  artiku- 
lierten Sprache.   418. 

Krause,  Gr.,  Ethnologie  der  Balier.  610. 

Martin,  R.,  Bedeutung  einer  anthropo- 
logischen Untersuchung  der  Jugend.  109. 

Martin,  R.,  Skelettkultur.  650. 

Montelius,  Absolute  Datierung  der 
älteren  und  jüngeren  Steinzeit.   170. 

Smith,  E.  W.  und  Dale,  A.  M.,  Die 
Ilavölker  Nord-Rhodesiens.    537. 

Teßmann,  G.,  Weltanschauung  der  Na- 
turvölker. 63S. 

Verworn,  M. ,  Bonnet,  R. ,  Stein- 
mann, G.,  Die  diluvialen  Skelettfundc 
von  Oberkassel  bei  Bonn.  402. 

Werth,  Altsteinzeitliche  Funde  im  Sinai- 
gebietc.  275. 


G.    Physik,  Meteorologie, 
Astronomie. 

A  b  b  o  t ,  Ilelligkeitsänderungen  der  Sonne. 

420. 
Bergstrand,     Entfernung    des    großen 

Orionnebels.  90. 
Dreis,  J.,  Wolkenstruklur  und  Wolken 
I       flächen.   15. 

IFowler,  W.,    Doppelstern    vom    Algol 
I      typus.   537. 
I  Gehlhoff ,  G.  und  Schering,  H.,  Ab 

Sorptionsmessungen  in  Luft.   172. 
Graff,  Hauptebene  der  Milchstraße.  446 
G  u  m  b  e  1 , Wahrscheinlichkeitstheoretische 

Betrachtungen  zur  Endlichkeit  der  Welt 

731- 
Jahreszeittypen.    1S6. 

John,  St.,  Keine  Bestätigung  der  Rela- 
tivitätstheorie.   420. 
Kapteyn  und  van  Rhijn,   Gesetz  der 

Verteilung  der  Fixsterne.   78. 
Lenard,    Gegen   die   Relativitätstheorie. 

SSI- 
Lude  ndorff  und  Heiskanen,  Radial- 
geschwindigkeit      der      veränderlichen 

Sterne.  551. 
Meyermann,  Ring  des  Saturn.  421. 
M  i  1 1  i  k  a  n  ,  Ausdehnung  des  ultravioletten 

Spektrums.    79. 
0 1 1  m  a  n  n  s ,  Mechanik  der  physikalischen 

Anziehungserscheinungen.  231. 
Pease  und  Anderson,    Ein    Gasstern. 

446. 
Picke  ring,    Durchmessermessuog    eines 

Fixsterns.  637. 
Ramsauer,  C,  Lichtelektrische  Wirkung 

unterteilter  Lichtquanten.  61 1. 
Regener,  E,,    Unterschreitung  des  Ele- 
mentarquantums.  95. 
Rutherford,  Zerlegung  von  Elementen 

durch  «-Strahlen.  728. 
Shapley,    Neue  Forschungen    auf    dem 

Gebiete  der  Stellarastronomie.  536. 
Slipher,      Spiralnebel     mit     auffallend 

großen  Geschwindigkeiten.  421. 


Steh  bin  s,   Algol.   ^52. 

Tietgen,    H.,     Ionen  der  Telegraphen- 

und  Fernsprcchleitungen.  57. 
Tubandt,  C,  Die  Elektrizitätsleitung  in 

festen  kristallisierten  Stoffen.  387. 
Walter,  B. ,    Solarisationserscheinungen. 

ISS- 

We  th,  M.,  Der  positive  Spitzenstrom.  121. 

Wie  eher  t,  .Äther  im  Weltbild  der  Phy- 
sik. 637. 

Zecher,  G.,  Dopplereffekt  im  Röntgen- 
spektrum. 260. 


H.    Chemie,   Mineralogie, 
Kristallographie. 

Aminoff,  G.,  s.   Flink. 

Asch  an,  O.,  Neue  Bestandteile  des  Ko- 
lophoniums. 647. 

Auerbach,  R.,  Polychromie  des  kollo- 
idalen Schwefels.  92. 

Bagster,  L.  S.,  s.  Dehn. 

Bamberger,  M.  und  Grengg,  R., 
Farben  von  Mineralien  bei  tiefen  Tem- 
peraturen. 317. 

Böggild,   O.  B.,    Neue  Mineralien.  316. 

Bragg,  W.  L.,  Anordnung  der  Atome 
in  Kristallen.   608. 

Bruhns,  G.,  Hilfsmittel  für  Ablesen  an 
Büretten.  452. 

Bürki  Fr.,  und  Schaaf,  F.,  Zerfall  des 
Hydroperoxyds  durch   Basen.   715. 

C lassen,  A.  und  Ney,  O.,  Atomgewicht 
des  Wismuts.  299. 

Cooling,  G,  s.  Dehn. 

Crommelin,  Elektrischer  Widerstand 
der    Metalle    bei    tiefen  Temperaturen. 

550- 

Dehn,  M.,  Theorie  chemischer  Um- 
setzungen.  29S. 

Dennison,  D.  M. ,  Kristallstruktur  des 
Eises.  5S2. 

Dhar,  N.  R.  und  Ch  atte  rj  i,  G,  Pepti- 
sation.  646. 

Dittler,  E. ,  Experimentelle  Versuche 
zur  Bildung  silikatischer  Nickelerze.  173. 

Eitel,  W.,  Zinkblende  im  Basalt  des 
Bühls  bei  Kassel.    104. 

Fischer,  Fr.  und  Schrader,  H. ,  Her- 
kunft des  Benzols  bei  der  Leuchtgas- 
gewinnung. 93. 

Flink,  G.,  Neue  Mineralien.  633. 

Gibbs,  W.,  Neue  Form  der  Phasen- 
regeL  715. 

Groh,  J.  und  Hevesy,  G.  v.,  Selbst- 
diffusionsgeschwindigkeit des  geschmol- 
zenen Bleis.   201. 

Hall  er,  R.,  Hydroperoxyd  als  Lösungs- 
mittel II.  371. 

Hatschek,  E,  Abnorme  Liesegangsche 
Schichtungen.  92. 

Heß,  K.,  Aufbau  der  Zellulose.  467. 

Hieber,  W.,  Methode  zur  Bestimmung 
allelotroper  Gleichgewichte.    672. 

Hoff  mann,  Radioaktivität  aller  Ele- 
mente.  139. 

Hönigschmidt,  O.  und  Birken b ach, 
Atomgewicht    des  Wismut.    56. 

Hönigschmid,  O.  und  Birken  b  ach  , 
L.,  Atomgewicht  des  Berylliums.   5O7. 

Hüll,  A.  W.,  Röntgenstrahlenanalyse  der 
Kristallstruktur  von  Metallen.   58 1. 

Hüll,  A.  W.,  Krislallstruktur  des  Cal- 
ciums. 671. 

Kossei,  A.  und  Giese,  G. ,  Farbstoff 
des  grünen   Eiters.   331. 


VI 


Register. 


Leitmeier,  H.  und  H  e  1 1  w  i  g ,  H.,  Ver- 
suche über  die  Entstehung  von  Ton- 
erdephosphaten.  184. 

Lorenz,  R.,  Trennung  der  Isotopen  des 
Chlors.   566. 

Manzelius,  R.,  s.  Klink. 

Merling,  R.,  s.  Dehn. 

Müller,   A.,    Konstitution  des  Reuniols. 

TAI- 

Nishikawa,  S.  und  Asabara,  G., 
Untersuchung  von  Metallen  mittels  Rönt- 
genstrahlen.  136. 

I'aneth,  F.,  Bleiwasserstoff.  94. 

Pufahl,  O.,  Neues  Mineral  in  Dcutsch- 
Südwestafrika.  259. 

Reis,  A. ,  Zur  Kenntnis  der  Kristall- 
gitter.  13. 

Röhm,  C,  Neues  Eisensah.  715. 

Spangenberg,  K.,  Einfache  Vorrich- 
tung zur  Darstellung  von  beliebigen 
Kristallstrukturmodellen.  418. 

Tammann,  G. ,  Über  farbloses  Queck- 
silberjodid.  27. 

Tertsch,  H.,  Atomsymmetrie.  703. 

Willstätter,  R.  und  W  a  1  d  s  c  h  m  i  d  t  - 
Leitz,  E.,  Theorie  und  I'ra.'iis  kataly- 
tischer  Hydrierungen.  396. 

Willstätter,  R.  und  W  a  I  d  s  c  h  ni  i  d  t  - 
Leitz,  E.,  Seifen  mit  ringförmigen 
Kohleustoffsystemen.   746. 

Wyckoff,  R.  W.  G.,  Kristallstruktur 
einiger  Karbonate  der  Caicitgruppc. 
140. 

Vegard,  L.,  Konstitutiun  der  Misch- 
kristalle.   635. 


IV.  Bücherbesprechungen. 

Abraham,  M.,   Theorie  der  Elektrizität. 

391. 

Adametz,  L, ,  Herkunft  und  Wande- 
rungen der  Hamiten.   160. 

Albertus  Magnus,  De  animalibus. 
584. 

Alverdes,  Er.,   Rassen-  und  Artbildung. 

734- 

Andree,  K.,  Geologie  des  Meeres- 
bodens.  175. 

Arndt,  K.,  Die  Bedeutung  der  Kolloide 
für  die  Technik.  63. 

.Astronomisches  Handbuch.    749. 

Auerbach,  F.,  Wörterbuch  der  l'hysik. 
206. 

La  Baume,  W. ,  Vorgeschichte  von 
Westpreuflen.  143. 

Bavink,  B. ,  Einführung  in  die  organi- 
sche Chemie.  43      . 

Beck,  R.,  Protothamnopteris  Baldauti 
usw.  472. 

Behrend,  Fr.,  Kupfer-  und  Schwefel- 
erze Osteuropas.  487. 

Bein,  W.,  Der  Stein  der  Weisen.  320. 

Berger,  H.,  Psychophysiologie.  543. 

Berndt,  G.,  Physikalisches  Wörterbuch. 
206. 

Beutner,  K. ,  Entstehung  elektrischer 
Ströme  in  lebenden  Geweben  usw.  128. 

Bezold  W.  und  Seitz,  W.  v.,  Farben- 
lehre. 623. 

B  i  1 1  z ,  W.,  Ausführung  qualitativer  Ana- 
lysen. 406. 

Hinz,  A. ,  Schul-  und  Exkursionsflora 
der  Schweiz.   158. 

Bloch  ,  W.,  Einführung  in  die  Relativitäts- 
theorie.   504. 


Bodfors,  Sv.,  .\thyleno.\yde.   541. 
Born,  A.,  Allgemeine  Geologie.  640. 
Born,  M.,  Aufbau  der  Materie.   584. 
Born,    M.,    Relativitätstheorie    Einsteins 

und  ihre  physikalischen  Grundlagen.  483. 
Boveri-Boner,   V.,    Beiträge    zur    ver- 

gleichendfen    Anatomie    der    Nephridien 

niederer  Oligochälen.  407. 
v.  Braun,    J.,    Chemische    Konstitution 

und     physiologische    Wirksamkeit    bei 

Kokainalkaloiden.  446. 
Brigl,    P. ,    Chemische  Erforschung    der 

Naturfarbsloffe.  455. 
Br ohmer,  P.,    Fauna  von  Deutschland. 

>59- 

Broili,  I'.,  Zittels  Grundzüge  der  Palä- 
ontologie.  1.  677. 

Broili,   F.,  Paläozoologie.   640. 

B  u  b  n  o  f  f ,  S.  V.,  Grundlagen  der  Decken- 
theorie der  Alpen.  662. 

Bülschli,  O. ,  Vorlesungen  über  Ver- 
gleichende Anatomie.  616. 

Centnerszwer,  Radium  und  Radio- 
aktivität.  752. 

Le  Chatelier,  II.,  Kieselsäure  und  Sili- 
kate. 568. 

C 1  a  s  s  e  n  ,  A.,  Handbuch  der  analytischen 
Chemie.  719. 

Classen,  A.,  Handbuch  der  rjualitativen  ^ 
chemischen  Analyse  anorganischer  und  ; 
organischer  Verbindungen.    64. 

Cohen,  E.  und  Schut,  W.,  l'iezochcmie 
kondensierter  Systeme.  695. 

Dacquc,   E.,  Geologie  II.   423. 

Dannemann,  F.,  Die  Naturwissen-, 
Schäften  in  ihrer  Entwicklung.  455. 

Darwin,  Ch.,  Entstehung  der  Arten. 
Abstammung  des  Menschen.  678. 

D  e  an  e  ,   Fijian  Society.  679. 

Deutsche  Südpolar-Expedition  1  go  I  —  1 903. 
623. 

Di  eis,  P.,  Die  Slawen.   144. 

Dietrich,  W.,  Einführung  in  die  physi- 
kalische Chemie    fitf^iochemiker  usw.  . 

511-  i 

Dingler,  H.,  Kritische  Bemerkungen  zu 
den  Grundlagen  der  Relativitätstheorie. 

559- 
Dingler,    II.,    Physik    und    Hypothese. 

653- 

D  isper,  P.,  Massenverteilung  und  Ver- 
schiebung der  Druck-  und  Zugkräfte  in 
einem  Kometen.   127. 

Doflein,  Mazedonische  Ameisen.  224. 

Donath  Ed.  und  L  issner,  A.,  Kohle 
und  Erdöl.   359. 

Domo,  C,  Klimatologie  im  Dienste  der 
Medizin.    4S8. 

Eckstein,  K. ,  Die  Schmetterlinge 
Deutschlands.  423. 

Einstein,  A.,  .'\ther  und  Relativitäts- 1 
theorie.    374.  ] 

Emin  Paschas  Tagebücher.   732.  1 

Engelhardt,  V.,  Einführung  in  die 
Relativitätstheorie.  374. 

Engler,  A.,  Das  Pflanzenreich.    159. 

Euler,  H.,  Chemie  der  Enzyme.  448. 

Fehlinger,  H. ,  Geschlechtsleben  der 
Naturvölker.  279. 

Ficker,    M. ,     Einfache     Hilfsmittel    zur; 
Ausführung     bakteriologischer      Unter- 
suchungen.  718. 

Fischer,  Fr.  undSchrader,  H.,  Ent- 
stehung und  chemische  Struktur  der 
Kohle.   559. 

Fischer,  H.,  Pflanzenbau  und  Kohlen- 
säure.  749. 


Fitschen,  J.,   GehöUflora.   45. 
France,  R.  H.,  Die  Pflanze  als  Erfinder. 

335- 
Franz,  V.,  Ursprüngliches  in  der  warm- 
blütigen Tierwelt  der  Kriegsgebiete.  45. 
Fricke,    H.  ,    Der    Fehler    in     Einsteins 

Relativitätstheorie.  422. 
Fricke,    H. ,    Die    neue    Erklärung    der 

Schwerkraft.  422. 
Frizzi,  E.,  Anthropologie.   71g. 
Fröhlich,     F.    W. ,     Grundzüge     einer 

Lehre  vom  Licht-  und  Farbensinn.  55g. 
Fürth,    R. ,    Schwankungserscheinungen 

in  der  Physik.  247. 
Gebien,  H.,  Käfer  aus  der  Familie  der 

Tenebrionidae.  422. 
Gehes  Arzneipflanzentaschenbuch.  749. 
Gehrcke,    E. ,     Die    Relativitätstheorie 

eine  wissenschaftliche  Massensuggestion. 

527- 

Geiger  H.  und  Mako  wer,  W.,  Meß- 
methoden auf  dem  Gebiete  der  Radio- 
aktivität. 207. 

Geißler,  F.  J.  K.,  Gemeinverständliche 
Widerlegung  des  formalen  Relativismus. 

374- 

Gerke,  O.,  Kurzes  Lehrbuch  der  Pflan- 
zenkunde. 614. 

Gerlach,  W.,  Ex|>erimentelle  Grund- 
lagen der  Quantentheorie.  733. 

Giesenhagen,  K. ,  Lehrbuch  der  Bo- 
tanik. 614. 

Goldschmidt,  R. ,  Einführung  in  die 
Vererbungswissenschaft.   112. 

Gothan,  W.,  Paläobotanik.    502. 

Grimsehl,  E.,  Lehrbuch  der  Physik.  1, 
II.  678. 

Grossmann,  H.,  Fremdsprachiges  Lese- 
buch für  Chemiker.  46. 

Groth,  P.,  Elemente  der  physikalischen 
und  chemischen  Kristallographie.    064. 

Günther,  IL,  Elektrotechnik  für  Alle. 
158. 

Günther,   H.,  Was  ist  Elektrizität?   190. 

de  Haas,  R.,  Im  Schatten  afrikanischer 
Jäger.  360. 

Hadfield,  E.,  Aniong  thc  natives  of 
the  Loyalty  Group.    262. 

Hager,    H.,  Das  Mikroskop  usw.  351. 

Hahn,  K.,  Grundriß  der  Physik.  470. 

Harael,  G.,  Mechanik  I.  664. 

Hamilton,  L. ,  Ursprung  der  französi- 
schen Bevölkerung  Canadas.   718. 

Hansen,  A.,  Goethes  Morphologie.  279. 

Hartmann,  M.,  Praktikum  der  Proto- 
zoologie.  624. 

Häuser,  O. ,  Ins  Paradies  des  Urmen- 
schen. 503. 

Heiberg,  J.  L. ,  Naturwissenschaften, 
Mathematik  und  Medizin  im  klassischen 
Altertum.  558. 

Heilborn,  A.,  Entwicklungsgeschichte 
des  Menschen.  5'0. 

Hering,  E.,  Fünf  Reden.   559. 

Hertwig,  O.,  Elemente  der  Entwick- 
lungslehre.  190. 

Herz,  W.,  Leitfaden  der  theoretischen 
Chemie.  359. 

Ho  ff  mann,  B. ,  Führer  durch  unsere 
Vogelwelt.  432. 

Hörnes,  M.,  Kultur  der  Urzeit.    695. 

Jagow,  K.,  Kulturgeschichte  des  Herings. 
288. 

Jensen,  B.,  Erleben  und  Erkennen.  31. 

Isenkrahe,  C,  Zur  Elementaranalyse 
der  Relativitätstheorie.  374. 

Kammerer,  P.,    Über  Verjüngung    und 


Register. 


VII 


Verlängerung  des  persönlichen  Lebens,  i 
500.  : 

Kämmerer,  H.,  Abwehrkräfte  des  Kör- 
pers. 488. 

Karsten  G.  und  Ben  ecke,  W.,  Lehr-  ' 
buch  der  Pharmakognosie.  334. 

Kauffmann,  H.,  Beziehungen  zwischen 
physikalischen  Eigenschaften  und  chemi- 
scher Konstitution.  486. 

Kirch  berger,  F.,  Mathematische  Streif- 
züge   durch    die  Geschichte    der  Astro-  1 
nomie.  487. 

Kirchberger,  P.,  Was  kann  man  ohne 
Mathematik  von  der  Relativitätstheorie 
verstehen?  472. 

Kistner,  A.,  Geschichte  der  Physik. 
456. 

Klaatsch,    H. ,     Der    Werdegang    der! 
Menschheit    und     die    Entstehung    der 
Kultur.  237. 

Klein,  J.,    Chemie,  Anorganischer  Teil. 

43- 

Klein,  J.  Chemie.  469. 

Klein,  L.,  Unsere  Sumpf-  und  Wasser- 
pflanzen. 662. 

K  1  e  i  n  s  c  h  r  o  d  ,'  F  r.,  Lebensproblem  und 
Positivitätsprinzip  in  Zeit  und  Raum 
und  das  F.insteinsche  Relativitätsprinzip. 
542. 

Knotnerus-Meyc  r,  Zoologisches  Wör- 
terbuch. 20S. 

Kohl  rausch,  F.,  Lehrbuch  der  prak- 
tischen Physik.  751. 

Kuenen,  J.  F.,  Die  Eigenschaften  der 
Gase.  247. 

Kükenthal,  W. ,  Leitfaden  für  das 
zoologische  Praktikum.   238. 

KUster,  E. ,  Lehrbuch  der  Botanik  für 
Mediziner.  614. 

Küster,  E. ,  Anleitung  [zur  Kultur  der 
Mikroorganismen.  718. 

Lümmel,  R. ,  Wege  zur  Relativitäts- 
theorie. 374. 

L  ä  m  m  e  I ,  R.,  Grundlagen  der  Relativitäts- 
theorie. 543. 

Lampa,  A.,  Das  naturwissenschaftliche 
Märchen.   174. 

Landau,  E.,  Naturwissenschaft  und  Le- 
bensauffassung.  582.  " 

Lang,  R.,    Experimentalphysik.  II.    600. 

Lange,  O.,  Zwischenprodukte  der  Teer- 
farbenfabrikation. 557. 

Laue,  M.  v.,   Relativitätstheorie.  373. 

Legahn,  A.,  Physiologische  Chemie  II. 
Dissimilation.  46. 

Lehmann,  J.,  Ornamente  der  Natur,  und 
Halbkulturvölker.  287.  % 

Lehmann,  K.  1!.  und  Neumann,  R. 
O. ,  Atlas  und  GrundriU  der  Bakterio- 
logie. 44.  • 

Lehmann,  W.,  Energie  und  Entropie. 
750. 

Leick,  A.  und  W. ,  Physikalische  Ta- 
bellen. 423. 

Leuchs,  K.,  Geologischer  Führer  durch 
die  Kalkalpen  usw.  719.' 

Lewin,  K.,  Die  Verwandtschaftsbegriffe 
in  Biologie  und  Physik  und  die  Darstel- 
lung vollständiger  Stammbäume.  30. 

Lichtenbergs  Briefe  an  J.  Fr.  Blumen- 
bach.   680. 

Lißmann,  F.,  Eine  Sammlung  seiner 
Werke.  412. 

Littrow,  Atlas  des  gestirnten  Himmels. 
63. 

Lodge,  O.  J.,  Raymond  ou  la  vic  et  la 
mort.  320. 


Loele,  W.,  Die  Phenolreaktion.    320. 

Lorentz,  H.  A.,  Einstein,  A,  Min- 
kowski, H. ,  Das  Relativitätsprinzip. 
28S. 

Lowie,  R.  H.,  Primitive  Society.  207. 

Loe  wit ,  M., Infektion  und  Immunität.  750. 

Luschan,  F.  v. ,' .Mtertümcr  von  Benin. 
18S. 

Mach,  E.,  Mechanik.  374. 

Mach,  E.,  Prinzipien  der  physikalischen 
Optik.   750. 

Marx,E.,  Handbuch  der  Radiologie.  262. 

März  eil,  H.,  Neues  illustriertes  Kräuter- 
buch. 262. 

Meyer,  E.,  Wirklichkeitsblinde  in  Wissen- 
schaft und  Technik.  456. 

Mey  er-St  e  ineg,  Th.  und  Sudhoff, 
K.,  Geschichte  der  Medizin.   598. 

Michaelis,  L. ,  Praktikum  der  physi- 
kalischen Chemie.  4S8. 

Miehe,  H. ,  Taschenbuch  der  Botanik. 
614. 

Mieleitner,  K.,  Die  technisch  wichti- 
gen Mineralstoffe.  64. 

Moeller,  M.,  Das  Ozon.   528. 

Moser,  L. ,  Reindarstellung  von  Gasen. 
696. 

Mosler,  H.,  Einführung  in  die  moderne 
drahtlose  Telegraphie.    158. 

Moszkowski,  A.,  Einstein.  543. 

Much,  H.,  Pathologische  Biologie.   279. 

Much,  H.,  Die  Partigengesetze.  484. 

Müller,  Fr.,  Konstitution  und  Indivi- 
dualität. 511. 

Müller,  Fr.,  Werke,  Briefe,  Leben.  694. 

Müll  er- Frei  enfels,  R.,  Philosophie 
der  Individualität.  662. 

Neunzig,  l-C.,  Die  fremdländischen  Stu- 
benvögel. 407. 

Niggli,  F.,  Lehrbuch  der  Mineralogie. 
3S9. 

Noetling,  F.,  Die  kosmischen  Zahlen 
der  Cheopspyramide.   55g. 

Ochs,  R. ,    Einführung    in    die    Chemie. 

5Ö7- 
Oppenheim,    S. ,     Das     astronomische 

\Veltbild    im    Wandel  der  Zeiten.    469. 
Oppenheim  er,   C. ,  Mensch  als  Kraft- 
maschine.  471. 
Oppenheimer,  C,  Kleines  Wörterbuch 

der  Biochemie  und  Pharmakologie.  287. 
Oppenheimer    C.    und     Weiß,     O., 

Grundrifi  der  Physiologie  für  Studierende 

und   Arzte.  63. 
Ostwald,  W. ,    Die  chemische  Literatur 

und  die  Organisation  der  Wissenschaft. 

408. 
Ostwald,  W.,  Die  Farbe.    447. 
Ostwald,  W.,  Mathetische  Farbenlehre. 

542. 
Panconcelli-Calzia,    Experimentelle 

Phonetik.  510. 
Pauli,  R.,    Psychische    Gesetzmäßigkeit. 

541- 

Pauli,  Wo.,  Kolloidchemie  der  Eiweiß- 
körper. 42. 

Perzynski,  F.,  Von  Chinas  Göttern. 
27S. 

Peter,  B.,  Parallaxenbestimmungen.  469. 

Pfeiffer,  L. ,  Werkzeuge  des  Steinzeit- 
menschen.  142. 

Philipp,   R.,   Bedeutung   der  Geologie. 

752- 
P  i  r  q  u  e  t ,  C 1.,  System  der  Ernährung.  320. 
Plank,  M.,  Das  Wesen  des  Lichts.  497. 
Potonie,    Lehrbuch    der    Paläobotanik. 

502. 


Potonie,  H.,   Die  Steinkohle.   751. 

Praktikum  und  Repetitorium  der  quanti- 
tativen Analyse.   248. 

Ranke,  J.,  Der  Mensch.  4S4. 

Rehmke,  J.,  Die  Seele  des  Menschen. 
376. 

Reichenow,  A.,  Kennzeichen  der  Vögel 
Deutschlands.  423. 

Reuter,  M. ,  Hygienische  Beurteilung 
farbstoflhaltigen  Fleisches.  288. 

Kichert,  H.,  Philosophie.  558. 

Riebet,  Ch.,  Anaphylaxie.  44. 

Richter,  R. ,  Einführung  in  die  Philo- 
sophie.  55S. 

Rinne,  Fr.,  Kristalle  als  Vorbilder  des 
feinbaulichen  Wesens  der  Materie.   526. 

Rinne,   Fr.,  Gesteinskunde.    689. 

R  i  p  k  e  -  K  ü  h  n ,  L.,  Kant  contra  Einstein. 

374- 

Rivista  di  Biologia.   503. 

Robien,  P.,  Die  Vogelwelt  des  Bezirks 
Stettin.  61. 

Rohleder,  IL,  Monographien  über  die 
Zeugung  beim  Menschen.  600. 

Rohr,  M.  V.,  Brille  als  optisches  Inlru- 
ment.  733. 

Rüsberg,  F.,  Einführung  in  die  analy- 
tische Chemie.  263. 

Ruska,  J.,  Methodik  des  mineralogisch- 
geologischen Unterrichts.  352. 

Schaefer,Cl.,  Theoretische  Physik.  720 

Schaxel,  J.,  Die  allgemeine  und  expe- 
rimentelle Biologie  bei  der  Neuordnung 
des  medizinischen  Studiums.  485. 

Schlesinger,  L.,  Raum,  Zeit  und  Re- 
lativitätstheorie. 374. 

Schmal tz,  R.,  Geschlechtsleben  der 
Haussäugetiere.    656. 

Schmid,  B.,  Aufgaben  der  Tierpsycho- 
logie. 656. 

Schmidt,  C.  W.,  Geologisch-mineralogi- 
sches Wörterbuch.  527. 

Schmidt,  H.,  Probleme  der  modernen 
Chemie.  432. 

Schmidt,  j.,  Lehrbuch  der  organischen 
Chemie.  652. 

Schneider,  J,,  Raum-Zeit-Problem  bei 
Kant  und   Einstein.   559. 

Schnippenkötter,  J.,  Der  entropolo- 
gische  Gottesbeweis.  663. 

Schottler,    W.,    Der    Vogelsberg    usw. 

45- 

Schrenck-Notzing,  A.  v..  Physikali- 
sche Phänomene  des  Mediumismus.   186. 

Schroeder,  H.,  Stellung  der  grünen 
Pflanze  im  irdischen  Kosmos.    189. 

Schulz,   IL,  Das  Sehen.   128. 

Schwarz,  M.  v.,  Legierungen.   719. 

Schwinge,  O.,  Lücke  in  der  Termino- 
logie der  Einsteinschen  Relativitäts- 
theorie. 560. 

Scott,  D.  H.,  Studies  in  Fossil  Botany. 
502. 

Seidlitz,  W.  v. ,  Revolutionen  in  der 
Erdgeschichte.  390. 

Sewerzow,  N.,  Zoologische  Gebiete  der 
außerhalb  der  Tropen  gelegenen  Teile 
unseres  Kontinents.  696. 

Sohns,  Fr.,  Unsere  Pflanzen.  Ihre  Na- 
menerklärung usw.  360. 

Sommer,  G.,  Leib  und  Seele.   558. 

Steinhardt,    Vom    wehrhaften    Kiesen. 

79. 

Steinriede,  F.,  Anleitung  zur  minera- 
logischen Bodenanalyse.  751. 

Stock,  A.,  Ultra-Strukturcheniie.  16. 

Stock,  A.,  Ultra-Strukturchemie.   568. 


VIII 


Register. 


Stöckhardt,   Ad.,  Schule  der  Chemie. 
41. 

Strasburger,    Lehrbuch    der    Botanik. 
614. 

Stromer,  E.,    Paläozoologisches  Prakti- 
kum.  70. 

Tarn  mann,  G.,    Lehrbuch  der  Metallo- { 
graphie.  748. 

Taschenberg,  C).,    Bibliotheca   zoolo- 
gica  II.  624. 

Th  ormeyer,  F., Philosophisches  Wörter- 
buch.  352.  i 

Trünke!,  H.,  Repetitorium  der  Pflanzen- 
kunde. 614.  I 

Ulbrich,  E.,  PfianzenkundeBd.il.   159. 

Ulbricht,  K.,  Das  Kugelphotometer.  142. 

Urban,  Ign. ,  Plumiers  Leben  und 
Schriften.  238.  , 

Valentin  er,  S.,  Grundlagen  der  Quan- 
tentheorie. 432. 

Valentiner,  S. ,  Anwendungen  der  j 
Quantenhypothese  usw.  734. 

Vater,  R,  Technische  Wärmelehre.  470. 

Verweyen.J.  M.,  Naturphilosophie.  558. 

V  e  r  w  o  r  n  ,  M.,  Die  Anßinge  der  Kunst. 
62. 

Verworn,  M. ,  Mechanik  des  Geisles- 
lebens. 55S. 

Voigt,  A.,  Exkursionsbuch  zum  Studium 
der  Vogelstimmen.   159. 

Voigt,  A.,  Wasscrvogelleben.  392. 

Wachs,  H.,  Entwicklung,  ihre  Ursachen 
und  deren  Gestaltung.   16. 

Wächter,  W.,  Vademecum  für  Sammler 
von  Arznei-  und  Gewürzpflanzen.    IlT, 

Wagner,  G. ,  Landschaftsformen  von 
Württembergisch-Franken.  351. 

Waibel,  L. ,  Urwald  —  Veld  —Wüste. 

239. 
Walt  her,  J. ,    Vorschule    der   Geologie. 

79- 
Walther,    J. ,     Geologie    Deutschlands. 

405- 

Walther,  J.,  Geologische  Heimatkunde 
von  Thüringen.  536. 

Wasielewski,  W.  v. ,  Telepathie  und 
Hellsehen.  334. 

Wegener,  A.,  Entstehung  der  Mond- 
krater.  750. 

Weil,  A.,  Die  innere  Sekretion.  486. 

Weil,  L.  W.,  Grundlagen  der  techni- 
schen Hpdrodynamik.   143. 

Wenz,  \V.,  Geologie.    159. 

Wiegers,  Fr.,  Diluvialprähistorie  als 
geologische  Wissenschaft.  501. 


Wiesner,  J.,  Anatomie  und  Physiologie 
der  Pflanzen.    614. ' 

W  i  n  t  e  1  e  r  ,  F. ,  Die  heutige  industrielle 
Elektrochemie.  62. 

Wolf,  B.,  Das  Recht  der  Naturdenkmal- 
pflege  in  Preußen.   32. 

Wolff,  W.,  Die  Entstehung  der  Insel 
Sylt.  64. 

Ziehen,  Th.,  Lehrbuch  der  Logik.   372. 

Zwölf  länderkundliche  Studien.   55S. 


V.  Anregungen  und  Antworten. 

Ameisen,  Kettenbildung  derselben.  280. 

Athertheorie  und  Einsteineffekt.  80. 

Aufklärung,  504. 

Boden,  biologischen  Vorgänge  darin.   736. 

Cicindela- Arten,  zur  Biologie  der.   176. 

Disjunktionsproblem  Keilhacks.   392. 

Dominantes  Merkmal,  Ausbreitung  des- 
selben in  der  Natur.  47. 

Dünge- und  Futtermittel,  Untersuchung  der- 
selben.  240. 

Gesellschaft  für  positivistische  Philosophie. 
280. 

Glazialkosmogonie,    zur    Kritik    der.    735. 

Grundwasser  und  Quellen.  80. 

Haeckels  Monismus  eine  Kulturgefahr. 
190. 

Hellsehen  und  Namenraten.  48. 

Hunde,  fischende.  80. 

„Inkohlung".   736. 

Köppernickel,  Herkunft  des  N.imens.  igi, 
424,  560. 

Kreislauf  des  Wassers.    392,  504. 

Mauersegler,  Nislweise.  240. 

Naturschutz  in  den  Vereinigten  Staaten. 
279. 

„Orthogenesis,  Mutation,  Auslese",  einige 
Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz  H.  Fischers 
darüber.  47,  239. 

Paläoklimatisches  im  Licht  der  Geophysik. 
511. 

Phyletische  Potenz.   176. 

Pilzvergiftung  durch  Tricholoma  ligrinum. 

175- 
Riesensterne,  Gaskugeln?  735' 
Schöngefärbte  Tiere.  264. 
Schwalben  in  der  deutschen  Urlandschaft. 

48. 
Singzikaden.  423. 

Sprachliche  Bemerkung  (, .anomal").    512. 
Süfiwassermeduse.   752. 
Swift,  seine  Auffassung  vom  Tierbau.  80. 


Waldschutz  durch  Vogelschutz.  736. 
Wisente  im  Plesser  Tiergarten.  392. 
Zodiakallicht.  192. 


VI.  Abbildungen. 

Abraliopsis,  Ilaulleuchtorgan.  436. 

Aschenbilder  von  Pflanzen.  234,  235. 

Atlantisches  Gebiet  im  Eozän.   685. 

Chromosomenverteilung,    Schemata.    293, 
295. 

Crustaceen,  Stridulationsorgane.  697—700. 

Drosophila,  Augen.  648,  64g, 

Erdteile  im  Karbon.  686. 

Farbkreis.  425. 

Fische,  fliegende.  Ö41. 

Geosynklinalen  des  Mesozoikums.  688. 

Gonostoma  elongatum,  Leuchtorgan.  437. 

Halicoridae,  Hüftbeine.  412. 

Hunde,  altägyptische  Darstellungen.     194 
bis   197. 

Kochsalzgewinnung  in  Mexiko.  499,  500. 

Lampyride,  Leuchtorgan.  436. 

Lilie,  Narbe  mit  keimenden  Pollenkörnern. 
667. 

Mistel,  Saugorgan.  534. 

Möwen,  im  Segelflug.  641. 

Noctiluca.  435. 

Nordatlantisches  Gebiet    zur   großen    Eis- 
zeit.    683. 

Papageien  auf  alten  Bildern.  548,  549. 

Papagei  im  Bauer.   743. 

Parietalorgane  bei  Fischen.  347. 

Penaeopsis  stridulans.  69S. 

Planorbis  multiformis,  Stammbaum.   149. 

Schnecken,  Drüsen.  603. 

Segelflugmodelle.  642,  643. 

Silene  nutans,  Blütenstand.    131. 

Stenops  gracilis,  Blinddarm.  702. 

Stubbenhorizont  bei  Senftenberg.  227. 

Tiefseetintenfisch.  435. 
i  Unbefruchtbarkeit,  Schema.  442. 

Ventilröhre,  umkehrbare.  381. 

Voratlantischer  Kontinentalblock.  685. 


VII.  Literaturlisten. 

16, 32, 48, 64, 80,  112, 128, 144, 160, 
208, 280, 288, 304,  336,  352, 376, 408, 
432. 448, 472, 488,  512.  543. 500, 584, 

600, 616, 624, 648, 680, 696,  704,  736. 


O.  PäU'sche  BiichHr.   t.ipperl  ,<i:  Co.   G. 


b.   H.,  Nanmbiirg  a. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Folge  ao-  Band ; 
der  gatixen  Reihe  36.  Band. 


Sonntag,  den  2.  Januar  igai. 


Nummer  1. 


Lorentz- Einstein. 

Einsteins  „Weltbild"  eine  Zahlenfiktion  f 
Philosophisch-kritische  Untersuchungen 


[Nachdruck  verboten.] 

Die  vorliegenden  Ausführungen  bringen  in 
kurzer  Fassung  einen  neuenZusammenhang 
zwischen  der  M  a  x  w  e  1 1  -  L  o  r  e  n  t  z  sehen  Theorie 
und  Einsteins  spezieller  Relativitätstheorie.  Als 
unmittelbare  Folgerung  ergibt  sich,  daß  Ein- 
steins „Weltbild"  als  bloße  mathematische  Ab- 
straktion zu  bewerten  ist.  Ich  erlaube  mir  zu- 
nächst zwei  Tatsachen  zur  Vergleichung 
nebeneinander  zu  stellen. 

Da  eine  Bewegung  der  Erde  relativ  zum  Licht- 
äther experimental  nicht  nachzuweisen  ist,  nahmen 
H.  A.  Lorentz  und  Fiz  Gerald  an,  daß  alle 
Körper,  die  sich  gegen  den  Äther  bewegen,  in 
der  Bewegungsrichtung   eine  Verkürzung   auf  das 


1 


I  — 


j fache  ihrer  Länge  erleiden.  —  Ein- 
steins spezielles  Relativitätsprinzip  setzt  voraus, 
daß  die  Geschwindigkeit  eines  Lichtstrahles  eine 
Invariante  in  allen  möglichen  Inertialsystemen  ist; 
Längen  und  Zeiten  werden  in  ein  Abhängigkeits- 
verhältnis gebracht;  die  weitere  Rechnung  liefert 
zahlenmäßig  die  Lorentzkontraktion. 

Lorentz  setzte  also  gewissermaßen  das 
„Kontraktionsprinzip"  als  Prämisse  und  erklärte 
die  „Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit"  (Michelson- 
versuch),  während  Einstein  umgekehrt  das 
Prinzip  von  der  Konstanz  der  Lichtgeschwindig- 
keit als  Prämisse  setzt  und  die  Lorentzkontraktion 
(zahlenmäßig)  folgert. 

Dieses  Wechselspiel  erscheint  uns  äußerst  auf- 
fällig und  erinnert  uns  unwillkürlich  an  das  be- 
kannte Umformungsverfahren:  ist  a^^b,  so  ist 
log^b  =  n.  Wie  hier  in  jeder  der  beiden  Glei- 
chungen jedes  Element  nur  in  verschiedener  Zu- 
sammensetzung wiederkehrt,  so  finden  wir  dort 
in  jeder  von  beiden  Theorien  jedes  „Prinzip" 
nur  mit  verschiedener  Bedeutung  wieder.  Berück- 
sichtigen wir,  daß  die  als  Symbol  gesetzten 
Gleichungen  identische  Gleichungen  sind,  so 
wird  den  Ausgangspunkt  unserer  Untersuchung 
die  Frage  zu  bilden  haben,  ob  Einsteins  spe- 
zielle Relativitätstheorie  das  Resultat 
einer  bloßen  Umformung  der  Maxwell- 
Lorentzschen  Theorie  ist.  Daran  ist  näm- 
lich nicht  zu  zweifeln,  daß  zwischen  Einsteins 
Lorentz  -  Transformationen  und  den  Max  well - 
Lorentzschen  Gleichungen  ein  direkter  Zusam- 
menhang besteht.  —  Näheren  Einblick  in  die 
Methode  solcher  Umformung  werden  wir  offenbar 
gewinnen,    wenn  uns  folgende  Frage  beantwortet 


von  Bruno  Schönherr,  Zillerthal  (Riesengebirge). 

ist :  Zu  welchem  Zweck  wird  im  allgemeinen  eine 
neue  Theorie  aufgestellt  und  wie  geht  der  Auf- 
bau der  Gedankenelemente  bei  Aufstellung  einer 
Theorie  vor  sich?  Cournot ^)  antwortet  uns 
darauf  in  meisterhafter  Weise  mit  einem  einzigen 
Satze:  „Ini  allgemeinen  ist  jede  wissenschaftliche 
Theorie,  die  ersonnen  wurde,  um  eine  bestimmte 
Zahl  durch  Beobachtung  gegebener  Tatsachen  zu 
vereinen,  einer  Kurve  zu  vergleichen,  die  nach 
irgendeinem  geometrischen  Gesetz  unter  der  Be- 
dingung gezogen  wird,  durch  eine  Reihe  vorher 
gegebener  Punkte  hindurchzugehen".  Werden 
also  in  eine  Theorie  neue  Erfahrungswerte  ein- 
geführt, d.  h.  wird  die  Zahl  durch  Beobachtung 
gegebener  Tatsachen  vermehrt,  so  wird  dadurch 
die  ganze  Theorie  wesentlich  modifiziert;  die 
Grundbegriffe  passen  sich  den  neuen  Beobachtun- 
gen an  und  das  ganze  Tatsachengebiet  wird  auf 
eine  neue  Art  interpretiert.  Man  sagt:  die  so 
veränderte  Theorie  ist  das  Ergebnis  einer  Induk- 
tion —  sie  ist  in  der  Erfahrung  erarbeitet.  Die 
Grundbegriffe  bzw.  Grundgleichungen  einer  neuen 
Theorie  müssen  also  immer  mit  Rücksicht  auf 
die  zu  erklärenden  Tatsachen  zurechtgestutzt  und 
zurechtgerückt  werden.  Damit  z.  B.  Newton 
sagen  konnte,  daß  sich  der  Mond  wie  ein  gegen 
die  Erde  schwerer  Körper  verhält,  mußte  er  die 
Galileischen  Fallgesetze  modifizieren.^) 


')  Dieses  Zitat  und  das  folgende  von  Poinsot  entnehme 
ich  dem  erkenntnistheoretiscben  Werke  von  J.  B.  Stallo, 
„Die  Begriffe  und  Theorien  der  modernen  Physik".  Nach 
der  3.  Auflage  des  englischen  Originals  übersetzt  von  Hans 
Kleinpeter.  Mit  einem  Vorwort  von  Ernst  Mach. 
2.  Auflage.  Leipzig,  Barth  igii.  (Cournot  S.  105, 
Poinsot  S.  99.)  Die  in  diesem  vorzüglichen  Buch  (ent- 
standen in  den  siebziger  Jahren  des  vor.  Jahrh.)  entwickelten 
Gedanken  haben  obigen  Untersuchungen  als  Leitfaden  gedient. 

*)  Es  ist  gänzlich  ausgeschlossen ,  daß  ein  menschliches 
Zerebralsystem  aus  sich  heraus  aus  ganz  allgemeinen  Prinzi- 
pien den  genauen  Betrag  für  die  Perihelbewegung  des  Merkur 
ableiten  könnte,  wie  er  von  den  Astronomen  (Leverrier) 
als  Niederschlag  mühevoller  Beobachtungen  festgestellt  wor- 
den ist.  Der  auch  hier  unvermeidliche  induktive  Weg  ist  der, 
daß  zunächst  die  Grundgleichungen  der  N  e  w  t  o  n  sehen  Theorie 
und  eine  Gleichung  für  die  Perihelbewegung  mittels  eines 
geometrischen  Gesetzes  unter  einen  Hut  gebracht  werden.  Da 
in  der  Gerber  sehen  Formel  für  die  Perihelbewegung,  die 
bekanntlich  mit  der  Einstein  sehen  genau  übereinstimmt  die 
Lichtgeschwindigkeit  eingeführt  ist,  so  ermöglicht  das  'geo- 
metrische Gesetz  Minkowskis  als  Differentialgleichung  die 
Verbindung  mit  den  Bewegungsgleichungen  der  New  ton- 
sehen  Attraktionstheorie,  was  als  Resultat  die  Bewegungs- 
gleichungen der  Einstein  sehen  Gravitationstheorie  ergibt. 
Zweifellos  ist  diese  Kombination  mit  aufiergewöhnlichem  Ge- 
schick durchgeführt  worden.      Es    kann    nicht    genug    betont 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.   I 


Nun  ist  auch  das  Verfahren  in  Gebrauch,  die 
Rraukateeiner  Reilie  von—Umformmigen  einer 
Gleichung,  die  eine  Hypothese  enthält  und  deren 
ElemeirteiTichts  mehr  imä  nichts  weniger  als  die 
Elemente  der  zu  erklärenden  Erscheinung  sind, 
als  neue  Hypothesen  auszugeben,  die  in  Verein 
mit  den  daraus  hervorgehenden  Folgerungen 
nicht  selten  als  physikalische  Theorien  prunken. 
Ist  der  mathematische  Ausdruck  einer  „Grund- 
hypothese" z.  B.  a"  =  b,  so  wird  auf  Grund  dieser 
Methode  die  Gleichung  nach  irgendeinem  geo- 
metrischen Gesetz,  das  jedoch  die  Eigenschaft 
besitzt  in  der  Gleichung  bereits  implizite 
enthalten  zu  sein,  in  eine  andere  Form  verwan- 
delt, sagen  wir  in  n  =  log^b  oder  a  =  yb.  (Da 
Verhältniszahlen  ursprünglich  Symbole  für  geo- 
metrische Verhältnisse,  und  da  Gleichungen  nichts 
anderes  als  ein  ökonomischer  Ersatz  für  sonst 
ausgedehnte  Tabellen  von  Verhältniszahlen  sind, 
so  kann  ein  Gleichungssystem  nur  durch  ein 
geometrisches  Gesetz  in  ein  anderes  übergeführt 
werden.)  Trotzdem  all  diese  möglichen  Gleichun- 
gen eine  so  verschiedenartige  Physiognomie 
haben,  so  sind  sie  doch  alle  identisch,  d.  h.  sie 
beschreiben  in  Wirklichkeit  alle  nur  ein  und  das- 
selbe Tatsachengebiet  und  zwar  kommt  bei  der 
mathematischen  Beschreibung  nur  der  Grad  der 
Erscheinungen  in  Betracht.  Sämtliche  auf  diesem 
Wege  umgewandelten  Gleichungen  enthalten  also 
dieselben  Erfahrungswerte,  es  sind  nirgends 
neue  Beobachtungsdaten  aufgenommen.     Ist  die 

werden,  daß  es  sich  hier  nur  um  die  Zusammenfassung  alge- 
braischer Gleichungen  unter  gleichzeitiger  Beobachtung  geo- 
metrischer Verhältnisse  handelt.  Die  Ableitung  der  allge- 
meinen Relativitätstheorie  —  die  Prinzipien  mitsamt  des  de- 
duktiven Weges  —  ist  eine  Deutung  der  Grundgleichungen 
der  Einst  einschen  Gravitationstheorie,  wie  sie  auf  dem 
soeben  in  einem  groben  Umriß  dargelegten  induktiven  Wege 
zustande  gekommen  sind,  und  ist  diesen  zurechtgerückt  und 
ihnen  angepaßt.  Sicherlich  wäre  Newton  seinen  Zeitgenossen 
als  wissenschaftlicher  Zauberkünstler  erschienen,  wenn  ihm 
daran  gelegen  hätte,  den  induktiven  Weg  seiner  Entdeckung 
in  ein  mystisches  Dunkel  zu  hüllen  und  wenn  er  dann  am 
Schluß  des  umgekehrten  deduktiven  Weges  gesagt  hätte:  Daß 
diese  aus  der  Forderung  des  Attraktionsprinzipes  auf  rein 
mathematischen  Wege  fließenden  Bewcgungsgleichungen  die 
Kepler  sehen  Gesetze  liefern,  muß  nach  meiner  Ansicht  von 
der  physikalischen  Richtigkeit  der  Theorie  überzeugen.  Aller- 
dings ist  für  Newton  diese  Methode  weniger  empfehlens- 
wert, denn  sein  mathematischer  Weg  wäre  lächerlich  kurz 
und  zu  wenig  kompliziert.  Wie  also  Newton  durch  Ein- 
beziehung der  Planetenbewegungen  nach  Kopernikus- 
Kepler  das  Galileische  konstante  ,, Fallpotential"  erweitert 
hat,  so  hat  Einstein  durch  Einbeziehung  der  Perihel- 
bewegungen  nach  Leverrier-Gerber  das  Newtonsche 
Graviialionspotential  verfeinert.  Ob  letztere  Übertragung  auf 
irdische  Verhältnisse  zulässig  ist,  das  steht  freilich  auf  einem 
anderen  Blatt.  Mit  Hinsicht  auf  den  soeben  dargestellten  Zu- 
sammenhaiig  hat  Einstein  aus  der  Deutung  seiner  Gravita- 
tionsformel nur  zwei  Schlüsse  gezogen,  wenn  man  von  seiner 
verbogenen  Welt  absieht:  die  Krümmung  der  Lichtstrahlen 
und  die  Verschiebung  der  Spektrallinien  in  Gravitationsfeldern. 
—  Ich  möchte  ferner  an  dieser  Stelle  nicht  unerwähnt  lassen, 
daß  die  bewunderungswürdigen  Arbeiten  bei  der  Errechnung 
des  Planeten  N.eptun  durch  Leverrier  und  Adams  <larin 
bestandeii  haben ,  daß  unter  meisterhafter  Ausnützung  des 
mathematischen  Handwerkzeuges  neue  Beobachtungen  in  ein 
bekanntes  Schema  eingeordnet  wurden. 


Gleichung  für  ein  Naturgesetz  durch  rechtwink- 
lige Koordinaten  festgelegt,  so  läßt  sich  dasseltre 
Gesetz  z.  B.  auch  durch  eine  Polarkoordinaten- 
gleichung  ausdrücken;  das  die  Tränsfönftattön 
vermittelnde  allgemeine  geometrische  Gesetz 
lautet  in  diesem  Falle: 

r- ■  cos^ 9 -j- r* •  sin"^ y  =  X- -j- y''. 

Das  Naturgesetz  ist  dann  in  eine  andere  mathe- 
matische Mundart  übersetzt  und  —  ein  neuer 
Gesichtspunkt  ist  gewonnen.  Besteht  nun  die 
Möglichkeit,  daß  man  einer  solchen  resultierenden 
Gleichung  eine  einigermaßen  evidente  Deutung 
geben  kann,  d.h.  läßt  sich  in  der  Gleichung  eine 
Beziehung  finden,  die  in  einem  anderweitigen 
größeren  Tatsachengebiete  als  allgemeines  Gesetz 
bekannt  ist,  so  sind  nach  der  bewußten  Me- 
thode schon  die  Grundgleichungen  für  eine 
„neue"  Theorie  gewonnen  und  vielfach  glaubt 
man,  nun  nur  so  drauflos  folgern  zu  können 
und  häufig  meint  man,  mit  solchen  Prinzipien 
alle  Geheimnisse  der  Natur  erklären  zu  können. 
Da  die  Gleichungen  für  „Grundhypothese"  und 
„resultierende  Hypothese"  in  den  meisten  Fällen 
komplizierter  Beschaffenheit  sind,  so  ist  ihre 
Identität  schwer  erkennbar  und  weil  der  for- 
schende Blick  meistens  auf  die  Natur  der  Er- 
scheinungen gerichtet  ist,  so  bemüht  man  sich 
zunächst  mit  der  Feststellung,  welche  von  beiden 
Hypothesen  die  richtige  ist  (was  nebenbei  bemerkt 
häufig  den  Anlaß  zu  weitschweifigen  Kontroversen 
bildet:  „Mit  Worten  läßt  sich  treftlich  streiten, 
mit  Worten  ein  System  bereiten")  und  sieht  da- 
bei den  Wald  vor  Bäumen  nicht,  d.  h.  bemerkt 
nicht,  daß  weiter  nichtsals  ein  mathemati- 
sches Band  die  beiden  Theorien  verbindet. 
Die  „Grundhypothese",  welche  die  Daten  der 
Beobachtung  in  die  Rechnung  eingeführt  hat, 
verblaßt  natürlich  immer  mehr,  denn  sie  wird  ja 
von  der  neuen  „alles  umfassenden"  und  daher  die 
Gedanken  am  meisten  überwältigenden  Theorie 
dem  Grade  nach  miterklärt.  Dank  des  mathe- 
matischen Vexierbildes,  in  dem  die  beiden  be- 
wußten Theorien  stehen,  ist  die  neue  Theorie  in 
der  Lage,  oft  die  haarsträubendsten  Dinge  zu 
folgern  und  sie  unbehelligt  als  unumstößliche 
Wahrheiten  zu  behaupten.  Da  so  eine  Theorie 
durchaus  ein  für  alle  Male  alles  erklären  möchte, 
so  schießt  sie  nicht  selten  mit  Hilfe  der  kargen 
Erfahrungswerte,  die  ihr  zugrunde  liegen  und  die 
sie  von  der  alten  Theorie  geliehen  hat,  bis  in  die 
magischsten  Atmosphären  und  sphärischen  Räume 
hinaus,  um  von  dort  der  festeren  und  geraderen, 
hoffnungsvollen  und  gläubigen  Welt  die  frohe 
Kunde  mitzubringen,  daß  alles  stimmt  und  stim- 
men muß.  „Sitzt  ihr  nur  immer  I  leimt  zusammen, 
braut  ein  Ragout  von  andrer  Schmaus  und  blast 
die  kümmerlichen  Flammen  aus  eurem  Aschen- 
häufchen  rausl"  usw.  Daß  es  aber  nicht  stimmen 
kann,  liegt  auf  der  Hand  und  zeigt  sich  auch  ge-  1 
wohnlich  dann,  wenn  daran  gegangen  wird,  die  I 
Folgerungen    der    „Pseudotheorie"    mit    „Hebeln 


N.  F.  XX.  Nr.  I 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


und  Schrauben"  zu  lockern.  Poinsot  äußert 
sich  zu  diesem  Thema  folgendermaßen : 

„Was  so  manche  Köpfe  über  die  den  mathe- 
matischen Formeln  scheinbar  zukommende  IVIacht 
getäuscht  hat,  liegt  an  dem  Umstand,  daß  man 
ziemlich  leicht  aus  ihnen  bereits  bekannte  Wahr- 
heiten ziehen  kann,  die  man  sozusagen  selbst  in 
sie  eingeführt  hat,  so  daß  es  den  Anschein  ge- 
winnt, daß  uns  die  Analyse  etwas  geben  würde, 
was  sie  in  Wirklichkeit  nur  in  eine  andere 
Sprache  gekleidet  hat.  Wenn  ein  Satz  bekannt 
ist,  braucht  man  ihn  nur  in  Gleichungen  zu  klei- 
den; ist  er  richtig,  so  muß  jede  von  ihnen  eben- 
sowie  jede  Ableitung  aus  ihnen  richtig  sein, 
gelangt  man  so  zu  einem  evidenten  oder  anders- 
woher bekannten  Satze,  braucht  man  nur  diesen 
Satz  zum  Ausgangspunkte  zu  machen  und  die 
Entwicklung  rückwärts  zu  gehen,  und  es  gewinnt 
den  Anschein,  als  ob  uns  die  Rechnung  allein  zu 
dem  Satze  geführt  hätte,  um  den  es  sich  handelt. 
Darin    eben   besteht   die  Täuschung   des  Lesers". 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  die  eben  ge- 
schilderte Entwicklung  in  den  meisten  Fällen  i  m 
Unbewußten  vor  sich  geht.  Der  ganze  Vor- 
gang beruht  auf  dem  psychologischen  Moment, 
daß  der  Mensch  durchaus  die  Schranken  durch- 
brechen möchte,  die  ihm  die  Natur  in  seinem 
Denken  und  Handeln  überall  setzt.  Hat  er  ein- 
mal eine  Luke,  d.  h.  einen  neuen  Gesichtspunkt 
gefunden,  so  stürmt  das  Denken  mit  einem  keine 
Grrenzen  kennenden  Elan  hindurch  und  glaubt 
nun  die  Welt  in  ihrem  innersten  Wesen  vor  sich 
ausgebreitet  zu  sehen.  Der  so  von  der  Natur 
genarrte  Theoretiker  vergißt  dabei  ganz,  daß  die 
Wissenschaft  auch  ein  Siück  Natur  ist,  und  daß 
auch  hier  die  Bäume  nicht  in  den  Himmel  wachsen 
können  und  das  Weitertreiben  der  Spekulationen 
beeinflußt  häufig  sein  dadurch  übermäßig  stark 
in  Anspruch  genommenes  abstraktes  Denken  so- 
weit, daß  ihm  immer  mehr  die  Fähigkeit  ver- 
loren geht.  Einfaches  als  einfach  anzusehen.  Die 
Naturwissenschaft  erforscht  und  erkennt  ihr  Ob- 
jekt durch  Beobachtung  und  Erfahrung,  und  es 
wird  wohl  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  daß 
das  Beobachten  und  Erkennen  eine  Äußerung 
der  Natur  ist.  —  Es  wird  nicht  unangebracht 
sein,  wenn  ich  an  dieser  Stelle  zu  diesem  Gegen- 
stande die  folgenden  Worte  Machs  zitiere.  Mach 
sagt  am  Eingang  seines  Vortrages  (Über  den 
Einfluß  zufälliger  Umstände  auf  die  Entwicklung 
von  Erfindungen  und  Entdeckungen):^) 

„Den  naiven  hoffnungsfrohen  Anfängen  des 
Denkens  jugendlicher  Völker  und  Menschen  ist 
es  eigentümlich,  daß  beim  ersten  Schein  des  Ge- 
lingens alle  Probleme  für  lösbar  und  an  der 
Wurzel  faßbar  gehalten  werden.  So  glaubt  der 
Weise  von  Milet,  indem  er  die  Pflanze  dem  Feuchten 
entkeimen  sieht,  die  ganze  Natur  verstanden  zu 
haben;   so  meint   auch   der  Denker  von   Samos, 


weil  bestimmte  Zahlen  den  Längen  harmonischer 
Saiten  entsprechen,  mit  den  Zahlen  das  Wesen 
der  Welt  erschöpfen  zu  können.  Philosophie  und 
Wissenschaft  sind  in  dieser  Zeit  nur  Eins.  Rei- 
chere Erfahrung  deckt  aber  bald  die  Irrtümer  auf, 
erzeugt  die  Kritik,  und  führt  zur  Teilung,  Ver- 
zweigung der  Wissenschaft.  —  Da  nun  aber 
gleichwohl  eine  allgemeine  Umschau  in  der  Welt 
dem  Menschen  Bedürfnis  bleibt,  so  trennt  sich, 
demselben  zu  entsprechen,  die  Philosophie  von 
der  Spezialforschung.  Noch  öfter  finden  wir  zwar 
beide  in  einer  gewaltigen  Persönlichkeit  wie 
Descartes  oder  Leibniz  vereinigt.  Weiter 
und  weiter  gehen  aber  deren  Wege  im  allge- 
meinen auseinander.  Und  kann  sich  zeitweilig 
die  Philosophie  soweit  der  Spezialforschung  ent- 
fremden, daß  sie  meint,  aus  bloßen  Kinderstuben- 
erfahrungen die  Welt  aufbauen  zu  dürfen,  so  hält 
dagegen  der  Spezialforscher  den  Knoten  des 
Welträtsels  für  lösbar  von  der  einzigen  Schlinge 
aus,  vor  der  er  steht,  und  die  er  in  riesiger  per- 
spektivischer Vergrößerung  vor  sich  sieht.  Er 
hält  jede  weitere  Umschau  für  unmöglich  oder 
gar  für  überflüssig,  nicht  eingedenk  des  Voltaire- 
schen  Wortes,  das  hier  mehr  als  irgendwo  zu- 
trifft: »Le  supeiflu  chose  tres  necessaire»." 

Die  eingangs  auffällig  gewordene  doppelte 
Wechselbeziehung  zwischen  Lorentzkontrakiion 
und  Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit  läßt  uns 
vermuten,  daß  die  Maxwell- Loren  tzsche 
Theorie  und  Einsteins  spezielle  Relativitäts- 
theorie in  einer  solchen  Korrelation  stehen,  wie 
sie  oben  dargelegt  wurde.  Unsere  Aufgabe  hat 
sich  also  nun  dahin  differenziert,  zu  untersuchen, 
ob  sich  die  den  unter  Diskussion  stehenden  Theo- 
rien zugrunde  liegenden  allgemeinen  Gleichungeti 
nach  einem  bestimmten,  in  beiden  Theorien  im- 
plizite enthaltenen  geometrischen  Gesetz  direkt 
ineinander  umrechnen  lassen.  Da  in  diesem  Falle 
die  beiden  Gleichungssysteme  identische  Glei- 
chungssysteme wären,  so  wäre  damit  der  Beweis 
geführt,  daß  die  beiden  Theorien  die  gleichen  und 
nur  die  gleichen  Erfahrungswerte  in  sich  bergen. 
Weil  die  Formel  für  die  Lorentzkontraktion  mit 
den  Maxwell-Lorentz sehen  Gleichungen  iden- 
tisch ist  ^)  und  da  ferner  die  Lorentzkontraktion 
dem  Grade  nach  aus  Einsteins  Lorentz-Trans- 
formation  gefolgert  wird,  so  hätten  wir  offenbar 
das  vermittelnde  geometrische  Gesetz  im  Prinzip 
von  der  Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit  zu 
suchen.  Machen  wir  nun  unter  diesen  Bedingungen 
ein  mathematisches  Experiment,  so  finden  wir 
aus  dem  Resultat  die  Richtigkeit  unserer  Annahme 
vollauf  bestätigt.  Setzen  wir  nämlich  die  Werte 
der  Formel  für  die  Lorentzkontraktion  in  Ein- 
steins allgemeine  Gleichung  ein,  die  das  Gesetz 
von  der  Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit  aus- 
drückt, so    liefert   die  Rechnung  unmittelbar  — 


')  E.  Mach,  „Pop.-wiss.  Vorles."  4.,  verm.  u.  durcbges. 
Aufl.     Mit  73  Abb.     Leipzig,  Barth,  1910.  (S.  290  u.  291.) 


')  Es  ist  kein  Unterschied,  ob  die  Formel  auf  wahrnehm- 
bare Körper  oder  aber  auf  Elektronenkörper  Anwendung 
findet. 


4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  1 


Einst.eins  Lorentz-Transformation.  Mit  Rück- 
sicht auf  obigen  Ausspruch  von  C  o  u  r  n  o  t  müssen 
wir  nun  argumentieren,  daß  Einstein  bei  Auf- 
stellung der  Lorentz  -  Transformation  folgende 
Bauanweisung  unbewußt  benutzt  hat: 

Die  Reihe  gegebener  Punkte  ist  in  der  von 
Lorentz  aufgestellten  Formel  für  die  Lorentz- 
kontraktion  festgelegt. 


:  =  x']/l 


I. 


worin        x  =  vt  2. 

(x'  =  Länge  des  im  Äther  ruhenden  Stabes 
X  =  Länge  desselben  verkürzten  Stabes  bei   der 
Geschwindigkeit  v.) 
Der  Schlüssel  zum  geometrischen  Gesetz  findet 
sich   im   Prinzip   von   der   Konstanz   der  Lichtge- 
schwindigkeit. 

x' '  —  c-t'"^x-  —  C't".  II. 

Die  Kurve  ist  das  Abbild    der  Lorentz-Trans- 
formation: 

x  —  vt 


l/ 

v- 

/l  - 

—   - 

c- 

V 

t  — 

c--^ 

1/ 

v-^ 

r- 

c-2 

I. 


111. 


Dieser  Zusammenhang  ist  in  der  „Einfachen  Ableitung 
der  Lorentz-Transformation"  in  Einsteins  „gemeinverständ- 
licher" Schrift  deutlich  zu  ersehen.  Faßt  man  dort  die  erste 
Gleichung  auf  S.  So  (es  liegt  hier  die  5.  Aufl.  vor)  mit  der 
Gleichung  (7b)  zusammen,  so  erhält  man  unsere  Gleichung 
(I,  l):  Zieht  man  seine  Gleichung  (6)  mit  der  darüber  stehen- 
den Gleichung  zusammen,  so  ergibt  sich  unsere  Gleichung 
(I,  2\  Diese  Gleichungen  ergeben  zusammen  mit  seinen 
Gleichungen  (5)  die  Lorentz-Transformation.  Seine  linearen 
Gleichungen  (5)  sind  aber  zusammengenommen  identisch 
mit  der  allgemeinen  Gleichung  für  das  Gesetz  von  der 
Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit  (seine  Gleichung  Sa),  nur 
ist  dort  bereits  das  Verhältnis  der  Konstanten  bestimmt. 
Das  Konstanlenverhältnis  ist  -er  ausgerechneten  Lorentz- 
Transformation  entnommen.  Einstein  gibt  dem  Konstanten- 
verhältnis zusammen  mit  unserer  Gleichung  (1,  2)  eine  ,, evi- 
dente" Deutung:  spezielles  Relativitätsprinzip.  Da  in  Ein- 
steins Ableitung  die  Gleichungen  für  das  spezielle  Kelativi- 
tätsprinzip  mit  den  linearen  Gleichungen  für  das  Prinzip  von 
der  Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit  zusammengezogen 
werden,  so  resultieit  dort  als  Ausrechnung  unsere  Gleichung 
(I,  l).  Die  weitere  Analyse  der  Theorie  bis  auf  ihre  letzten 
Grundbegriffe  bildet  eine  besondere  Aufgabe. 

Wir  haben  also  gefunden :  Die  von  Einstein 
entdeckte  Lorentz  Transformation  ist  das  Resultat 
einer  mathematischen  Analyse  der  Maxwell- 
Lorentzschen  Gleichungen  —  die  Gleichungen 
sind  nach  einem  bestimmten  Gesichtspunkte 
differenziert.  Es  soll  nun  etwas  näher  untersucht 
werden,  wie  die  Differenzierung  auf  Grund  des 
eben  genannten  Rezeptes  vor  sich  geht. 

Zunächst  ist  zu  beachten,  daß  die  Formel  für 
die  Lorentzkontraktion  an  und  für  sich  nichts  an- 
deres zum  Ausdruck  bringt  als  die  Abhängig- 
keitsbeziehung zwischen  Verkürzung  und  Ge- 
schwindigkeit der  Körper,  wobei  die  physikalische 
Ursache   der  Verkürzung   gar   keine   Rolle   spielt. 


Es  liegt  hier  der  gleiche  Kasus  vor  als  z.  B,  bei 
Anwendung  der  Formel  für  den  freien  Fall,  denn 
bei  Gebrauch  derselben  fragt  man  auch  nicht 
nach  der  Ursache  der  Fallbewegung.  Ein  Natur- 
gesetz besagt:  Es  ist  nun  einmal  so,  das  Experj-, 
ment  bestätigt  immer  wieder,  daß  es  so  ist,  aber 
warum  es  so  ist,  wissen  wir  nicht;  es  ist  ledig- 
lich das  tatsächliche  Verhalten  auf  eine  Formel 
gebracht.  Die  Formel  für  die  Lorentzkontraktion 
ist  eine  in  eine  Gleichung  gekleidete  Deutung  der 
Resultate  der  Michelson- und  ähnlicherV ersuche,  also 
eine  in  Zahlen  gesetzte  Hypothese,  womit  sich  die 
scheinbare  Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit, 
das  IVIeßergebnis  der  Versuche,  beschreiben  läßt. 
Die  „Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit"  ist  also  in 
den  Maxwell-Lorentzschen  Gleichungen  im- 
plizite enthalten  1  Was  bei  Lorentz  als  schein- 
bar gilt,')  wird  nun  bei  Einstein  Wirklichkeit^ 
seine  spezielle  Relativitätstheorie  setzt  die  Kon: 
stanz  der  Lichtgeschwindigkeit  als  Prinzip  an  die 
Spitze.  Dieses  Postulat  hat  die  Abhängigkeit  von 
Längen  und  Zeiten  (und  auch  die  Verbannung 
des  Äthers)  zur  unabweisbaren  Konsequenz.  Diese 
zunächst  labile  Abhängigkeitsbeziehung  wird  in 
die  F"orm  der  allgemeinen  Gleichung  (II)  gebracht 
und  damit  die  „alles  umfassende"  Relativitäts- 
theorie die  bewährte  Maxwell-Lorentzsche 
Theorie  genau  in  sich  einschließt,  werden  die 
Werte  der  bekannten  Formel  für  die  Lorentz- 
kontraktion (I)  in  die  Gleichung  (II)  eingesetzt. 
Die  Ausrechnung  liefert  dann  die  Lorentz-Trans- 
formation (111).  Einstein  schreibt:  „Die  spe- 
zielle Relativitätstheorie  ist  aus  der  Maxwell- 
Lorentzschen  Theorie  der  elektromagnetischen 
Erscheinungen  auskristallisiert".  Aus  diesem  Zu- 
sammenhange ist  deutHch  ersichtlich,  wie  die 
„Lorentzkontraktion"  in  Einsteins  Lorentz- 
Transformation  implizite  enthalten  ist.  Da  die 
Formel  für  die  Lorentz-Kontraktion  für  gleich- 
förmige Translationsbewegungen  gilt,  so  können 
wir  ergänzend  sagen,  daß  auch  die  „spezielle 
Relativität"  in  den  Maxwell-Lorentzschen 
Gleichungen  implizite  enthalten  ist. 

Zwei  Beispiele  mögen  zur  weiteren  Klärung 
der  hier  in  Betracht  kommenden  Verhältnisse 
dienen.  Es  ist  bekannt,  daß  ein  ins  Wasser  ge- 
haltener Stab  dem  Auge  gebrochen  erscheint. 
Nehmen  wir  nun  an,  es  fehlte  uns  der  Tastsinn, 
mit  dem  wir  sonst  die  Täuschung  konstatieren, 
wie  würden  wir  dann  die  augenfällige  Erscheinung 
des  gebrochenen  Stabes  deuten  können?  Wir 
würden  dann  entweder  argumentieren :  es  besteht 
in  Wirklichkeit  das  Prinzip  von  der  Brechung 
des  Lichtes  und  die  Erscheinung  des  gebrochenen 
Stabes    ist   nur    eine  scheinbare;    oder    aber:    der 


')  Neben  die  Annahme  von  Lorentz,  daß  alle  Körper 
(unabhängig  von  Material  und  sonstigem  physikalischen  Zu- 
stand) bei  der  Bewegung  gegen  einen  materiellen  Äther  durch 
dessen  Einwirkung  eine  spezifisch  gleiche  Verkürzung  erleiden, 
wäre  die  Tatsache  zu  setzen,  daß  alle  Körper  (anabhäifgig 
von  Material  und  sonstigem  physikalischen  Zustand)  im  luft- 
leeren Raum  die  gleiche  Fallbeschleunigung  erfahren. 


NF.  XX.  Nr.  1 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


S 


Stab   wird   beim  Eintauchen   in   das  Wasser  tat- 
sächlich   gebrochen    und    die    Lichtbrechung    ist, 
wenn  auch  eine  brauchbare  Annahme,  nur  schein- 
bar.    Entsprechend   folgert   Lorentz:   das  Kon- 
tralttionsprinzip  ist  Wahrheit  und  die  augenfällige 
Erscheinung  der  Konstanz  der  Lichtgeschwindig- 
keit    beim    Michelsonversuch    ist    scheinbar,    das 
Additionstheorem    der  Lichtgeschwindigkeit    gilt ; 
und    Einstein:    das    Prinzip    von    der  Konstanz 
der  Lichtgeschwindigkeit  existiert  und  die  Lorentz- 
kontrakiion    ist    scheinbar.      Wir    sehen ,    daß    in 
beiden    Fällen    ein    gemeinsamer   Tatbestand    nur 
verschieden    gedeutet    wird.    —   Wir   denken  uns 
ferner    in    einem    unendlich  großen,    leeren  Raum 
zwei  Weltkörper  A  und  B.      Ein  Beobachter   auf 
A  nimmt  zunächst  seinen  Weltkörper   als  ruhend 
an  und  stellt  fest,  daß  B  um  A  eine  Kreisbewegung 
vollführt,    wobei    B    in    demselben    Drehungssinn 
um  seine    eigene  Achse   rotiert.     Bei  einem  Um- 
lauf um  A  macht  B  acht  Umdrehungen  um  seine 
Achse.     Der  Beobachter  setzt  sich  nun  an  seinen 
Schreibtisch   und   stellt    folgende    Reflexionen    an. 
Er  sagt  sich,  daß  sich  seine  Beobachtung  auch  da- 
mit beschreiben  läßt,  daß  man  B  als  ruhend  an- 
nimmt, wobei  dann  sein  Weltkörper  A  eine  Kreis- 
bewegung um  B  im  entgegengesetzten  Drehungs- 
sinne macht  und  in  demselben  entgegengesetzten 
Sinne    um    die    eigene    Achse    rotiert.      Bei    acht 
Umdrehungen  um  B  macht  dann  A  eine  Drehung 
um  die  eigene  Achse.     Nach  weiterem  Überlegen 
bemerkt   der   Beobachter,   daß   noch  ein    anderer 
Standpunkt  möglich  ist.    Er  sagt  sich  nämlich,  daß 
;man    ja    auch    die    Verbindungslinie    der    Mittel- 
punkte der  beiden  Weltkörper  als  ruhendes  Bezugs- 
element   auffassen  kann,    wobei  dann  A  in  dem- 
selben Sinne  wie  zuletzt  rotiert,   während  B  eine 
entgegengesetzte     Rotationsbewegung     vollführt : 
macht    nun    A  einen  Umlauf,    so    macht  B  deren 
sieben.     Nach  Analogie  mit  diesem  Beispiel  dürfen 
wir    sagen,    daß    das    spezielle    Relativitätsprinzip 
die  augenfällige  Erscheinung    der  Nichtkonstatier- 
barkeit  der  Bewegung  der  Erde  gegen  den  Licht- 
äther beim  Michelsonversuch  oder   besser  gesagt, 
das    hier   zutage    tretende    absolute    Verbindungs- 
glied zwischen  Erde  und  einem  im  Äther  ruhenden 
starren    Körper    —    die    Konstanz     der    Lichtge- 
schwindigkeit —  zum  Bezugselement   macht. 

Wir  müssen  bei  all  diesen  Beispielen  und 
ebenso  bei  der  Behandlung  des  Gegenstandes 
unserer  Untersuchung  dauernd  im  Auge  behalten, 
daß  sich  unser  Denken  nicht  mit  den  Dingen, 
wie  sie  an  sich  sind,  sondern  mit  den  Gedanken- 
vorstellungen von  denselben  beschäftigt,  und  daß 
seine  Elemente  nicht  reine  Gegenstände,  sondern 
ihre  gedanklichen  Gegenstücke  sind.  Nur  mit 
von  der  Wirklichkeit  abgerissenen  Symbolen 
lassen  sich  Gedankenexperimente  über  Relativität 
.  a  la  Einstein  anstellen,  denn  nicht  mit  Reali- 
täten, sondern  mit  Gedankenelementen  reflektieren 
wir  —  in  der  Wirklichkeit  existiert  kein  Inei  tial- 
system. ')  „Du  gleichst  dem  Geist ,  den  du  be- 
greifst, nicht  mirl'  sagt  die  Seele  der  Natur  zum 


Flaust.  Hätte  dieser  Relativitätsgedanke  den  Wert 
einer  universellen  Weltformel,  so  müßte  z.  B.  ein 
beseeltes,  durch  Erwärmen  ausgedehntes  Stück 
Eisen  die  Veränderung  auch  dahin  interpretieren 
können;  ich  habe  mich  überhaupt  nicht  verändert, 
sondern  das  ganze  Universum  hat  sich  verkleinert 
und  abgekühlt.  Oder  ein  Trunkener  wäre  be- 
rechtigt, seine  getrübten  Beobachtungen  dahin 
auszulegen :  ich  bin  das  Absolute,  Unveränderliche 
und  normal,  aber  die  ganze  Welt  ist  trunken.  — 
Der  Einstein  sehe  Relativitätsgedanke  eignet 
sich  nicht  als  Fundament  zum  Aufbau  einer  ge- 
danklichen Welt. 

Formulieren  wir  nun  das  Gesamtergebnis  un- 
serer Untersuchung  in  Verbindung  mit  den  un- 
mittelbar daraus  hervorgehenden  Folgerungen 
allgemeinster  Art,  so  erhalten  wir; 

Einsteins  Lorentz  -  Transformation  ist  das 
Resultat  einer  bloßen  Verschmelzung  der  Max- 
well- Loren  tzschen  Gleichungen  mit  der  all- 
gemeinen Gleichung,  die  das  Gesetz  von  der 
Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit  ausdrückt  und 
ist  nicht  ursprünglich  aus  dem  Prinzip  von  der 
Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit  und  dem  Re- 
lativitätsprinzip hervorgegangen.  Die  Gnmd- 
gleichungen  der  Maxwell  -  Lorentz  sehen 
Theorie  und  Einsteins  spezieller  Relativitäts- 
theorie sind  exakt  identische  Gleichungen.  Das 
allgemeine  geometrische  Gesetz,  das  in  beiden 
Grundgleichungen  implizite  enthalten  ist  und  das 
die  beiden  Grundgleichungen  ineinander  überführt, 
ist  das  Gesetz  von  der  Konstanz  der  Lichtge- 
schwindigkeit. In  Einsteins  Lorentz  •  Trans- 
formation sind  die  gleichen  und  nur  die  gleichen 
Erfahrungswerte  enthalten  als  in  den  Maxwell - 
Loren  tzschen  Gleichungen.  Einsteins  spe- 
zielle Relativitätstheorie  und  die  Maxwell- 
Lorentzsche  Theorie  beschreiben  das  in  Be- 
tracht kommende  Tatsachengebiet  der  Wirklich- 
keit entsprechend,  wenn  dabei  das  den  Maxwell- 
Loren  tzschen  Gleichungen  zugrunde  liegende 
Erfahrungsbereich  innegehalten  wird  —  alles 
übrige  ist  Spekulation.  Da  wir  aus  der  Erfahrung 
nicht  wissen,  ob  die  Max  well- Lo  re  ntzschen 
Gleichungen  in  jedem  Geschwindigkeitsbereich 
Gültigkeit  besitzen,  so  ist  z.  B.  dem  Begriff  von 
der  Grenzgeschwindigkeit  des  Lichtes  nur  eine  ähn- 
liche Bedeutung  beizumessen,  als  wie  sie  etwa 
dem  Elastizitätsmodul  der  Festigkeitslehre  zu- 
kommt. (Natürlich  hätte  auch  schon  Lorentz 
den  Stab  verschwinden  lassen  können,  denn  man 
braucht  nur  in  seiner  Kontraktionsformel  für  die 
Geschwindigkeit  v  die  Lichtgeschwindigkeit  c  zu 
setzen  und  schon  schrumpft  der  Stab  zu  einem 
Nichts  zusammen.)  Da  sich  Einstein  bei  Auf- 
stellung seiner  Theorie  nur  in  Zahlen  bewegt  hat, 
so  ist  er  nicht  berechtigt  mit  seinen  neuen,  er- 
rechneten   Begriffen    einen    realen,    physikalischen 


')  Für  diesen  Zusammenhang  sind  die  Überlegungen  von 
M.  Palagyi  seines  Vortrages  „Die  Relativitätstheorie  in  der 
modernen  Physik"  besonders  wichtig. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  I 


Sinn  zu  verbinden.  Eine  vorhandene  Theorie 
kann  wohl  durch  bloße  mathematische  Operationen 
ausgebreitet,  aber  niemals  vertieft  werden.  Ein 
„alles  umfassendes  physikalisches  Weltbild",  wenn 
das  menschliche  Denken  jemals  ein  solches  er- 
zeugen könnte,  ist  niemals  mit  einziger  Hilfe 
von  Mathematik  zu  konstruieren.  Einsteins 
„Weltbild"  spekuliert  unberechtigterweise  unerlaubt 
weit  über  die  zurzeit  festgestellten  Beobachtungen 
hinaus.  Einsteins  spezielle  Relativitätstheorie 
stützt  sich  nicht  auf  das  Prinzip  von  der  Anpas- 
sung der  Gedanken  an  Beobachtungen,  sondern 
beruht  auf  dem  Verfahren  der  Anpassung  von 
Gedanken  an  Gedanken  —  kurz  gesagt:  Ein- 
steins „Weltbild"  ist  eine  verunglückte  Zahlen- 
spekulation I 

Wir  wollen  uns  nun  zum  Schluß  den  hier 
wirksamen  Mechanismus  des  Gedankenanpassens 
zusammenfassend  zum  Bewußtsein  bringen.  Wir 
haben  soeben  gesehen,  daß  die  Lorentz- Trans- 
formation identisch  mit  den  Maxwell-Lorentz- 
schen  Gleichungen  ist,  und  daß  die  einzelnen 
Elemente  in  jedem  Gleichungssystem  ihre  Be- 
deutung deshalb  wechseln,  weil  jedes  System  ein 
anderes  Element  zum  Bezugselement  macht. 
Während  Lorentz  sich  auf  den  im  Äther  ruhen- 
den Körper  bezieht,  nimmt  Einstein  Bezug  auf 
die  Konstanz  der  Lichtgeschwindigkeit.  Die 
letztere  Festsetzung  zwingt  das  Denken  mit 
logischer  Notwendigkeit  zur  Verleugnung  des 
Äthers  und  zur  Annahme  der  Abhängigkeit  von 
Längen  und  Zeiten,  und  die  Verbannung  des 
Äthers  hat  weiter  eine  neue  Erklärung  der  Ent- 
stehung des  Lichtes  zur  Folge.  Da  Einstein 
und  der  größere  Teil  der  Verfechter  seiner  Lehre 
seine  Gedankenerzeugnisse  für  unumstößliche 
Wahrheiten  halten,  so  verfallen  sie  in  den  uralten 
Fehler  metaphysischer  Theorienbildung,  die  immer 
wieder  versucht,  die  wahre  Natur  der  Dinge  aus 
den  Begriffen  von  denselben  abzuleiten.  So  kon- 
struierte man  sich  früher  zornige  Geister,  um 
sich  damit  die  Vorgänge  beim  Donnern,  bei 
Vulkanausbrüchen,  bei  Sonnenfinsternissen  usw. 
begreiflich  zu  machen;  und  wenn  nun  leere  und 
sphärische  Räume  und  errechnete  Raum-  und 
Zeitabhängigkeit  zur  Erklärung  aller  Geheimnisse 
der  Natur  dienen  sollen,  so  sehen  wir  hier  weiter 
nichts  anderes  darin  als  einen  modernen  Ersatz 
für  jene  ehemaligen  metaphysischen  Geister  —  und 
dazwischen  stellen  wir  das  wüste  Treiben  der 
modernen  Spiritisten.  Wenn  die  Alten  im  Donner 
den  Zornausbruch  eines  Geistes  sahen,  so  mag 
dies  in  Anbetracht  des  zu  jener  Zeit  herrschenden 
Aberglaubens  noch  angehen,  denn  böse  Geister 
waren  den  Menschen  schon  damals  in  der  Er- 
fahrung aus  anderen  Gebieten  zur  Genüge  be- 
kannt. Wenn  aber  heute  die  Lorentz- Kontraktion 
auf  das  Vorhandensein  eines  „Nichtstoffes"  zurück- 
geführt wird,  so  sehen  wir  in  diesem  Erklärungs- 
versuch ein  Gemenge  von  „Idem  per  idem  er- 
läutern" mit  einem  „Obscurum  per  obscurius  er- 
klären" und  identifizieren  ihn  mit  der  zeitgemäßen 


Anpassungsmethode:  daß  das  Leder  so  teuer  ist, 
daran  sind  die  hohen  Schuhpreise  schuld.  (Ich 
bitte,  die  Verwendung  solcher  Analogien  an  dieser 
Stelle  nicht  als  den  Erguß  einer  Geschmacklosig- 
keit aufzufassen;  ich  bin  mir  dabei  nur  der  Tat- 
sache bewußt,  daß  durch  Vorführung  drastischer 
Vergleiche  Bände  gespart  werden:  wissenschaft- 
liche Ökonomie!)  Die  verbreitete  Annahme,  daß 
heute  die  Metaphysik  aus  den  Naturwissenschaften 
verschwunden  sei,  beruht  leider  auf  einem  Irrtum. 
Wenn  es  heute  noch  Physiker  und  Chemiker  gibt, 
die  bei  Gebrauch  von  Abstraktionsgebilden,  wie 
Atomen  und .  Molekülen,  wie  von  wirklichen 
Dingen  reden,  so  hat  die  Philosophie  die  Pflicht, 
ihre  Kenntnisse  zwecks  rücksichtsloser  Aufklärung 
zu  verwerten  und  hat  sämtlichen  Spezialisten 
z.  B.  die  vortrefflichen  Worte  des  EuckenPhilo- 
sophen  Otto  Braun*)  vorzuhalten:  „Erfahrung 
und  Mut  des  Denkens  müssen  sich  einen:  von 
Gedanken  her  erfolgt  die  Frage  an  den  Stoff, 
die  Erfahrung  gibt  die  Antwort  —  und  nie 
dürfen  wir  den  Begriffen  zuliebe  uns 
der  Wirklichkeit  verschließen."  Atome, 
Moleküle,  Schwerpunkt  usw.  sind  Begriffe  und  es 
wird  wohl  niemand  behaupten  wollen,  daß  es 
einen  „wirklichen"  Schwerpunkt  gibt.  Neue 
Wahrheiten  von  apodiktischer  Genauigkeit  und 
Gewißheit  liefert  nur  die  experimentelle  Forschung 
—  eine  brauchbare  Theorie  schematisiert  die  Er- 
fahrungswerte. Lassen  sich  Wahrnehmungen 
sammeln  und  organisieren,  so  darf  dann  das 
Schema  und  vor  allen  Dingen  die  Art  seiner  Dar- 
legung niemals  so  beschaffen  sein,  daß  man  sich 
erst  das  Gehirn  zermartern  muß,  um  das  System 
begreifen  zu  können.  Weitgehende  Folgerungen 
einer  Theorie  haben  dann  hohen  praktischen 
Wert,  wenn  dabei  der  Forscher  die  wissenschaft- 
liche Einsicht  besitzt,  daß  seine  Forderungen  in 
Wirklichkeit  nur  approximative  Gültigkeit 
besitzen,  aber  einen  oft  zuverlässigen  Führer  für 
weitere  Untersuchungen  bilden  können.  *)  Besteht 
dann  die  Möglichkeit,  den  Verlauf  der  voraus- 
gesagten Vorgänge  durch  Versuch  genau  zu  be- 
stimmen, so  können  die  so  neu  gefundenen  Daten 
rückwärts  in  die  den  Spekulationen  zugrunde 
liegenden  Gleichungen  eingeführt  werden  (In- 
duktion), und  erst  wenn  diese  Revidierung  statt- 
gefunden hat,  sind  die  Grundgleichungen  für  eine 
weitere  neue  Theorie  geschaffen.  Brauchbare 
Theorien  fallen  den  Menschen  nicht  als  Ergeb- 
nisse von  bloßen  Gedankenexperimenten  fix  und 
fertig  abgerundet  in  den  Schoß,  sondern  sie 
müssen  erst  in  der  Erfahrung  erarbeitet  werden. 
Die  Wissenschaft  ist  nie  eine  fertige  Größe,  son- 
dern sie  ist  stets  etwas  Werdendes,  Unabge- 
schlossenes,   Bewegtes :    die    ganze    Welt    ist    in 


')  Prof.  Dr.  Otto  Braun,  „Geistesprobleme  und  Lebens- 
fragen". Ausgewählte  Abschnitte  aus  den  Werken  Rudolf 
Euckens.     Reclam  Nr.  5993—5995  (S.  29). 

')  Die  Behandlung  der  allgemeinen  Relativitätstheorie 
nach  diesem  Gesichtspunkte  mag  in  einem  folgenden  Aufsatz 
durchgeführt  werden. 


N.  F.  XX.  Nr.  I 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Fluß!      Ein  Werk,   das  fruchtbar   sein  soll,    muß     tivitätstheorie   glaubt   ein  Abschluß   zu   sein   und 
immer  Triebe  erkennen  und  fühlen  lassen,   damit      wäre  dann  —  der  Sarg  der  Physik, 
es    eben    leben   und   wachsen   kann.      Die   Rela- 


Zur  Metaiiiorphosenlehre. ') 


(Nachdruck  verboten.)  Von   Dr.   A, 

Dem  naiven  Realismus,  der  uns  gewisser- 
maßen angeboren  ist,  gelten  die  Dinge  so,  wie 
sie  erscheinen.  Das  ist  die  natürliche  Auffassung 
im  gewöhnlichen  Leben,  die  auch  von  Kant  ge 
billigt  wird.  Aus  der  Erkenntnis,  daß  diese  Auf- 
fassung unvollkommen  ist,  sind  Wissenschaft  und 
Forschung  erst  entstanden.  Diese  strebt  unter 
allen  Umständen  dahin,  eine  möglichst  absolute 
Erkenntnis  der  Gegenstände  zu  erlangen.  Das  ist 
durch  bloße  Anschauung  nicht  möglich.  Die 
Fähigkeit  unseres  Denkens  nur  kann  uns  Erkennt- 
nis verschaffen.  Der  natürliche  Anfang  dieser 
Tätigkeit  ist  der  Vergleich.  Wir  suchen  einen 
uns  unverständlichen  Gegenstand  dadurch  besser 
zu  verstehen,  daß  wir  ihn  mit  einem  uns  schon 
verständlichen  vergleichen.  Dadurch  kommen 
wir  aber  nur  zu  einer  relativen  Erkenntnis  und 
in  den  allermeisten  Fällen  müssen  wir  uns  auch 
in  der  Wissenschaft  mit  dieser  Art  Erkenntnis 
begnügen. 

So  ging  es  anfangs  auch  mit  den  Blüten,  die 
einen  so  auffallenden  Gegensatz  zu  den  Laub- 
organen  der  Pflanzen  bilden,  daß  sie  als  etwas 
davon  absolut  verschiedenes  erscheinen.  Mal- 
pighi  und  andere  verglichen  aber  doch 
wenigstens  die  Hüllorgane  der  Blüten,  Kelch  und 
Blumenblätter  mit  Laubblättern.  Zum  morpho- 
logischen Vergleich  der  eigentlichen  Fortpflanzungs- 
organe kam  es  aber  nicht,  weil  hier  jede  Mögliah- 
keit  eines  Vergleichs  aufhörte.  Die  bloße  be- 
griffliche Unterordnung  der  Blütenteile  unter  den 
Begriff  Blatt  ist  aber  bloße  Klassifikation 
und  keine  Hypothese,  sie  hat  für  die  wissen- 
schaftliche Erkenntnis  gar  keinen  Wert.  Denn 
was  hieße  es:  ein  Staubfaden  ist  ein  Blatt,  wenn 
dies  Wort  einen  bloßen  Begriff  bedeutet.  Ein 
„Blatt"  gibt  es  in  Wirklichkeit  gar  nicht,  es  gibt 
nur  Laubblätter,  Hochblätter,  Blumenblätter,  Kelch- 
blätter, Fruchtblätter.  Es  müßte  also  gesagt  wer- 
den, was  für  eine  Art  Blatt  ein  Staubfaden  sein 
solle.  Das  eigentliche,  in  allem  Anfang  durch 
die  Sprache  so  genannte  Blatt  ist  das  große 
Organ  der  Pflanzen,  das  Laubblatt  von  flacher 
Form.  Also  wenn  eine  Beziehung  überhaupt  an- 
genommen wird,  kann  man  nur  sagen,  ein  Staub- 
faden ist  ein  Laubblatt,  d.  h.  der  Anlage  nach, 
denn  später  gleichen  sie  sich  nicht  mehr.  Es 
hat  also  nicht  bloß  den  Ort  eines  Laubblattes, 
worauf  C.  F.Wolf  das  Hauptgewicht  legte,  son- 
dern auch  gewisse  innere  Eigenschaften  der  Laub- 
biattanlage.  Dafür,  daß  das  Alte  in  neuer  Form 
erscheint,  sind  wir  gezwungen ,  eine  Ursache  an- 
zunehmen   und    da    hier    Beobachtung    nicht 


Hansen  f. 

möglich  ist,  nehmen  wir  vorläufig  eine  hypothe- 
tische Ursache  an;  die  Metamorphose.  Auf 
diesem  Standpunkt  stehen  Goethe,  Goebel  und 
andere  Botaniker  mit  ihm.  Durch  noch  un- 
bekannte Wirkungen  ändern  sich  die  Eigen- 
schaften und  danach  die  ganze  Form  der  Laub- 
blattanlage und  sie  wird  zum  Sporophyll.  Dieser 
Standpunkt  wird  in  den  meisten  Lehrbüchern 
vertreten  z.  B.  in  Strasburgers  Lehrbuch,  1 3.  Auf- 
lage, durch  Fitting  S.  169. 

Nach  Veröffentlichung  meiner  letzten  Arbeit 
über  Goethes  Morphologie ")  schrieb  mir  ein  be- 
freundeter Kollege,  daß  er  diesen  Standpunkt  nicht 
teilen  könne,  eine  Staubfadenanlage  sei  doch  von 
Anfang  an  eine  Staubfadenanlage  und  keine 
Laubblattanlage.  Dieser  Standpunkt  ist  der  oben- 
bezeichnete natürliche  Realismus,  für  den 
die  Sachen  so  sind,  wie  sie  scheinen.  Wenn  er 
auch  antitheoretisch  ist,  so  ist  er  doch  nicht  völlig 
atheoretisch.  Für  ihn  ist  ein  Staubblatt  schon  in 
der  Anlage  ein  Staubblatt,  ein  Karpell  ein  Karpell. 
Es  gibt  also  keine  Metamorphose  der  Blütenteile. 
Diese  begrifflich  doch  als  Metamorphosen  zu 
bezeichnen  ist  ganz  überflüssig  und  unverständlich, 
denn  Metamorphose  kann  nur  ein  zeitlicher  und 
räumlicher  Vorgang  sein.  Das  findet  man  schon 
bei  Kant.  Eine  Metamorphose  von  Begriffen 
ist  weder  logisch  noch  erkenntnistheoretisch  zu  be- 
gründen, sondern  führt  nur  zu  scholastischen 
Kunststücken,  die  leicht  ad  absurdum  zu  führen 
sind.  ■'  '    ^■' 

Nimmt  man  nämlich  diesen  Standpunkt  für 
die  Blüten  an,  dann  müßte  er  auch  für  die 
übrigen  Organe  gelten.  Die  Anlage  einer  Kar- 
toffel wäre  gleich  einer  Knollenanlage,  die  einer 
Blattranke  kein  Blatt,  sondern  eine  Rankenanlage, 
der  Orchideenknolle  keine  Wurzel,  sondern  eine 
Knollenanlage.  Metamorphosen  dürfte  es  dann 
auch  hier  nicht  geben,  die  Herkunft  der  Organe 
könnte  nicht  erklärt  werden,  sie  wäre  dennoch 
Tatsache.  Für  das  Verständnis  der  Funktion  ge- 
nügte das  auch.      Aber   diese    Anschauung   wircl 


')  Dieser  Aufsatz  fand  sich  unter  den  nachgelassenen  Schriften 
Adolph  Hansens  und  wurde  mir  zur  Veröffentlichung 
übergeben.  Da  die  Metamorphosenlehre  das  Gebiet  ist,  welches 
den  Verstorbenen  in  den  letzten  Jahren  bis  kurz  vor  seinem 
Tod  immer  wieder  stark  beschäftigte,  so  glaubte  ich  am 
Manuskript,  abgesehen  von  den  Literaturangaben,  keine  Ände- 
rungen vornehmen  zu  sollen.  Georg  Funk. 

•)  Adolph  Hansen,  Goethes  Morphologie  (Metamor- 
phose der  Pflanzen  und  Osteologie),  GieSen  1919,  Verlag 
A.  Töpelmann.  Auch  in  Ber.  d.  Uberhess.  Ges,  f.  Natur-  u. 
Heilk.     N.  F.     Naturw.  Abteil.  Bd.   7,   19:9,  S.   1—200. 


NaturwissenschaftKehe  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  I 


durch  Tatsachen  sofort  erschüttert.  Bei  den 
Vegetationsorganen  sieht  man  den  Vorgang  der 
Metamorphosen  wirkUch,  worauf  Goethe  schon 
aufmerksam  gemacht  hat  und  was  wohl  niemand 
bezweifelt  (Ranken,  Kartoffel  und  OrchisknoUen, 
Wurzelknollen  usw.). 

Bei  den  Blüten  ergibt  eine  entwicklungsge- 
schichtliche Beobachtung  kein  klares  Resultat.  Die 
Anlage  der  Blütenteile  gleichen  Blattanlagen  ge- 
nau, brauchen  aber  keine  solchen  zu  sein.  Aber 
auch  hier  wird  die  naive  Ansicht  durch  Tatsachen 
erschüttert,  durch  die  sog.  Rückschläge.  Eine 
Staubblattanlage  wird  oft  ein  Blumenblatt  oder  ein 
Karpell,  bei  Vergrünungen  ein  laubblattähnliches 
Gebilde.  Das  beweist,  daß  es  nicht  von  Anfang 
an  eine  unveränderliche  Staubblattanlage  ist, 
sondern  daß  andere  Entwicklungsmöglichkeiten 
darin  verborgen  sind.    Die  Ansicht,  ein  Staubblatt 


ist   von   Anfang   an    ein   Staubblatt,  ist   also   un- 
haltbar. 

Mit  dem  naiven  Realismus  wäre  auch  die 
phylogenetische  Entstehung  der  Blüten  nicht  zu 
begreifen.  Anfangs  gab  es  keine  Blütenpflanzen. 
Die  Blüten  müssen  aus  Vegetationsorganen  ent- 
standen sein,  was  man  bei  den  Kryptogamen,  Mar- 
chantia,  Osmunda,  Ophioglossum ,  Botrychium 
deutlich  sieht,  wo  die  Umwandlung  von  Laub- 
blättern in  Sporophylle  vor  Augen  liegt. 

Die  naive  realistische  Ansicht,  welche  die  Meta- 
morphose bei  den  Blüten  leugnet,  kann  also  auf 
keine  Weise  sich  wissenschaftlichen  Halt  ver- 
schaffen und  sollte  ganz  außer  Kurs  gesetzt  wer- 
den. Es  ist  nicht  denkbar,  daß  ohne  Metamor- 
phose plötzlich  Sexualorgane  an  Pflanzen  entstan- 
den seien.  Zweifellos  liegt  darin  noch  eher  eine 
Energieersparnis,  als  wenn  ohne  vorhandene 
Grundlage    neue  Organe    entstanden    sein   sollten. 


Die  Ausbreituug  der  elektrischen  Wellen  und  die  Konstitution  der  Atniospliäre. 


Von  Karl  Kuhn. 


[Nachdruck  verboten.] 

Die  Reichweite  der  heutigen  Großstationen  für 
drahtlose    Telegraphie    beträgt    20000  km.      Die 
elektrischen  Wellen  müssen  also  der  vollen  Krüm- 
mung eines  Erdhalbmessers  folgen,  um  zur  Emp- 
fangsantenne zu  gelangen.    Durch  die  theoretischen 
Untersuchungen  von  Sommerfeld  *)  und  seinen 
Mitarbeitern   H.   W.   March    und    W.   v.   Ryb- 
czynski  wurde  nachgewiesen,  daß  die  Beugung 
der   viele   Kilometer   langen   elektrischen   Wellen 
an   der  Erdoberfläche  völlig  ausreicht,   um   trotz 
der  eigentlich  geradlinigen  Ausbreitung  genügend 
Energie    zur  Empfangsstation    gelangen  zu  lassen. 
Sommerfelds  Berechnung  der  durch  die  Beu- 
gung ankommenden  Energie  stimmt  innerhalb  der 
möglichen    Genauigkeit   mit   den  Messungen   von 
Austin   gut   überein.      Aber  schon    vor   Jahren 
hat  Marconi**)  beobachtet,   daß  die  Reichweite 
einer    Sendestation    bei    größeren    Entfernungen 
während  der  Nacht  beträchtlich  zunimmt.     Auch 
zeigten  quantitative  Messungen  der  ankommenden 
Empfangsenergie  bei  konstanter  Entfernung  wäh- 
rend der  Nacht   eine   starke  Zunahme  gegenüber 
den   Messungen  am  Tag.     Zunächst   machte  sich 
diese    Erscheinung     nur    bei    Entfernungen    über 
1 000  km  bemerkbar ;  doch  ist  es  K.  E.  F.  S  c  h  m  i  d  t  •') 
auch  gelungen,    bei    nur   400  km  Entfernung  mit 
einer  hochempfindlichen  Apparatur   die  Zunahme 
der  Empfangsenergie  bei  Nacht  zu  messen.    Den 
gleichen   Einfluß   wie   die  Nacht   zeigte   auch  die 
Sonnenfinsternis*)    vom    17.   April    191 2.      Diese 


')  Jahrbuch   d.  drahtlosen  Telegraphie  Bd.   17,    S.  2 — 15 

(1917)- 

')  J.  Zenneck,  Lehrbuch  d.  drahtlosen  Telegraphie. 
3.  Aufl.     Stuttgart   1913. 

')  Mitteil.  d.  naturforsch.  Gesellsch.  zu  Halle  a.  S,  Bd.  2, 
S.  9 — 12.     Halle   1913. 

*)  Met.  Zeitschr.  Bd.  37,  S.  177—184  (1920). 


Verhältnisse     kann     Sommerfelds     Beugungs- 
theorie nicht  erklären. 

Es  ist  deshalb  schon  viel  früher  von  Heavi- 
side,  Eccles')  u.  a.  die  Theorie  aufgestellt 
worden,  die  großen  Reichweiten  seien  durch  Re- 
flexion oder  Brechung  der  elektrischen  Wellen  an 
ionisierten  Luftschichten  zu  erklären.  Etwa  in 
der  Höhe  des  Nordlichts  soll  eine  dauernd  ioni- 
sierte Luftmasse  vorhanden  sein,  die  durch  eine 
korpuskulare  Strahlung  ^)  der  Sonne  hervorgerufen 
sein  könnte.  Diese  Tag  und  Nacht  gleichmäßig 
ionisierte  Schicht  wird  allgemein  als  die  Heaviside- 
s<Jiiicht^)  bezeichnet  und  durch  Spiegelung  der 
elektromagnetischen  Wellen  an  ihr  können  die 
außergewöhnlichen  Reichweiten  während  der 
Nacht  erzielt  werden.  Am  Tage  dagegen  sollen 
die  Wellen  der  drahtlosen  Telegraphie  gar  nicht 
bis  in  die  Höhe  der  Heavisideschicht  gelangen, 
da  sich  durch  die  ultraviolette  Sonnenstrahlung 
bereits  in  sehr  viel  geringerer  Höhe  ionisierte 
Zwischenschichten  ausbilden  sollen ,  welche  die 
elektrischen  Wellen  reflektieren  und  vom  Vor- 
dringen zur  Heavisideschicht  abhalten. 

Tatsächlich  nimmt  die  Intensität  des  Sonneh- 
ultravioletts  nach  den  Messungen  von  W ig  and,*) 
der  diese  im  Freiballon  bis  in  9425  m  Höhe  mit 
einem  Zinkkugelphotometer  nach  Elster  iirld 
G  e  i  t  e  1  untersuchte ,  außerordentlich  stark  mit 
der  Höhe  zu.  Auch  weist  die  elektrische  Leit- 
fähigkeit der  Luft  in  hohen  Atmosphärenschichten 
eine  beträchtliche  Steigerung  auf,  selbst  wenn  von 


')  Physik.  Zeitschr.  Bd.   13,  S.   1163  (1912). 

'')  Jahrbuch  d.  drahtlosen  Telegraphie  Bd.  12,   S.  175— 

l8j  (1917)- 

3)  1.  c.  S.  56—67. 

*)  Abderhalden,  Fortschritte  d.   naturwiss.  Forschung 
Bd.   10,  S.  246-269  (1914I. 


N.  F.  XX.  Nr.  I 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


9 


der  durch  die  Luftdruckerniedrigung  vermehrten 
Beweglichkeit  der  Ionen  abgesehen  wird.  Nach  den 
wenigen  vorliegenden  Messungen  von  Wigand  ') 
erreicht  die  Leitfähigkeit  bei  6000  m  einen  Wert, 
welcher  gleich  dem  22  fachen  Betrag  des  Pots- 
damer Mittelwertes  für  normale  Tage  ist.  In 
8865  m  Seehöhe  maß  Wigand  eine  Leitfähig- 
keit, welche  68  mal  so  groß  wie  die  gleichzeitig 
am  Erdboden  herrschende  war.  Es  ist  also  an 
der  Möglichkeit  des  Vorkommens  ionisierter  Luft- 
schichten in  niedrigeren  Höhen  wohl  nicht  zu 
zweifeln. 

Da  Sommerfelds  Beugungstheorie  die  nor- 
male Ausbreitung  der  elektrischen  Wellen  am 
Tag  völlig  einwandfrei  darstellt,  so  haben  wir 
eigentlich  „keinen  Grund,  bei  den  Tagesbeobach- 
tungen die  Mithilfe  von  reflektierenden  Luft- 
schichten mit  in  Anspruch  zu  nehmen.  Wohl 
aber  dürften  diese  zur  Erklärung  der  abnorm 
großen  und  gleichzeitig  unregelmäßigen  Reich- 
weiten bei  Nacht  heranzuziehen  sein".  (Sommer- 
feld^).) In  der  Nacht  schwankt  die  vergrößerte 
Reichweite  oft  stark;  bei  konstanter  Entfernung 
ist  die  ankommende  Energie  sehr  veränderlich. 
Wenn  die  Ursache  davon  eine  ionisierte  Luft- 
schicht in  großer  Höhe  ist,  so  kann  diese  reflek- 
tierende Schicht  (die  Heavisideschicht)  keine 
völlig  zusammenhängende  lückenlose  Kugelschale 
sein,  sondern  es  ist  wohl  die  rasche  Veränder- 
lichkeit der  ankommenden  Signale  durch  eben- 
falls veränderliche  Heavisidewolken  bedingt. 

Die  Höhe  der  ionisierten  Heavisidewolken- 
schicht  berechnet  C.  J.  d  e  G  r  o  o  t  ^)  für  die  Tro- 
pen zu  rund  200  km.  Bei  seinen  Messungen  in 
Niederländisch  -  Ostindien  konnte  de  Groot  fast 
jede  Nacht  eine  „stille  Zone"  in  etwa  3000  km 
Entfernung  beobachten,  die  völlig  der  „Zone  des 
Schweigens"  bei  starken  Schallphänomenen  ent- 
spricht. Während  also  in  der  Nacht  in  3000  km 
Entfernung  die  Zeichen  der  Sendestation  nicht 
mehr  wahrgenommen  werden  konnten,  waren  zur 
selben  Zeit  gleichstarke  Empfangsanlagen  in 
4000  bis  5000  km  Entfernung  in  sehr  guter  Ver- 
bindung mit  der  Sendestation.  Aus  der  Lage 
der  „stillen  Zonen"  ergibt  sich  die  angegebene 
Höhe  von  etwa  200  km  für  die  Heavisideschicht. 
Daß  in  Europa  bei  Nachtverbindungen  eine  stille 
Zone  selten  zur  Beobachtung  kommt,  erklärt  de 
Groot  aus  der  viel  stärkeren  Ausprägung  der 
oberen  Luftschichten  in  den  Tropen. 

Von  großer  Wichtigkeit  für  die  genaue  Höhen- 
bestimmung der  Heavisideschicht  und  von  ioni- 
sierten Zwischenschichten  wäre  die  Ausführung 
eines  Vorschlags  von  J.A.Fleming.*)  Ähnlich 
wie  L ö w y  und  Leimbach'')  die  Tiefe  von  Erz- 

')  Abderhalden,  1.  c,  S.  243 — 246  und  Verhandl.  d. 
deutsch,  phys.  Ges.  Bd.  16,  S.  232  ^^9[4). 

^)  Jahrbuch  der  drahtlosen  Telegraphie  Ed.  12,  S.  2 — 15 

(191 7)- 

')  1.  c.  S.   15-35. 

^1  1.  c.  S.  183. 

°)  Phys.  Zeilscbr.  Bd.  11,  S.  697 — 70;  (igio)  und  Bd.  13, 
S-  397—403  (I9«2). 


lagerstätten  und  vom  Grundwasserspiegel  in  der 
Erde  durch  Reflexion  oder  Absorption  von  ge- 
richteten elektrischen  Wellen  festzustellen  suchten, 
so  will  Fleming  die  Höhe  der  Heavisidewolken 
bestimmen.  „Wenn  wir  gerichtete  Luftleiter  an- 
wenden, um  elektrische  Wellen  unter  verschiede- 
nen Winkeln  nach  oben  zu  senden,  und  dann 
beobachten,  wo  diese  hauptsächlich  zur  Erde 
zurückkehren,  könnten  wir  vielleicht  in  der  Lage 
sein,  die  drahtlose  Telegraphie  als  ein  Agens  zur 
Erforschung  der  Atmosphäre  zu  verwenden ,  ge- 
rade wie  wir  einen  Scheinwerfer  benutzen  können, 
um  reflektierende  Objekte  oder  Wolken  in  den 
unteren  Schichten  der  Atmosphäre  zu  entdecken." 
Infolge  des  Weltkriegs  mußte  Fleming  die  Aus- 
führung seines  interessanten  Planes  zurückstellen. 
Nach  Sommerfelds  Hypothese  kann  man 
sich  die  in  der  drahtlosen  Telegraphie  verwandten 
elektromagnetischen  Strahlen  in  Oberflächenwellen 
und  in  Raumwellen  zerlegt  denken.  Die  Raum- 
wellen breiten  sich  in  den  Luftraum  hinein  aus, 
während  die  Oberflächenwellen  ähnlich  wie  Draht- 
wellen an  der  Erdoberfläche  entlanggleiten,  ohne 
tief  in  den  mehr  oder  weniger  leitenden  Unter- 
grund einzudringen.  Nach  oben  nehmen  die 
Oberflächenwellen,  welche  für  die  Zeichenüber- 
tragung vor  allem  in  Betracht  kommen,  langsam 
an  Intensität  ab.  Durch  Intensitätsmessung  der 
ankommenden  Zeichen,  welche  bei  Ballonfahrten 
in  verschiedenen  Höhen  angestellt  werden,  kann 
die  Theorie  der  Oberflächenwellen  auf  ihre  Richtig- 
keit geprüft  werden.  Versuche  im  Freiballon, 
auch  auf  Nachtfahrten,  wurden  von  Lutze^)  bis 
in  6500  m  Höhe  angestellt.  „Bei  den  Versuchen 
mit  Norddeich  als  Sendestation  überwiegen  die 
Oberflächenwellen  stark.  Bei  der  Erhebung  von 
1500  m  auf  6500  m   sinkt   nach  der  Theorie  die 

Energie  der  Oberflächenwellen  auf  — .   Die  Laut- 
^  2,7 

Stärkenmessungen  ergaben  eine  Abnahme  der 
Intensität  etwa  auf  die  Hälfte.  Bei  Berücksicl^ti- 
gung  des  Einflusses  der  Raumwellen,  die  den 
Oberflächenwellen  überlagert  sind,  sind  also  Theorie 
und  Meßergebnis  in  guter  Übereinstimmung."  ^) 
Bei  Paris  als  Sendestation  ergab  sich  eine  viel 
beträchtlichere  Abnahme  der  Intensität  der  elektro- 
magnetischen Wellen,  da  hier  die  Raumwellen 
durch  die  Rundung  der  Erde  abgeschirmt  sind. 
„Die  Lautstärke  in  5500  m  sinkt  etwa  auf  den 
achten  Teil  der  in  1050  m  Höhe  gemessenen. 
Die  Werte  beim  Auf-  und  Abstieg  stimmen  gut 
überein.  Diese  Resultate  liefern  den  experimen- 
tellen Nachweis  der  von  Zenneck  und  Uller 
angenommenen  Oberflächenwellen.  Den  theoreti- 
schen Existenzbeweis  hat  1909  Sommerfeld 
erbracht."-) 


')  Latze  und  Everling,  Abhandl.  d.  naturfor.'ch.  Ges. 
zu  Halle  a.  S.     Neue  Folge  Nr.  3,  79  S.  (1914). 

')  Phys.  Zeitschr.  Bd.  14,  S.  288  und  1152  (I9I3)-  — 
Jahrbuch  d.  drahtlosen  Telegraphie  Bd.  8,  S.  367  (1914).  — 
Wigand,  in:  „Abderhalden,  Fortschritte  d.  naturwiss. 
Forschung"  Bd.   10,  S.   238—239  (1914). 


10 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


N.  F.  XX.  Nr.  I 


Diese  Iniensjtätsniessungen  der  elektrischen 
Wellen  auf  Ballonfahrten  wurden  nach  der  sog. 
Parallelohmmethode  angestellt.  Diese  Methode 
ist  aber  für  quantitative  Zwecke  fast  unbrauchbar; 
dazu  kommen  auf  Ballonfahrten  noch  eine  ganze 
Reihe  neuer  Fehlerquellen.  Lutze  und  seine 
Mitarbeiter  suchten  zwar  alle  Einwände  gegen 
ihre  Ergebnisse  zu  entkräften ;  aber  P.  L  u  d  e  w  i  g  ') 
schließt  doch  seine  eingehende  Kritik  mit  den 
Worten:  „Diese  Ergebnisse  können  jedoch  noch 
nicht  als  endgültig  betrachtet  werden."  Man  kann 
also  aus  diesen  Messungen  noch  nicht  den  Schluß 
ziehen,  daß  etwa  die  Heavisideschichten  in  recht 
niedrigen  Höhen '-)  zu  suchen  seien.  Weitere 
Messungen ,  vor  allem  auch  in  der  Stratosphäre 
(in  über  12  km  Höhe),  wären  notwendig;  es  liegt 
hier  noch  ein  weites  Feld  für  die  Betätigung  bei 
Freibaiionfahrten  vor,  denn  die  Theorie  der  Er- 
scheinungen wird  erst  beim  Vorliegen  eines 
größeren  experimentellen  Materials  eine  genauere 
Ausgestaltung  erfahren  können. 


')  Annal.  der  Hydrographie  Bd.  43,  Heft  2  (1914)  und 
Helt  5  und  6  (1915). 

')  Wolken,  welche  I — 5  8  Wasser  in  I  cbm  enthalten, 
können  außerordentlich  grofie  Werte  für  die  Dielektrizitäts- 
konstante erreichen,  die  denen  bei  vielen  flüssigen  und  festen 
Körpern  nahekominen.  „Ist  die  Dielektrizitätskonstante  der 
Wolken  von  einer  Gröfie,  wie  sie  sich  durch  Berechnung  nach 
der  Mischungsregel  ergibt,  so  kann  es  bei  senkrechtem  Ein- 
fallen der  langen  Wellen  der  drahtlosen  Telegraphie  auf 
Wolken  bis  zur  Totalreflexion  kommen."  R.  Emden,  Mün- 
cbener  Berichte  S.  417 — 435  (1918). 


Das  Versagen  der  Sendestationen  für  draht- 
lose Telegraphie  in  Flugzeugen  bei  6  bis  8  km 
Höhe  rührt  nicht  etwa  von  der  Absorption  der 
ausgesandten  elektrischen  Wellen  durch  ionisierte 
Luftschichten  her;  die  Ursache  ist  vielmehr  die 
starke  Luftdruckverminderung  in  der  Höhe,  wo- 
durch die  Funkenentladung  des  Senders  ihren 
oszillatorischen  Charakter  verliert  und  damit  auch 
keine  elektrischen  Wellen  mehr  in  den  Raum 
aussendet.  Zum  Schlüsse  sei  erwähnt,  daß  die 
Möglichkeit  durch  die  drahtlose  Telegraphie  die 
Erdkrümmung  zu  überwinden,  es  andererseits 
verwehrt ,  von  unserem  Planeten  aus  lange 
elektrische  Wellen  mit  größerer  Stärke  in  den 
Weltenraum  hinauszuschicken.  Ebenso  wird  es 
die  Heavisideschicht  unmöglich  machen,  daß  von 
einem  anderen  Planeten,  etwa  vom  Mars,  elektro- 
magnetische Wellen  an  unsere  irdischen  Empfangs- 
stationen gelangen  können.  Das  weitere  Studium 
der  Ausbreitung  der  elektrischen  Wellen  wird  uns 
noch  genauere  Aufschlüsse  über  die  elektrischen 
Zustände  unserer  Atmosphäre  geben  und  zwar 
auch  in  Höhen,  die  nie  auf  einer  wissenschaft- 
lichen Hochfahrt  im  Freiballon  erreicht  werden 
können,  aber  andererseits  wird  nach  unserem 
jetzigen  Wissen  vom  Vorhandensein  der  Heaviside- 
schicht zunächst  und  für  die  nahe  Zukunft  ein 
interplanetarischer  Verkehr  mit  den  langen  elektro- 
magnetischen Wellen  der  drahtlosen  Telegraphie 
nicht  möglich  sein. 


Einzelberichte. 


Die  Empfiudnng  der  Richtung,   aus  der  ein 
Schall  kommt. 

Diese  Empfindung  ist  besonders  sicher  für 
iinbestimmte  Geräusche  und  wurde  bisher  meist 
durch  Bezugnahme  auf  das  äußere  Ohr  erklärt. 
Die  Beweglichkeit,  Größe  und  trichterartige  Form 
des  äußeren  Ohres  bei  einzelnen  Tieren  ließ  es 
daher  verständlich  erscheinen,  daß  diese  eine  be- 
sonders ausgebildete  Fähigkeit  besitzen,  die  Rich- 
tung eines  verdächtigen  Geräusches  zu  empfinden 
und  danach  die  Flucht  in  die  zweckmäßigste 
Richiung  zu  verlegen.  Indessen  ist  auch  beim 
Menschen  diese  SchallRichtungsempfindung  ziem- 
lich scharf  ausgeprägt  und  eine  völlig  befriedigende 
Erklärung  für  dieselbe  wurde  erst  während  des 
letzten  Krieges,  in  dem  naturgemäß  genaue  Rich- 
tungsfeststellungen des  Schalls  eine  wichtige  Rolle 
spielten,  durch  Hornborstel  und  Wert- 
heimer  gefunden.  Nach  einer  von  Kunze  in 
der  physikalischen  Zeitschrift  (1920,  Seite  437) 
beschriebenen  Anwendung  der  neuen  Lehre  auf 
die  Messung  von  Windgeschwindigkeiten  entsteht 
die  Schall  Richtungsempfindung  durch  die  gefühls- 
mäßig beurteilte,  wenn  auch  sehr  kleine  Zeit- 
differenz   der   Empfindungen     in    beiden    Ohren. 


Beläuft  sich  dieser  Zeitunterschied  auf  0,00003 
Sekunden  oder  weniger,  so  verlegt  man  die  Schall- 
quelle in  die  Mittelebene,  wird  jedoch  der  Zeit- 
unterschied größer  als  drei  Hunderttausendstel 
einer  Sekunde,  so  rückt  die  vom  Horcher  ange- 
nommene Schallquelle  mehr  und  mehr  auf  die 
Seite  desjenigen  Ohres,  das  den  Schall  zuerst 
empfängt,  bis  man  bei  0,0006  Sekunden  Differenz, 
die  einem  Schallweg  von  21  cm  entspricht,  die 
Schallquelle  um  90"  seitlich  von  der  Mittelebene 
annimmt.  Bei  003  Sekunden  erst  hört  die  Ein- 
heitlichkeit des  Schalleindrucks  auf,  man  empfindet 
dann  das  Nacheinander  der  von  beiden  Ohren 
aufgenommenen  Schalleindrücke.  Bei  tatsächlich 
seitlich  gelegener  Schallquelle  kann  eine  schein- 
bare Verschiebung  derselben  in  die  Mittelebene 
dadurch  ■  erzielt  werden,  daß  man  den  kürzeren 
Schallweg  durch  Einschaltung  einer  entsprechen- 
den Schlauchleitung  dem  längeren  gleich  macht. 
Kunze  hat  diese  Theorie  mit  gutem  Erfolge 
zur  Messung  der  Windgeschwindigkeit  benutzt, 
indem  er  den  von  einer  Klopfvorrichtung  aus- 
gehenden Schall  sowohl  mit  der  Windrichtung 
als  auch  gegen  dieselbe  je  einem  Schalhrichter 
oder  Mikrophon  zuführt,  von  denen  Leitungen  zu 
je  einem  der  Ohren  führen.  Kbr. 


N.  F.  XX.  Nr.  I 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


II 


Warnm  sehlägt  die  Wünschelrute  aus? 

H.  Haenel  sagt  in  seinem  Vortrage:  Zur 
physiologischen  Mechanik  der  Wünschelrute  (Ber. : 
Münch.  med.  Wochenschr.  1920  Nr.  2):  „Die 
Wünschelrute  ist  ein  ebenso  einfaches  wie  wirk- 
sames Instrument,  die  Supinatoren  dem  Willens- 
einflusse mehr  oder  weniger  zu  entziehen,  und 
zeigt  feinste  Veränderungen  in  allen  Kon- 
traktionszuständen  in  vergrößertem,  augenfälligem 
Maße  an." 

Solch  feinste  Veränderungen  des  Kontraktions- 
zustandes aber  können  durch  plötzliche  Abgabe 
von  Elektrizität  durch  die  Haut  herbeigeführt 
werden.  Denn,  wie  Ar.  Adler  mit  Adolf 
Heyd weil  1er  (A.  H.,  Über  Selbstelektrisierung 
des  menschlichen  Körpers;  Ann.  d.  Physik  1902) 
nachgewiesen  hat,  führen  die  Muskelzusammen- 
ziehungen zu  beträchtlichen  statischen  Ladungen 
des  Körpers,  welche  sich  in  der  Regel  nur  all- 
mählich ausgleichen. 

Wenn  nun  die  Leitungsfähigkeit  des  Erdreichs 
durch  Vorkommen  von  Metalladern  Q.der  Wasser 
in  demselben  plötzlich  vergrößert  wird,  so  erfolgt, 
sobald  der  Rutengänger  über  ein  solches  gelangt, 
eine  momentane  Verminderung  der  elektrischen 
Ladung  der  Muskel-Disdiaklasten,  die  am  schwäch- 
sten innervierten  Supinatoren  erschlaffen,  die 
Antagonisten  bekommen  das  Übergewicht  und 
die  Wünschelrute  schlägt  aus  (Psychiatrisch-neuro- 
logische Wochenschr.  1920  S.  "]•]). 

Dr.  Ar.  Adler. 


Die  Grenzlage  Wiens. 

Die  Übereinstimmung  der  Flora,  Fauna  und  Be- 
völkerung Wiens  mit  den  geologisch- geographischen 
und  klimatischen  Verhältnissen  fiel  mir  bei  Ver- 
fassung meines  „Naturgeschichtlichen  Führers  für 
Wien"  (Wien,  Holder)  stark  ins  Auge,  und  da 
sie  wegen  der  auffälligen  Grenzlage  Wiens  in 
allen  eben  hervorgehobenen  Beziehungen  von  be- 
sonderem Interesse  ist,  möchte  ich  sie  hier  kurz 
auseinandersetzen. 

Die  Grenzlage  Wiens  tritt  zunächst  in 
landschaftlicher  (geographischer)  Be- 
ziehung hervor,  denn  es  liegt  dort,  wo  die 
Alpen  sowie  die  niedrigeren  Gebirgsmassen 
Mitteleuropas,  letztere  mit  dem  Ostrande  der 
Böhmischen  Masse,  ihr  Ende  erreichen,  und  die 
für  den  Osten  Europas  bezeichnenden  Steppen- 
gebiete über  Ungarn  und  durch  das  Wiener 
Becken  bis  an  den  Kern  dieses  Erdteiles  heran- 
reichen. Die  Lage  zusammen  mit  der  geographi- 
schen Breite  Wiens  bedingt  aber,  daß  dieses  auch 
klimatisch  an  der  Grenze  verschiedener  Ge- 
biete liegt,  nämlich  dort,  wo  die  Wirkungen  des 
wärmeren  südlichen  Klimas  aufhören,  durch 
die  böhmische  Gebirgsmasse  und  die  Karpathen 
aber  die  üblen  Wirkungen  des  kälteren  nörd- 
lich en  K 1  i  m  a  s  ferngehalten  werden,  und  durch 


die  Böhmische  Masse  zusammen  mit  den  Alpen 
zugleich  eine  Scheidewand  gegen  das  feuchtere 
und  gleichmäßigere  Klima  von  Westeuropa 
gebildet  wird.  Dieses  durch  milde  Winter  und 
verhältnismäßig  feuchte,  kühle  Sommer  gekenn- 
zeichnete Klima  stößt  hier  mit  dem  durch  ge- 
wisse Extreme  gekennzeichnete  osteuropäi- 
schen Klima  zusammen,  das  wegen  des  Zu- 
sammenhanges Europas  mit  dem  Festlande  Asiens 
ein  mehr  kontinentales,  im  Winter  kälteres,  im 
Sommer  aber  trockeneres  und  wärmeres  ist. 
Wien  hat  tatsächlich  heiße  und  trockene  Sommer, 
und  diese  haben  die  große  Landflucht  der  Wiener 
während  der  heißesten  Monate  zur  Folge.  Die 
Unterschiede  in  den  Niederschlagsmengen  treten 
scharf  hervor,  wenn  man  das  Wetter,  wenn  auch 
nur  in  dem  nordöstlichsten  Teile  der  Voralpen 
mit  jenem  der  etwas  weiter  östlich,  gegen  den 
Neusiedler  See  zu  gelegenen  Gebiete  Niederöster- 
reichs vergleicht. 

Diese  Verhältnisse  üben  natürlich  ihren  großen 
Einfluß  auf  die  Pflanzenwelt  aus.  Die  Flora 
der  Wiener  Umgebung  gehört  wohl  größtenteils 
der  mitteleuropäischen.  Baltischen  Flora  an, 
bis  hierher  reicht  aber  auch  die  östliche  Pon- 
t  i  s  c  h  e  F 1  o  r  a,  welche,  von  Osten  vordringend,  nach 
der  Eiszeit  das  Wiener  Becken,  sowie  die  trockenen, 
sonnigen  Hänge  rings  um  dasselbe  eingenommen 
hat,  und  durch  Schwarz föhrenwälder,  den 
Pontischen  Buschwald  und  Federgras- 
fluren, aber  auch  durch  den  Weinbau  ge- 
kennzeichnet ist.  Für  die  ersteren  sind  be- 
zeichnend: die  Schwarzföhre  oder  österreichische 
Kiefer  (Pinus  nigra),  der  warzige  Spindelbanm 
(Evonymus  verrucosus),  die  strauchige  Kronen- 
wicke (Coronilla  emerus),  die  Felsenbirne  (Ame- 
lanchier  ovalis),  der  wohlriechende  Seidelbast 
(Daphne  cneorum),  der  Frühlingsadonis  (Adonis 
vernalis),  das  blaue  Elfengras  (Sesleria  varia)  und 
andere.  Den  zweiten  kennzeichnen:  die  flaumige 
Eiche  (Quercus  lanuginosa),  die  Zwerg-  und  die 
Steinweichsel  (Prunus  fruticosa  und  mahaleb),  der 
Blasenstrauch  (Colutea  arborescens),  die  letzten 
aber  das  Federgras  oder  Frauenhaar  (Stipa  pen- 
nata  und  capillata),  die  Zwergschwertel  (Iris 
pumila),  gewisse  Insektenstendel  (Ophrys),  ein 
Lein  (Linum  tenuifolium),  der  Diptam  (Dictamus 
albus)  und  andere.  Auch  die  alpine  oder  besser 
subalpineFlora  reicht  in  die  Nähe  von  Wien, 
wenn  auch  nur  einige  Ausläufer  derselben  bis 
vor  seine  Tore  gehen,  wie  die  Aurikel  (Primula 
auricula)  und  die  fleischrote  Heide  (Erica  carnea), 
das  buchsbaumblättrige  Kreuzkraut  (Polygala 
chamaebuxus),  das  Alpenveilchen  (Cyclamen  euro- 
paeum),  gewisse  Steinbrech-  (Saxifraga)  und 
Hungerblümchen-  (Draba)  Arten  und  noch 
andere. 

Bezüglich  der  T  i  e  r  w  e  1 1  sind  die  Verhältnisse 
ganz  ähnliche.  Wien  und  seine  Umgebung  ge- 
hört im  allgemeinen  der  für  Mitteleuropa  be- 
zeichnenden, der  Baltischen  Flora  entsprechenden 
Germanischen   Fauna   an.     Doch    hat  auch 


■1-2 


Natiirwissenschaftli€he  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  J 


die  Ton  tische  Fauna,  den  südostlich  von 
Wien  gelegenen  Tiefebenen  folgend,  manche  Ver- 
treter bis  hierher  gesendet.  Wenn  wir  von  dem 
noch  weiter  westlich,  bis  Mitteldeutschland,  vor- 
gedrungenen Hamster  absehen,  so  sind  vor  allem 
bezeichnend  das  Erdziesel  (Spermophilus  citillus), 
sowie  einige  Mausarten,  weiter  die  freilieh  eben- 
falls noch  weiter  westwärts  vorgedrungene 
Haubenlerche  (Alauda  cristata),  die  Grauammer 
(Emberiza  miliaria),  die  Kuhstelze  (Budytes  flava), 
die  Uferschwalbe  (Cotyle  riparia)  und  viele  andere 
Singvögel,  die  große  Trappe  (Otis  tarda),  der 
Kranich  (Grus  cinerea),  der  Kormoran  (Phala- 
cocorax  carbo),  die  Mandelkrähe  (Coracias  garrula) 
und  noch  manch'  anderer  Vogel.  Von  den 
wechselwarmen  Tieren  treten  östliche  und  zu- 
gleich südliche  Formen  hervor,  von  welchen  bloß 
die  Steppenotter  (Vipera  ursinii),  die  Smaragd- 
und  dife  Mauereidechse  (Lacerta  viridis  und  mu- 
ralis)  sowie  gewisse  Formen  der  Frösche  und 
Kröten  (Rana  ridibunda  und  agilis,  Bombinator 
igneus)  hervorgehoben  seien.  Von  den  wirbel- 
losen Tieren  seien  bloß  die  Miesmuschel  (Dreis- 
sensia  polymorpha),  die  Gottesanbeterin  (Mantis 
religiosa)  und  die  Weingrille  (Oecanthus  pellucens) 
genannt.  Die  al  pine  Fauna  ist  im  aligemeinen 
an  die  höheren  Gebiete  der  Alpen  gebunden,  im 
Winter  kommen  aber  manche  von  ihren  Ver- 
tretern tiefer  herunter  bis  in  die  Nähe  von 
Wien,  so  z.  B.  die  Ringdrossel  (Turdus  tor- 
quatus)  und  der  Alpenmauerläufer  (Tichodroma 
muraria). 

Die  Grenzlage  Wiens  kommt  endlich  auch  in 
völkischer  Beziehung  auffällig  zur  Geltung. 
Bei  Wien  sind  seit  jeher  die  Völker  zusammen- 
gestoßen. Bis  hierher  hatten  schon  die  Römer 
Ihre  kulturbringende  Herrschaft  ausgedehnt,  hier 
befand  sich  seit  alten  Zeiten  die  Grenzwacht  der 
Germanen,  mitten  zwischen  den  im  Norden 
(Böhmen)  und  Süden  (Südostalpen)  von  Osten 
vorgedrungenen  Slawen,  aber  auch  gegen  jene, 
bei  ihren  Zügen  nach  Westen  den  südöstlich  ge- 
legenen Tiefebenen  folgenden  asiatischen  Reiter- 
völker der  Hunnen,  Awaren  und  Madjaren, 
Sowie  später  der  Türken.  Eines  dieser  Völker 
hatte  ja  fast  vor  den  Toren  Wiens,  in  der  ungari- 
schen Tiefebene,  die  ihm  seiner  Heimat  so  ähn- 
liche Verhältnisse  bot,  für  lange  Zeit  die  Herr- 
schaft an  sich  gerissen.  Diese  Grenzlage  Wiens 
in  ethnographischer  Beziehung  führte  aber  auch 
zu  einer  Mischung  des  germanischen 
Blutes  seiner  Bewohner  mit  verschiedenen 
anderen  Einschlägen,  welche  rnit  Ursache  war 
der  Schönheit  der  Wienerin  und  des  schönheits- 
freudigen  Sinnes  des  Wieners,  freilich  auch  seines 
in  völkischer  Beziehung  viel  zu  nachgiebigen 
Wesens.  Der  frohe  Sinn  des  Wieners  sowie  seine 
^  sentimentale  Liebe  zur  Heimat  hängen  aber  auch 
mit  der  günstigen  klimatischen  Lage  Wiens  und 
dem  durch  diese  bedingten  Gedeihen  der  Wein- 
rebe sowie  der  Schönheit  seiner  Landschaft  zu- 
sammen,   die   wieder  großenteils   durch   das    Zu- 


sammenstoßen   so    verschiedenartiger    geologisch- 
geographischer Elemente  bedingt  ist. 

Wien.  Prof.  Dr.  E.  Witfaczil. 


Das  Carnegie-Institut  zu  Washington. 

Zu  den  bedeutendsten  wissenschaftlichen  For- 
schungsanstalten gehört  das  im  Jahre  1902  ge- 
gründete Carnegie  -  Institut  zu  Washington,  das 
gegenwärtig  über  ein  Vermögen  von  22  Millionen 
Dollar  verfügt.  Seine  Verwaltung  untersteht 
einem  24gliedrigen  Kuratorium,  das  alljährlich 
im  Dezember  zusammentritt  um  die  Angelegen- 
heiten der  Anstalt  im  allgemeinen,  besonders  aber 
den  Fortschritt  der  bereits  unternommenen  Ar- 
beiten und  die  Einleitung  neuer  Forschungen  zu 
besprechen  und  die  dafür  nötigen  Mittel  zu  be- 
willigen. In  der  Zeit  zwischen  den  Sitzungen  des 
Ausschusses  werden  die  Angelegenheiten  der 
Anstalt  von  einem  engeren  Ausschuß  geleitet,  der 
aus  8  Personen  besteht;  sein  Vorsitzender  ist 
gegenwärtig  Charles D.  Walcott,  der  bekannte 
Geologe.  Die  Zentralverwaltung  (Präsident  R  o  - 
bertS.  Wood  ward)  befindet  sich  in  der  Bundes- 
hauptstadt Washington. 

Die  wissenschaftliche  Tätigkeit  obliegt  For- 
schungsabteilungen für  bestimmte  Gebiete,  deren 
das  Institut  gegenwärtig  elf  zählt,  ferner  einzelnen 
Forschern,  die  ihre  ganze  Zeit  dem  Institut  und 
seinen  Aufgaben  widmen,  sowie  einer  großen 
Zahl  anderer  Mitarbeiter. 

Von  den  erwähnten  Forschungsabteilungen 
befinden  sich  zwei  zu  Cold  Spring  Harbor  auf 
Long  Island,  nämlich  eine  Anstalt  für  experi- 
mentelle Entwicklungslehre  und  das  Amt 
für  Rassen  hygiene  (Eugenik),  die  unter  Leitung 
des  Biologen  C.  B.  Davenport  stehen.  Erstere 
wurde  im  Juni  1904  errichtet  und  sie  hat  seither 
zahlreiche  und  teilweise  recht  umfangreiche  Ar- 
beiten ausgeführt,  darunter  solche  über  das  Do- 
minanzproblem; die  Erbeinheiten;  die  Biotypen 
innerhalb  der  Arten;  die  Folgen  fortgesetzter 
Züchtung  in  bestimmter  Richtung  (bei  Vermei- 
dung von  Bastardierung)  auf  die  Erbmerkmale; 
die  Beziehungen  zwischen  somatischem  Bau  und 
Chromosomen;  die  geschlechtsbeschränkte  Ver- 
erbung; die  Bestimmung  sekundärer  Geschlechts- 
merkmale; den  unmittelbaren  Einfluß  des  Alkohols 
und  anderer  Stoffe  auf  das  Keimplasma;  den 
etwaigen  Einfluß  des  Somas  auf  transplantierte 
Keimzellen  usw. 

Das  Amt  für  Rassenhygiene  hat  Aufzeichnun- 
gen über  mehrere  tausend  amerikanischer  Familien 
gesammelt  und  Erhebungen  über  die  Schicksale 
abnormal  veranlagter  Familien  während  vieler 
Geschlechterfolgen  ausgeführt ;  beachtenswert  sind 
überdies  die  Studien  betreffend  Albinos  im  Staat 
Massachusetts;  Neger-Europäerbastarde;  sterilisierte 
Männer  in  einer  Strafanstalt. 

Das  seit  Dezember  19 14  bestehende  Institut 
für   Embryologie    zu   Baltimore    befaßte    sich 


N.  F.  XX.  Nr.  I 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


'3 


bisher  hauptsächlich  mit  Problemen  der  vorgeburt- 
lichen Entwicklung  des  Menschen.  Die  Studien 
werden  gefördert  durch  das  Vorhandensein  einer 
Sammlung  von  etwa  3C00  menschlichen  Embry- 
onen, die  zum  größten  Teil  von  dem  verstorbenen 
Prof.  Mall  zusammengetragen  wurde.  Außerdem 
sind  reichliche  klinische  Aufzeichnungen  und 
photographisches  Material  vorhanden.  Von  den 
Arbeiten  des  Instituts  sind  herorzuheben  jene  über 
pathologische  Zustände  der  weiblichen  Sexual- 
organe und  ihre  Beziehungen  zur  Befruchtung; 
über  Tubenschwangerschaft  {146  Fälle);  über  die 
Ursachen  der  Abgänge  und  der  Unfruchtbarkeit; 
über  den  Bau  der  Medulla  oblongata  ;  über  die 
Entwicklung  des  Nervensystems  usw. 

Von  großer  praktischer  Bedeutung  ist  das  im 
Jahre  1907 — 1908  erbaute  Ernährungslabo- 
ratorium zu  Boston,  dessen  Direktor  F.  G. 
Benedict  ist.  Zweigstellen  befinden  sich  im  Zoo- 
logischen Garten  in  der  Stadt  New  York  sowie 
zu  Durham  in  New  Hampshire.  Die  Ausrüstung 
des  Instituts  besteht  aus  einer  Apparatur  zur  Be- 
obachtung des  Stoffwechsels,  der  Muskeltätigkeit, 
der  Atmung,  der  Körpertemperatur  und  ähnlichen 
Untersuchungen.  Beobachtungskammern  sind  für 
Menschen  und  Tiere  vorhanden.  Die  Forschungen 
des  Ernährungslaboratoriums  betreffen  den  Stoff- 
wechsel normaler  Männer  und  Frauen,  der  Kinder 
von  der  Geburt  bis  zur  Pubertät,  sowie  der  Diabe- 
tiker; dann  den  Stoffwechsel  warm-  und  kalt- 
blütiger Tiere;  den  Einfluß  verschiedener  äußerer 
Umstände  auf  den  Stoffwechsel  (wie  z.  B.  sauer- 
stoffreicher Luft;  verschiedener  Temperaturen; 
der  Muskeltätigkeit;  der  Schwangerschaft;  des 
Fastens;  des  Genusses  von  Reizmitteln);  den  Ein- 
fluß des  Alkohols  auf  die  geistige  und  körperliche 
Tätigkeit;  den  Einfluß  längerdauernder  Nahrungs- 
beschränkung und  andere  Gegenstände.  Bemer- 
kenswert ist,  daß  eine  vier  Monate  dauernde  Ein- 
schränkung von  12  jungen  Männern  auf  die  Hälfte 
bis  zwei  Drittel  ihres  normalen  Kalorienbedarfs 
keine  üblen  Folgen  von  praktischer  Bedeutung 
ergab.  Das  beweist  wieder,  daß  erst  Unterernäh- 
rung von  langer  Dauer  verhängnisvoll  wird. 

Das  botanische  Forschungsinstitut 
zu  Tuscon  im  Staat  Anzona  widmet  sich  vor- 
nehmlich dem  Studium  des  Pflanzenlebens  in  der 
Wüste;  es  wurden  nicht  nur  in  den  wüsten  und 
halbwüsten  Gebieten  im  Südwesten  der  Vereinigten 
Staaten  umfassende  Untersuchungen  ausgeführt, 
sondern  auch  Expeditionen  nach  den  Gestaden 
des  Roten  Meeres,  nach  dem  Sudan,  der  lybischen 
Wüste,  Algerien  und  Australien  unternommen. 
—  Das  Institut  für  Meeresbiologie  zu  Prince- 
ton  in  New  Jersey  (mit  einer  Zweiganstalt  zu 
Loggerhead  Key,  Tortugainseln,  am  Golfstrom) 
hat  sich  vor  allem  die  Erforschung  der  Lebens- 
bedingungen in  den  tropischen  und  subtropischen 
Meeren  zur  Aufgabe  gemacht.  Überdies  sind  noch 
zu  erwähnen  die  Anstalten  für  Erdmagnetismus 
und  Geophysik,  beide  in  der  Bundeshauptstadt, 
das    astronomische    Institut    zu    Albany,    N.   Y., 


das  Mount  Wilson  •  Observatorium  zu  Pasadena, 
Kalifornien,  und  endlich  ein  historisches  Institut 
zu  Washington  D.  C.  Die  früher  bestandene  Ab- 
teilung für  Wirtschaft  und  Soziologie  hat  Ende 
1916  ihre  Tätigkeit  eingestellt.  >:f,    -■?-•:•::.■.•     : 

Die  Veröffentlichungen  des  Carnegie-Instituts 
zu  Washington  sind  in  fast  allen  Mittelpunkten 
des  Geisteslebens  in  Deutschland  vorhanden,  und 
zwar  in  folgenden  Anstalten.  BerHn:  Preußische 
Akademie  der  Wissenschaften;  Universitätsbiblio- 
thek; in  Bonn  a.  Rhein:  Universitätsbibliothek;  in 
Bremen:  Naturwissenschaftlicher  Verein;  in  Bres- 
lau:  Universitätsbibliothek;  in  Dresden:  Öffent- 
liche Bibliothek;  in  Erlangen:  Universitätsbiblio- 
thek; in  Frankfurt  a.  M. :  Stadtbibliothek;  in 
Freiburg  i.  Br. :  Universitätsbibliothek ;  in  Gießen ; 
Universitätsbibliothek;  in  Göttingen:  Gesellschaft 
der  Wissenschaften;  Universitätsbibliothek;  in 
Greifswald:  Universitätsbiblothek ;  in  Halle:  Uni- 
versitätsbibliothek; in  Hamburg:  Stadtbibliothek; 
in  Heidelberg:  Universitätsbibliothek;  in  Jena: 
Universitätsbiblothek;  in  Karlsruhe:  Technische 
Hochschule,  Bibliothek;  in  Kiel:  Universitäts- 
bibliothek; in  Königsberg :  Universitätsbibliothek; 
in  Leipzig:  Universitätsbibliothek;  in  Marburg: 
Universitätsbibliothek;  in  München:  Universitäts- 
bibliothek; in  Rostock:  Universitätsbibliothek; 
in  Stuttgart:  Landesbibliothek:  in  Tübingen: 
Universitätsbibliothek;  in  Weimar:  Staatsbibliothek; 
in  Würzburg:  Universitätsbibliothek. 

H.  Fehlinger. 


Zur  Kenntnis  der  Kristallgitter. 

In  einer  vor  kurzem  erschienenen  Arbeit 
will  A.  Reis  (Zeitschrift  f.  Physik  I,  S.  204 — 220 
und  II,  S.  57 — 69,  1920)  einen  Beitrag  zur  Be- 
antwortung der  Frage  liefern,  inwieweit  die  Eigen: 
Schäften  der  bisher  nur  für  ganz  wenige  einfache 
Stoffe  ausgewerteten  Modelle  vom  Feinbau  der 
Kristalle  in  der  besonderen  Natur  der  betreffen- 
den Stoffe,  oder  inwieweit  sie  im  Wesen  der 
kristallisierten  Materie  überhaupt  begründet  sind, 
—  Eine  Reihe  von  Kristallographen  und 
Physikern  neigt  bekanntlich  zu  der  Auffassung, 
daß  im  Kristall  von  einem  eigentlichen  Molekül- 
verband bestimmter  Atome  überhaupt  nicht  mehr 
gesprochen  werden  könne  und  daß  gerade  diese 
Aufhebung  des  einzelnen  molekularen  Verbandes 
und  seine  Ersetzung  durch  den  Gesamtverband 
des  Kristallgitters  das  Wesentlichste  beim  Über- 
gang vom  amorphen  zum  kristallinen  Zustand 
der  Materie  sei.  Demgegenüber  scheint  es  dem 
Chemiker  nicht  so  leicht  möglich,  den  Begriff 
des  Moleküls  für  diesen  Zustand  sofort  fallen  zu 
lassen.  Diesem  Festhalten  am  Kristallmolekül 
steht  jedoch  z.  B.  entgegen,  daß  beim  Gitter- 
modell des  NaCl  (vgl.  Nat.  Wochenschr.  191 7, 
Nr.  38,  S.  522,  Fig.  I  A  u.  B.)  jedes  Na- Atom  von 
6  Cl- Atomen,  und  umgekehrt  jedes  ClAtom  von 
6  Na-Atomen    vollkommen    gleichartig    uiiigeiben 


14 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  i 


erscheint.  Es  ist  hier  also  nicht  angängig, 
zwischen  irgend  zwei  bestimmten  Atomen  eine 
besonders  innige  chemische  Bindung  zu  einem 
Molekül  anzunehmen,  während  dementsprechend 
die  übrigen  Bindungen  zwischen  benachbarten 
Na-  und  Cl-Atomen  im  Verhältnis  hierzu  schwächer 
angenommen  werden  müßten.  Der  Verfasser  wirft 
darum  die  Frage  auf,  ob  nicht  diese  Schwierig- 
keit nur  durch  unzutrefifende  Verallgemeinerung 
der  an  den  einfachsten  Stoffen  aufgefundenen 
Merkmalen  entstanden  ist.  Er  unternimmt  es, 
die  Frage  durch  den  Versuch  zu  beantworten, 
den  „chemischen  Verbindungen  zwei 
verschiedene  Grundtypen  von  Kristall- 
gittern zuzuordnen",  wie  sich  ja  auch  che- 
misch die  Salze  und  die  Verbindungen  ohne  Salz- 
charakter unterscheiden  lassen. 

Die  bisher  ausgewerteten  Modelle  geben  uns 
zunächst  nur  ein  vereinfachtes  Schema  der  Atom- 
schwerpunkte oder  der  „Atomlagen",  während 
über  die  spezielle  Anordnung  der  Atomkerne 
und  Atomelektronen  nichts  ausgesagt  wird.  Die 
Entfernungen  zwischen  solchen  unmittelbar  be- 
nachbarten „Atomlagen"  soll  kurz  als  „Atom- 
abstand" bezeichnet  werden.  Man  kann  nun  stets 
gewisse,  nur  durch  „innere"  Strecken  ^j  verbundene 
Atomlagen  zu  einer  „Punktgruppe"  zusammen- 
fassen, wobei  gleichzeitig  noch  die  Vorschrift  zu 
beachten  ist,  daß  die  Summe  aller  Entfernungen 
innerhalb  der  Gruppe  möglichst  klein  werden 
soll.  Die  so  gewählten  Einheiten  sollen  als 
„natürliche  Punktgruppen"  des  Gitters  be- 
zeichnet werden.  Bei  Beachtung  dieser  Auswahl 
kann  man  nun  folgende  Gitterarten  unterscheiden : 

1 .  Setzt  sich  ein  Gilt  er  lückenlos  aus  gleichen 
Atomgruppen  zusammen,  so  entspricht  diese  Atom- 
gruppe genau  dem  Begriff  des  chemischen  Mole- 
küls; solche  Gitter  werden  vom  Verf.  Molekül- 
gitter  genannt.  In  dem  speziellen  Fall,  daß 
sich  Atomgruppen  überhaupt  nicht  unter- 
scheiden lassen,  sondern  das  Gitter  aus  lauter 
gleichen  Atomen  aufgebaut  wird,  wird  von  einem 
einatomigenGitter  gesprochen.  (Die Kristall- 
gitter der  Elemente  sind  teils  einatomige,  teils 
Molekülgitter). 

2.  Hingegen  ist  bei  chemischen  Verbindungen 
auch  ein  Aufbau  aus  ungleichen  Atomgruppen 
möglich.  Im  allgemeinen  werden  in  diesem  Falle 
wenigstens  zwei  der  vorhandenen  Arten  von 
Atomgruppen  den  Charakter  von  Ionen,  der  ganze 
Stoff  den  Charakter  eines  Salzes  haben.  Aus 
ungleichen  Atomgruppen  aufgebaute  Gitter 
werden  daher  „lonengitter"  genannt,  und  zwar 
speziell  „Radikalionengitter",  wenn  mindestens 
eine  Atomgruppe  aus  mehreren  Atomen  besteht, 
„Atomionengitter",  wenn  jedes  Atom  eine  Gruppe 
für  sich  bildet.  (Umgekehrt  müssen  aber  nicht 
etwa  alle  festen  Salze  lonengitter  bilden). 

Bei    diesem  Vorgehen   würde    z.  B.   auch  der 


')  über    die  Definition    dieses  Begriffes  siebe  a.  a.  O.  I, 
S.  2o8  und  11,  S.  57—59. 


umstrittene  Begriff  des  „Kristallmoleküls"  eine 
scharfe  Fassung  erhalten.  Nur  in  Molekülgittern 
tritt  der  „Molekülbereich"  neben  die  bisher 
üblichen  Begriffe  Fundamentalbereich  und  Ele- 
mentarparallelepiped.  —  In  bezug  auf  die  Atom- 
abstände läßt  sich  nun  für  die  verschiedenen  oben 
definierten  Gitterarten  folgendes  aussagen :  In  ein- 
atomigen Gittern  sowie  in  Atomionengittern  von 
nur  zwei  Atomarten  sind  alle  Atomabstände 
gleich.  In  allen  Molekülgittern  dagegen  müssen 
ungleiche  Atomabstände  vorkommen,  es  besteht 
wohl  kein  Zweifel,  daß  die  Abstände  der  im 
Molekül  unmittelbar  chemisch  verbundenen  Atome 
kleiner  sind  als  die  Abstände  von  benachbarten 
Atomen,  die  zu  verschiedenen  Molekülen  gehören. 
Die  ersteren  Abstände  werden  zu  ungefähr  i — 2  Ä 
geschätzt,  während  die  „zwischenmolekularen 
Atomabstände  in  Kristallen  zu  2,5 — 4  A  ange- 
geben werden.  Da  nun  die  physikalischen  Eigen- 
schaften der  festen  Stoffe  besonders  eng  mit  den 
Atomabständen  zusammenhängen  werden,  wird 
vom  Verf.  nachzuweisen  versucht,  daß  die  von 
ihm  unterschiedenen  Gitterarten  sich  tatsächlich 
auf  Grund  ihres  physikalischen  Verhaltens  unter- 
scheiden lassen.  Als  Arbeitshypothese  wird  hierzu 
angenommen,  daß  starken  Anziehungskräften 
zwischen  zwei  Atomen  kleine  Abstände  zuge- 
ordnet sind  und  umgekehrt. 

Während  in  Atom-  und  Atomionengittern  die 
Festigkeit  aller  Gittermaschen  die  gleiche  ist, 
werden  Molekül-  und  Radikalionengitter  aus 
Maschen  von  sehr  ungleicher  Festigkeit  aufgebaut 
sein.  Ein  Vergleich  ergibt,  daß  die  Kompressi- 
bilität von  Molekülgittern  meist  ungefähr  halb  so 
groß  als  die  derselben  Stoffe  in  flüssigem  Zustand 
gefunden  wird,  während  sie  die  der  lonengitter 
im  Durchschnitt  um  mehr  als  das  Zehnfache, 
diejenige  der  einatomigen  Gitter  noch  stärker 
übertrifft.  Ein  Vergleich  der  thermischen  Aus- 
dehnungskoeffizienten ist  bisher  nur  in  roher  An- 
näherung möglich,  trotzdem  ist  nach  Reis  eine 
Gruppierung  der  Gitter  nach  den  unterschiedenen 
Klassen  unverkennbar:  Die  Werte  für  Molekül- 
gitter betragen  auch  hier  das  Mehrfache  von  den 
Werten  für  lonengitter  und  für  einatomige  Gitter 
mit  Ausnahme  der  Alkalimetalle  (Diamant  und 
Graphit  fallen  durch  tiefe,  Schwefel  und  Phosphor 
durch  hohe  Werte  aus  der  Reihe).  —  Auch  über 
die  Beziehungen  zwischen  den  Eigenschaften  eines 
und  desselben  Stoffes  in  verschiedenen  Aggregat- 
zuständen gestattet  die  Klassifizierung  nach 
Reis  einige  Aussagen  zu  machen,  z.  B.  für  die 
optischen  Eigenschaften  und  den  Energieinhalt. 
Hierbei  werden  auch  Vorstellungen  über  die  Ver- 
schiedenheit polymorpher  Modifikationen  ent- 
wickelt. Schließlich  werden  noch  einige  Folge- 
rungen ausgesprochen,  die  zwischen  den  Modellen 
der  Gasmoleküle  und  denen  der  Kristallgitter  für 
die  gleichen  Stoffe  weitgehende  Beziehungen  fest- 
legen. (Es  muß  besonders  darauf  hingewiesen 
werden,    daß    für    Molekülgitter,    wie    der   Verf. 


N.  F.  XX.  Nr.  i 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


fS 


selbst  auch  erwähnt,  bisher  röntgenographisch 
noch  kein  einwandfreies  Beispiel  festgestellt 
werden  konnte.  Es  ist  aber  offenbar,  daß  vieles 
für  die  Brauchbarkeit  der  vorgeschlagenen  Ein- 
teilung zu  sprechen  scheint.     D.  Ref.)       Spbg. 


Wolkenstruktur  und  Wolkeuflächen. 

Im  „Wetter"  Jahrg.  1920,  S.  11  gibt  J.  Dreis 
folgende  interessante  Einteilung  der  Wolken : 


als  Leiche  und  vermutete  nun  das  gräßlichste 
Verbrechen.  Erfreulicherweise  erkannte  der  herbei- 
gerufene Dorfschullehrer  Meyer  sofort  die  ge- 
schichtliche Bedeutung  des  Fundes  und  sorgte 
für  dessen  Bergung.  Der  Fund  gelangte  dann  in 
das  Museum  zu  Stade.  Ein  Stück  von  der  Leiche 
selbst  kam  in  die  Sammlung  der  Moorstation  in 
Bremen.  Dieser  Moorleichenfund  von  Obenahen- 
dorf  ist  für  die  Erforschung  der  Moorgeologie, 
wie  wir  weiter  unten  sehen  werden,  von  beson- 
derer Wichtigkeit.     So  mag  denn  an  dieser  Stelle 


Art  derselben : 


Beispiele: 


Anfangsstadium : 


Höhepunkt: 


Auf  lösungsstadium : 


a)  Mischungswolken 


b)  Slrahlungswolken 


See-  und  Kiisten- 
nebel,  Bergsattel- 
nebel 


kleine  Fetzen- 
schwämme 


Küstennebel, 
Gebirgstalnebel 


c)  Aufstiegwolken 


Zyklonenwolken, 
Gewitter,     Haufen- 
wolken,   Schäfchen,: 
Faserwolken    hoher 
Schiebten  i 


flache,  stetig  an 
schwellende  Nebel- 
schichten 

Wellenbildung; 

kleine  Fetzen- 

schwämme 


stark  wogende 
Nebelmeere 


ruhig  liegende 
Nebelmeere   mit 
glatter  Wellenfläche 

große  Wolkenmassen 
mit  Gipfelformober- 1 
fläche  oder  Fetzen- 
obetfläche 


Schäfchenwolken- 
schichten von  grober, 
aber       verwaschener 
Struktur 

homogene  Auflösung 
durch  Sonnenstrah- 
lung oder  Wetter- 
umschläge 

Auflösung   in  Fetzen 
oder  in  Fasern 


Die  Stadien  der  Wellenbildung  und 
ihre  Folgeerscheinungen  sind  in  den  unteren 
Schichten :  Wellenbildung,  die  Erweiterung  der 
Wellenberge  führt  zu  Aufströmen,  Ausbreitung 
der  aufsteigenden  Ströme  an  ihrer  Oberseite  nach 
allen  Seiten,  evtl.  setzt  auch  volle  Wirbelbildung 
ein,  d.  h.  Wiederhinabfluten  der  Strömung.  Mit 
Erlöschen  der  Strömungen  setzt  Auflösung  der 
Wolkenformen  ein.  In  den  mittleren  sind  die 
Vorgänge  ähnlich,  doch  die  Wolkenformen  kleiner 
und  mehr  geordnet,  in  höchsten  Schichten  die 
Stadien  mehr  zur  einfachen  Wellenbildung  ver- 
schmolzen, gefolgt  von  faseriger  Auflösung  der 
Wolkenmasse. 

Die  Stadien  der  Wolkenstruktur  sind: 
Fetzen-,  Gipfelstruktur,  entweder  Zurückfließen 
zur  Fetzenstruktur  oder  Auflösung  in  Fasermassen 
je  nach  genügender  oder  ungenügender  Entwick- 
lung des  Niederschlags.  Dr.  Bl. 


Moorleiche. 

Im  Mai  1895  wurde  von  Torfgräbern  bei  der 
Bauernschaft  Obenahendorf,  Kreis  Neuhaus  a.  O. 
(Prov.  Hannover)  eine  menschliche  Leiche  im  großen 
Kehdinger  Moor  gefunden.  Die  Lage  der  Leiche  war 
Südnord.  Die  Leiche  selbst  lag  etwa  2 — a'/g  m 
unter  der  Oberfläche.  Der  Torfgräber,,  der  auf 
die  Leiche  stieß,  hatte  sie  mit  seinem  Spaten  zu- 
erst mitten  durchgeschnitten  und  die  untere 
Hälfte  wieder  verkühlt,  in  der  Meinung,  es  handele 
sich  um  den  Kadaver  von  irgendeinem  Tier.  Als 
beim  zweiten  Schnitt  Haare  und  Kleidungsstücke 
zutage  kamen,    erkannte    er    das  gefundene  Stück 


ein  Referat   über   die  jüngst   erfolgte  eingehende 
Veröffentlichung  dieser  Moorleiche  durch  H.Hahne 
in    dem     vom    Provinzialmuseum     zu    Hannover 
herausgegebenen  Sammelwerk  „Vorzeitfunde  aus 
Niedersachsen"  Lieferung  4/5   seinen  Platz  finden. 
Die  Moorleiche  von  Obenahendorf  ist  zunächst 
einmal    deshalb    von    besonderem    Interesse,    weil 
sie  die  einzige  ist,  die  sofort  vor  jeder  Austrock- 
nung, wenigstens  zu  einem  Teil,  als  Naßpräparat, 
konserviert  worden  ist.     Die  Moorleichen,  die  wir 
sonst  in  unseren  Museen  studieren  können    (z.  B. 
Provinzialmuseum  zu  Hannover,    Museen   zu  Kiel, 
Stade    usw.),    fallen    uns,   gewöhnlich    durch    das 
mumienartige     Aussehen     der    Leichenteile,     die 
lederartige  Beschaffenheit  ihrer  Haut  und  die  holz- 
artige   Härte    der  Knochen   auf.      Durch    die  Er- 
haltung   des    Fundes    von  Obenahendorf   können 
wir  feststellen,  daß  all  diese  Erscheinungen  ledig- 
lich Folgen   des  Austrocknens  sind.      So  werden 
durch  das  Aussehen   dieses  Fundes   auch  die  Be- 
richte  über   die  Auffindung  anderer  Moorleichen 
in    sehr    wertvoller  Weise    ergänzt    und    es   wird 
uns  verständlich,    weshalb   die  Weichteile   in  der 
Mehrzahl    der   Fälle    dem   uninteressierten   Moor- 
arbeiter  im  Moor   nicht   ohne   weiteres  auffallen, 
zumal  wenn  sie  zusammengepreßt  sind. 

Neben  der  Moorleiche  von  Obenaltendorf 
wurden  Teile  eines  Rumpfkleides  (Hemdrock, 
Kittel),  eine  große  Decke,  in  der  die  Leiche  ein- 
gewickelt gelegen  hat,  zwei  Hosenbeinreste  und 
zwei  Binden,  wahrscheinlich  Kniebinden,  gefunden. 
All  diese  Gewebeteile  bestehen  durchweg  aus 
Schafwolle ;  Beimengungen  anderer  Gespinstfasern 
sind  nicht  nachweisbar.  Es  liegen  zwei  Gewebe- 
formen   vor:      zweischäftiger    Taffet     und     zwei- 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  P.  XX.  Nr.  I 


schäftiger   Taffet    mit    doppeltem   Einschlagfaden 
(Rips). 

Außerdem  wurden  neben  der  Leiche  zwei 
Schuhe,  je  aus  einem  Stück  tehaarten  Leders  ge- 
schnitten, und  zwei  kleine  Kapseln  aus  Silberblech 
gefunden.  Die  letzteren  beiden  Fundstücke  er- 
möglichen eine  einwandfreie  Datierung  des  Fundes 
in  die  Zeit  um  250  n.  Chr.  In  derselben  Zeit  läßt 
sich  übrigens  auch  die  gleiche  Webetechnik  nach- 
weisen. 

Irgendwelche  Spuren  einer  gewaltsamen  Tötung 
oder  Versenkung  des  lebenden  Menschen  ließen 
sich  bei  dieser  Moorleiche  nicht  nachweisen. 

Der  IVioorbotaniker  Prof.  Dr.  W  e  b  e  r  -  Bremen 
hat  die  Fundstelle  kurze  Zeit  nach  der  Auffindung 
der  Moorleiche  besucht.  Weber  sah  in  der  Wand 
der  Torfgrube  in  dem  hier  anstehenden  hellen 
oberen  Sphagnumtorf  einen  dunkel  gefärbten 
Horizont,  der  ihm  als  Rest  der  Lagerstelle  der 
Leiche  bezeichnet  wurde;  an  dieser  Stelle  zeigte 
der  Torf  deutlich  Störung,  die  aber  nicht  in  dem 
darüber  liegenden  Torf  bis  zur  Oberfläche  zu  ver- 
folgen war.  Eine  Eingrabung  der  Leiche  hatte 
also  nicht  stattgefunden.  Die  Oberfläche  des 
Moors  wird  also  zur  Zeit  der  Versenkung  der 
Leiche  nicht  wesentlich  höher  gelegen  haben  als 
die  Leiche  selbst,  und  diese  wird  dann  auch 
nicht  tief  eingesenkt  worden  sein.  Auch  diese 
Beobachtung  spricht  mit  gegen  die  Vermutung 
der  Versenkung  eines  Lebenden. 

Neuere   Abtorfungen   bei   der  Fundstätte  ver- 


hinderten gegenwärtig  die  Feststellung  der  Ge- 
samtmächtigkeit des  Moores  und  der  Mächtigkeit 
der  seit  der  Versenkung  der  Leiche  entstandenen 
Moorschichten.  Die  Leiche  lag  in  den  untersten 
Sphagnumtorfschichten  dicht  über  einer  Zone- von 
Übergangstorf  mit  viel  Wollgras,  die  ihrerseits 
Schilftorf  mit  Holzresten  überlagerte.  Da  das 
Kehdinger  Moor  ein  Niederungsmoor  ist,  in  dem 
der  ältere  Sphagnumtorf  fehlt,  so  entspricht  der 
vorhandene  Sphagnumtorf  dem  jüngeren  Sphag- 
numtorf der  Hochmoore.  Dann  ist  wohl  der 
Übergangstorf  im  liegenden  und  der  Schilftorf 
den  unteren  Schichten  des  oberen  Hochmoor- 
torfes, die  Holzreste  aber  einem  Teil  des  Grenz- 
horizontes der  Hochmoore  gleichzusetzen.  Da 
ein  Teil  des  oberen  Sphagnumtorfes  im  Keh- 
dinger Moor  zur  Zeit  der  Versenkung  der  Moor- 
leiche bereits  vorhanden  war,  darf  man  wohl  an- 
nehmen, daß  die  Zeit  des  durch  den  Grenzhori- 
zont bezeichneten  warmen  Trockenklimas,  wenn 
auch  noch  nicht  lange,  vorüber  war,  umgekehrt, 
daß  das  Ende  der  Grenzhorizontzeit  bis  gegen  das 
3.  Jahrhundert  nach  Chr.  nach  diesem  Befunde 
herabzurücken  wäre,  wenn  die  angesetzten  Glei- 
chungen zwischen  Hoch-  und  Übergangsmoor 
stichhaltig  sind,  was  nach  den  bisherigen  moorgeo- 
logischen Veröffentlichungen  allerdings  der  Fall 
zu  sein  scheint.  Dann  besitzt  aber  die  Moor- 
leiche von  Obenaltentorf  eine  besondere  Bedeutung 
für  die  Chronologie  der  Nacheiszeit  und  der 
Moore  überhaupt. 

Wernigerode  a.  H.  H.  Mötefindt. 


Bücherbesprechimgen. 


Wachs,    Dr.   H. ,    Entwicklung,    ihre    Ur- 
sachen    und     deren    Gestaltung.       Mit 
n  Textabb.    Freiburg  i.  Br.   1920,  Th.  Fischer. 
2,40  M. 
Ein  Vortrag,    der   an    der  Hand    einiger   lehr- 
reicher  neuerer  Erfahrungen  in  die  Probleme  der 
experimentellen    Entwicklungsforschung     einführt 
und  der  vermöge  der  klaren  verständlichen  Dar- 
stellung der  Beachtung    empfohlen  werden    kann. 

Miehe. 

Stock,  Alfred,  Ultra-Strukturchemie.  Ein 
leichtverständlicher  Bericht.  8 1  Seiten  in  8 " 
mit  17  Abb.  im  Text.  Berlin  1920,  Verlag  von 
Julius  Springer.  Preis  geh.  6  M.  -j-  Teuerungs- 
zuschlag. 
Der  vorliegende  Bericht    enthält  den   wesent- 


lichen Inhalt  einer  Vortragsreihe,  die  der  Verf. 
vor  den  wissenschaftlichen  Angestellten  der  Farb- 
werke vorm.  Fr.  Bayer  &  Co.  in  Leverkusen  über 
die  neuere  Entwicklung  der  Lehre  von  der  Struk- 
tur der  Atome  gehalten  hat.  Er  wendet  sich  an 
chemisch  etwas  vorgebildete  Leser,  ist  aber  im 
übrigen  ganz  allgemein  verständlich  und  bringt 
das  Wesentliche  in  klarer  und  sachlich  einwand- 
freier Darstellung.  Den  Lesern  der  Naturw. 
Wochenschr.  kann  das  Büchlein  in  jeder  Hinsicht 
empfohlen  werden. 

BerUn-Dahlem.  Werner  Mecklenburg. 


Literatur. 


Rohr,  Dr.  M.  von,  Die  binokularen  Instrumente.  2.  Aufl. 
Mit  136  Textabb.     Berlin  '20,  J.  Springer. 


Inhalt:  Br.  Schönherr,  Lorentz-Einstein.  S.  I.  A.  Hansen,  Zur  Metamorphosenlehre.  S.  7.  K.  Kuhn,  Die  Aus- 
breitung der  elektrischen  Wellen  und  die  Konstitution  der  Atmosphäre.  S.  8.  —  Einzelbeiicbte :  Kunze,  Die  Emp- 
findung der  Richtung,  aus  der  ein  Schall  kommt.  S.  10.  H.  Haenel,  Warum  schlägt  die  Wünschelrute  aus?  S.  II. 
E.  Witlaczil,  Die  Grenzlage  Wiens.  S.u.  H.  Fehlinger,  Das  Carnegie-Institut  zu  Washington.  S.  12.  A.Reis, 
Zur  Kenntnis  der  Kristallgitter.  S.  13.  J.  Dreis,  Wolkenstruktur  und  Wolkenflächen.  S.  15.  H.  Hahne,  Moorleiche. 
S.  15.  —  Bücherbesprechungen;  H.  Wachs,  Entwicklung,  ihre  Ursachen  und  deren  Gestaltung.  S.  16.  A.  Stock, 
Ultra-Strukturchemie.  S.  16.  —  Literatur:  Liste.  S.  l6. 

Manuskripte  und  Zuschriften  werden  an  Prof.  Dr.  H.  Miehe,  Berlin  N  4,  Invalidenslrafie  41,  erbeten. 

Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  der  G.  Pätz'schen  Buchdr.  Lippert  &  Co.  G.  m.  b.  H.,  Naumburg  a.  d.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neu©  Folge  20.  Baod; 
der  ganten  Reihe   36.  Band, 


Sonntag,  den  9.  Januar  1921. 


Nummer  S. 


Aus  dem  Stoffhaushalt  unserer  Gewässer. 

Vortrag,  gehalten  in  der  physikalisch-ökonomischen  Gesellschaft  zu  Königsberg  i.  Pr.  am  9.  Februar  1920. 

Von  Dr.  med.  et  phil.  A.  Willer. 


[Nachdruck  verboten.] 


Mit  4  Kurven. 


Zur  Ernährung  des  tierischen  Organismus  sind 
einesteils  organische,  anderenteils  anorganische 
Stoffe  notwendig.  Die  anorganischen  Verbindungen, 
welche  ihre  Bedeutung  für  den  lebenden  Organis- 
mus in  ihren  physikalischen  Eigenschaften  haben 
und  sich  nur  zu  einem  geringeren  Teile  an  den 
chemischen  Umsetzungsvorgängen  beteiligen,  wer- 
den z.  T.  auch  aus  anorganischen  Bestandteilen 
entnommen,  die  organischen  Verbindungen  also 
diejenigen  Verbindungen,  welche  die  Elemente 
Kohlenstoff,  Wasserstoff,  Sauerstoff,  Stickstoff, 
Schwefel,  Eisen  und  Phosphor  enthalten,  stammen 
entweder  direkt  aus  dem  Pflanzenreich  oder  in- 
direkt auf  dem  Wege  durch  andere  Tierkörper 
aus  diesen,  da  nur  die  Pflanze  imstande  ist,  aus 
anorganischen  Stoffen,  organische  Verbindungen, 
die  als  Energiequelle  für  den  lebenden  tierischen 
Organismus  dienen  können,  zu  bilden.  Wir  müssen 
daher,  wenn  wir  nach  den  Quellen  der  Nahrung 
für  die  Tiere  fragen,  zunächst  den  Nährquellen 
der  Pflanzen  nachgehen.  Die  Pflanzen  stellen  in 
jedem  Falle,  sowohl  im  Luftleben  wie  im  Wasser- 
leben, die  sog.  „Urnahrung"  für  die  tierischen  Or- 
ganismen dar.  Der  Stoffhaushalt  eines  Gewässers, 
also  die  Wechselwirkung  zwischen  den  im  Wasser 
vorhandenen  Nährstoffen  einerseits,  den  Pflanzen 
und  Tieren  andererseits,  wird  zunächst  abhängen 
von  der  vorhandenen  Nährstoffmenge  und  Nähr- 
stoffqualität für  die  Pflanzen  und  erst  dann  wird 
sich  die  Ausbildung  der  Tierwelt  auf  Grund  des 
Vorhandenseins  oder  Nichtvorhandenseins  von 
Nährstoffen  pflanzlicher  Natur  entwickeln.  Dazu 
treten  dann  in  der  Beeinflussung  der  Organismen- 
zusammensetzung noch  physikalische  und  che- 
mische Einwirkungen  anderer  Natur,  wie  z.  B. 
Belichtung,  Erwärmung,  Bodenbeschafifenheit, 
Strömung  usw. 

Als  Nahrungsquellen  der  Wasserpflanzen  kom- 
men in  Betracht:  i.  die  Wassermasse,  die  den 
Aufenthaltsort  der  Pflanzen  darstellt,  2.  der 
Boden  der  Gewässer,  3.  die  Luft  über  den  Ge- 
wässern, 4.  die  Zuflüsse,  einmal  die  dauernden, 
dann  aber  auch  vor  allen  Dingen  die  zeitweise 
einfließenden  Rinnsale,  welche  von  dem  benach- 
barten Lande  und  dem  höher  gelegenen  Terrain 
dem  Ufer  zufließen.  Nicht  alle  Wasserpflanzen 
sind  in  der  Lage  diese  Nahrungsquellen  in  gleicher 
Weise  oder  direkt  zu  benutzen,  so  können  z.  B. 
die  im  Boden  enthaltenen  Nährstoffe  direkt  nur 
von   den  in  diesem   wurzelnden  Pflanzen    nutzbar 


gemacht  werden,  die  Luft  und  damit  die  Kohlen- 
säure der  Luft  wird  direkt  nur  ausgenutzt  von 
denjenigen  Pflanzen,  die  ihre  Sprosse  über  die 
Wasseroberfläche  erheben  oder  Schwimmblätter 
ausbilden.  Die  wurzellosen  und  untergetaucht 
lebenden  Pflanzen  sind  allein  auf  die  im  Wasser 
gelöst  enthaltenen  Nährstoffe  angewiesen. 

Es  besteht  also  ein  Unterschied  in  der  Nahrungs- 
aufnahme zwischen  den  einzelnen  Gruppen  der 
Wasserpflanzen:  i.  den  festwurzelnden,  2.  den 
Schwimmpflanzen,  3.  den  untergetaucht  lebenden 
nicht  im  Boden  wurzelnden  Pflanzen.  Es  bestehen 
natürlich  zwischen  diesen  Pflanzen  Übergänge  und 
Zwischenformen.  Als  eine  festwurzelnde  Pflanze 
mit  zugleich  Schwimmblättern,  nenne  ich  die  See- 
rosenarten (Nymphaea,  Nuphar),  festwurzelnde 
Pflanzen  ohne  Schwimmblätter  sind  die  meisten 
Froschlaichkräuter  oder  Potamogetonaceen. 
Schwimmpflanzen  ohne  Festwurzelung  sind  die 
Wasserlinsen  oder  Lemnaceen ,  der  Froschbiß 
(Hydrocharis  morsus  ranae)  und  andere. 

Die  untergetaucht  lebenden,  nicht  im  Boden 
wurzelnden  Pflanzen  gehören  wieder  einesteils  zu 
schwimmenden  oder  schwebenden,  anderenteils  zu 
festsitzenden  epiphytisch  oder  auf  Steinen  usw. 
sitzenden.  Pflanzen.  Letztere  gehören  zum  sog. 
Aufwuchs,  jene  wenigstens  zum  Teil  zu  dem 
Plankton.  Es  ist  ersichtlich,  daß  diese  plankto- 
nischen und  Aufwuchsformen  sich  am  stärksten 
von  dem  Gehalt  des  Wassers  an  Nährstoften  ab- 
hängig zeigen  müssen,  da  sie  ja  nur  auf  diese  an- 
gewiesen sind.  Aber  auch  die  übrigen  Pflanzen 
sind  von  diesen  mehr  oder  weniger  abhängig, 
denn  einmal  müssen  die  festwurzelnden  aber  unter- 
getaucht lebenden  Formen  ihren  Kohlenstoff,  der 
bei  den  Landpflanzen  der  Kohlensäure  der  Luft 
entnommen  wird,  dem  Wasser  entnehmen,  ande- 
rerseits müssen  die  freien  Schwimmpflanzen  ihre 
Nährstoffe  mit  Ausnahme  des  Kohlenstoffes  hin- 
wiederum dem  Wasser  entziehen,  während  sie 
diesen  aus  der  Luft  gewinnen  können.  Dadurch, 
daß  von  den  festwurzelnden  Pflanzen  die  Wurzeln 
zuweilen  nur  noch  mehr  als  Haftorgane  denn  als 
Nährorgane  benutzt  werden,  kompliziert  sich  die 
ganze  Angelegenheit  noch  mehr.  Bei  ihnen  be- 
steht die  Möglichkeit,  daß  abgelöste  Sprosse  selb- 
ständig ohne  besondere  Wurzelorgane  im  Wasser 
fortleben,  so  z.  B.  bei  der  allbekannten  Wasser- 
pest (Eledea  canadensis),  die  aus  Amerika  einge- 
schleppt   in    ihren    nur    weiblichen    Pflanzen,    die 


i8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


allein  bei  uns  vorkommen,  unsere  Gewässer  in 
so  überaus  massenhaftem  Auftreten  bevölkert  und 
vielfach  zu  einer  Plage  für  den  Wasserwirt  ge- 
worden ist.  In  der  Tat  gibt  es  nur  verhältnis- 
mäßig wenige  Wasserpflanzen,  die  infolge  ihres 
Wurzeins  im  Boden  von  der  Zusammensetzung 
des  sie  umgebenden  Mediums,  des  Wassers,  voll- 
kommen unabhängig  sind.  Es  sind  dies  Pflanzen, 
welche  mehr  als  Sumpf-,  denn  als  Wasserpflanzen 
angesprochen  werden  können,  z.  B.  die  Phrag- 
mites-,  Typha-,  Glyceria-,  Juncus-  usw.  Arten. 

Hiernach  ist  es  nun  auch  nicht  mehr  wunder- 
bar, wenn  ein  gewisser  Zusammenhang  zwischen 
der  Menge  des  im  Wasser  vorhandenen  Roh- 
materials und  der  organisierten,  lebenden  Sub- 
stanz besteht.  Es  gilt  für  das  pflanzliche  Leben 
im  Wasser  das  Liebigsche  Gesetz  vom  Minimum, 
nach  welchem  der  in  der  Minderheit  vertretene, 
unentbehrliche  und  unersetzliche  Nährstoff  seine 
Entwicklung  begrenzt,  wie  es  für  das  pflanzliche 
Leben  auf  dem  Lande  gilt,  und  ebenso  wie  in  der 
Landwirtschaft,  dieses  Gesetz  die  Grundlage  für 
die  moderne  Düngerlehre  abgegeben  hat,  so  hat 
man  in  der  Wasserwirtschaft  die  gleichen  Schluß- 
folgerungen gezogen  und  dort,  wo  der  Ertrag  des 
Wassers  d.  h.  also  für  uns  letzten  Endes  der  Er- 
trag an  Fischfleisch  einer  Hebung  bedarf,  die  Zu- 
fuhr von  Nährstoffen  zum  Wasser  gehoben,  indem 
man  die  zu  bewirtschaftende  Wasserfläche  düngte, 
entweder  durch  Zufuhr  von  Naturdünger  oder 
auch  seit  etwa  einem  Jahrzehnt  von  Kunstdünger. 
Man  ging  hierbei  davon  aus,  daß  durch  die 
Düngung  zunächst  die  pflanzliche  Urnahrung  und 
hierdurch  dann  auf  mehr  oder  weniger  direktem 
Wege  die  Menge  oder  Masse  der  Endproduzenten 
der  Fische  vermehrt  wird.  Diese  zunächst  theo 
retischen  Gedankengänge  haben  dann  ihre  Richtig 
keit  durch  die  praktischen  Erfahrungen  bewiesen 
Heute  wissen  wir,  daß  die  in  unserem  Sinne  er- 
tragreichsten Gewässer  diejenigen  sind,  die  von 
Natur  aus  die  meisten  Nähr-  und  Düngerstoffe 
erhalten,  die  Dorfteiche,  in  die  die  häuslichen  Ab- 
wässer und  die  Schwemmwässer  der  Dorfstraßen 
gelangen. 

Wenn  wir  nun  die  chemische  Zusammen- 
setzung des  Süßwassers  betrachten,  so  zeigt 
sich,  daß  di,eselbe  großen  Schwankungen  unter- 
liegt, analog  den  Verschiedenheiten  welche  der 
Boden  in  der  Landwirtschaft  aufweist.  Wichtig 
für  sämtliche  Organismen,  Tiere  sowohl  wie 
Pflanzen,  ist  der  Gasgehalt  des  Wassers,  zunächst 
an  Sauerstoff.  Der  Gasgehalt,  also  der  Gehalt 
an  gelöstem  O  und  CO»  ist  einmal  abhängig  von 
der  Temperatur  derart,  daß  im  kälteren  Wasser 
die  Menge  der  gelösten  Gase  größer  ist  als  im 
wärmeren  Wasser,  was  nun  auch  zu  Verschieden- 
heiten des  Gasgehaltes  in  den  verschiedenen 
Wasserschichten  führt,  so  daß  wir  in  Seen,  in 
denen  die  Verhältnisse  nicht  durch  Fäulnisprozesse 
am  Boden  und  Assimilationsprozesse  in  den  wär- 
meren Schichten  ^)  kompliziert  sind ,  im  kalten 
Wasser  den  höheren  Gasgehalt   finden,   und   daß 


im  Winter  dasselbe  gilt  gegenüber  dem  Sommer. 
So  beträgt  z.  B.  der  Sauerstoffgehalt  im  Genfersee 

im  Winter      7,3  ccm  pro  1, 

im  Sommer    5,7  ccm  pro  1, 

der  Kohlensäuregehalt  im  Winter     0,6  ccm  pro  1, 

im  Sommer    0,3  ccm  pro  1, 

der  Sauerstoffgehalt  im  Plönersee 

im  Winter   12,35  ccm  pro  1, 

im  Sommer    2,3  ccm  pro  1. 

Die  Wirkung  der  Temperaturänderungen  ist 
größer  als  die  des  Druckes,  bei  o"  bis  25"  30  bis 
40 "/(,,  bei  extremster  Druckschwankung  um  6  %. 
Die  jahreszeitlichen  Schwankungen  des  Sauerstoff- 
gehaltes im  Wasser  sind  also  recht  bedeutend. 
Die    Kurve    zeigt    diese    Schwankungen    in    der 

ccm  Opro  I. 

12 


Jan.     Febr.    MSrz    April      Mai      Juni     Juli     Aug.    Sept.     Okl       Nov      Dez. 

Abb.    I. 

Der  Sauerstoffgebalt  der  Oberflächenschicht   im  Sakrower  See 

während     eines     Jahres    gezeichnet    nach    Schickendantz 

mit      den     den      gemessenen     Temperaturen     entsprechenden 

Sättigungspunkten  für  Sauerstoff. 

Oberflächenschicht  des  Sakrower  Sees,  eines  mit 
der  Havel  in  Verbindung  stehenden  tiefen  Sees 
(s.  Abb.  i).  -)  Daneben  sind  die  einzelnen  Zahlen 
in  den  verschiedenen  Schichten  angegeben  (s.  Tab.). 
Zum  Verständnis  dieser  Zahlen  muß  noch  her- 
vorgehoben werden,  daß  wir  drei  Perioden  im 
Jahre  an  unseren  Seen  unterscheiden.  Die  erste 
Periode  ist,  die  der  teilweisen  Zirkulation.  In 
dieser,  der  Zeit  des  Sommers,  lagern  die  kältesten 
und  schwersten  Schichten,  also  die  mit  etwa  4 "  C 
Temperatur  am  Boden,  die  nächst  höheren  Schich- 


• -i j^ 

/  \  • 


auf. 


')  In  der  Regel  treten  derartige  Prozesse  in  den  Gewässern 


^)  G.  Schickendantz,  Temperaturen  und  Sauerstoff  im 
Sakrower  See  bei  Potsdam,  Intern.  Revue  f.  Hydrob.  u. 
Hydrog.  Bd.  III   igio/n,  S.  84ff. 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


19 


Tiefe 
in  m 

Febr. 

April 

Mai 

Juli 

Sept. 

Okt. 

No 

V. 

Dez. 

t 

0    1 

t        0 

t 

0 

t        0 

t 

0    1 

t 

0 

l 

0 

t        0 

0 

1,0 

7,4 

8,5   10,9 

10,4 

9,5 

19,2     5,2 

17,3 

5,5 

11,6 

6,4 

5,7 

5.2 

4,0     6,1 

'h 

3.1 

8,7   10,6 

10,3 

9.8 

2 

3.2 

5,9 

8.4     9.9 

10,1 

8,5 

17.4 

11,6 

6,2 

4,0     6,2 

5 

3,2 

5.Ö 

7.7     8.1 

9,6 

16,2    2,7 

•7.5 

11,6 

6,4 

5.8 

5,' 

4,0 

6 

9,4 

17 

7 

8,3 

12,7 

11,6 

8 

7 

8.9 

",5 

9 

6.5 

6.7 

11,2 

10 

3.2 

5.7 

5.2       8 

5.7 

6,4 

5,9    2,5 

6,0 

1.6 

8.3 

0,1 

5.8 

5.0 

4,0 

15 

4.8       7 

5.0 

6.2 

5.3 

5.5 

1,3 

5,6 

0,1 

5,7 

5.1 

4.0 

20 

3.3 

4.9 

4,4     5.6 

4.6 

5.3 

4.7     «.7 

4.7 

0,4 

4,8 

0,1 

5.6 

4.1 

4,0     6,0 

25 

3.9     3,8 

4.2 

3,7 

4.4    0,1 

4.5 

0,2 

4.5 

0,1 

4.7 

0,2 

4,0     6,1 

30 

3.5 

2.7 

3.8       3 

4,1 

3.2 

4.5     0.1 

4.4 

HjS 

4,5 

H,S 

4.5 

HjS 

4,0     6,0 

Der  Sauerstoffgehalt  des  Wassers  im  Sakrower  See  während  eines  Jahres. 
Nach    Schickendantz. 
=  Wassertemperatur  in  "  C.  O  =  Sauerstoffgehalt  pro   i  1  in  ccm. 


ten  weisen  nur  geringe  Temperaturerhöhungen 
auf  bis  wir  an  eine  Schicht  kommen,  wo  die 
Temperaturerhöhung  sprungartig  mehrere  Grade 
beträgt,  wir  nennen  diese  Schicht  die  Sprung- 
schicht. Sie  ist  z.  B.  schön  ausgeprägt  in  den 
Tabellen  vom  Juli,  September  und  Oktober.  Von 
hier  aus  finden  wir  dann  die  höchst  temperierten 
Wasserschichten  des  Sees  überhaupt.  Diese 
Sprungschicht  erklärt  man  dadurch,  daß  die  über 
dieser  gelegenen  Wassermassen  von  den  täglichen 
Temperaturschwankungen  der  Luft  beeinflußt  wer- 
den und  diese  durch  Zirkulationsströmungen  mit- 
machen. Den  darunter  gelegenen  Wasserschichten 
fehlen  während  dieser  Zeit  diese  Zirkulationsbe- 
wegungen, es  befinden  sich  diese  in  einem  Zu- 
stande der  Stagnation.  Da  in  diesen  Tiefen  der 
Pflanzenwuchs  in  unseren  norddeutschen  Seen  zu- 
meist aufgehört  hat  oder  gering  ist,  so  findet  hier 
zunächst  keine  Produktion  von  Sauerstoff  durch 
diese  und  kein  Austausch  mit  der  Luft  statt,  in- 
folgedessen nimmt,  der  Sauerstoff  hier  infolge  des 
Verbrauchs  durch  Organismen  und  durch  Fäulnis- 
prozesse ständig  ab  und  der  Gehalt  an  HjS  und 
wie  sich  später  zeigen  wird  an  COj  zu.  Wir 
sehen  daher  einen  gewaltigen  Unterschied  zwi- 
schen dem  Sauerstoffgehalt  der  Zirkulations- 
schichten und  dem  der  stagnierenden  Schichten 
in  den  betreffenden  IVIonaten. 

Im  Herbst  nun  kühlen  sich  die  oberen  Schichten 
ab  und  sinken  infolge  der  zunehmenden  Schwere 
nach  unten,  die  Zirkulation  greift  immer  weiter 
nach  unten  und  es  kommt  so  schließlich  zu  einer 
Vollzirkulation  des  Seewassers.  Eine  gleiche  Voll- 
zirkulation nur  im  umgekehrten  Sinne  durch  Er- 
wärmung der  Wassermassen  tritt  dann ,  häufig 
allerdings  in  weniger  stark  ausgeprägtem  Grade 
im  Frühjahr  auf.^)     Während  des  Winters   haben 

')  Die  auf  4"  erwärmten  oberflächlichen  Wasserschichten 
sinken  als  schwerere  Wassermassen  in  die  Tiefe  ab. 


wir  dann  ein  Stadium  der  Stagnation  für  die  ge- 
samte Wassermasse  bis  auf  die  alleroberste 
Schicht,  es  schwindet  daher  in  tieferen  Seen  auch 
hier  der  Sauerstoffgehalt  in  den  Tiefen,  die  jetzt 
die  höchsten  Temperaturen  aufweisen.  Die 
Schichtung  ist  eine  umgekehrte  wie  im  Sommer. 
Wie  stark  der  Sauerstoffgehalt  der  einzelnen 
Wasserschichten  durch  diese  thermischen  Vorgänge 
beeinflußt  und  verändert  wird,  ist  leicht  aus  den 
Tabellen  zu  ersehen. 

Es  hat  sich  nun  aber  gezeigt,  daß  der 
Sättigungskoeffizient  an  Sauerstoff,  der  ja  der 
Temperatur  und  dem  Luftdruck  entsprechen  muß, 
unter  Umständen  erheblich  überschritten  wird, ') 
und  dies  hat  darauf  hingewiesen,  daß  der  Sauer- 
stoffgehalt nicht  allein  abhängt  von  dem  Wechsel- 
verkehr zwischen  Atmosphäre  und  Wasser,  son- 
dern zu  einem  großen  Teil,  vielleicht  zu  einem 
wesentlichen  von  der  Tätigkeit  der  sauerstoff- 
produzierenden grünen  Pflanzen.  In  Gewässern, 
in  denen  ein  reiches  organisches  Leben  sich  ent- 
faltet, würden  die  sauerstoffzehrenden  Prozesse 
der  abgestorbenen  Organismenleiber  die  Überhand 
gewinnen  und  zu  HjS-Mengen  führen,  die  jedes 
höhere  Leben  schließlich  verhindern  würden, 
wenn  nicht  wieder  die  Lebenstätigkeit  der 
grünen  Pflanzen  für  eine  reichliche  Sauerstoff- 
produktion sorgen  würde.  Ein  Beispiel,  wie  diese 
Anreicherung  an  Sauerstoff  durch  die  Pflanzen 
wirkt,  gibt  folgende  Tabelle: 
Es  sind  hier  fortlaufend  dreistündlich  in  einem 
Teiche  Sauerstoffbestimmungen  vorgenommen 
worden. 

Temp.  20,1"  C  0,733  ccm    0  pro  1 

„       21,0°  C  I,i;i8 

„       21,8»  C  1,605 

„       21,6"  C  1,540 

„       20,3"  C  0,937 

19,1»  C  0,930 


24.  VI.     8  Uhr  vorm. 
II     „ 
2     ,,     nachm. 

5     „ 

8     ,,     abends 
II     „     nachts 


'j  Siehe  die   Kurve  Abb.   I. 


20 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


5 

S 

II 

2 


25.  VI.     2     „     nachts  Temp.  18,4»  C  0,799  ccm  U  pro  1 

morgens         ,,  18,0°  C  0,815     ■•  ••  " 

„                 „  1716°  C  1,214     I.  ..  1. 

vorm.             ,,  18,0»  C  1,304     „  „  ,, 

mittags          „  19,8»  C  1,679     „ 

Diese  Tabelle  stammt  von  S  e  y  d  e  1 , ')  sie 
zeigt  die  Sauerstoffzunahme  bei  der  Belichtung 
infolge  der  Tätigkeit  der  Pflanzen.  Man  hat  diese 
Eigenschaft  der  0-Produktion  nun  der  Fischerei- 
praxis dienstbar  gemacht,  indem  man  den  Sauer- 
stoffmangel von  verschlammten  Gewässern,  die 
unter  Eis  sich  befinden  und  infolgedessen  keinen 
Gasaustausch  mit  der  Atmosphäre  besitzen,  da- 
durch zu  bekämpfen  sucht,  daß  man  das  Eis 
schneefrei  hält  und  so  durch  die  Tätigkeit  der 
Pflanzen  im  Wasser  den  Sauerstoffgehalt  hebt. 
Die  Erfahrung  hat  nämlich  gezeigt,  daß  die  sog. 
Wintersterben  der  Fische,  welche  auf  Sauerstoff- 
mangel unter  Eis  in  fäulnishaltigen  Gewässern 
zurückzuführen  sind,  nur  dann  auftreten,  wenn  die 
Eisdecke  mit  Schnee  bedeckt  ist,  ^)  und  so  das 
Wasser  und  damit  seine  Schwebpflanzen  und 
übrigen  Pflanzen  im  Dunkeln  gehalten  werden. 
Versuche,  welche  von  mir  am  Königsberger  Ober- 
teich ausgeführt  worden  sind,  haben  gezeigt,  daß 
in  der  Tat  schneefrei  gehaltene  Stellen  unter  Eis 
einen  höheren  Sauerstoffgehalt  bereits  nach  kurzer 
Zeit  aufweisen  als  die  schneebedeckten  Stellen: 
Folgende  Zahlen  wurden  z.  B.  erhalten: 

gefegte  Stelle 
vorm.  1 1   Uhr  vor  dem  Fegen : 

a)  O  m  WT.  0,1»     8,345  ccm  O 
2  m  WT.  2«        7,28     ccm  O 

4  Uhr  30  nachm. 

b)  o  m  WT.       o,i"     7,12     ccm  O 
2  m  WT.  +1,2"     8,094  ccm  O 

ungefegte  Stelle 
vorm.   II  Uhr 

a)  o       m  WT.  0,1"     8,347  ccm  O 
1,80  m  WT.  1,2»     9,26     ccm  O 

4  Uhr  30  nachm. 

b)  o        m  WT.  0,1"     6,2     ccm  O 
i,So  m  WT.  1,2"     7,96  ccm  O 

Es  hatte  also  eine  mehr   oder  weniger  starke 
0-Abnahme    stattgefunden,    welche    wohl    darauf 
zurückzuführen  ist,  daß  sich  tierische  Organismen 
in    größerer    Menge    an    die    eingeschlagenen  Eis- 
löcher   gedrängt    und    so    durch    ihre    Atmungs- 
prozesse zu  einer  Sauerstoffabnahme  geführt  hatten. 
Es    zeigt   sich   jedoch    ein    großer  Unterschied  in 
der    Abnahme    an    beiden   Stellen,    es  betrug  die 
Abnahme  an  der  schneefrei  gemachten  Stelle 
O  m  — 1,225  ccm  in  5  Std. 
Boden  -}-o,8i4  ccm 
an  der  schneebedeckten  Stelle 
o  m  — 2,147  ccm 
Boden   — 0,284  ccm 


>)  Seydel,  E.,  Über  die  Schwankungen  des  Sauerstoff- 
gehaltes  in  Teichen.  Mitt.  d.  Fischereivereins  für  die  Provinz 
Brandenburg  Bd.  IV,  Heft  7,   1912. 

')  S  c  h  i  e  m  e  n  z. 


Es    betrug    also    das   Mehr    an    der   schneefreien 
Stelle  o  m  —0,922  ccm,  d.  h.  14,5  % 

am  Boden  1,098  ccm,  d.  h.  13,9  "/o 

Die  Versuche  wurden  unterbrochen  durch  Ein- 
treten von  Tauwetter,  das  das  Eis  milchig  und 
daher  für  Licht  stark  undurchgängig  machte,  sie 
sollen  fortgesetzt  werden. 

Weit  weniger   erforscht   als   die   Beziehungen 
zwischem    dem    Pflanzenleben    des   Wassers    und 
seinem  Sauerstoffgehalt   sind  die    zwischen  ihnen 
und    der  Kohlensäure.      Es  handelt   sich  nämlich 
hierbei  ebenfalls   nicht   um  die  COj -Aufnahme  in 
Gasform,    sondern    die    untergetauchten    Pflanzen 
vermögen    dieses   Gas    ebenfalls   fast   nur   in    ge- 
löster Form  aufzunehmen;    eine    einzige  Möglich- 
keit besteht  für  die  Wasserpflanzen,  den  Kohlen- 
stoff auch    als    gasförmiges   Kohlendioxyd    aufzu- 
nehmen,   nämlich  dasselbe  aus  den  großen  Inter- 
cellularräumen    zu    entnehmen,     die    gerade    die 
Unterwasserpflanzen    in    so    ausgeprägtem   Maße 
besitzen.     Diese  enthalten  auch  CO,,  das  aus  dem 
Wasser    hineindiffundiert.       Die    hauptsächlichste 
C- Quelle  ist  jedoch    im  Wasser  selbst  zu   suchen 
und    wird    die  Kohlensäure    durch    die  Epidermis 
hindurch  ebenso  wie  der  Sauerstoff  und  die  Nähr- 
salze   aufgenommen.      Es    ist    bekannt,    daß   den 
typischen  Unterwasserpflanzen  Spaltöffnungen  ent- 
weder   ganz   fehlen    oder   nur   in    bedeutend   ge- 
ringerer   Zahl    vorhanden    sind,     als     bei    Land- 
pflanzen.    Die  Cuticula  selbst  ist  äußerst  zart,  eine 
Kutinisierung    wie    bei    den    Landpflanzen    fehlt. 
Meines  Wissens  hat  zuerst  Z  u  n  t  z   darauf  hinge- 
wiesen,  daß  es   in   vielen  Fällen  der  Kohlenstoff 
ist,  der  sich  als  Nährstoff  im  Wasser  im  Minimum 
befindet,  und  somit  nach  dem  L  i  e  b  i  g 'sehen  Ge- 
setz  das   Gedeihen   der   pflanzlichen   Organismen 
grundlegend  beeinflußt.    Er  zeigte,  daß  bei  intensiv- 
ster Schüttelung  mit  Luft  bei  16»  C  das  Kubikmeter 
Wasser  nur  0,3  1  CO3    aufnehmen  kann,    daß  ein 
Gewässer  von  einem  Hektar  mit  7500  cbm  Inhalt 
also  enthahen  würde  2250  1  COj  =  4,  4  l<g  CO2 
entsprechend    1,2  kg  Kohlenstoff.     Nach  Zuntz' 
weiteren    Untersuchungen    wird    aber    von    einer 
reichen    Mikroflora   diese  Menge   von  Kohlenstoff 
an  einem  Tage  assimiliert.      Selbst  wenn  wir  die 
noch   nicht   bewiesene,  ja    durch    Nathansons 
und    Czensnys  Versuche    unwahrscheinlich    ge- 
machte Annahme,  daß  der  Kohlenstoff  im  Wasser 
aus  an  Alkali  gebundene  CO.,  entnommen  werden 
kann,  mit  zu  Hilfe  nehmen,  würde  nur  eine  Menge 
von  1,4  kg  C  in  dem  erwähnten  7500  cbm-Teiche, 
an    dem    die    Zuntzschen    Untersuchungen    und 
Berechnungen      ausgeführt     wurden,      resultieren. 
Die   Annahme,    daß    die   Kohlensäure    dem  Ver- 
brauch   entsprechend    nun    etwa    aus     der    Luft 
wieder   in    das  Wasser   hinein    diffundiert,    ist   zu 
Unrecht    geltend    gemacht,     da     wie    Steffen, 
Hüfner,  Hoppe-Seyler    u.  a.    gezeigt  haben, 
es    Wochen    dauert,    bis    ein    CO.,  -  Molekül    eine 
Tiefe  von  einem  Meter   erreicht  hat.      Die   Luft- 
CO,    kommt    demnach    für    die    Ernährung    der 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


21 


Mikroflora  des  Wassers  und  wohl  auch  der 
anderen  submersen  Flora  nur  in  ganz  geringem 
Maße  in  Betracht.  Als  Hauptkohlenstoffquelle 
müssen  wir  daher  für  die  Mikroflora  zum  wenig- 
sten neben  den  Atmungsprodukten  der  Tiere 
und  Pflanzen  die  in  Zersetzung  begriffenen  organi- 
schen Substanzen  am  Boden  ansehen.  Hierauf 
wird  dann  auch  die  Erfahrung  in  der  Praxis  der 
Wasserwirtschaft  zurückzuführen  sein,  daß  mit  an- 
organischen Düngesalzen  gedüngte  Gewässer  sehr 
häufig  jeden  Erfolg  vermissen  lassen,  während  die 
mit  organischem  Dünger  versehenen  erstaunliche 
Mehrerträge  bringen.  Daß  in  der  Tat  in  pflanzen- 
reichen  Teichen  die  CO.,  im  Laufe  des  Tages  völlig 
verschwinden  kann,  haben  Untersuchungen  im 
Z  u  n  t  z  sehen  Laboratorium  gezeigt.  Neuerdings 
liegen  hierfür  interessante  Zahlen  von  Czensny*) 
aus  Teichen  vor;  er  fand  folgende  Mengen 
freier  CO-,: 


3  Uhr  früh 

2  Uhr  abends 

Abnahme 

6,6  mg  pro  1 

2,6  mg 

4,0  mg 

5,4 

3,o    „ 

2,4    „ 

7,2 

3,7    ,. 

3,5    „ 

6.8        „ 

4,9    -, 

1,9    „ 

7,6        „ 

4.2    „ 

3,4    „ 

7,2 

2,1      „ 

5,1    „ 

Daß  die  CO.,  nicht  vollständig  aus  dem  Teich- 
wasser geschwunden  war,  ist  darauf  zurück- 
führen, daß  diesen  Teichen  aus  Versuchsgründen 
abgeschnittenes  Pflanzenmaterial  zugeführt  worden 
war,  das  durch  seine  Verwesung  dafür  sorgte, 
daß  der  Kohlenstoff  nicht  völlig  zum  Ver- 
schwinden kam.  Im  übrigen  konnte  Czensny 
das  Verschwinden  der  freien  CO.,  an  in  Zer- 
setzung begriffenen  Stoffen  armen  Teichen  am 
Abend,  wie  es  Knauthe  berichtet  hatte,  eben- 
falls feststellen :  '^) 

abends  (9.  VI.)       früh  (10.  VI.)       mittags  (10.  VI.) 

o  3,3  5-5 

o  1 1 ,0  2,9 

o  14.5  1,1 

o  10,3  6,6 

Wir  sehen  also,  daß  das  Verhältnis  der  Wasser- 
pflanzen zum  Kohlenstoff  ein  viel  ungünstigeres 
als  das  der  Landpflanzen  oder  besser  Luftpflanzen 
ist.  Während  der  Nacht  findet  nun  also  infolge 
des  Aufhörens  der  Assimilationstätigkeit  der 
Pflanzen  wieder  eine  Anreicherung  der  Kohlen- 
säure im  Wasser  statt  und  zwar  einerseits  durch 
die  COj-Ausatmung  der  höheren  Organismen  und 
andererseits  durch  die  auch  des  Nachts  weiter 
laufenden  Zersetzungsvorgänge  organischer  Sub- 
stanz. 

Soviel  über  den  Gasstoffwechsel  in  unseren 
Binnengewässern.  Im  Meere  liegen  die  Verhält- 
nisse etwas  anders,  doch  soll  hier  nicht  darauf 
eingegangen  werden.  Sehr  interessant  wäre  es, 
zu   untersuchen,    wie   sich   diese   Verhältnisse   an 


')  s.  Zeitschr.  f.  Fischerei,    N.   F.,    Bd.  IV,    1919,    p.   io,S 
u.    110. 

')    1.    C.    p.    121. 


polaren  Seen  verhalten,  die  ja  durch  lang  dauernde 
Belichtung  und  lang  dauernde  Verdunkelung  aus- 
gezeichnet sind.     Die  wissenschaftlich-praktischen 
Versuche   der  Hydrobiologie    und   der   speziellen 
Fischereibiologie   haben   gezeigt,   daß   neben    den 
Sauerstoff-  und  Kohlensäureverhältnissen  eine  der 
wichtigsten    Rollen    das    Kali,    der  Kalk    und    die 
Phosphorsäure    sowie  der  Stickstoff  in  ihrem  Ge- 
halt  im  Wasser   spielen.      Ich    will   hier   absehen 
von  mehr   speziellen  Fällen,    wo   etwa   durch   zu 
hohen  Eisen-    oder  Mangangehalt   das   Leben   im 
Wasser   in    besonderer  Richtung    beeinflußt   wird, 
das    sind   Spezialfälle,    die    hier    nicht    behandelt 
werden   sollen.      Ganz    besonderes  Interesse    hat 
der  Stickstoffwechsel  in  der  Hydrobiologie  erregt, 
weil    es   wichtig  war,    zu   erfahren,   wie   sich   die 
Organismenwelt     diesem     Stoffe     gegenüber     im 
Wasser    verhalten    wird.      Wir    wissen    aus    den 
landwirtschaftlichen   Forschungen,    daß   die    Rolle 
und  das  Schicksal  des  N  im  Boden  recht  mannig- 
faltig sind.      Wir  kennen  seit  vielen  Jahren  stick- 
stoffsammelnde oder  nitrifizierende  und  stickstoff- 
zehrende   oder  denitrifizierende  Prozesse  im  Erd- 
boden,   die   im   wesentlichen  auf  bakterielle  Ein- 
flüsse   zurückzuführen  sind,   wenn    auch    rein  che- 
mische Vorgänge    ebenfalls    eingreifen.      Für    die 
Verhältnisse    im    Wasser     war    diese   Frage    bis 
kurz  vor  dem  Kriege  noch  recht  ungeklärt.     Erst 
Untersuchungen    von    H.   Fischer -München  in 
Verbindung  mit  H o f e r  und  von  Zuntz,  Czensny 
und  Will  er  haben  hier  einige  Klarheit  geschaffen. 
Es    hat   sich   nun   gezeigt,    daß  auch    im  Wasser 
bakterielle    sowie    chemische    Nitrifikations-    und 
vor  allem  auch  Denitrifikationsvorgänge  sich  ab- 
spielen,   in    ähnlicher  Form    wie    im  Ackerboden. 
Als  Stickstoffquellen  sind  einmal  vor  allen  Dingen 
zerfallende     Eiweißsubstanzen     der    Organismen- 
leiber, die  Exkrete  der  Tiere,   dann  die  Luft  und 
außerdem    die    stickstoffhaltigen    Salze,    also    die 
Nitrite  und  Nitrate,  welche  im  Wasser  gelöst  auf- 
treten und  dem  Boden  mehr  oder  weniger  direkt 
als  solche  entnommen  sind,  zu  nennen.     Der  Ge- 
samtstickstoffgehalt der  Gewässer  ist  naturgemäß 
ein  verschiedener  und  schwankt  auch  im  einzelnen 
See    oder   Teich    bzw.    Fluß    mit    der  Jahreszeit. 
Czensny  fand  z.  B.    in    Sachsenhausener   Bach- 
wasser folgende  Mengen  an  Gesamtstickstoff  (1.  c.) ; 
1914 

April  0,35  mg  pro   i    1 

Mai  0,80 

Juni  0,76 

Juli  0,87 

Anfang  September  0,81  „ 

Ende  September     0,59  „ 

1915 

Juli  0,41   mg  pro   i   1 

August  0,60  „ 

Anfang  September  0,59  „ 

Ende  September      0,54  „ 

Im  Sachsenhausener  Teichwasser: 


April 


1914 

0,36  mg  pro   1   i 


22 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


Mai  0,91  mg  pro  i  1 

Juni  0,81  „ 

Juli  0,98 

Anfang  September  0,58  „ 

Ende  September      0,76  „ 

1915 

Juli  0,51  mg  pro  i  1 

August  0,70  „ 

Anfang  September  0,53  „ 

Ende  September      0,37  „ 

Bedeutung  gewinnt  für  die  höheren  Organis- 
men, die  Pflanzen  und  demnächst  für  die  Tiere, 
der  N  erst,  wenn  er  als  Ammoniak  oder  Nitrat 
auftritt.  Nur  in  diesen  beiden  Formen  vermögen 
die  Wasserpflanzen  den  Stickstoff  aufzunehmen 
und  zu  Eiweiß  umzusetzen.  Es  sind  die  Bakterien, 
welche  den  in  anderem  Zustande  im  Wasser  vor- 
handenen Stickstoff  in  diese  beiden  Formen  um- 
wandeln. Einmal  sind  es  Fäulnisbakterien,  die 
die  Abbauprodukte  des  Eiweißes,  das  aus  den 
Organismen  stammt,  schließlich  in  Ammoniak 
und  Ammoniumsalze  umsetzen,  dann  aber 
kennen  wir  ähnlich  wie  im  Boden  Azotobakterien, 
die  den  gelösten  Stickstoff  des  Wassers  binden 
und  weiter  verarbeiten,  um  ihn  so  dem  Kreislauf 
der  Stoffe  im  Wasser  zuzuführen.  Auch  nitrifi- 
zierende  Bakterien  oder  vielleicht  besser  bakterielle 
nitrifizierende  Prozesse  sind  aus  dem  Süßwasser 
bekannt  geworden.  So  zeigen  folgende  Kurven 
das  Schwanken  des  Nitratgehaltes  im  Havelwasser, 
das  in  Glasbehältern  aufbewahrt  wurde  (Abb.  2). 
Der  Nachweis  von  nitratbildenden  Bakterien  im 
Wasser  ist  sehr  schwierig.  Interessant  ist  es  nun, 
daß  es  immer  dann  gelang,  Nitratbildner  in  dem 
betreffenden  Havelwasser  nachzuweisen,  wenn  die 
Kurve  im  Aufsteigen  begriffen  war.  Es  handelt 
sich  beim  Nitrifikaiionsprozeß  im  Wasser  offenbar 
um  eine  ähnliche  Erscheinung,  wie  wir  sie  in 
unseren  Gewässern  als  Wasserblüte  kennen,  d.  h. 
um  die  Erscheinung,  daß  sich  gewisse  Blaualgen 
plötzlich  ungeheuer  vermehren  und  unsere  Ge- 
wässer grün  färben. ')  Daß  es  sich  hierbei  tat- 
sächlich um  bakterielle  Vorgänge  im  Wasser 
handelt,  beweisen  Versuche  mit  ausgekochtem, 
also  sterilem  Havelwasser,  bei  denen  diese  Zacken 
ausbleiben.  Merkwürdigerweise  sind  wir  über 
das  Vorkommen  von  Nitrobakterienarten,  also 
Nitrit  zu  Nitrat  oxydierenden  Formen  und  Nitro- 
somonasarten,  also  Ammoniak  zu  Nitrit  wandeln- 
den Arten  im  Meere  besser  orientiert  als  im  Süß- 
wasser. 

In  sehr  ausgedehntem  Maße  wirken  nun  ent- 
gegengesetzt arbeitende  Spaltpilze  im  Wasser,  die 
sog.  Denitrifikanten.  In  der  landwirtschaftlichen 
Düngerlehre  spielt  die  Frage  der  Denitrifikation 
eine  große  Rolle.  Es  handelt  sich  hierbei  um  die 
Spaltung  der  Salpetersalze  und  das  dadurch  statt- 
findende Freiwerden  des  Stickstoffes,  der  dann  in 
die  Luft  entweicht.   Es  hat  sich  gezeigt,  daß  der- 


artige Denitrifikationsvorgänge  sich  im  wesent- 
lichen in  Böden  abspielen,  die  mindestens  2$  % 
Wasser  enthalten  und  gewisse  Kohlehydrate,  die 
aus  dem  Zerfall  der  Zellulose  entstehen.  Die  de- 
nitrifizierenden  Bakterien  sind  nämlich  bei  der 
Assimilation  des  Kohlenstoffs  auf  organische  Ma- 
terie angewiesen.  Es  war  nun  eigentlich  von 
vornherein  als  wahrscheinlich  anzunehmen,  daß 
gerade  das  Wasser  unter  Umständen  ein  ganz 
ausgezeichnetes  Milieu  für  Denitrifikanten  abgeben 
würde.  Auch  hier  wieder  sind  die  marinen 
Untersuchungen  zunächst  vorangegangen.  Jetzt 
wissen  wir  jedoch,  daß  im  Süßwasser  dort,  wo 
der  Boden  des  Gewässers  humusreich  ist,  die 
Denitrifikation  durch  Bakterien  eine  außerordent- 


"W'^i^i     Januar 
prol 


Mdrz 


')    WilleV,   A.,    Experimentelle    Studien    zur    Salpeter- 
düngung in  Teichen;  Fisch.-Ztg.,  Bd.   18,  1915. 


Tager  W  20  30  iO  SO  60  W    - 

Abb.  2.     Schwankungen  des  Nitratgehaltes  im  Wasser. 
Nach  Will  er. 

Havelwasser  im  Licht. 

Havelwasser  im  Dunkeln. 


lieh  große  Rolle  spielt,  und  daß  die  hier  im 
Wasser  gelösten  Nitrate  und  Nitrite  bei  günstiger 
Temperatur  außerordentlich  schnell  umgewandelt 
werden.  Dagegen  in  Gewässern,  die  mehr  auf 
humusarmem  Sandboden  sich  befinden,  spielen 
diese  Bakterien  —  Bacillus  fluorescens  liquefaciens 
hat  eine  große  Bedeutung  in  dieser  Hinsicht  — 
eine  geringere  Rolle.  Die  sog.  Teichdüngung 
hat  mit  diesen  Prozessen  daher  mehr  zu  rechnen 
als  vielleicht  die  Landwirtschaft  selbst.  Ein  Bei- 
spiel derartiger  Denitrifikationswirkung  zeigt  fol- 
gende Kurve  (Abb.  3).  Hier  sind  wiederum  im 
Havelwasser   Denitrifikanten    durch   Zugabe    von 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


23 


geringen  Mengen  Alkohol,  also  einer  Kohlenstoff- 
quelle, begünstigt  und  die  Nitrifikanten  geschädigt 
worden.  Wir  sehen  völlige  Denitrifikation  der 
zugeführten  Nitrate.  Eine  ähnliche  Kohlenstoff- 
quelle stellt  der  Kalkstickstoff  (Calciumcyanid)  dar. 
Die  dritte  Kurve  zeigt,  wie  sich  der  Nitratgehalt 
hierbei  verhält  (Abb.  4).  Hier  wird  offenbar  die 
Schädigung  der  Nitrifikanten  nicht  so  intensiv 
stattfinden,  so  daß  nach  dem  Verbrauch  des 
Kohlenstoffs  aus  dem  Kalkstickstoff  diese  wieder 
anfangen  zu  nitrifizieren  und  es  zu  einer  Neu- 
bildung von  Nitraten,   deren  Stickstoffquelle  viel- 


ZS.März 


!J.  April 


Tage  10  zq 

Abb.  3.     Denitrifikation  im  Havelwasser. 

Havelwasscr  +  ionigN205+  i  ccm  Alkohol  absol.  pro  1  1. 

Nach  WiUer. 


Denitrifikanten  die  Oberhand  haben,  während 
umgekehrt  in  den  kalten  Meeren  diese  nicht  so 
zur  Geltung  kommen  und  letztere  daher  einen 
größeren  Stickstoffgehalt  aufweisen.  Nach  Brand  t 
enthalten  die  Holsteinschen  Seen  mit  viel  Sal- 
petersäure und  salpetriger  Säure  viel  Plankton, 
die  Salpetersäure-  und  salpetrigsäurearmen  wenig 
Plankton.  Als  Lieferanten  für  den  Stickstoff  der 
Pflanzen  in  unseren  Gewässern  kommen  also  in 
erster  Linie  Bakterien  in  Frage,  die  den  vor- 
handenen Stickstoff  in  die  für  die  Pflanze  allein 
aufnahmefähige   Form   des  Ammoniaks    und   des 


2$.  April 


Z4  Mai 


OTage  70  20  30' 

.\bb.  4.     Denitrifikation  und  Nitrifikation  im  Havelwasser. 
Havelwasser  -j-  10  mg  N2O5  -|-  0,6  mg  Kalkstickstoff  pro  i  1. 
Nach  Willer. 


leicht  hier  im  Kalkstickstoff  selbst  zu  suchen  ist, 
kommt.  Wir  sehen,  es  findet  im  Wasser  ein 
dauernder  Kampf  zwischen  den  beiden  Organismen- 
gruppen, den  Nitrifikanten  und  den  Denitrifi- 
kanten statt.  Es  ist  bekannt,  daß  Brandt  den 
verhältnismäßig  großen  Reichtum  der  kalten 
Meere  an  Organismen  der  verhältnismäßigen 
Armut  an  solchen  in  den  warmen  Meeren  gegen- 
über erklären  möchte  dadurch,  daß  infolge  der 
höheren  Temperatur   in  den  warmen  Meeren  die 


Nitrats  überfuhren.  Es  sind  aber  auch  wiederum 
Bakterien,  die  diesen  Stickstoff  den  Pflanzen  zu 
entziehen  vermögen.  Die  genauen  Schwankungen 
des  Stickstoffgehaltes  in  den  einzelnen  Schichten 
der  Seen  und  während  der  verschiedenen  Jahres- 
zeiten sind  im  allgemeinen  noch  so  gut  wie  un- 
bekannt. Hier  sind  sicherlich  noch  recht  inter- 
essante und  auch  für  die  praktische  Wasserwirt- 
schaft wichtige  Ergebnisse:  zu  erwarten.  Über 
die  Rolle  der   übrigen  Nährstoffe,    vor   allem  des 


24 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


auf  3  mm- 
Blattfläche 
von  Elodea 
canadensis. 


Kalis  und  der  Phosphorsäure,  sind  wir  zwar  so- 
weit unterrichtet,  daß  wir  annehmen,  diese  werden 
als  gelöste  Salze  durch  die  ganze  Epidermis  der 
Wasserpflanze  aufgenommen.  Wir  wissen,  daß 
sie  natürlich  ebenfalls,  sobald  sie  ins  Minimum 
gelangen,  die  Entwicklung  der  Pflanzenwelt  des 
Wassers  grundlegend  beeinflussen  können.  Die 
einzelnen  Arten  werden  in  ihrem  Vorkommen 
abhängig  sein  von  dem  mehr  oder  weniger 
großen  Gehalt  an  diesen  Stoffen  im  Wasser.  Wie 
gesagt,  genauere  Angaben  fehlen  hier  noch  völlig. 
V.  Alten  hat  an  gewissen  Diatomeenarten 
nachweisen  können,  daß  ihr  Vorkommen  von 
dem  Gehalt  des  Wassers  an  Phosphorsäure  über- 
haupt abhängig  ist.  Daß  eine  starke  Vermehrung 
einzelner  Diatomeenarten  durch  Zufuhr  von  P 
und  K  stattfindet,  geht  aus  folgenden  in  Ver- 
suchen von  mir  festgestellten  Zahlen  hervor,  die 
sich  auf  die  Kieselalge  Cocconeis  placentula  Ehrbg. 
beziehen: 

1.  Kultur  mit  gewöhnlichem  Wasser 
(0,25  mg  P.fi,„  5,5  mg  K^O  pro  1) 
enthielt  in  2  Kontrollproben  nach 
8  Tagen  durchschnittlich  22,05 
und  7,3  Individuen; 

2.  Kultur  mit  demselben  Wasser 
-f-  8  mg  Phosphorsäure  pro  1 
durchschnittlich  36  und  46,6  In- 
dividuen ; 

3.  Kultur  mit  demselben  Wasser 
-j-  4  mg  K  -j-  8  mg  P  pro  1  durch- 
schnittlich 46,4  und  59,3  Indi- 
viduen. 

Es  ist  also  zweifellos,  daß  die  Zahl  der 
Pflanzen  von  dem  Gehalt  gelöster  Phosphate  und 
Kalisalze  abhängig  ist.  Die  Möglichkeit  besteht 
allerdings,  daß  durch  die  Zufuhr  die  Vermehrung 
nur  zunächst  angeregt  wird  und  später  diese 
wieder  nachläßt.  Die  beendeten  Versuche  sind 
jedoch  noch  nicht  ausgearbeitet.  Ich  hoffe  später 
darüber  berichten  zu  können. 

Weiter  hat  v.  A 1 1  e  n  ^)  nachgewiesen,  daß 
nicht  nur  die  Zahl,  sondern  auch  vor  allen  Dingen 
die  Form  und  Größe  der  Diatomeen  durch  Kali- 
salze und  Phosphate  beeinflußt  wird,  indem  bei 
stärkerem  Gehalt  an  diesen  Salzen  die  Größe  der 
untersuchten  Arten  erheblich  heraufgesetzt  wird 
im  Verhältnis  zu  der  Größe  der  gleichen  Arten 
in  Gewässern  mit  weniger  Gehalt  an  diesen 
Stoffen.  Leider  hat  er  hier  keine  ganz  genauen 
und  übersichtlichen  Tabellen  gegeben.  Ähnliche 
Resultate  für  Grünalgen  fand  R  ay  s  s  (Coelastrum).^) 
Das,  was  also  von  den  Pflanzen  des  Landes  gilt, 
nämlich,  daß  sie  durch  einen  größeren  Gehalt 
ihres  Nährmediums  an  Nährsalzen  an  Größe  und 
Zahl  zunehmen,  gilt  auch  für  die  Wasserpflanzen, 
soweit  sie  vom  Boden  unabhängig  sind. 

Über  die  regionäre  Verteilung  des  Kalis  und 
der  Phosphorsäure   in  unseren  Binnenseen  wissen 


wir  zurzeit  so  gut  wie  nichts.  Über  die  jahres- 
zeitlichen Schwankungen  können  uns  einen  aller- 
dings sehr  oberflächlichen  Aufschluß  für  eine 
Gruppe  von  bestimmten  Teichen  Zahlen  von 
Czensny  geben,  die  allerdings  mehr  zu  anderen 
Zwecken  gewonnen  worden  sind.  Er  fand  fol- 
gende Zahlen  in  einem  fließenden  Wasser:^)  .-,' 

Gehalt  von  P2O5  im  Sachsenhausenfer  Zuleitet: 
1914 
30.  April  0,26  mg  pro  1 

18.  Mai  o,SS  „ 

15.  Juni  0,22  „ 

13.  Juli  0,31 

20.  Juli  0,61 

3.  September  0,69         „ 

1915 

12.  Juli  0,48  mg  pro  1 
10.  August         0,76  „ 

7.  September  0,87  „ 

29.  September  0,40         „ 
In  den  Sachsenhausener  Teichen: 

1914 

30.  April  0,30  mg  pro  1 
18.  Mai  0,59 

15.  Juni  0,25 

13.  Juli  0,92 

20.  Juli  0,51  „ 

3.  September  0,70  „ 

1915 
12.  Juli  0,57  mg  pro  1 

10.  August         0,83  „ 

7.  September  1,34 
29.  September  0,39  „ 

Es  scheint  also,  als  wenn  der  Gehalt  des 
Wassers  an  P.iOg  im  Spätsommer  am  größten  ist. 
Ähnlich  scheint  es  sich  mit  dem  Kali  zu  ver- 
halten, doch  sind  die  Zahlen  hier  noch  spärlicher, 
da  sie  sich  nur  auf  einen  ganz  kurzen  Zeitraum 
erstrecken.  Ich  gebe  sie  nur  der  Vollständigkeit 
halber  wieder: 

KjO  im  Zuleiter  im  Teich 

12.  Juli  1,43  1,33   mg  pro  1 

10.  August         2,10  2,06  „ 

7.  September  2,40  2,77  „ 

24.  September  2,93  2,75  „ 

Über  den  Kalkstoffwechsel  im  Wasser  sind 
bisher  noch  nicht  allzu  viele  Arbeiten  erschienen. 
Wir  wissen  jedoch,  daß  auch  der  Kalkgehalt 
jahreszeitlichen  Schwankungen  unterliegt,  genau 
wie  Kohlensäure  und  Sauerstoff.  Auch  hier  finden 
sich  Unterschiede  im  CaO-Gehalt  der  verschiedenen 
Schichten : 

Kulk menge  im  Kuresee 
Juni   1906  bis  Oktober  1907.-) 

Tiefe  Temperatur  CaO 

15.  VI.  06  o  m  I7i3°  C  61,0  mg  pro  1 

12  r2i4  6o,!s 


1)  Zeitschr.  f.  Fischerei,  N.  F.,  Bd.  IV,  S.  190  ff. 

-)  Beiträge  zur  Kryptogamenflora  der  Schweiz,  J915,  5,  2. 


')  1,  c. 

")  J.  N.  Brönstedt  und  C.  Wesenberg-Lund, 
Chemisch -physikalische  Untersuchungen  der  dänischen  Ge- 
wässer. Intern.  Revue  für  Hydrobiologie  und  Hydrographie 
Bd.  IV,   191 1. 


N.  F.  XX. 

Nr.  2 

N 

aturwissensch 

ai 

Tiefe 

Temperatur 

CaO 

15.  VI.  06 

i:;  m 

8,5°  C 

60,0  mg  pro 

1 

28 

0,0 

61,8 

23.  VII.  06 

0 

17.5 

59>o 

13 

i?,8 

59.4 

15 

9.5 

bI,S 

27 

7.1 

64,8 

8.  VIII.  06 

0 

19.4 

55.0 

13 

i6,s 

59,8^ 

17 

8,2 

64,0 

31 

7.2 

64,0 

24.  VIII.  Ob 

0 

i^,o 

5=;,S 

13 

15,4 

55.S 

17 

15.1 

b2,6 

30 

7.7 

63.8 

12.    IX.   00 

0 

"5,0 

^6,o 

13 

■5.4 

57,0 

17 

15.' 

Sb,2 

30 

7.7 

64,6 

S.  X.  06 

0 

12,8 

56,2 

13 

12,8 

57,2 

17 

12,,S 

57.4 

30 

7.4 

19.  X.  06 

0 

II, S 

58,0 

13 

II.5 

58.2 

17 

".5 

5'J.o 

32 

7.3 

64,4 

13.  XI.  ob 

0 

S.4 

59.5 

13 

8,4 

59,0 

24 

8,4 

59.0 

30 

^.3 

58.4 

10.  XII.  06 

0 

^.2 

59.4 

13 

5.2 

58,8 

24 

5.2 

58,0 

30 

5.2 

5S,4 

Wenn  ich  zu  Beginn  meines  Vortrages  gesagt 
habe,  daß  der  Nährstoff,  welcher  sich  im  Wasser 
im  Minimum  befindet,  für  das  Gedeihen  der 
Wasserpflanzen  maßgebend  ist,  so  gilt  naturgemäß 
ein  gleiches  Gesetz  nicht  in  dieser  Form  für  die 
Tiere.  Aber  dennoch  hängt  auch  die  Zusammen- 
setzung der  Fauna  eines  Gewässers  nicht  zuletzt 
ab  von  dem  Vorhandensein  resp.  Fehlen  der  not- 
wendigen Nahrungsstoffe  oder  besser  Nahrungs- 
organismen. Wenn  ich  sage  Nahrungsorganismen, 
so  meine  ich  nicht  durchweg  Organismen  als 
lebende  Individuen,  sondern  auch  die  Reste  der- 
selben, ja  auch  ihre  Extraktionsstoffe  usw.  Wenn 
wir  die  Tierwelt  eines  Gewässers  betrachten ,  so 
können  wir  dieselbe  nach  Art  der  systematischen 
Zoologie  einteilen  oder  aber  wir  sondern  sie  nach 
den  einzelnen  Biozönosen,  den  einzelnen  Lebens- 
gemeinschaften. Nun  müssen  wir  zwar  jedes  Ge- 
wässer als  eine  Biozönose  selbst  auffassen,  ge- 
wissermaßen als  einen  Organismus  für  sich.  Den- 
noch hat  jedes  Gewässer  wiederum  seine  Biozö- 
nosen niederer  Ordnung.  Es  sind  dies  die  Ufer- 
region, die  Bodenregion  und  die  Region  des  freien 
Wassers.  Am  ausgeprägtesten  sind  die  Biozö- 
nosen zweiter  Ordnung  an  den  Seen.  Wir  wollen 
auf  den  tierischen  Stoffhaushalt  im  Sinne  der 
Ernährung  der  Tiere  etwas  mehr  eingehen.  Zu- 
nächst ist  da  festzustellen,  daß,  wenn  auch  die 
Tier-  und  Pflanzenwelt  der  einzelnen  Regionen 
jede  für  sich  ihre  Charakteristika  aufweisen,  den- 


25 


noch  mannigfache  Wechselbeziehungen  zwischen 
ihnen  bestehen.  Als  besonders  für  uns  wichtige 
Tierformen  möchte  ich  da  zuerst  auf  die  Fische 
eingehen.  Wir  sehen,  daß  die  Mehrzahl  derselben 
zur  Laichzeit  die  Uferregion  oder  doch  die  flachen 
Stellen  aufsucht,  um  dort  den  Laich  abzulegen. 
Die  Jungfische  selbst  halten  sich  in  dieser  gut 
durchwärmten  Region  auf  und  erst  später,  wenn 
sie  eine  gewisse  Größe  erreicht  haben,  verteilen 
sie  sich  auf  die  ihrem  erwachsenen  Stadium  eigen- 
tümliche Region.  Der  Hecht  bleibt  im  allgemeinen 
in  der  Nähe  des  Ufers,  der  Blei  sucht  mehr  die 
Bodenregion  auf,  der  Zander  geht  in  das  freie 
Wasser.  Nicht  jede  Art  jedoch  sucht  eine  be- 
stimmte Region  auf,  sondern  manche  Arten  sind 
bald  in  der  einen  bald  in  der  anderen  Region. 
Als  Beispiel  hierfür  nenne  ich  den  Uklei.  Wir 
kennen  Ukleibestände,  welche  sich  am  Ufer  auf- 
halten und  solche,  welche  im  freien  Wasser  leben-*) 
Beim  Barsch  unterscheiden  wir  nach  seinem 
Aufenthaltsort,  den  Krautbarsch,  den  Jagebarsch 
und  den  Tiefenbarsch.  Diese  drei  können  wir  an 
ihrer  Farbe  unterscheiden.  Der  Krautbarsch  zeigt 
einen  messingenen  Ton,  der  Jagebarsch  mehr 
einen  helleren  Ton,  der  Tiefenbarsch  einen  dunk- 
leren Ton.-)  ,  :,  ;•  ,. 

Entsprechend  diesen  verschiedenen  Aufenthalts- 
orten ist  nun  auch  die  Ernährungsweise  der  ein- 
zelnen Lokalformen  verschieden. 

Wir  können  sagen,  daß  wir  über  die  Qualität 
der  gesamten  Nahrung  unserer  wichtigsten  mittel- 
europäischen Süßwasserfische  gut  orientiert  sind, 
weniger  gut  über  die  Quantität.  Die  Unter- 
suchungen von  iSusta,  Schiemenz,  Hofer, 
Arnold,  Walteru.  a.  haben  uns  in  dieser 
Hinsicht  genügend  aufgeklärt.  Zunächst  habein 
diese  Untersuchungen  gezeigt,  daß  die  alte  Auf- 
fassung, der  Fisch  seihe  das  Wasser  einfach  durch 
und  benutze  alles  das,  was  an  seinem  Reusen- 
apparat an  tierischen  und  pflanzlichen  Organismen 
hängen  bleibt,  als  Nahrung,  falsch  sind.  Wir 
wissen,  daß  der  Fisch  jedem  einzelnen  Nahrungs- 
tier besonders  nachstellt  und  es  sich  aus  den 
übrigen  Organismen  heraussucht.  Wir  haben  er- 
kannt, daß  nicht  jedes  niedere  Tier  im  Wasser 
für  den  Fisch  eine  gleichermaßen  geeignete  und 
begehrte  Nahrung  darstellt,  sondern,  daß  wir 
unterscheiden  müssen,  zwischen  einer  Hauptnah- 
rung, einer  Gelegenheitsnahrung  und  einer  Not- 
nahrung.^)  Nur  dort,  wo  die  Hauptnahrung  in 
einem  Gewässer  in  genügender  Menge  vorhanden 
ist,  gedeiht  der  Fisch  und  wächst  gut  ab.  Wo 
diese  nicht  vorhanden  ist,  kann  zwar  an  ihre 
Stelle  die  Notnahrung  treten,  der  Fisch  fristet 
dann  aber  ein  kümmerliches  Dasein,  er  wächst 
entweder  nur  wenig  weiter  oder  überhaupt  nicht 
mehr.     Die   Fortpflanzung   läßt    häufig   ebenfalls 


')  Schiemenz,  P. ,  Mitt.  Fischerei- Vereins  f.  d.  Prov. 
Brandenburg  Bd.  V,  H.   II. 

2)  Schiemenz,  P.,  ibid.  Bd.  XI,  H.   I. 

')  Schiemenz,  P. ,  Deutsche  Fischerei. Zeitung  1909, 
AUgcm.   Fischerei-Zeitung  30.  Jahrg.  S.  323. 


26 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


nach,  kurz  und  gut  der  Bestand  eines  Gewässers 
an  dieser  Fischart  nimmt  ab,  und  sie  verschwindet 
schließlich  ganz  und  gar  aus  dem  Gewässer.  Auf 
dieser  Erkenntnis  beruht  die  ganze  moderne 
Fischereiwirtschaft. 

Es  ist  bekannt,  daß  wir  nach  dem  Ernährungs- 
modus unsere  Süßwasserfische  einteilen  in  Raub- 
fische, Kleintierfresser  und  Pflanzenfresser,  sog. 
Grünweidefische.  Zu  den  Raubfischen  gehören 
der  Hecht,  Zander,  Barsch,  Quappe  und  z.  T.  der 
Aal.  Kleintierfresser  sind  alle  diejenigen,  welche 
von  den  niederen  tierischen  Organismen  leben. 
Die  Grünweidefische  sind  bei  uns  nur  in  geringer 
Artenzahl  vertreten.  Es  sind  dies  nur  das  Röt- 
auge und  unter  Umständen  die  Plötze,  diese  leben 
auch  weniger  von  den  höheren  Pflanzen,  als 
hauptsächlich  von  dem  sog.  Aufwuchs,  den  Epi- 
phyten  der  Unterwasserpflanzen,  also  vornehmlich 
den  festsitzenden  Kieselalgen  und  Grünalgen. 
Diese  alte  Einteilung  der  Fische  nach  ihrer  Er- 
nährung, die  besonders  unter  den  Praktikern  sich 
noch  allgemeiner  Anerkennung  erfreut,  genügt 
jedoch  den  modernen  Anschauungen  der  Fischerei- 
biologie nicht  mehr.  Denn  einerseits  leben  die 
Jugendformen  der  Fische  von  anderen  Organismen 
als  die  älteren  Stadien,  andererseits  fressen  ein- 
zelne Arten  bald  so,  bald  so,  oder  gar  sie  trennen 
sich  gewissermaßen  in  Rassen  auf  Grund  ihrer 
Ernährungsweise,  die  Verhältnisse  können  dabei 
noch  ziemlich  einfach  liegen,  sie  können  aber 
auch  verwickelter  sein. 

Der  Hecht  ist  ein  Beispiel  für  die  einfache 
Form  des  Nahrungswechsels.  Der  junge  Hecht, 
welcher  in  den  flachsten  Teilen  der  Uferregion 
lebt,  ernährt  sich  von  den  Crustaceen  der  Ufer- 
region und  zwar  bilden  seine  Hauptnahrung  die 
Cladoceren:  Eurycercus  lamellatus,  Simocephalus 
vetulus,  Chydorus  sphaericus,  während  die  Kope- 
poden  kaum  oder  nur  als  Notnahrung  gefressen 
werden.  Sobald  der  Hecht  aber  eine  gewisse 
Größe  erreicht  hat,  was  bereits  im  ersten  Sommer 
in  der  Regel  geschehen  wird,  so  verlegt  er  sich 
auf  den  Raub  anderer  Fische,  die  seiner  Größe 
entsprechen. 

Anders  der  Barsch,  bei  ihm  müssen  wir  ge- 
wissermaßen drei  Stadien  der  Ernährung  unter- 
scheiden. I.  Das  Jugendstadium,  etwa  der  erste 
Sommer,  in  dem  er  sich  ebenso  ernährt  wie  der 
junge  Hecht,  nämlich  von  den  Uferformen  der 
Cladoceren,  im  zweiten  und  dritten  Jahre  dagegen 
wird  er  nicht  sogleich  Raubfisch,  sondern  benutzt 
vor  allen  Dingen  die  Amphipoden  und  Isopoden, 
also  Gammarus  pulex,  Carinogammarus  roeselii 
und  Asellus  aquaticus  als  Nahrung.  Daneben 
nimmt  er  auch  Phryganidenlarven  und  einzelne 
Molluskenarten,  vor  allen  Dingen  Bythinia.  Erst 
nach  dem  dritten  Jahr  wird  der  Barsch  zum  Raub- 
fisch. Hier  besteht  insofern  noch  eine  Unklarheit, 
als  es  mir  notwendig  zu  sein  scheint,  noch  ein 
viertes  Stadium  anzunehmen,  nämlich  das  kurz 
nach  dem  Ausschlüpfen  aus  dem  Ei.     Man  findet 


nämlich  in  dem  Darm  der  kleinsten  Barsche 
häufig  Vertreter  aus  der  Algengruppe  der  Konjur 
gaten,  die  zur  Familie  der  Desmidiaceen  gehören. 
So  wurden  von  mir  Closteriumarten  gefunden. 
Zuweilen  finden  sich  auch  Protococcoideen,  z.  B. 
Scenedesmusarten  im  Darm  als  Inhalt  vor.  Sollte 
sich  in  der  Tat  zeigen,  daß  die  Pflanzen  als  Haupt- 
nahrung in  dem  allerjüngsten  freilebenden  Stadium 
genommen  werden,  und  dies  nicht  nur  vereinzelte 
Fälle  sind,  so  würde  der  Barsch  vier  verschiedene 
Ernährungstypen  durchmachen.  Er  würde  vom 
Pflanzenfresser  zum  Phyllopodenfresser,  dann  zum 
Amphipoden-,  Isopoden-  und  Molluskenfresser  und 
schließlich  zum  Raubfisch  werden,  gerade  die  Er- 
nährung der  Jugendstadien  unserer  Nutzfische  im 
Süßwasser  ist  noch  ziemlich  unerforscht,  was 
wohl  darauf  zurückzuführen  ist,  daß  es  noch  bis- 
her keine  Bestimmungstabellen  der  Jugendstadien 
gibt,  und  eine  Kennzeichnung  der  Larvenformen 
in  der  Regel  erst  möglich  ist,  wenn  sie  die  end- 
gültige Körperform  und  vor  allen  Dingen  bei  den 
Weißfischen  die  Afterflosse  typisch  ausgebildet 
haben.  Diese  beiden  Fische  mögen  als  ein  Bei- 
spiel angeführt  werden,  wie  die  Ernährungsweise 
in  den  verschiedenen  Altersstadien  eine  verschie- 
dene ist. 

Der  Aal,  soweit  er  im  Süßwasser  lebt,  mag 
ein  Beispiel  sein  für  Fische,  welche  sich  nach  ihrer 
Ernährungsweise  in  zwei  verschiedene  körperlich 
unterschiedene  Rassen  trennen.  Wir  unterscheiden 
zwei  Formen  des  Süßwasseraals,  den  Breitkopf  und 
den  Spitzkopf.  Die  Unterschiede  in  der  Körper- 
form sind  so  groß,  daß  man  geglaubt  hat,  zwei 
besondere  Arten  von  Aalen  unterscheiden  zu 
müssen.  Schon  von  Schiemenz  ist  vor  Jahren 
behauptet  worden,  daß  der  Breitkopf  sich  im 
wesentlichen  als  Raubfisch  von  anderen  Fischen 
ernähre,  während  der  Spitzkopf  von  niederen 
Tieren,  vor  allem  der  Larve  der  Zuckmücke 
(Chironomus),  dem  Schlammröhrenwurm  (Tubifex) 
und  Mollusken  wie  Sphaerium,  Gulnaria  und 
Dreissensia  lebe.  Es  hat  sich  hierüber  in  der 
Fischereibiologie  ein  heftiger  Streit  entsponnen, 
welcher  schließlich  der  Schiemenzschen  Ansicht 
zum  Siege  verhelfen  hat. 

Auch  der  Uklei  ist  in  zwei  verschiedene 
Ernährungsformen  zu  trennen. 

Die  eine  Form  ist  durch  ihren  Aufenthalt  in 
Flüssen  und  in  der  Uferregion  der  Seen  gekenn- 
zeichnet. Sie  ernährt  sich  vorwiegend  von  der 
sog.  Luftnahrung,  d.  h.  von  den  in  das  Wasser 
fallenden  Luftinsekfen,  eine  andere  Form  lebt  im 
freien  Wasser  der  Seen  und  lebt  ausschließlich 
von  planktonischen  Organismen. 

Als  ein  Beispiel  für  Fische,  die  als  Individuen 
selbst  mit  der  Nahrung  wechseln,  erwähne  ich 
die  Plötze  und  in  geringem  Maße  auch  die  Rot- 
feder. Beide  nehmen  als  Hauptnahrung  sowohl 
pflanzliche  Organismen  als  auch  —  vor  allem  die 
Plötze  —  tierische  Organismen  und  zwar  in  allen 
Altersstadien  auf.    Ich   hatte  bereits   gesagt,   daß 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


vor  allem  als  pflanzliche  Nahrung  die  Aufwuchs- 
pflanzen in  Frage  kommen,  als  tierische  Nahrung 
kommen  im  wesentlichen  einige  Mollusken,  be- 
sonders Valvata  piscinalis  und  Sphaerium  in 
Betracht. 

Es  geht  also  aus  dem  Gesagten  hervor,  daß 
die  Nahrung  unserer  Fische  nicht  einfach  derart 
ist,  daß  sie  alles  fressen,  was  ihnen  vor  ihr  IVIaul 
kommt,  sondern,  daß  sie  eine  Auswahl  treffen. 
Weiter  geht  aber  noch  hervor,  daß  das  so  viel 
gepriesene  Plankton,  dem  man  früher  eine  so 
überragende  Rolle  für  die  Ernährung  unserer  Fische 
zuschrieb,  diese  Rolle  durchaus  nicht  spielt.  E)s 
sind  eigentlich  nur  verhältnismäßige  wenige  Fisch- 
arten, die  wir  als  Planktonfresser  bezeichnen  können. 
Das  sind  außer  dem  erwähnten  Uklei  des  freien 
Wassers  vor  allem  die  kleine  Maräne,  der  Stint 
und  der  junge  Zander,  während  der  erwachsene 
Zander  vom  Raub  anderer  Fische,  im  wesentlichen 
des  Stintes  lebt.  In  Süddeutschland  sind  einige 
Coregonenarten  Planktonfresser.  Aber  auch  das 
Plankton  wird  nicht  beliebig  gefressen,  sondern  es 
wird  auch  hier  eine  Auswahl  unter  den  Orga- 
nismen getroffen ;  so  findet  man  in  manchen 
Seen  in  dem  Darm  des  Stintes  reine  Leptodora 
hyalina-Massen ,  auch  der  junge  Zander  sucht 
diese,  wenn  möglich,  als  einzige  Hauptnahrung 
auf.  Aus  den  Untersuchungen  der  Fischerei- 
biologen an  diesen  beiden  Fischen  wissen  wir, 
daß  Leptodora  hyalina,  jener  räuberische  Kruster 
des  Planktons,  durchaus  nicht  so  selten  ist,  wie 
man  früher  annahm,  sondern  in  bestimmten 
Wasserschichten  sogar  sehr  häufig. 

Das  Bindeglied  nun  zwischen  diesen  höchst 
organisierten  Tieren  des  Süßwassers  und  den 
Pflanzen  bilden  die  Nahrungstiere,  von  denen  ich 
soeben  gesprochen  habe,  soweit  nicht  direkt 
Pflanzen  gefressen  werden.  Es  lag  nun  nahe,  daß 
die  weiteren  Untersuchungen  der  Hydrobiologen 
sich  mit  dem  Wege  näher  beschäftigten,  den  die 
von  der  Pflanze  produzierten  organischen  Be- 
standteile bis  zum  Fischkörper  zurücklegen,  eine 
Frage,  die  ja  von  großer  praktischer  Bedeutung 
ist.  In  der  Tat  hat  sich  eine  Reihe  von  Unter- 
suchungen mit  der  Frage  nach  der  Nahrung  der 
Fischnährtiere  beschäftigt.  Vorangegangen  ist 
hier  wieder  die  marine  Hydrobiologie.  Aber 
auch  die  Süßwasserforschung  hat  sich  neuerdings 


dieser  Frage  zugewandt,  und  es  hat  sich,  soweit 
sich  die  bisher  spärlichen  Resultate  verallge- 
meinern lassen,  gezeigt,  daß  der  Weg  von  der 
Pflanze  zum  Fischkörper  im  allgemeinen  kein  so 
überaus  komplizierter  ist,  wie  man  vielleicht  an- 
nehmen könnte.')  Ein  großer  Teil  der  Fischnähr- 
tiere lebt  direkt  von  pflanzlichen  Stoffen,  so  daß 
nur  eine  Zwischenstufe  besteht.  Ein  anderer  Teil 
dagegen  lebt  von  tierischen  Organismen  oder 
deren  Resten,  so  daß  hier  mehrere  Zwischen- 
stufen vorliegen.  Wir  können  auch  die  Nährtiere 
der  Süßwasserfische  einteilen,  wie  es  Rauschen- 
pia t  für  die  Seefische  getan  hat  in: 

Großpflanzenfresser, 
Kleinpflanzenfresser, 
Tierfresser : 

a)  Räuber, 

b)  Aasfresser, 
Pianktonzehrer, 
Detrituszehrer. 

Zu  den  Großpflanzenfressern  gehören  nach 
unseren  Untersuchungen  die  Gammariden,  zu  den 
Kleinpflanzenfressern  oder,  wie  ich  besser  sagen 
möchte,  Aufwuchsfressern  einzelne  Arten  von 
Ephemeriden,  Stylaria  lacustris,  Sida  cristallina, 
und  in  einzelnen  Gewässern  die  Wasserassel, 
Asellus  aquaticus,  zu  den  Räubern  die  Leptodora 
hyalina  und  Corixa  striata,  zu  den  Aasfressern 
können  unter  Umständen  sowohl  Gammariden 
wie  Asellus  werden,  konstante  Aasfresser  sind 
noch  nicht  unter  den  Fischnährtieren  bekannt  ge- 
worden. Die  Gruppe  der  Pianktonzehrer  könnte 
vielleicht  besser  aufgeteilt  werden,  in  die  Tier- 
und  Kleinpflanzenfresser.  Als  Detrituszehrer 
möchte  Einar  Naumann")  einzelne  Cladozeren 
des  Plantons  betrachten.  Schiemenz  führt 
hier  auch  die  Chironomuslarven  auf,  soweit  sie 
zu  den  Schlammbewohnern  gehören. 

Eins  geht  jedenfalls  aus  den  bisherigen  Unter- 
suchungen hervor,  daß  nämlich  die  Ernährungs- 
verhältnisse der  niederen  Wassertiere  durchaus 
nicht  so  einfach  liegen,  wie  man  bisher  anzu- 
nehmen geneigt  war. 


')  Willer,  A.,  Fischerei-Zeitung  Bd.   22,  Nr.  48. 
'')  Kestkrift   utvigea   av   Lunds  Universitet   vid    dess  TrS- 
hundrafemtioärsjubileum   1918,  Lund  und   Leipzig. 


Einzelberichte. 


über  farbloses  (iuecksilberjodid. 

Von  diesem  Stoff  sind  bisher  nur  zwei  Formen 
bekannt.  Im  allgemeinen  als  prächtige,  rote, 
quadratische  Kristalle  bekannt,  wandelt  sich  der 
Stoff  beim  Erhitzen  auf  126—127"  i"  leuchtend 
gelbe  rhombische  Kristalle  um,  die  beim  Ab- 
kühlen langsam  wieder  rot  werden.     Man  hat  es 


hier  mit  einem  Schulbeispiel  der  Enantiotropie 
zu  tun,  das  im  übrigen  keine  Besonderheiten 
bietet.  Nun  sind  aber  die  Jodide  der  mit  dem 
Quecksilber  in  die  gleiche  Gruppe  gehörenden 
Metalle  Cadmium  und  Zink  farblos,  und  es 
ist  bisher  in  keiner  Weise  eine  Farbigkeit  wie 
die  der  Quecksilberverbindung  bekannt  geworden. 
Tammann  hält  nun  den  Analogieschluß  für  be- 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


rechtigt,  daß  a u c h  das  Quecksilberjodid  farb- 
los sein  könne,  ebenso  wie  unter  den  geeigneten 
Bedingungen  auch  die  andern  hierher  gehörigen 
Jodide  umgekehrt  farbig  auftreten  mögen.  Den 
Beweis  für  diese  Möglichkeit  hält  der  Forscher 
für  das  Quecksilberjodid  in  der  Tat  für  geliefert.') 

Wenn  er  nämlich  10—20  g  des  Stoffes  in 
einem  schwer  schmelzbaren  Glasrohre  auf  300 
bis  350"  erhitzte,  so  trat,  wie  immer,  Sieden  des 
Stoffes  und  unzersetztes  Verdampfen  ein.  Wurde 
der  Dampf  alsdann  in  eine  Vorlage  geleitet,  in 
der  der  Druck  plötzlich  auf  0,1  Atm.  erniedrigt 
werden  konnte,  so  trat  die  Kondensation  in  auf- 
fälliger Form  ein.  Der  Stoff  fiel  dann  in  feinster 
Verteilung  „als  farbloser  Schnee"  nieder,  der  in 
wenigen  Sekunden  rosarot  und  nach  einigen  Mi- 
nuten rot  wurde.  Mit  jeder  Druckerniedrigung 
trat  neue  Schneebildung  auf  T  a  m  m  a  n  n  glaubt, 
daß  dieser  Schnee  die  vermutete  farblose  Modi- 
fikation des  Quecksilberjodids  darstellt.  Würde 
man  sie  hinreichend  abkühlen,  so  wäre  sie  viel- 
leicht längere  Zeit  beständig,  und  man  könnte 
durch  eine  Bestimmung  die  Modifikation  näher 
charakterisieren  und  sie  in  Beziehung  zu  den 
anderen  bereits  bekannten  Formen  des  Stoffes 
setzen.  — 

Für  die  Richtigkeit  der  wiedergegebenen  Be- 
funde bürgt  ohne  weiteres  der  Name  des  hervor- 
ragenden Forschers.  Zu  ihrer  Auswertung  jedoch 
möchte  ich  mir  einige  kritische  Bemerkungen  er- 
fauben.  Zunächst  muß  daran  erinnert  werden, 
daß  man  das  Quecksilberjodid  in  fast  weißer 
Form  erhalten  kann,  wenn  man  eine  ziemlich 
stark  alkoholische  Lösung  von  Quecksilberchlorid 
mit  Kaliumjodidlösung  fällt.  Infolge  der  äußerst 
feinen  Verteilung  des  Niederschlages  ist  die  ihm 
eigentlich  zukommende  Farbe  für  uns  nahezu 
gleich  reinem  Weiß,  eine  Erscheinung,  die  ja 
auch  an  anderen  farbigen  Niederschlägen  be- 
obachtet werden  kann.  Dieser  anfangs  gebildete 
Niederschlag  des  gelben  Jodids  färbt  sich  dann, 
zumal  im  Sonnenlicht,  innerhalb  weniger  Augen- 
blicke rot.  Wie  denn  überhaupt  bei  jeder  Aus- 
fällung des  Jodides  zuerst  immer  die  an  und  für 
sich  bei  gewöhnlicher  Temperatur  unbestän- 
dige gelbe  Form  fällt,  eine  auch  sonst  stehende 
und  thermodynamisch  auch  erklärliche  Erschei- 
nung. Bis  zu  einer  genauen  Bestimmung  der 
für  die  Tammann'sche  Modifikation  gültigen 
Eigenschaften  ist  mithin  die  Möglichkeit  vor- 
handen, daß  auch  bei  ihr  es  lediglich  die  feine 
Korngröße  des  schneeigen  Kondensats  sei, 
die  dem  Beobachter  dieses  als  „weiß"  erscheinen 
läßt.  Zumal  der  Umstand,  daß  der  „farblose 
Schnee"  sofort  in  rosaroten  Beschlag  über- 
geht, macht  diese  Annahme  wahrscheinlich.  Auf 
Grund  der  bisherigen  Erfahrung  sollte  mindestens 
als  momentane  Zwischenstufe  auch  eine  gelbe 
Verfärbung  auftreten.  Bei  Farbphänomenen 
dieser   Art    ist,    zumal    in    der    Gruppe    der    ge- 


')  Ztschr.  f.  anorganische  Chemie;  109,  S.  213  {1920J. 


nannten  Metalle,  weiterhin  zu  berücksichtigen,  in 
wie  hohem  Grade  solche  von  Temperaturein- 
flüssen abhängen;  vergleiche  die  starke  Gelb- 
färbung des  Zinkoxyds  beim  Erhitzen,  die 
nicht  auf  einer  neuen  Modifikation  beruht!  Und 
schließlich  ist  der  Schluß  anfechtbar,  weil  Queck- 
silberjodid gefärbt  ist,  müsse  dasselbe  für  Cad- 
mium  und  Zink  gleichfalls  gelten,  und  umgekehrt. 
Quecksilber  bildet  so  viel  stärkst  farbige  Ver- 
bindungen, daß  es  in  dieser  Beziehung  mit  den 
beiden  Metallen  gar  nicht  zu  vergleichen  ist. 
Hier  liegt  meines  Erachtens  das  eigentliche 
Problem.  Hans  Heller. 

Mistel  und  Birubaum. 

Die  auffällige  Erscheinung,  daß  die  Mistel  auf  dem 
Birnbaum  im  allgemeinen  selten  auftritt,  während 
der  Apfelbaum  eine  ihrer  besten  Wirtspflanzen  ist, 
war  von  E.Heinrich  er  vor  einigen  Jahren  auf 
Grund  neuer  Versuche  in  einer  Abhandlung  be- 
handelt worden,  die  in  den  Denkschriften  der 
Wiener  Akademie,  Math.-naturw.  Kl.,  Bd.  93,  1916, 
erschienen  ist.  Er  hatte  drei  Gruppen  von  Birn- 
bäumen mit  bezug  auf  ihre  Empfänglichkeit  gegen 
Mistelbefall  unterschieden:  echt  immune,  unecht 
immune  und  nicht  immune.  Echt  immun  sind 
danach  solche  Bäume,  an  denen  die  Mistelkeime 
absterben,  ohne  daß  an  den  Bäumen  merkbare 
Krankheitserscheinungen  auftreten,  unecht  immun 
solche,  die  unter  der  Einwirkung  der  Mistelkeime 
einen  Krankheitsprozeß  durchmachen,  dem  aller- 
dings infolge  der  Abstoßung  von  Borkenschuppen 
oder  ganzer  Zweige  auch  die  Misteln  selbst 
zum  Opfer  fallen,  und  nicht  immun  solche,  an 
denen  die  Mistelkeime  sich  weiter  entwickeln, 
ohne  daß  anfangs  schädigende  Einwirkungen  sicht- 
bar werden.  Heinricher  hatte  u.  a.  beobachtet, 
daß  unecht  immune  Birnbäume  sich  bei  einer 
zweiten  oder  dritten  Infektion  (mit  Ausnahme 
eines  noch  zu  besprechenden  Falles)  wie  echt 
immune  verhielten,  so  daß  das  Überstehen  der 
ersten  Infektion  zu  ihrer  Immunisierung  geführt 
zu  haben  scheinen.  Andererseits  wurde  an  einem 
Baume,  auf  dem  von  zehn  ausgelegten  Mistel- 
samen zwei  sich  zu  Pflanzen  entwickelten,  der 
aber  nach  zwei  Jahren  Krankheitserscheinungen 
zeigte  und  die  Misteln  wieder  ausmerzte,  bei  er- 
neuter Infektion  keine  Immunität  festgestellt,  viel- 
mehr kam  nunmehr  eine  größere  Zahl  von  Mistel- 
pflanzen als  vorher  zur  Entwicklung,  woran  aller- 
dings, wie  die  Beobachtungen  der  letzten  Jahre 
ergaben,  ein  Teil  abstarb;  wie  bei  der  ersten  In- 
fektion setzten  auch  bei  der  zweiten  erst  um  die 
schon  zu  Büschen  gewordenen  Pflanzen  jene  Re- 
aktionen ein,  die  zu  ihrer  Beseitigung  führten. 
Heinricher  schließt  nun,  daß  durch  Pfropfung 
von  Zweigen  dieses  Birnbaumes  auf  WildHnge 
oder  andere  geeignete  Unterlagen  sich  leicht 
Birnbäume  würden  erziehen  lassen,  auf  denen 
sich  die  Mistel  entwickeln  könnte,  und  er  meint, 
daß  möglicherweise   in  solchen  Pfropfungen   eine 


N.  F.  XX.  Nr.  i 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


29 


Erklärung  gebotea  wäre  für  die  Tatsache,  daß  in 
gewissen  Gegenden,  wie  in  der  Cöte-d'Or  und 
in  Luxemburg,  die  Birnbaummistel  häufig  sei. 
Das  erwähnte  Absterben  der  Misteln  falle  nicht 
ins  Gewicht,  da  die  Infektionen  in  seinen  Kultur- 
versuchen an  jungen  Bäumchen  und  an  den  Haupt- 
achsen ausgeführt  wurden,  wo  die  Misteln  schäd- 
licher wirkten  und  eher  der  Ausmerzung  unter- 
lägen, als  in  der  freien  Natur,  wo  sie  sich  ge- 
wöhnlich in  der  Krone  ansiedelten ;  hier  ge- 
fährdeten sie  das  Leben  des  Baumes  und  ihr 
eigenes  viel  weniger  und  könnten  sich  leichter  fort- 
entwickeln. In  einem  der  Versuche  mit  unecht 
immunen  Bäumen  hat  sich,  wie  bereits  angedeutet, 
herausgestellt,  daß  der  Baum  durch  die  erste  In- 
fektion noch  nicht  immun  geworden  war,  daß 
aber  die  Reaktion  auf  die  zweite  Infektion  erst 
nach  längerer  Zeit  und  dann  sehr  heftig  auftrat. 
Die  Erscheinung  war  derart,  daß  sie  nach  An- 
sicht Heinrichers  nur  durch  Giftwirkung  zu 
erklären  ist  und  seine  Annahme  von  der  Er- 
weckung von  Antitoxinen  durch  das  Misteltoxin 
zu  stützen  geeignet  ist.  „Man  gewinnt  den  Ein- 
druck, daß  durch  die  erste  Infektion  im  Baum  ein 
Antitoxin  entstanden  war,  das  zunächst  die  Wir- 
kung des  Mistelgiftes  hemmte  und  so  eine  Re- 
aktion verzögerte.  Zwischen  Antitoxin  und  Toxin 
entbrannte  gewissermaßen  ein  Kampf  um  das 
Übergewicht,  der  endlich  zugunsten  des  Toxins 
ausfiel  und  dessen  verzögerter,  aber  gründlicher 
Sieg  dann  in  der  außergewöhnlich  starken  Re- 
aktion seinen  Ausdruck  fand."  (Zeitschrilt  für 
Pflanzenkrankheiten  Bd.  30,  1920,  S.  41  —  51). 

F.  Moewes. 


Dauer  der  Spät-  und  Postglazialzeit. 

Für  die  absolute  Dauer  der  Spät-  und  Postglazial- 
zeit und  der  zugehörigen  Kulturen  haben  bekannt- 
lich die  hervorragenden  nordischen  Geologen  d  e 
GeerundSernanderunddie  deutschen  Forscher 
Keilhack,  Penck  und  Menzel  u.  a.  m.  eine 
Reihe  von  rein  zahlenmäßigen  Angaben  aufge- 
stellt, um  dadurch  klare  Vorstellungen  über  das 
wahre  Alter  und  die  Dauer  dieses  Zeitabschnittes 
zu  ermöglichen.  Wohl  hatten  die  von  diesen 
Forschern  ermittelten  Zahlen  im  wesentlichen  die 
Zustimmung  aller  in  Betracht  kommenden  Geo- 
logen gefunden.  Demungeachtet  sind  gerade  in 
den  letzten  Jahren  mehrfach  von  archäologischer 
Seite  diese  Zahlen  angegriffen  worden.  Immer 
und  immer  wieder  wurde  dabei  den  Geologen 
entgegengehalten,  daß  die  von  ihnen  ermittelten 
Zahlen  viel  zu  hoch  gegriffen  seien  und  dadurch 
eine  gänzlich  verzerrte,  phantastische  Vorstellung 
von  der  Erd-  und  ältesten  Menschengeschichte 
gäben.  Infolge  dieser  Angriffe  hat  neuerdings 
der  Eiszeitgeologe  E.  Werth  seinerseits  einmal 
eine  Nachprüfung  dieser  Zahlen  unternommen. 
Bei  dieser  Nachprüfung  kommt  Werth  im  Kor- 
respondenzblatt der  deutschen  Gesellschaft  für 
Anthropologie  51,   1920,  S.  7 — 10  zu  einer  ganzen 


Reihe  von  neuen  wertvollen  Beobachtungen,  welche 
die  Beachtung  der  weitesten  Kreise  verdienen. 

Für  die  Dauer  des  Rückzuges  des  Eises  von 
der  südschwedischen  Eisrandlage  über  die  mittel- 
schwedische bis  zur  Eisscheide,  d.  h.  bis  zum 
Ende  der  Eiszeit,  hatte  de  .  G e e r  bereits  auf 
Grund  seiner  Untersuchungen  der  Eismeertone 
5000  Jahre  angenommen.  Für  die  Postglazialzeit 
selbst  hatte  er  einen  Wert  von  7000  Jahren  ein- 
gesetzt. Mit  der  ersten  Angabe  erklärt  sich 
Werth  einverstanden,  während  ihm  die  zweite 
zu  gering  erscheint.  In  der  Frage  nach  der  Post- 
glazialzeit schließt  sich  Werth  vielmehr  mit 
Menzel  an  Keilhack  an,  welcher  allein  für 
diese  Zeitspanne  vom  Höhepunkte  der  Litorina- 
senkung  bis  heute  auf  7000  Jahre  kommt.  Der 
Höhepunkt  der  Litorinasenkung  aber  deckt  sich 
nach  unserem  Wissen  ziemlich  genau  mit  der 
Grenzzeit  zwischen  dem  sog.  Mesolithikum  und 
dem  Vollneolithikum.  Zu  diesen  7000  Jahren 
hätten  wir  dann  noch  die  Zeit  des  Mesolithikums 
hinzuzurechnen,  um  die  absolute  Zeitdauer  der 
Postglazialzeit  zu  erhalten.  Für  dieses  Mesolithi- 
kum glaubt  Werth  weitere  4000  Jahre  annehmen 
zu  müssen.  Damit  gelangen  wir  dann  für  die 
gesamte  seit  der  südschwedischen  Eisrandlage  bis 
heute  verstrichene  Zeit  auf  16000  Jahre. 

Dieselbe  Zahl  hatte  bereits  1894  A.  Heim 
auf  Grund  eines  experimentell  für  eine  bestimmte 
Zeitspanne  festgestellten  Sedimentationswertes  be- 
rechnet, die  das  die  ehemalige  Schwyzer  Bucht 
des  Vierwaldstätter  Sees  abdämmende  Delta  der 
Muota  zu  seiner  Aufschüttung  gebraucht  hat. 
Der  von  Heim  gefundene  Wert  von  etwa 
16000  Jahren  bezeichnet  zugleich  die  Zeit,  die 
bis  heute  seit  dem  Penckschen  sog.  Bühlstadium 
des  sich  zurückziehenden  eiszeitlichen  Gletschers 
verflossen  ist.  Die  zugehörigen  Bühlmoränen  finden 
sich  nach  Penck  und  Brückner  bei  demjenigen 
der  alpinen  Moränengebiete,  in  welchen  ein  typi- 
sches Zentralbecken  zur  Ausbildung  gelangt  ist 
(Rosenheimer  Becken,  Bodensee,  Genfer  See),  erst 
oberhalb  dieser  Becken  abgelagert.  Bereits  191 2 
hatte  es  jedoch  Werth  wahrscheinlich  zu  machen 
gesucht,  daß  der  Zone  dieser  großen  Becken  im 
Alpenvorlande  die  große,  im  weiteren  Vorlande 
des  skandinavischen  Gebirgsstockes  sich  hinziehende 
Depression  der  Ostsee,  der  großen  russischen 
Seen  und  des  Weißen  Meeres  mit  der  Onega- 
Dwina-  und  Mesenbai  entspricht.  Wir  hätten  da- 
mit die  dem  alpinen  Bühlstadium  entsprechenden 
Moränen  des  nordeuropäischen  diluvialen  Eises 
erst  nördlich  der  Ostsee  in  einem  der  schwedischen 
Endmoränenzüge  zu  suchen.  Für  das  Alter  der 
südlichsten  Gruppe  derselben  waren  oben  im 
Minimum  16  000  Jahre  angesetzt.  Beide  Zahlen- 
angaben stimmen  also  ungefähr  überein. 

Auch  ein  absolutes  Alter  für  den  Beginn  der  Ab- 
schmelzperiode des  letzten  eiszeitlichen  Gletschers 
in  seinem  Maximalstande  hat  Werth  zu  errechnen 
versucht.  Für  die  Gletscherrückzugsbewegung  an 
sich    vom    Maximalstande    der    letzten  Vereisung 


3ö 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


bis  zur  südschwedischen  Eisrandlage  hat  er  dabei 
nach  dem  Vorgange  von  Menzel  4000  Jahre 
eingesetzt.  In  diese  Zahl  hatte  jedoch  Menzel 
die  zahlreichen  auf  diesen  Weg  entfallenden  Still- 
standslagen miteingesetzt ;  ebenso  hatte  auch  de 
Geer  die  schwedischen  Stillstandslagen  ohne 
Störung  in  seine  Jahreszählungen  hineingezogen. 
Mit  dieser  Einrechnuiig  der  Stillstandslagen  in  die 
4000  Jahre  kann  sich  jedoch  Werth  nicht  ein- 
verstanden erklären.  Seiner  Überzeugung  nach 
dürfte  eine  derartige  Einreihung  für  Norddeutsch- 
land nicht  angängig  sein,  da  sich  die  schwedischen 
Eisstillstandsmarken  quantitativ  in  keiner  Weise 
mit  den  entsprechenden  Bildungen  in  Norddeutsch- 
land vergleichen  lassen;  nirgends  in  Schweden 
kenne  man  z.  B.  die  durch  massige  Häufung  von 
Eisrandbildungen  (Endmoränenzüge)  entstanden  zu 
denkende  Moränenlandschaft  (Grundmoränenland- 
schaft), wie  sie  in  Norddeutschland  die  beiden 
baltischen  Eisrandlagen  in  breiter  Zone  begleitet 
und  auch  sonst  auftritt.  Diese  Moränenlandschaft 
stelle  entweder  die  Marken  zahlreicher  unmittel- 
bar aufeinanderfolgender  Stillstandslagen  dar  oder 
bezeichne  die  Zone  einer  längere  Zeit  oszillieren- 
den Gletscherfront.  Jedenfalls  deute  sie  auf  eine 
ganz  erhebliche  Verzögerung  der  Gesamtrück- 
gangsbewegung hin.  Die  Gesamtheit  dieser  zahl- 
reichen Stillstandslagen  auf  den  dänischen  Inseln 
und  in  Norddeutschland  (bis  zur  äußersten  Jung- 
moräne) berechnet  Werth  auf  wenigstens  4000 
Jahre.  Diese  zu  den  4000  Jahren  glatter  Rück- 
zugsbewegung hinzugerechnet  ergeben  also  8000 
Jahre  für  die  Abschmelzung  des  Eises  (der  letzten 
diluvialen  Eiszeit)  von  seinem  Maximalstande  bis 
zum  südschwedischen  Halt.  Da  dieser  letztere 
nach  den  vorhin  gegebenen  Zahlen  16000  Jahre 
zurückliegen  soll,  so  würde  die  Zeit  des  be- 
ginnenden Rückzugs  (der  Beginn  der  Abschmelz- 
periode) mit  16000  und  8000  =  24  000  Jahren 
anzusetzen  sein. 

Mit  diesen  Zahlen  lassen  sich  die  von  N  ü  e  s  c  h 
auf  Grund  der  Ablagerungen  des  Schweizersbildes 
bei  Schaffhausen  gewonnenen  Daten  vergleichen. 
Nüesch  hat  hier  fünf  verschiedene  Schichten 
unterschieden,  von  denen  die  oberste  40  bis  50  cm 
starke  Humusschicht  Metallreste  der  Bronze-  und 
Eisenzeit  führte,  während  die  tieferen  Schichten 
der  jüngeren  und  die  tiefsten  der  älteren  Stein- 
zeit angehörten.  Nüesch  schätzte  nun  die  Bil- 
dungsdauer der  obersten  Metallschicht  gemäß  dem 
für     die    Bronzezeit    angenommenen     Alter     auf 


4000  Jahre  und  berechnete  danach  die  Ablage- 
rungszeit der  sechsmal  so  starken  gesamten 
Schichtenfolge  des  Schweizersbildes  auf  24000  Jahre. 
Wenn  wir  diese  Zahl  nach  oben  zu  einem  Viertel- 
hunderttausend abrunden,  so  haben  wir  Aussicht, 
auch  noch  die  Lokalschotter  mitberechnet  zu 
haben,  die  die  Kulturschichten  des  Schweizers- 
bildes unterteufend  diese  von  den  der  benachbarten 
Maximalstandmoräne  ausgehenden  fluvioglazialen 
Schottern  trennen,  und  gelangen  damit  chronolo- 
gisch an  den  Beginn  der  Abschmelzperiode  (Spät- 
glazial). Für  diesen  Zeitpunkt  haben  wir  oben 
24000  Jahre  erhalten.  Damit  würde  dann  die 
Schweizersbildsche  Schätzung  übereinstimmen,  und 
zwar  nicht  nur  in  der  Gesamtzififer,  sondern  auch 
in  den  Ziffern  für  die  einzelnen  betrachteten  Unter- 
gruppen. 

Wir  können  demnach  den  Beginn  der  Spät- 
glazialzeit rund  25000  Jahre  zurückrechnen.  Für 
diese  25000  Jahre  würde  sich  dann  die  folgende 
Chronologie  ergeben: 

Spätglazial  =  Abschmelzzeit  des  letzteiszeitlichen 
Gletschers =Magdalenien  23000 — 9000  v.Chr. 

Ancylus-     und    Litorinaperiode  =  Mesolithikum 
(Campignien)  9000— 5000  v.  Chr. 

Vollneolithikum  5000 — 2000  v.  Chr. 

Metallzeit  2000  v.  Chr.  bis  heute. 

Wohl  weist  Werth  selber  darauf  hin,  daß 
den  bei  der  Berechnung  angewandten  Methoden 
verschiedene  Mängel  anhaften,  und  warnt  deshalb 
selbst,  auf  solche  Zahlen  etwa  allzuviel  Gewicht 
zu  legen.  Aber  einmal  beruhen  die  Werth  sehen 
Angaben  doch  auf  gesunden  Grundlagen.  Gerade 
in  der  absoluten  Zeitbestimmung  für  die  Eiszeit  hat 
bis  jetzt  das  subjektive  Gefühl  eine  für  die  Wissen- 
schaft allzu  gefährliche  Rolle  gespielt  und  zu  den 
widersprechendsten  Zahlen  geführt.  Dieses  sub- 
jektive Gefühl  scheint  jedoch  in  der  Werthschen 
Arbeit  ausgeschaltet  zu  sein  und  dafür  lediglich  die 
exakte  Forschung  zu  sprechen.  Derartige  exakte 
Angaben  sind  aber  gerade  hochwillkommen ,  vor 
allem  für  die  weiteren,  sich  für  die  Eiszeitfragen 
interessierenden  Kreise.  Denn  gerade  für  diese 
ist  es  von  besonderem  Wert,  wenn  sie  sich  nicht 
immer  mit  einer  relativen  Altersangabe  für  die 
einzelnen  Perioden  und  Kulturen  zu  begnügen 
brauchen,  sondern  auch  einmal  absolute  Zahlen 
erhalten  können,  die  ja  die  Verhältnisse  ganz 
anders  klar  legen  als  komplizierte  wissenschaft- 
liche Fachangaben. 

Wernigerode  a.  H.  Hugo  Mötefindt. 


Bücherbesprechungen. 


Lewin,  Kurt,  Die  Verwandtschaftsbe- 
griffe in  Biologie  und  Physik  und  die 
Darstellung  vollständiger  Stamm- 
bäume. Heft  5  der  von  Prof  Schaxel 
herausgegebenen  Abhandlungen  zur  theoretischen 
Biologie.  Berlin  1920,  Gebr.  Borntraeger.  6,80  M. 


In  der  Physik  wird  der  Begriff  der  Verwandt- 
schaft gewöhnlich  für  die  chemische  Affinität  be- 
nutzt; bisweilen  werden  aber  auch,  ohne  damit 
einen  exakten  Begriff  zu  verbinden,  ähnliche 
Erscheinungen  als  „verwandt"  bezeichnet.  Im 
ersten  Falle  handelt  es  sich  um  die  Vereinigungs- 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


3* 


fähigkeit,  in  diesem  um  die  Eigenschafts- 
ähnlichkeit, wobei  sich  sofort  herausstellt,  daß 
diese  beiden  „Verwandtschaften"  ganz  verschiedene 
Beziehungen  bestimmen,  da  ja  eben  unähnliche 
Gebilde  sich  am  leichtesten  chemisch  zu  verbinden 
pflegen.  —  Der  in  der  Biologie  verwendete  Be- 
griff der  Blutsverwandtschaft  läßt  sich  mit  keinem 
der  genannten  physikalischen  Verwandtschaftsbe- 
griffe vergleichen;  aber  trotzdem  gibt  es  auch  in 
der  Biologie  Verwandtschaftsbegriffe,  welche  den 
Begriffen  der  Physik  entsprechen,  und  zwar  ent- 
spricht die  Fähigkeit,  gemeinsame  Nachkommen 
zu  erzeugen  der  chemischen  Affinität  und  die 
Typenverwandtschaft  der  Verwandtschaft  als  Eigen- 
schaftsähnlichkeit. Diese  Typen  Verwandtschaft 
gibt  zugleich  die  „Idee  des  Systems",  da  sie  nicht 
nur  diejenigen  biologischen  Gebilde  umfaßt,  die 
infolge  der  geschichtlich,  d.  h.  „zufällig"  verwirk- 
lichten Bedingen  tatsächlich  entstanden  sind,  sondern 
alle  überhaupt  möglichen  Organismen.  Dabei 
werden  die  Typen  nach  ihrer  „Ableitbarkeit" 
geordnet,  wobei  es  durchaus  unmotiviert  erscheint, 
an  einer  Über-  und  Unterordnung  der  Typen  fest- 
zuhalten. „Das  Beispiel  der  Chemie  zeigt  ja,  daß 
man  mit  Sinn  von  derartigen  Ableitungen,  z.  B. 
der  aliphatischen  Verbindungen  aus  dem  Methan 
reden  kann,  ohne  daß  man  die  Stoffart,  aus  der 
die  Ableitung  erfolgt,  also  das  IVIethan,  den  abge- 
leiteten StofTarten,  seinen  Derivaten  überordnet." 
—  Man  erhält  so  einen  „ideellen"  Stammbaum, 
einen  „Eigenschafts-Stammbaum",  im  Gegensatz 
zu  dem  generalogischen  Stammbaum,  welcher  die 
„Existentialbeziehung"  ausdrückt.  — 

Die  Abhandlung,  deren  Inhalt  durch  obige 
Sätze  skizziert  werden  soll,  entstammt  einer  noch 
nicht  veröffentlichten  größeren,  wissenschafts- 
theoretisch vergleichenden  Arbeit :  Der  Ordnungs- 
typus der  genetischen  Reihen  in  Physik,  organis- 
mischer Biologie  und  Entwicklungsgeschichte.  Die 
hohe  Bedeutung  der  vergleichenden  Wissenschafts- 
lehre erhellt  deutlich  schon  aus  dieser  vorweg- 
nehmenden Veröffentlichung,  wobei  gerade  durch 
das  Aufsuchen  wissenschaftstheoretischer  Äqui- 
valenzbeziehuugen  auch  die  Unterschiede  zwischen 
den  einzelnen  Wissenschaften  deutlicher  hervor- 
treten. Gerade  der  Begriff  der  „Verwandtschaft" 
in  der  Biologie  hat,  besonders  seitdem  er  von  der 
Deszendenztlieorie  übernommen  wurde,  eine  ver- 
wirrende Vielseitigkeit  erhalten,  und  jede  Unter- 
suchung ist  zu  begrüßen,  welche,  wie  die  vor- 
liegende, versucht,  diese  verschiedenen  „Verwandt- 
schaften" zu  entwirren.  Vor  allem  aber  ist  die 
Erkenntnis  wichtig,  daß  Morphologie  und  Ab- 
stammungslehre zwei  durchaus  getrennte  Gebiete 
behandeln,  daß  die  morphologische  Ableitbarkeit 
einer  Form  aus  einer  anderen  über  den  genea- 
logischen Zusammenhang  der  beiden  Formen  gar 
nichts  aussagt,  sondern  daß  ein  solcher  Zusammen- 
hang immer  von  Fall  zu  Fall  einzeln  bewiesen 
werden  muß. 

Zur  Darstellung  vollständiger  Stammbäume 
gibt  L.  bemerkenswerte  Vorschläge   für  die  Aus- 


führung chronologischer  Stammtafeln, 
welche  nicht  nur  die  Ahnen  eines  Probandus, 
sondern  auch  deren  Lebensdauer,  die  Zeit  ihrer 
Eheschließung,  die  Zahl  der  Generationsfolgen  und 
eventuelle  Generationsverluste  zur  Darstellung 
bringen. 

Zürich.  M.  Schips. 

Jensen,  B.,  Erleben  und  Erkennen.  Aka- 
demische Rede.  53  S.  Jena  1920,  Gustav 
Fischer.  Brosch.  3  M. 
Die  Rede  behandelt  den  in  neuerer  Zeit  wieder 
viel  betonten  Gegensatz  zwischen  dem  gefühls- 
mäßigen, „intuitiven"  Erleben  und  dem  wissen- 
schaftlichen, „nüchternen"  Erkennen  und  kommt 
zu  dem  Schlüsse:  „Es  läßt  sich  nur  eine  Art 
von  Erkennen  nachweisen,  die  zu  klaren,  sicheren 
Ergebnissen  führt  und  daher  den  Namen  Erkennen 
mit  Recht  trägt.  Dieser  Erkenntnis  erscheint 
...  die  mannigfaltige  materielle  Welt  und  die 
Fülle  des  Geistigen  mit  allen  seinen  Idealen  als 
eine  untrennbare  Einheit,  als  einheitlicher  Kosmos. 
Ein  Gegenstand  vielfältigster  .  ..  mit  allen 
Gefühlen  sich  auswirkenden  Erlebens,  aber 
eines  einzigen,  einheitlichen  Erkennen s" 
(S.  51).  Nach  J.  ist  nämlich  nur  das  als  wahres 
Erkennen  anzusehen,  was  sich  in  folgende  drei 
Phasen  zerlegen  läßt: 

1.  Analyse  des  im  Erlebnis  kontinuierlichen 
Gedankenbildes  in  einzelne  Komponenten 
(=  „Größen"); 

2.  Feststellung  der  quantitativen  Werte 
der  maßgebend  beteiligten  Größen  und  der  Arten 
ihrer  Beteiligung  an  dem  Zustandekommen  der 
zu  erklärenden  Erscheinungen; 

3.  Ermittlung  der  Art  und  Weise,  wie  jede 
zu  erklärende  Erscheinung  durch  die  maßgebend 
beteiligten  Größen  eindeutig  bestimmt  ist. 

Es  ist  klar,  daß  diese  Analyse  des  Erkenntnis- 
vorganges nur  gilt,  wo  es  sich  um  die  Unter- 
suchung quantitativ  bestimmbarer  Erschei- 
nungen handelt;  der  Nachweis,  daß  sie  auch  für 
den  Bereich  der  bis  jetzt  quantitativ  nicht  restlos 
faßbaren,  als  „geistig"  bezeichneten  Objekte  maß- 
gebend sei,  wird  in  der  Rede  wohl  versucht,  kann 
aber  nicht  als  gelungen  bezeichnet  werden.  Er 
lautet  (S.  24):  „Geistiges  kann  nachweislich  nie 
durch  Geistiges  allein  eindeutig  bestimmt  werden. 
Es  müssen  also  zu  den  Bedingungen,  von  denen 
eine  psychische  Erscheinung  abhängt,  stets  auch 
physische  Größen  gehören;  und  das  können 
nur  materielle  Änderungen  im  Zentralnervensystem 
sein  .  .  .  Womit  sich  für  jedes  psychische  Ge- 
schehen die  Frage  erhebt:  Von  welchen  Nerven- 
prozessen ist  es  abhängig,  wie  ist  es  von  ihnen 
abhängig  und  wie  wird  es  durch  sie  eindeutig  be- 
stimmt?" Diese  Argumentation  dürfte  sich  m.  E. 
kaum  aufrecht  halten  lassen.  Denn  wenn  Geistiges 
wirklich  durch  psychische  und  physische 
„Größen"  bestimmt  ist,  dann  kann  die  Frage,  wie 
sie  durch  physische  Größen  eindeutig 
bestimmt  sei,   gar  nicht  gestellt  werden,   sondern 


32 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift, 


N.  F.  XX.  Nr.  2 


auch  bei  dieser  Frage  müssen  psychische  und 
physische  Faktoren  berücksichtigt  werden. 
Der  „nicht  weiter  auflösbare  Rest",  der  auch  in 
der  Auffassung  Jensens  bestehen  bleibt  (S.  26 f.) 
zeigt,  daß  auch  die  qualitative  Seite  eines 
jeden  Problems  neben  der  quantitativen  nach  Auf- 
klärung verlangt,  sofern  wir  von  Erkenntnis  im 
vollen  Sinne  des  Wortes  reden  wollen.  Die  Frage, 
ob  wir  eine  solche  restlose  Erkenntnis  jemals  er- 
reichen können,  ist  hier  belanglos;  sicher  ist,  daß 
wir  sie  zu  erstreben  haben  und  daß  wir  nicht  be- 
rechtigt sind,  die  quantitative,  d.  h.  die  gewöhnlich 
so  genannte  „exakte"  Fragestellung  als  allein  be- 
rechtigt anzusehen,  wenigstens  so  lange  nicht,  als 
nicht  bewiesen  ist,  daß  sich  alle  Qualitäten  eines 
Körpers  bzw.  eines  Systems  von  Körpern  als 
Funktionen  seiner  Masse  darstellen  lassen.  —  Dies 
andere  freilich  kann  nie  genug  betont  werden, 
daß  der  Mensch  zu  allen  Zeiten  nur  zu  schnell 
bereit  war,  über  das  „Wesen"  der  Dinge  nachzu- 
sinnen, statt  in  mühevoller  Einzelarbeit  die  Dinge 
erst  zu  „ermessen".  Wir  müssen  auch  jetzt  dar- 
über klar  sein,  daß  wir  noch  viel  zu  wenig 
„Physik"  wissen,  als  daß  wir  mit  Aussicht  auf 
Erfolg  „Metaphysik"  treiben  könnten.  In  diesem 
Sinne  war  es  sicher  verdienstlich,  den  Wert  des 
quantitativen  Erkennens  gegenüber  dem  viel  ge- 
priesenen „inneren  Erleben"  festzustellen. 
Zürich.  M.  Schips. 

Wolf,  Dr.  B.,  Landgerichtsrat,  Justitiar  der  Staat- 
lichen Stelle  für  Naturdenkmalpflege  in  Preußen, 
Das   Recht    der    Naturdenkmalpflege 
in    Preußen.       Mit     Unterstützung    des    Mi- 
nisteriums für  Wissenschaft,    Kunst  und  Volks- 
bildung und  mit  Benutzung  amtlicher  Quellen. 
313  S.     Berlin  1920,  Gebrüder  Bornträger. 
Während   die    Rechtsverhältnisse    der    eigent- 
lichen  Denkmalpflege    wiederholt    eingehend  be- 
handelt worden  sind,  haben  sich  die  Juristen  um 
ihre  jüngere  Schwester,   die   Naturdenkmalpflege, 
weniger  bekümmert.      Der  Gegenstand    verdient 
gerade   in  der  gegenwärtigen  Zeit,   wo   die   deut- 
schen Landschaftsbilder  und  Naturdenkmäler  mehr 
als  je  durch  Ausbeutung    aller  Art    bedroht  sind, 
nicht  geringere  Aufmerksamkeit  als  die  Pflege  der 
Bau-   und  Kunstdenkmäler.     Ohne   Kenntnis   der 
Gesetze    und    Verordnungen    aber,    die    bei    der 
Durchführung  der  Naturdenkmalpflege  zu  berück- 
sichtigen sind,   gleichen  die  Bestrebungen,   sie  im 
einzelnen  auszuüben,  häufig  dem  „Jagdhund  ohne 
Spur".    Das  Buch  von  Dr.  Wolf,  das  als  Band  7 
der  von   H.   Conwentz   herausgegebenen   „Bei- 
träge zur  Naturdenkmalpflege"  erschienen  ist,  gibt 
hier  die  bisher  vermißte  Belehrung.    Es  behandelt 


nach  einer  Übersicht  über  die  Grundbegriffe  und 
die  Organisation  der  Naturdenkmalpflege  die  ein- 
schlägigen Verfügungen  der  Ministerien,  Re- 
gierungen, Schul-  und  Kirchenbehörden,  General- 
kommissionen usw.,  um  dann  in  seinem  Haupt- 
teil die  mit  reichlichen  Erläuterungen  versehenen 
Gesetze,  die  zu  ihrer  Ausführung  bestimmten  An- 
weisungen sowie  ein  Verzeichnis  der  auf  ihnen 
beruhenden  Polizeiverordnungen  und  Bekannt- 
machungen zu  geben.  Die  Darstellung  beschränkt 
sich  aber  nicht  auf  die  gesetzlichen  Bestimmungen, 
die  für  die  Naturdenkmalpflege  im  engeren  Sinne 
in  Betracht  kommen,  sondern  sie  zieht  auch  alle 
Vorschriften  heran,  die  für  die  verwandten  Ge- 
biete des  Heimatschutzes  in  Frage  kommen.  So 
sind  nicht  nur  die  sog.  Verunstaltungsgesetze  von 
1902  und  1907,  sondern  auch  die  für  den  Schutz 
des  Orts-  und  Landschaftsbildes  wichtigen  Vor- 
schriften des  neuen  Wohnungsgesetzes  vom  28. 
März  191 8  mitgeteilt  und  erläutert.  Sonst  werden 
außer  dem  Strafgesetzbuch  u.  a.  Wassergesetz, 
Ausgrabungsgesetz,  Berggesetz,  Feld-  und  Forst- 
polizeigesetz, die  Waldwirtschaftsgesetze,  die  Jagd- 
ordnung, das  Vogelschutzgesetz,  Fischereigesetz, 
soweit  sie  für  den  Gegenstand  in  Betracht  kom- 
men, behandelt.  Im  letzten  Abschnitt  wird  die 
Sicherung  der  Naturdenkmäler  durch  Rechtsge- 
schäft und  Enteignung  erörtert.  Ein  sorgfältiges 
alphabetisches  Sachverzeichnis  erleichtert  das  Nach- 
schlagen. Alle,  die  sich  aus  Neigung  oder  Beruf 
mit  Natur-  und  Heimatschutz  beschättigen,  finden 
in  dem  Buche  wertvolle  Belehrung;  wer  sich  vor 
die  Lösung  praktischer  Fragen  gestellt  sieht,  wird 
es  nicht  entbehren  wollen.  F.  Moewes. 


Literatur. 

Mez,  Prof.  Dr.  C. ,  Das  Mikroskop  und  seine  Anwen 
düng.  Handbuch  der  praktischen  Mikroskopie.  12.,  umge 
arbeitete  Aufl.     Mit  495  Tcxtfig.     Berlin  '20,  J.  Springer. 

Pauli,  Prof.  Dr.  Wo.,  Kolloidchemie  der  Eiweißkörper 
I.  Hälfte.  Mit  27  Textabb.  Dresden  und  Leipzig  '20,  Th 
Steinkopf.     10  M. 

Penck,  Prof.  Dr.  W. ,  Der  Südrand  der  Puna  de  Ata 
cama  (NW-Argentinien).  Abh.  d.  Math.-Phys.  Kl.  d.  Sachs, 
Akad.  d.  Wissensch.  Bd.  XXXVII,  Nr.  I.  Mit  9  Tafeln^ 
I    Karte  und   17  Textfig.     Leipzig  '20,  B.  G.  Teubner.     30  M 

Lassar-Cohn,  Prof.  Dr.,  Ad.  Stöckhardts  Schule  der 
Chemie.  22.  Aufl.  Mit  200  Abb.  u.  I  färb.  Tafel.  Braun- 
schweig '20,  F.  Vieweg.     24  M. 

Ulbricht,  Dr.  K.,  Das  Kugelphotometer.  München  u. 
Berlin  '20,  P.  Oldenburg.     24  M. 

Doflein,  Prof.  Dr.  Fr.,  Mazedonische  Ameisen.  Mit 
10  Textabb.  u.  8  Tafeln.     Jena  '20,   G.  Fischer.     14  M. 

Hertwig,  Prof.  Dr.  A.,  Elemente  der  Entwicklungslehre 
des  Menschen  und  der  Wirbeltiere.  6.  Aufl.  Mit  438  Text- 
abb.    Jena  '20,  G.   Fischer.     30  M. 

Walther,  Prof.  Dr.  Joh.,  Vorschule  der  Geologie. 
7.  Aufl.     Mit   123  Abb.     Jena  '20,  G.  Fischer.      12  M. 


Inhalt:  A.  Willer,  Aus  dem  Stoffhaushalt  unserer  Gewässer.  (4  Abb.)  S.  17.  —  Einzelberichte:  G.  Tammann,  Über 
farbloses  Quecksilberchlorid.  S.  27.  E.  Heinricher,  Mistel  und  Birnbaum.  S.  28.  E.  Werth,  Dauer  der  Spät-  und 
Postglazialzeit.  S.  29.  —  Bücherbesprecbungen:  K.  Lewin,  Die  Verwandtschaftsbegriffe  in  Biologie  und  Physik  und 
die  Darstellung  vollständiger  Stammbäume.  S.  30.  B.  Jensen,  Erleben  und  Erkennen.  S.  31.  B.  Wolf,  Das  Recht 
der  Naturdenkmalpflege  in  Preußen.  S.  32.  —  Literatur:  Liste.  S.  32. 

Manuskripte  und  Zuschriften  werden  an  Prof.  Dr.  H.  Miehe,  Berlin  N  4,  Invalidenstrafie  41,  erbeten. 

Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  der  G.  Päfz'schen  Buchdr,  Lippert  &  Co.   G.m.b.H.,  Naumburg  a.  d.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Folge  20.  Band; 
der  ganzen  Reihe  36,  Band. 


Sonntag,  den  i6.  Januar  1921. 


Nummer  3. 


Bemerkungen  zur  Entstehung  und  Besiedlung  des  Trockentorfs. 


[Nachdruck  verboten.] 


Von  M.  Kästner,  Frankenberg  i.  S. 


Inhaltsübersicht:    a)    Die    veralteten    Anschauungen. 

b)  Die  Waldbodenflora  als  Verhinderer  der  Trockentorfbildung. 

c)  Die  Waldbodentlora  als  Zerstörer  des  Trockentorfs,   d)  Gegen- 
überstellung der  alten  und    neuen  Auffassung,     e)  Ergebnisse. 

Die  folgenden  Ausführungen  bringen  nichts 
neues.  In  der  neuesten  (3.)  Auflage  von  E.  Ra- 
manns „Bodenkunde"  (Berlin  191 1)  kann  man 
S.  197,  208,  469  ff.  und  475  f.  fast  alles  hier  Vor- 
gebrachte in  zusammengedrängter  Form  finden. 
Wenn  ich  mir  trotzdem  erlaube,  meine  Beobach- 
tungen zu  veröffentlichen,  so  glaube  ich  dadurch 
gerechtfertigt  zu  sein,  daß  in  bezug  auf  ihren 
Gegenstand  selbst  in  Fachkreisen  noch  immer 
veraltete  Vorstellungen  herrschen.  Ist  doch  selbst 
die  neueste  Auflage  von  Warming-Graeb- 
ners  „Lehrbuch  der  ökologischen  Pfianzengeo- 
graphie"  (Berlin  1914 — 1918)  in  bezug  auf  die 
Frage  über  die  Entstehung  des  Trockentorfs 
(Rohhumus)  noch  nicht  über  die  Anschauungen 
hinausgekommen,  die  P.  E.  Müller  in  seinem 
durch  gründliche  Beobachtungen  und  vorsichtige 
Urteile  gleich  ausgezeichneten  Werke  „Studien 
über  die  natürlichen  Humusformen  und  deren 
Einwirkung  auf  Vegetation  und  Boden"  (Berlin 
1887)  bereits  in  den  Jahren  1878,  1884  und  1887 
ausgesprochen  hat.  Das  Gleiche  gilt  von 
Graebners  „Pflanzenwelt  Deutschlands"  (Leipzig 
1909).  Ich  habe  im  Gegenteil  den  Eindruck,  als 
seien  mehrere  Ansätze  zu  einer  neuen  Betrach- 
tungsweise, die  sich  an  verschiedenen  Stellen  der 
„Studien"  finden  und  von  denen  im  folgenden 
noch  die  Rede  sein  wird,  unbeachtet  geblieben. 
Nur  bei  R  a  m  a  n  n  sah  ich  —  wie  gesagt  —  meine 
Erfahrungen  bestätigt. 

a)  Die  veralteten  Anschauungen. 

Bei  Warming-Graebner  lesen  wir  S.  iiof.: 
„Rohhumus  (Trockentorf .  .  .)  ist  eine  ,Torfbildung 
auf  dem  Trocknen',  eine  schwarze  oder  schwarz- 
braune, torfartige  Masse,  die  von  dicht  verfilzten 
Pflanzenresten,  nämlich  von  Wurzeln,  Rhizomen, 
Blättern,  Moosen,  Pilzhyphen  u.  a.  gebildet  wird  . . . 
P.  E.  Müller  spricht  in  der  deutschen  Ausgabe 
seiner  Studien  von  Heidetorf,  Buchentorf,  Eichen- 
torf. Besonders  gewisse  Pflanzenarten  bilden 
Rohhumus,  weil  sie  sehr  dünne,  zahlreiche  und 
stark  verzweigte  Wurzeln  (oder  Rhizoiden)  aus- 
bilden, die  gerade  an  der  Bodenoberfläche  liegen 
und  die  Pflanzenreste  in  einen  dichten  Filz'  ver- 
weben; solche  Arten  sind  z.  B.  Rotbuche,  Cal- 
luna,  Vaccinium  myrtillus,  Picea  excelsa.  Die 
meisten  dieser  Pflanzen  besitzen  Mykorrhizen,  die 
sicher  die  Verfilzung  befördern."     „Es  finden  sich 


in  ihm  nur  wenige  Tiere,  meistens  Rhizopoden 
und  Anguilluliden,  aber  keine  Regenwürmer. 
Rohhumus  tritt  im  Walde  besonders  an  den  dem 
Winde  ausgesetzten  Stellen  auf,  während  sich  der 
gewöhnliche  Humus  mit  seinen  Regenwürmern 
und  anderen  Tieren  an  die  frischen  und  ge- 
schützten Stellen  hält ;  wenn  gewöhnlicher  Humus 
in  einem  Buchenwalde  durch  ungünstiges  Holz- 
fällen und  ähnliches  in  Rohhum.us  übergegangen 
ist,  so  kann  sich  die  Buche  nicht  weiter  ver- 
jüngen, sie  verschwindet  und  macht  in  vielen 
Fällen  der  Calluna-Heide  Platz."  Und  noch  kürzer 
S.  113:  „Der  Übergang  vom  gewöhnlichen 
Humusboden  zu  Rohhumus  wird  dadurch  her- 
vorgerufen; daß  I.  sich  Pflanzen  mit  dicht  ver- 
filzten Wurzeln  einfinden,  2.  die  Tiere,  insbe- 
sondere die  Regenwürmer,  verschwinden,  so  daß 
der  Boden  nicht  durchgearbeitet  wird,  3.  die 
Bodenteile,  namentlich  die  Sandkörner,  zusammen- 
sinken, wodurch  der  Boden  fester  und  luftärmer 
wird." 

Ähnlich  äußert  sich  Graebner  in  seiner 
„Pflanzenwelt  Deutschlands"  S.  186  über  die  Ent- 
stehung des  Trockentorfs  im  Laubwald.  Nachdem 
er  von  der  lockeren  Lagerung  des  Fallaubes  im 
geschlossenen  Walde  gesprochen  hat,  fährt  er 
fort:  „Sobald  aber  der  Wald  durch  Ausholzung 
usw.  zu  licht  wird,  sobald  Sonne,  Wind  und  Regen 
direkt  die  Bodenoberfläche  berühren,  findet  leicht 
eine  Verdichtung  des  Humus  statt,  die  Verwesung 
tritt,  wohl  infolge  der  plötzlichen  Temperatur- 
und  Feuchtigkeitsschwankungen,  zurück  und  die 
Humusbildung  wird  ausgiebiger.  Zugleich  finden 
sich  Moose  und  zwar  polsterbildende  Arten  wie 
Dicranum  und  Leucobryuvi  an,  die  stets  schlechten 
Rohhumus  im  Gefolge  haben.  Auch  schon  so- 
bald die  Bäume  ohne  Unterwuchs  hoch  und 
breitkronig  werden,  treten  infolge  der  Luftbe- 
wegung unter  ihnen  usw.  ähnliche  Verhält- 
nisse ein." 

Auch  für  die  Entstehung  des  Fichtentorfs 
macht  er  a.  a.  O.  S.  209  zunächst  die  Moosbil- 
dung verantwortlich,  indem  er  sagt:  „Eine  dicke 
Moosdecke  schon  läßt  die  Verwesung  zurück- 
treten und  befördert  die  Humusbildung,  unter 
ihr  findet  man  stets  reichlichen  Humus,  gebildet 
aus  den  Resten  des  Mooses  und  dem  Abfall  des 
Baumes."  Im  folgenden  freilich  kommt  er  der 
hier  vertretenen  Ansicht  sehr  nahe,  ohne  aber  zu 
erkennen  zu  geben,  daß  es  sich  um  den  grund- 
legenden Vorgang  aller  Trockentorf  bildung 
handelt.  „Aber",  fährt  er  fort,  „auch  ohne  viel 
Moos,  wenn  letzteres  z.  B.  in  sehr  dichten  (dunklen 


u 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


Fichten-)Wäldern  zurücktritt,  geht  im  Nadelwalde 
oft  eine  ganz  andere  Humusbildung  vor  sich,  als 
im  Laubwalde.  Es  scheint  überhaupt,  als  ob  die 
Nadelstreu  (wohl  wegen  des  Harzgehaltes)  sich 
schwerer  zersetzt  als  die  meiste  Laubstreu,  auch 
auf  den  Haufen  in  Gärten  bleibt  ihre  Struktur 
länger  erhalten  .  .  .  Das  Zurücktreten  der  Ver- 
.  wesung  gegenüber  der  Humusbildung  braucht 
nur  gering  zu  sein,  es  braucht  nur  wenig  mehr 
Humus  alljährlich  erzeugt  zu  werden,  als  durch 
die  Tätigkeit  der  Verwesungsorganismen  ver- 
arbeitet wird,  als  in  die  anorganischen  Rohstoffe 
inkl.  Kohlensäure  und  Wasser  aufgelöst  wird,  so 
bringt  diese  wenn  auch  zunächst  nur  unbe- 
deutende Ansammlung  von  Humus  bald  sekun- 
däre Erscheinungen  mit  sich.  Der  Humus  wird 
bald  sauer,  durch  mehr  oder  weniger  starken  Ver- 
lust der  Struktur  setzt  er  sich  fest  zusammen, 
namentlich  bei  dem  jetzt  erfolgenden  Zurück- 
treten der  den  Boden  durchwühlenden  Tiere,  der 
Regenwürmer,  Käfer,  Käferlarven  usw."  Und 
weiter:  „Unter  für  die  Humusbildung  günstigen 
Verhältnissen  kann  eine  sehr  erheblich  dicke 
Humusschicht  auch  ohne  starke  Moosbildung  ent- 
stehen, in  dichten  Fichtenwäldern  beispielsweise 
kann  sie  oft  über  3  dm  Dicke  erreichen." 

Die  ziemlich  allgemein  verbreitete  Ansicht 
über  die  Entstehung  des  Trockentorfs  geht  also 
dahin :  Ursache  der  Bildung  von  Trockentorf  ist 
einesteils  das  Auftreten  von  Flachwurzlern  mit 
dichtem,  verpilztem  Wurzelgeflecht  und  von 
Moosen,  andernteils  der  vermehrte  Zutritt  von 
Sonne,  Wind  und  Regen  zum  Waldboden,  wie 
ihn  Durchforstung  des  Waldes  oder  Kahlheit  zur 
Folge  haben. 

b)   Die  Waldbodenflora  als  Ver- 
hinderer der  Trockentorfbildung. 

Dem  gegenüber  möchte  ich  betonen,  daß 
Trockentorf  in  meinem  Beobachtungsgebiet  ledig- 
lich von  den  Waldbäumen  gebildet  wird  und 
zwar  immer  dort,  wo  ein  Mißverhältnis  besteht 
zwischen  der  Laub-  und  Nadelschüttung  und  den 
diese  Abfallmassen  zerstörenden  Mächten.  Als 
solche  kommen  in  erster  Linie  die  meisten  Gräser, 
Kräuter  und  Stauden  des  Waldbodens  in  Frage. 
Sie  sind  gewissermaßen  die  Vortruppen  in  dem 
unübersehbar  großen  Heer  der  Mächte,  deren 
Aufgabe  es  ist,  den  toten  Abwurf  der  Wald- 
bäume wieder  in  einfachere  Pflanzennährstoffe 
zurückzuverwandeln.  Sie  leiten  diese  Arbeit  ein, 
indem  sie  durch  ihre  Wurzeln  und  vor  allem 
durch  die  alljährlich  hervorbrechenden  ober- 
irdischen Triebe  die  Bodenstreu,  die  durch  die 
winterliche  Schneedecke  zusammengepreßt  worden 
war,  wieder  lockern.  Wer  ein  einziges  Mal  be- 
obachtet hat,  welch  kräftige  Arbeit  die  jungen 
Triebe  von  Anonone  nemorosa,  Rammculus 
ficana,  Mcrcurialis  pereimis,  Corydalis  cava  u.  a. 
leisten,  der  wird  von  der  Bedeutung  dieser  Tätig- 
keit für  die  Lockerung  der  Bodenstreu  überzeugt 
sein.    —    In   dieser  Hinsicht   ist  sicher  auch    die 


Wirkung  der  zahllosen  Sporenträger  der  höheren 
Pilze  nicht  zu  unterschätzen. 

Auch  verhindern  die  oberirdischen  Teile  der 
Waldbodenflora  durch  ihr  bloßes  Dasein  eine 
gleichmäßige,  dichte  Lagerung  der  fallenden 
Blätter  und  Nadeln.  —  Hier  ist  besonders  der 
Moose  zu  gedenken.  Ihre  Polster  verhindern,  wie 
man  in  jedem  Fichtenwalde  beobachten  kann, 
ganz  augenscheinlich  die  Erhöhung  der  Streu 
durch  neue  Nadelschüttung;  denn  während  auf 
benachbarten  moosfreien  Stellen  die  verklebte 
alte  Streu  mit  einer  2 — 3  cm  mächtigen  Schicht 
junger  Fichtennadeln  bedeckt  ist,  liegen  auf  dem 
Moosteppich  nur  einzelne  Nadeln  verstreut.  Da- 
von aber,  daß  die  Moospolster  den  Verlust  an 
Nadelstreu  ausgleichen,  indem  sie  selbst  abge- 
storbene Teile  zur  Trockentorfdecke  liefern,  kann 
gar  keine  Rede  sein.  In  dieser  Hinsicht  sind  be- 
sonders lehrreich  die  rundlichen,  bleichgrünen 
Kissen  von  Leucohryum  glauctim.  Sie  vergrößern 
sich  mehr  seitswärts  als  aufwärts.  Auf  der  Seite, 
nach  der  ein  solches  Kissen  wächst,  liegen  die 
bis  unten  mit  toten  Blättern  dicht  besetzten  Moos- 
stämmchen  fast  wagerecht.  Die  gesamte,  bis 
2  cm  dicke  Moosschicht  ist  nicht  durch  Rhizoiden 
verfilzt.  An  den  Stellen  des  Waldbodens,  über 
die  die  Pflänzchen  hinweggeschritten  sind,  findet 
man  ihre  weißgrauen  Reste  von  neuem  mit 
Nadelstreu  überdeckt.  Leiicobryuni  beteiligt  sich 
also  anscheinend  an  der  Vermehrung  der  trocken- 
torfbildenden  Masse.  Aber  die  Restschicht  ist 
kaum  noch  '/.^  cm  stark,  und  die  Moosstämmchen 
sind  in  kurze  Stückchen  zerfallen.  Der  Beitrag, 
den  sie  zur  Masse  der  toten  Bodendecke  liefern, 
ist  also  gegenüber  dem  Fichtenabwurf  nur  gering- 
fügig. Jedenfalls  ist  er  wesenthch  geringer  als 
der  Verlust  an  Nadelstreu  ausmacht,  den  der 
Waldboden  an  den  von  lebenden  Kissen  besetzten 
Stellen  erleidet,  denn  dort  kann  sich  keine  Nadel- 
streu halten.  So  kommt  es  auch,  daß  die  Kissen 
sich  nur  wenig  über  die  ringsum  wachsende 
Nadelstreu  erheben. 

Emporheben  der  Laubstreu  durch  hervor- 
brechende Triebe  und  Verhinderung  ihres  Zu- 
sammensetzens durch  die  bereits  vorhandene  Wald- 
bodenflora wirken  in  gleichem  Sinne.  Der  Sauer- 
stoff der  atmosphärischen  Luft  erhält  Zutritt  zu 
den  Abfallmassen,  so  daß  deren  chemischer  Zer- 
fall beschleunigt  wird.  Gleichzeitig  wird  ver- 
hindert, daß  die  Streudecke  den  Erdboden  von 
der  atmosphärischen  Luft  abschließt.  So  erhalten 
Regenwürmer  und  andere  Bodentiere  und  die 
Wurzeln  der  ausdauernden  Gewächse  Atemluft. 
Erstere  können  nun  ihrerseits  die  Zerkleinerung 
der  toten  Pflanzenreste  fortsetzen,  letztere  sind 
nicht  gezwungen,  ihre  Wurzeln  in  der  obersten 
Bodenschicht  zusammenzudrängen  und  diese  da- 
durch zu  verfilzen  und  so  das  Übel  in  steigendem 
Maße  zu  verschlimmern.  Durch  die  fast  restlose 
Aufarbeitung  der  Abfallstoffe  wird  auch  ver- 
hindert, daß  der  Boden  saure  Eigenschaften  an- 
nimmt,   was    für    das    pflanzliche    und    tierische 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


35 


Leben  im  Waldboden  vielleicht  ebenso  bedeutungs- 
voll ist,  wie  die  Zufuhr  von  Atemluft. 

Was  geschieht  aber  an  den  Stellen,  wo  die 
grünen  Waldbodenbewohner,  diese  Pioniere  der 
Humusaufarbeitung,  fehlen?  Am  häufigsten  tritt 
dieser  Fall  in  den  Fichtenkulturen  ein,  wo  die 
Bäume  so  dicht  stehen,  daß  der  Waldboden  das 
ganze  Jahr  hindurch  nur  äußerst  spärliches  Licht 
empfangt.  Aber  auch  im  Buchenwalde  können 
die  Verhältnisse  so  liegen,  daß  sich  keine  Boden- 
flora zu  entwickeln  vermag.  Die  Beschaffenheit 
des  Laubdaches  scheint  hier  zunächst  nicht  aus- 
schlaggebend zu  sein,  weil  sich  auch  bei  dichte- 
stem Zusammenschluß  der  Kronen  infolge  der 
erst  später  einsetzenden  Laubentfaltung  zahlreiche 
Frühlingspfianzen  entwickeln  können,  deren  ober- 
irdische Triebe  immer  wieder  die  Laubschicht 
des  vorigen  Jahres  emporheben  und  durch- 
brechen. 

Wohl  aber  kann  in  Bodeneinsenkungen  und 
Schluchten  das  Laub  zu  solcher  Höhe  aufgehäuft 
werden,  daß  die  Frühlingspflanzen  nicht  zum  Lichte 
vordringen  können.  So  fand  ich  auf  dem  schmalen 
Gneisrücken  zwischen  zwei  tief  eingeschnittenen 
Bachtälern  folgende  Verhältnisse.  Während  der 
größte  Teil  des  Bodens  keine  Laubdecke  und  in- 
folgedessen auch  nur  eine  messerrückenstarke, 
schwarzbraune,  dichte  Humuskruste  zeigte,  war  in 
flachen  Kesseln  und  Rinnen  das  Laub  offenbar 
unter  Beteiligung  des  Windes  um  so  höher  auf- 
gehäuft. Hier  fand  ich  unter  15  cm  lockerer, 
trockener  Buchenlaubstreu  10  cm  Buchentorf. 
Die  obersten  6  cm  waren  geschichtet,  zeigten 
nach  unten  zu  immer  dunklere  Töne  von  braun 
und  festere  Packung  und  ließen  mit  abnehmender 
Deutlichkeit  Blattreste  erkennen.  Die  unteren 
4  cm  zeigten  sich  als  eine  schwarzbraune,  un- 
deutlich geschichtete  Masse,  die  von  Buchen- 
würzelchen und  Pilzfäden  mäßig,  aber  keinesfalls 
so  durchsetzt  war,  daß  man  auf  den  Gedanken 
kommen  konnte,  ihre  Dichtigkeit  rühre  in  erster 
Linie  von  der  Durchwurzelung  und  Durch- 
spinnung  mit  Pilzfäden  her.  Darunter  befand 
sich  graurosae,  lehmige  Verwitterungserde  von 
Augengneis.  Außer  Buchensämlingen,  deren 
Keimwurzel  durch  die  ganze  25  cm  mächtige 
Masse  von  Pflanzenresten  hindurch  den  Mineral- 
boden erreichte,  trug  der  Boden  keine  Pflanze. 
Daß  zum  Zustandekommen  solcher  Anhäufungen 
geschlossener  Buchenwald  gehört,  ist  selbstver- 
ständlich. 

An  solchen  unbegrünten  Stellen  des  Laub-  und 
Nadelwaldes  breitet  sich  der  Abwurf  des  Wald- 
daches, durch  Unterholz,  hohes  Gestände,  niedriges 
Geblätt,  Grasbüschel,  Blattkleinpflaster  und  Moos- 
polster nicht  behindert,  als  zusammenhängende 
Decke  über  den  Waldboden  aus.  Jeder  Gewitter- 
und  Landregen,  vor  allem  aber  die  Schneedecke 
des  Winters  durchfeuchtet  die  Masse  und  drückt 
sie  zusammen.  Im  Frühjahr  bleibt  sie  in  ihrer 
verdichteten  Form  liegen  und  empfängt  eine  neue 
Auflage   von    Knospen,    Schuppen,    Blättern    und 


Nadeln.  —  Auf  frischen  Böden  finden  Pilzmycelien 
hier  geeignete  Lebensbedingungen.  Durch  das 
Eindringen  in  die  Pflanzenreste  heften  sie  diese 
aneinander  und  erhöhen  so  die  Dichte  der  Masse. 
Aber  weder  sie  noch  die  zahlreichen  winzigen 
Tierchen  aus  dem  Geschlecht  der  Milben,  Tausend- 
füßler, Urinsekten  (z.  B.  Campodeiden)  usw.,  deren 
einige  man  bei  Lupenvergrößerung  oder  unter 
dem  Mikroskop  in  jedem  ccm  besonders  der 
jüngeren  und  jüngsten  Schichten  findet,  vermögen 
des  Reichtums  Herr  zu  werden. 

So  häufen  sich  die  Massen  Jahr  für  Jahr.  Die 
älteren  Schichten  zeigen  immer  weniger  erkenn- 
bare Reste  von  Fichtennadeln  und  Buchenblättern, 
Die  zerkleinerten  Massen  setzen  sich  um  so  dichter 
zusammen.  Ob  bei  dieser  Zerkleinerung  rein 
chemische  Vorgänge  (Selbstzersetzung  ohne  oder 
mit  nur  geringer  Beteiligung  des  atmosphärischen 
Sauerstoffs)  oder  mikroskopisch  kleine  Lebewesen 
die  Hauptrolle  spielen,  ist  kaum  zu  entscheiden, 
hat  aber  m.  E.  für  die  Entstehung  des  Trocken- 
torfs nur  untergeordnete  Bedeutung.  Jedenfalls 
kann  infoge  der  dichten  Lagerung  nicht  genügend 
Sauerstoff  zugeführt  werden,  so  daß  es  nicht  zur 
Verwesung  oder  Vermoderung  der  organischen 
Verbindungen  kommt,  sondern  eben  zur  Torf- 
bildung. —  Regenwürmer  mögen  sich  anfangs  an 
der  Zerkleinerung  der  Abfallmassen  beteiligt 
haben.  Mit  zunehmendem  Abschluß  des  Erd- 
bodens von  der  atmosphärischen  Luft,  vielleicht 
auch  mit  zunehmendem  Sauerwerden  des  Boden- 
wassers aber  gingen  ihnen  die  Lebensbedingungen 
aus. 

Im  ganzen  erhalten  wir  also  den  Eindruck, 
daß  Trockentorf  dann  entsteht,  wenn  die  Gesamt- 
heit der  humusverarbeitenden  Kräfte  mit  der  Zu- 
fuhr an  Abfallstoffen  nicht  Schritt  zu  halten  ver- 
mag^ 

Eine  Andeutung  meiner  Auffassung  finde  ich 
bereits  bei  M  ü  1 1  e  r  S.  234  (auf  Seite  33  in  der  vor- 
liegenden Arbeit  angeführt  Ij,  doch  bezieht  sich 
die  Stelle  nur  auf  die  Verarbeitung  des  Abwurfs 
durch  Gliederfüßler.  Ebenso  sei  hier  nochmals 
auf  die  S.  33  erwähnte  Arbeit  Graebners  über 
die  teilweise  Entstehung  des  Fichtentorfs  hinge- 
wiesen. 

c)    Die    Waldboden flora     als    Zerstörer 
des  Trockentorfs. 

Überall,  wo  der  Waldboden  sich  dauernd  be- 
grünen kann,  unterbleibt  die  Trockentorfbildung. i) 
Daß  man  trotzdem  so  oft  unter  Moospolstern  und 
Grasdecken  Trockentorf  findet,  erklärt  sich  folgen- 
dermaßen. Der  Trockentorf  ist  auf  die  eben  ge- 
schilderte Weise  im  geschlossenen  Walde  bei  Ab- 

•J  Vgl.  dazu  Müller  S.  292 :  „Auf  frischem,  namentlich 
lehmigem  Boden  sind  die  offenen  Stellen  und  die  Säume  der 
Bestände,  besonders  an  der  Nordseite  derselben  mit  einer 
üppigen  Vegetation  krautartiger  Pflanzen ,  namentlich  von 
Gräsern  bedeeist,  und  eine  nähere  Untersuchung  ergibt,  daß 
der  Boden  mit  Regenwurmexkrementen  bedeckt  ist  und  sich 
überhaupt  in  einem  physikalisch  günstigen  Zustande  befindet." 


36 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


Wesenheit  der  Bodenflora  entstanden.  Später 
werden  durch  Naturgewalten  oder  menschliche 
Eingriffe  Lücken  in  das  Walddach  gerissen.  Auf 
den  belichteten  Stellen  siedeln  sich  Moose,  Gräser, 
Riedgräser,  Simsen,  Heidekraut,  Heidelbeere  und 
wenige  andere  Pflanzen  wie  MajantJicmum  und 
Trientalis  an,  die  nur  auf  Trockentorf  stehen.  — 
So  fand  ich  in  der  Nähe  von  Frankenberg  in 
Sachsen  in  300  m  Meereshöhe  und  50  m  über 
der  nahen  Zschopautalsohle  auf  Gneisboden  im 
Rest  eines  ehemals  ausgedehnteren  Buchenwaldes, 
dem  einzelne  Fichten  eingestreut  sind,  in  einer 
flachen  Mulde  unter  lockerer  oder  wenig  verklebter 
Laub-  und  Nadelstreu  5—8  cm  schwarzbraunen, 
fest  zusammengebackenen,  wenig  durchwurzelten 
Trockentorf  auf  hellgelbem  Lößlehm,  der  mit  ein- 
zelnen Stöcken  von  Calamagrostis  aritiidi/iacca, 
Aira  flcxitosa,  Athyrhnn  Füix  fcmina,  kleinen 
Flecken  von  Vaccimnin  myrtülits  und  gerade  in 
diesem  Jahre  (Ende  Mai  1919)  zahllosen  Keim- 
pflanzen der  Rotbuche  besetzt  war.  Beim  Aus- 
graben der  Calamagrosfis-^Vi%c\\A  zeigte  sich  der 
Trockentorf  im  Bereich  des  dichten  Wurzelschopfes 
völlig  aufgelockert,  während  er  in  der  unmittel- 
baren Umgebung  der  Pflanzen  unversehrt  war. 
Die  gleiche  Erscheinung  konnte  ich  unter  den 
Pelzen  von  Aira  flexuosa  feststellen.  Hier  war 
an  ringförmigen  Stöcken  *)  der  Trockentorf  unter 
der  leeren  Mitte  des  Ringes  tiefer  hinab  zerstört 
als  unter  den  lebenden  Teilen.  Die  Stöcke  des 
Frauenfarns  Athyrium  Filix  feviina  zeigten  zwi- 
schen der  Hauptmasse  ihres  dicht  zusammenge- 
faßten, schwarzen  Wurzelschopfes  keinen  Trocken- 
torf. Derselbe  reichte  in  ungelockertem  Zustande 
nur  von  außen  heran.  Die  Pflanzen  waren  also 
älter  als  der  Trockentorf.  Die  stricknadeldicken 
Wurzeln  der  Buchenkeimlinge  durchsetzten  die 
Trockentorfschicht  auf  kürzestem  Wege,  um  in 
den  Lößlehm  zu  gelangen.  Die  derben  Grund- 
achsen von  Vacci)num  viyrtillus  lagen  fast  aus- 
schließlich in  der  Bodenstreu.  Von  ihnen  aus 
gingen  in  größeren  Abständen  feinverzweigte 
Faserwurzeln,  die  sich  zwischen  dem  in  Zersetzung 
begriffenen  Buchenlaub  wagerecht  ausbreiteten 
und  kleine  Flächen  desselben  von  Fünfmarkstück- 
bis  Handtellergröße  verklebten.  Mit  ihrem  Gewirr 
hin-  und  hergeschlängelter  Fäserchen  waren  sie 
bei  oberflächlicher  Betrachung  von  den  Blattader- 
netzen, denen  sie  sich  anschmiegten,  kaum  zu 
unterscheiden.  Den  jährlichen  Zuwachs  der 
Grundachsen  stellte  ich  mit  30  und  mehr  cm 
fest :  bei  der  geringen  oberirdischen  Vergrößerung 
eine  ganz  beträchtliche  Leistung.  Dabei  lagen 
die  neuen  Triebe  oft  dicht  neben  den  alten  oder 
verzweigten  sich  fischgrätenartig,  so  daß  auch 
hier  der  Gedanke  der  Trockentorflockerung  nicht 
ganz  von  der  Hand  zu  weisen  ist.    Den  feuchten 


')  Die  Pflanze  verjüngt  sich  immer  wieder  dadurch,  daß 
aus  den  niederliegenden  Grundgliedern  der  alten  Halme  neue 
Triebe  nach  aufien  und  oben  wachsen.  Dabei  stirbt  der 
Stock  im  Innern  allmählich  ab,  so  daß  aus  dem  Büschel 
schließlich  ein  Ring  wird. 


Grund  der  flachen  Mulde  deckte  unter  einer  klei- 
nen Lichtung  die  Flut  von  Carcx  brizoides.  Am 
Rande  des  Bestandes  ergab  der  Einstich  2  cm 
schwarzbraunen,  speckigen  Trockentorf  auf  stren- 
gem, feuchtem,  weißgrau  ausgebleichtem  Lößlehm. 
Innerhalb  des  Bestandes  war  der  Torf  samt  den 
oberen  3  cm  des  Lehms  durch  das  derbe  Grund- 
achsengeflecht  der  Pflanzen    ein  wenig  gelockert. 

In  der  Folge  habe  ich  diese  Beobachtungen 
an  zahlreichen  anderen  Stellen  der  Umgebung 
Frankenbergs  nachgeprüft  und  dabei  folgendes 
gefunden.  Im  dicht  geschlossenen  jüngeren 
Fichtenwald,  wo  der  Lichtgenuß  das  ganze  Jahr 
hindurch  so  gering  ist,  daß  sich  keine  Boden- 
flora entwickeln  kann,  lag  unter  einer  dünnen, 
lockeren  Nadelstreu  und  einer  i — 2  cm  hohen 
Schicht  krümelig  zersetzter  Nadeln  ein  dunkel- 
brauner, ungeschichteter  Trockentorf,  der  an  wenig 
geneigten  Stellen  eine  Mächtigkeit  bis  zu  27  cm 
erreichte.  Der  Torf  macht,  mit  der  Lupe  be- 
trachtet, ganz  und  gar  nicht  den  Eindruck  einer 
.verfilzten,  sondern  einer  sandkuchenartig  zusammen- 
gebackenen, mürben,  dunkelbraunen  Masse,  die 
mit  zahllosen  winzigen,  glashellen  und  daher  deut- 
lich unterscheidbaren  Quarzsplitterchen  (wahr- 
scheinlich Staubteilchen)  vermengt  ist  und  sich 
leicht  auseinanderbrechen  und  zerkrümeln  läßt. 
Erst  unter  dem  Mikroskop  erkennt  man,  daß  auch 
zarte  Pilzfäden  die  Humusteilchen  auf  kurze  Ent- 
fernung lose  miteinander  verspinnen.  Auf  größe- 
ren, noch  geformten  organischen  Resten  verdichten 
sie  sich  oft  zu  zarten  Geweben.  —  Anderwärts  ist 
bereits  die  ältere,  in  Zersetzung  begriffene  Nadel- 
streu in  2  cm  Mächtigkeit  unter  2 — 3  cm  jüngerer, 
lockerer  Streu  durch  Pilzfäden  so  versponnen,  daß 
sie  sich  als  zusammenhängende  Decke  abheben 
läßt.  Unter  solchen  Decken  ist  dann  auch  der 
Trockentorf  etwas  stärker  verfilzt.  Wieder  an 
anderen  Stellen  verleihen  Fichtenwürzelchen  mit- 
tels ihrer  Pilzwurzel  Teilen  des  Trockentorfs  einen 
höheren  Grad  von  Zusammenhalt,  wobei  seine 
Gesamtdichte  sehr  gering  sein  kann.  Einen  Grund 
für  diese  verschiedene  Entwicklung  konnte  ich 
nicht  entdecken.  Jedenfalls  hing  die  Mächtigkeit 
des  Trockentorfs  von  dem  schwächeren  oder 
stärkeren  Auftreten  von  Pilzfaden  oder  Pilzwurzeln 
nicht  ab. 

Unter  kleinen  Lücken  im  Walddach  stellen 
sich  Moospolster  ein.  Auf  frischem  Boden  über- 
ziehen Teppiche,  aus  Dicramim,  Brachythecinvi, 
Mumm  liornum  u.  a.  gemischt,  eine  zentimeter- 
starke alte,  wohlerhaltene  Nadelstreu,  unter  der 
dunkelbrauner  Fichtentorf  liegt.  Ein  Vergleich 
mit  benachbarten  moosfreien  Stellen  ergibt,  daß 
hier  wie  dort  die  ältere  Nadelstreu  von  Pilzfäden 
zu  einer  zusammenhängenden  Decke  versponnen 
und  daß  auch  der  Trockentorf  ziemlich  reichlich 
von  ihnen  durchzogen  ist.  Unter  dem  Teppich 
aber  ist  die  Erscheinung  besonders  innerhalb  der 
Nadelstreu  augenscheinlich  stärker  entwickelt.; 
Jedenfalls  hält  sich  der  Boden  unter  dem  Moos- 
teppich feuchter  als  ohne  diesen  Schutz,  so  daß 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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sich  das  Pilzfadengeflecht  reicher  entwickeln 
kann.  Von  einer  Erhöhung  der  Abfallstoffe  durch 
das  Moos  selber  ist  nichts  zu  sehen. 

In  einem  schlagreifen  Fichtenbestande,  wo  der 
feinsandige  Boden  mit  einem  offenen  Büschelwuchs 
von  Aira  flexiiosa  bedeckt  war,  hatte  der  dichte 
Filz  der  zwirnfadendünnen,  aber  zugfesten  Aira- 
Wurzeln  die  2  cm  mächtige  Trockentorfdecke 
und  die  obenaufliegende  Schicht  der  Halmreste 
so  vollständig  zerkleinert,  daß  sich  beides  wie 
feines  Mehl  leicht  ausklopfen  ließ.  Der  reine 
Wurzelkörper  blieb  dann  als  eine  weiche,  werg- 
artige Masse  übrig.  Im  oberen  Teil  derselben 
waren  mehrere  wagerecht  oder  aufwärts  streichende 
Würzelchen  zu  bemerken,  die  durch  ihre  hellere 
Farbe  und  durch  spinnfadenzarte,  krause  Wurzel- 
härchen von  mehr  als  I  mm  Länge  auffielen 
(Tauwurzeln?).  Auch  an  den  Stellen,  über  die 
Aira  Pflanzen  hinweggeschritten  waren ,  erwies 
sich  der  Trockentorf  vollständig  gelockert.  Von 
einer  Erhöhung  des  Humus  durch  ^/>(?- Reste 
war  nichts  zu  sehen,  obgleich  unter  den  lebenden 
Stöcken  die  abgestorbenen  Halme  oft  bis  5  cm 
hoch  übereinanderlagen.  Diese  wohlgeschichtete 
Masse  von  Stengeln  und  Blattscheiden  war  so 
locker  und  trocken,  daß  der  zersetzende  Sauerstoff 
der  atmosphärischen  Luft  jedenfalls  leicht  ein- 
dringen kann.  Nur  einige  wenige  Blattscheiden- 
fasern auf  dem  nicht  mehr  bedeckten  Fichtentorf 
deuteten  an,  daß  Aira  ehemals  hier  gestanden 
hatte.  —  Das  nordwärts  gerichtete,  aus  Glimmer-, 
Chlorit-  und  Hornblendeschiefer  (hm)  bestehende 
linke  Zschopaugehänge  oberhalb  der  Lichtenwalder 
Hofwiese  trägt  einen  Laub-  und  Nadelmengwald, 
der  gegenwärtig  stark  gelichtet  ist.  Der  flachere 
Gehängeteil  (20")  trägt  auf  einer  4 — 14  cm  mäch- 
tigen Schicht  von  sandkuchenartig  zusammen- 
gebackenem ,  schwarzbraunem  Trockentorf  einen 
offenen  Großbüschelwuchs  von  Calamagrostis 
ariindinacea  mit  Aira  flcxiiosa,  Luzula  neviorosa, 
Majanthemum  bifoliiun  und  Vaccininm  myrtilhis. 
Unter  jedem  Calama^ rostis-^\i&c\\z\.  ist  der  Trocken- 
torf in  Pulver  umgewandelt.  Bei  größerer  Mäch- 
tigkeit des  Torfs  ist  die  Auflockerung  oben  gründ- 
licher durchgeführt  als  unten,  z.  B.  waren  bei 
14  cm  Dicke  des  Trockentorfs  nur  die  oberen 
6  cm  völlig  zerkrümelt.  Sicher  spielt  hierbei  das 
Alter  des  Büschels  eine  Rolle.  Die  Calainagrostis- 
Pflanzen  haben  sich  wahrscheinlich  erst  nach  der 
Lichtung  des  Waldes  angesiedelt,  und  die  Lichtung 
besteht  noch  nicht  so  lange,  daß  die  Wurzeln  die 
mächtigeren  Stellen  der  Trockentorfdecke  hätten 
vollständig  zerstören  können.  In  jedem  Falle 
dringen  sie  aber  bis  in  den  Verwitterungsboden 
vor.  Auch  Aira  flcxiiosa  hat  erst  vor  wenigen 
Jahren  seine  trockentorfauflockernde  Tätigkeit 
begonnen.  Zunächst  gewinnt  man  allerdings 
den  Eindruck,  als  ob  die  Pflanze  durch  ihr 
ebenfalls  bis  in  die  Verwitterungserde  vor- 
dringendes, feines  Wurzelgespinst  an  der  Ver- 
dichtung des  Humus  zu  Trockentorf  schuld  wäre. 
Aber  zahlreiche  sorgfältige  Vergleiche  mit  benach- 


barten unbesiedelten  Stellen  haben  mich  doch 
davon  überzeugt,  daß  eine  wenn  auch  geringe 
Lockerung  des  Trockentorfs  bereits  eingetreten 
ist.  Und  außerdem  beweisen  ja  die  erwähnten 
Befunde  an  anderen  Stellen,  daß  die  Pflanze  den 
Trockentoif  völlig  zu  zermürben  vermag.  Sie 
arbeitet  eben  weniger  rasch  als  Calamagrostis,  da 
ihre  Wurzeln  wesentlich  dünner  sind  und  zunächst 
auch  weiter  auseinanderstreben  als  die  ihrer  Stand- 
ortsgenossin. Auch  Luzula  itemorosa  und  Majan- 
themuin  bifüliuni  versuchen,  mit  ihren  wagerecht 
kriechenden  Grundachsen  den  Trockentorf  zu 
lockern,  halten  sich  aber  bei  dickerer  Bodenstreu 
mehr  an  diese.  Anderwärts,  so  am  rechten  Steil- 
gehänge (35")  des  Saubachtals  unterhalb  P'ranken- 
berg  habe  ich  aber  gesehen,  daß  auch  Luzula 
ucniorosa  eine  2 — 6  cm  mächtige  Trockentorf- 
schicht aus  Buchen-  und  Fichtenabfällen  unter 
I — 2  cm  verklebter  Laubstreu  vollständig  gelockert 
hatte.  Ebenso  konnte  ich  am  rechten  Gehänge 
(25  ")  der  Parkschlucht  oberhalb  Lichtenwalde  be- 
obachten, daß  die  Grundachsen  von  Alajaiilheinum 
eine  5  cm  mächtige  Trockentorfschicht  kreuz  und 
quer  durchkrochen  und  zu  zerstören  im  Begriff 
waren.  Die  Laub-  und  Nadelstreu,  an  die  sich 
die  Pflanze  sonst  gern  hält,  war  hier  freilich  nur 
I  cm  dick  und  verklebt.  —  Mit  Trockentorf 
(5 — 10  cm)  ist  ferner  fast  der  ganze  aus  ober- 
karbonischen  Sandsteinen  (co,)  aufgebaute  obere 
Teil  des  Hofwiesengehänges  oberhalb  Lichtenwalde 
bedeckt.  Auch  hier  wird  gegenwärtig  Laub-  und 
Nadelmengwald  künstlich  verjüngt,  so  daß  sich 
Gelegenheit  bietet,  den  Einfluß  der  Bloßlegung 
des  Waldbodens  auf  die  Humusdecke  zu  unter- 
suchen. Aber  auch  hier  spricht  nichts  dafür,  daß 
der  Trockendorf  erst  infolge  der  starken  Lichtung 
entstanden  sei.  Vielmehr  liegen  die  Verhältnisse 
so:  Bei  der  Ausrodung  der  alten  Baumwurzeln  ist 
die  unter  dem  geschlossenen  Walddach  vorhanden 
gewesene  Trockentorfdecke  an  vielen  Stellen  zer- 
stört worden.  An  solchen  Orten  ist  der  Ver- 
witterungsboden nur  mit  einer  messerrückenstarken, 
schwarzen  Kruste  überzogen.  Häufig  findet  sich 
hier  auch  der  schmutzigviolette,  löschpapierartige 
Filz  der  P'adenalge  Zygogoiiiuiii  cricetorum  Ktz. 
var.  terrestrc  Kirchn.  (nach  freundlicher  Bestim- 
mung durch  Herrn  Prof  Dr.  S  c  h  o  r  1  e  r  -Dresden). ') 
Wo  die  Trockentorfdecke  aber  unverletzt  geblieben 
ist,  wird  sie  durch  Aira  flexuosa  zermürbt,  und 
zwar  ist  der  Vorgang  schon  ziemlich  weit  fortge- 
schritten.    Große  Flecke  tragen  auch  Polster  von 


')  An  zahlreichen  anderen  Stellen  meines  Beobachtungs- 
gebiets sind  solche  bei  der  Veijüngung  aufgerissene  und  um- 
gestürzte Waldböden  je  nach  ihren  Feuchtigkeits-  und  Licht- 
verhältnissen mit  Massenwuchs  von  Airaflsxuosa,  Calamagrostis 
ariindinacea,  Luzitla  nemorosa,  Festuca  silvatica,  Carex  örizoides, 
Hohus  molliSy  Rttbus  Idcieus,  Senecio  Fuchsii^  PrcnaiUhes purpurea, 
Epilobinm  angtistifoutim,  Dicranella  hetcromaüa  u.  a.  bestanden. 
Ich  erwähne  das,  um  nicht  die  Meinung  aufkommen  zu  lassen, 
als  besiedelten  Aira,  Calamagrostis,  Lmula,  Carex  brizoides 
u.  a.  nur  den  Trockentorf.  Im  Gegenteil  ist  festzustellen,  daß 
sie  den  aufgebrochenen  Waldboden  ganz  entschieden  bevor- 
zugen. 


38 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


Polytrichum  commune.  Auch  unter  ihnen  ist  der 
Trockentorf  etwas  aufgelocl<ert ,  aber  durch  die 
Rhizoiden  des  Mooses  und  durch  Pilzfäden  neuer- 
dings verfilzt.  Daß  die  Lockerung  aber  über- 
wiegt, beweist  der  Umstand,  daß  iiberall  junge 
Pflanzen  von  Luzida,  Aira  und  Festuca  hetero- 
pJiylla  die  IVIoospolster  durchbrechen.  Sie  werden 
das  Moos  allmählich  verdrängen,  den  Trockentorf 
völlig  zerkleinern  und  so  wieder  günstigere  Ver- 
hältnisse für  anspruchsvollere  Waldpflanzen  schaffen. 

—  Zu  den  Trockentorfzerstörern  rechne  ich  ferner 
Molinia  coenilea  und  Nardiis  sfricta,  von  denen 
die  erstere  wohl  immer,  die  letztere  gelegentlich 
auf  Trockentorf  wächst.  Besonders  schön  konnte 
ich  ihre  Wirkung  feststellen  auf  trockenem  Löß- 
lehmboden am  rechten  Flachgehänge  des  sog.Stein- 
bruchtälchens  zwischen  Frankenberg  und  Alten- 
hain. Die  Pflanzen  wuchsen  am  Fichtenwaldrande 
bei  SSW- Richtung.  Die  Trockentorfschicht  war 
I  cm  stark  und  zeigte  in  der  nächsten  Umgebung 
der  Pflanzen  deutlich  das  sandkuchenartige  Ge- 
präge. Trotzdem  die  groben,  wenig  verzweigten 
Wurzeln    beider  Gräser    nicht   sehr    dicht  standen 

—  es  handelte  sich  um  kleine  Stöcke  — ,  erwies 
sich  der  Trockentorf  zwischen  ihnen  zermürbt, 
unter  den  Moli>na-VQa.nzen  so  stark,  daß  man  ihn 
aus  dem  Zwischenraum  zwischen  oberirdischen 
Trieben  und  den  im  Lößlehm  steckenden  Teil 
der  Wurzeln  herausblasen  konnte.  Die  Pflanzen 
standen  dann  wie  auf  Stelzen.  Die  kurzen,  dicht 
gedrängten  Reste  der  abgestorbenen  oberirdischen 
Molima-Tr\A>t  waren  von  den  geschlängelten 
Wurzeln  durch  den  gelockerten  Torf  hindurch  bis 
auf  die  Oberfläche  des  Lößlehms  gezogen  worden, 
so  daß  die  Reihe  der  Sprosse  ein  wenig  schräg 
im  Trockentorf  lag.  Auch  am  rechten  Flachge- 
hänge des  oberen  SaubachtRls  unterhalb  Franken- 
berg hatten  umfängliche  il/<?//;//«-Büschel  mit  ihren 
dichtstehenden  Wurzeln  eine  3 — 4  cm  dicke 
Trockentorfschicht  gut  gelockert.  —  In  noch 
kräftigerer  Weise  durchpflügt  Nardus  strida  lang- 
sam den  Trockentorf  Während  aber  z.  B.  Aira 
flexuosa  den  bei  seinem  Vorwärtsdrängen  durch- 
schrittenen  Raum  nicht  wieder  besiedelt  —  am 
rechten  Zschopaugehänge  unterhalb  Braunsdorf 
beobachtete  ich  häufig,  daß  Calamagrostis  arun- 
dmacea  diese  Stellen  besetzt  —  überlassen  Molinia 
und  Nardus  den  einmal  eroberten  Boden  nicht 
sobald  einem  Nachfolger,  da  ihre  abgestorbenen 
Teile  außerordentlich  haltbar  sind.*)  —  Am  Butter- 
berggehänge unterhalb  der  Lichtenwalder  Schloß- 
mühle (SSO)  und  am  Braunsdorfer  Gneisgehänge  (S), 
deren  Laubholzbestände  vor  mehr  als  15  Jahren 
ebenfalls  stark  gelichtet,  z.  T.  vollständig  nieder- 
gelegt worden  sind,  findet  man  an  stark  besonnten 
und  daher  beträchtlichen  Feuchtigkeitsschwankun- 
gen ausgesetzten  Stellen  den  Trockentorf  zu  einem 
nur    noch    lose    zusammenhängenden   Pulver   zer- 

'J  Vgl.  dazu  den  Querschnitt  durch  einen  .\ara'i«-Büschel 
in  Kästner,  Wie  untersuche  ich  einen  Pflanzenverein?  Samm- 
lung Biol.  Arbeit  Heft  7,  Berlin  u.  Leipzig  bei  Theodor  Fisher 
1919.  S.  37,  Abb.  28. 


fallen.  Im  oberen,  flacheren  Teil  des  Braunsdorfer 
Gneisgehänges  (8 — 10*)  wird  ein  2 — 4  cm  mäch- 
tiger, nicht  sehr  fester  Trockentorf  aus  dem  Ab- 
wurf  von  Birken,  Eichen  und  Kiefern  durch  die 
Faserwurzeln  von  Vaccinium  niyrfilliis  in  der  oben 
geschilderten  Weise  zusammengesponnen.  —  In 
ähnlicher  Weise  verhält  sich  hier  Calluna,  nur 
daß  bei  ihm  die  kriechenden  Grundachsen  fehlen. 
Auf  lichten  Stellen  des  Fichtenwaldes  im  oberen 
Saubachtal  stellte  ich  auf  frischem  Boden  im  Heide- 
kraut folgenden  Querschnitt  fest:  3  —  $  cm  offenes 
Gewirr  hauptsächlich  aus  Fichten  — ,  weniger  aus 
Heidekrautwürzelchen,  teilweise  von  Pilzfaden- 
häuten versponnen  und  locker  von  Hypiunn 
Sclircberi  gedeckt;  4  cm  lockerer,  grobdurch- 
wurzelter  Trockentorf;  4 — 5  cm  fester,  nicht  oder 
wenig  durchwurzelter  Trockentorf;  darunter  die 
Erde  durch  hellere  Töne  von  Braun  in  Bleicherde 
übergehend.  Da  die  4  cm  lockerer  Torf  keines- 
falls erst  nach  der  Ansiedlung  des  Heidekrauts 
entstanden,  sondern  augenscheinlich  alter  Fichten- 
torf waren,  so  ist  nur  die  Deutung  möglich,  daß 
auch  hier  eine  Lockerung  von  Trockentorf  vor- 
liegt, und  zwar  durch  Heidekraut.  Ob  das  oben 
aufliegende,  noch  gänzlich  frische  Gewirr  von 
Fichtenwürzelchen  sich  einmal  zu  Trockentorf 
verdichten  und  so  die  vorhandene  Masse  ver- 
mehren wird,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  —  Auf 
einer,  nahen  Fichtenschonung,  wo  vor  der  Neu- 
bepflanzung  der  Trockentorf  entfernt  worden  war, 
und  wo  Calluna  einen  geschlossenen,  nur  durch 
die  Flclitenbäumchen  unterbrochenen  Bestand 
bildet,  durchdringen  dessen  Wurzeln  die  obersten 
10  cm  des  Bodens.  Sie  gehen  von  einem  kurzen, 
senkrechten,  sich  rasch  verjüngenden  Erdstamm 
wagerecht  nach  allen  Seiten,  ohne  den  mehligen 
Boden  zu  verfilzen;  vielmehr  läßt  sich  dieser  leicht 
aus  der  wenig  verzweigten  Wurzelkrone  heraus- 
klopfen. Die  Anregung  zu  dieser  Beobachtung 
verdanke  ich  Herrn  Geh.  Forstrat  Dr.  Vater- 
Tharandt,  der  die  Liebenswürdigkeit  hatte,  mir 
mitzuteilen,  daß  Calluna  sich  am  leichtesten  und 
vielleicht  auch  am  üppigsten  auf  nicht  zu  unfrucht- 
barem Boden  ansiedele,  der  von  Trockentorf 
künstlich  befreit  worden  ist 

Aira,  Calamagrostis,  Molinia,  Nardus,  Carex 
brizoides,  Luzula  nemorosa  dringen  also  mit 
ihren  Wurzeln  durch  den  Trockentorf  hindurch, 
bis  sie  den  Mmeralboden  erreichen,  wobei  Luzula 
und  Carex  brizoides  mit  ihren  wagerecht  kriechen- 
den Grundach'-en  anscheinend  nur  schwächere, 
Aira,  Calamagrostis,  Molinia  und  Nardus  mit 
ihren  steil  abwärts  dringenden  Wurzeln  aber 
auch  mehr  als  dezimeterstarke  Humusdecken  zu 
bewältigen  vermögen.  Dabei  wird  der  Trocken- 
torf nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  vollständig 
gelockert  und  so  für  anspruchsvollere  Pflanzen 
wieder  bewohnbar  gemacht.  Die  anderen,  Heide- 
kraut, Heidelbeere,  Maja)itliemu7n  und  Trienfalis, 
vermögen  mit  ihren  flachstreichenden  Grund- 
achsen und  Wurzeln  in  der  lockeren  Bodenstreu 
ohne  Zusammenhang   mit   dem  Mineralboden   zu 


N.  F.  XX.  Nr.  ^ 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


39 


leben.  Häufig  mag  auch  für  die  beiden  letzteren 
der  Fall  so  liegen,  daß  sie  die  Nachsiedler  der 
oben  genannten  Trockentorfzerstörer,  besonders 
von  Aira  flexuosa  sind.  Zuweilen  beteiligt  sich 
MaJaiiflieiJiuin  an  der  Lockerung  des  Trocken- 
torfs, doch  kommt  es  bei  der  Kleinheit  der 
Pflanze  und  der  geringen  Dichte  ihrer  unter- 
irdischen Teile  nicht  zu  einer  durchgreifenden 
Wirkung.  Heidekraut  und  Heidelbeere  dagegen 
verfilzen  in  der  Regel  die  Bodenstreu,  lockern 
aber  den  darunterliegenden  Trockentorf.  Daß  sie 
aber  von  sich  aus  die  iWasse  des  Trockentorfs 
wesentlich  vermehren  könnten,  indem  sie  immer 
neuen  Abwurf  der  Waldbäume  oder  ihre  eigenen 
Abfälle  in  den  Verfilzungsbereich  ziehen,  ist  mir 
nicht  sehr  wahrscheinlich.  Einmal  handelt  es  sich 
bei  den  Standorten  dieser  Pflanzen  um  stark  ge- 
lichtete Stellen,  wo  der  Laub-  oder  Nadelabwurf 
infolge  der  räumigen  Stellung  der  Bäume  stark 
eingeschränkt  ist,  ganz  abgesehen  davon,  daß 
fallendes  Laub  und  Genadel  den  Boden  nicht  un- 
gehindert erreichen  kann  und  so  oft  ein  Spiel 
des  Windes  werden  wird.  Sodann  ist  der  eigene 
Abfall  der  Pflanzen  so  unbedeutend,  daß  er  kaum 
in  Betracht  zu  ziehen  ist.  Ob  man  sie  daher  als 
Trockentorf  bildner  bezeichnen  darf,  ist  mir  höchst 
fraglich;  ich  sehe  in  ihnen  höchstens  Trocken- 
torferhalter, während  Aira,  Calamagrosiis,  Moliiiia, 
Nardus,  Carcx  brizoides  und  Lustda  nemorosa 
Trockentorfzerstörer  sind.  Aus  keinem  der  beiden 
Ausdrücke  darf  aber  geschlossen  werden,  daß  die 
genannten  Pflanzen  auch  Trockentorfanzeiger 
wären.  Ausgenommen  hiervon  ist  nur  Molinia. 
Die  übrigen  gedeihen  mindestens  ebensogut,  an- 
scheinend sogar  besser  auf  trockentorffreiem 
Mineralboden. 

Auch  den  Gedanken  der  Trockentorfzerstörung 
durch  grüne  Waldbodenbewohner  finde  ich  bei 
Müller  schon  angedeutet,  S.  49:  „Sowohl  in 
den  Silkeborger  (Jüiland)  als  auch  in  den  nord- 
seeländischen  Wäldern  sieht  man  schon  ein  Jahr 
oder  doch  jedenfalls  ein  paar  Jahre,  nachdem  der 
alte  Buchenwald  auf  einem  torfbekleideten  Terrain 
weggehauen  ist,  den  Boden  mit  Aira  flexuosa 
vollständig  bedeckt.  Dieses  Gras,  das  schon  in 
dem  nicht  ganz  geschlossenen  Buchenwald  in  zahl- 
reichen isolierten  Haufen  vorkam,  breitet  sich, 
wenn  das  volle  Licht  auf  den  Waldboden  herein- 
gelassen wird,  zu  einer  zusammenhängenden  Decke 
aus,  deren  dichtes  und  zähes  Wurzelgewebe  mit 
den  harten  nadelspitzen  Ausläufern  sich  in  das 
Torf  hineinbohrt  und  dasselbe  völlig  durch- 
zieht . .  .  Ich  habe  den  Torf  an  einer  Stelle  im 
Gribskov  (Seeland)  untersucht,  welche  mit  der 
dichtesten  und  üppigsten  Vegetation  von  Aira 
flexuosa  bedeckt  war,  und  wo  diese  mindestens 
zehn  Jahre,  wahrscheinlich  weit  länger,  gestanden 
hatte  .  .  .  Der  Obergrund  bestand  aus  ziemlich 
stark  lehmhaltigem  Sande  von  bedeutender 
Mächtigkeit  und  die  zwischen  diesem  und  dem 
Torf  liegenden  Schichten  haben  anscheinend  ganz 
denselben  Charakter  behalten,  den  sie  im  Buchen- 


walde hatten;  aber  das  Gras  erstreckte  sein 
Wurzelgewirr  tief  unter  die  Torfschicht,  und 
diese  selbst  hatte  eine  ihrer  Eigentümlichkeiten 
in  sehr  lehrreicher  Weise  verändert.  Die  schwarze 
Masse  war  dichter,  anscheinend  fast  strukturlos 
und  machte  den  Eindruck  eines  fetten  Schlamms. ') 
Aus  der  mikroskopischen  Analyse  ergab  sich, 
daß  fast  alle  die  Reste  von  Blättern,  Knospen- 
schuppen, Blüten  usw.,  welche  der  frische  Buchen- 
torf enthält,  zu  einem  feinen  schwarzen  Schlamm 
umgebildet  waren,  in  dem  man  zwar  die  Ele- 
mente, welche  ihn  ursprünglich  zusammengesetzt 
hatten,  noch  spüren  konnte,  wo  aber  sowohl  die 
Buchenwurzeln  wie  die  Abfälle  fast  ganz  in  eine 
seifenartige  Masse  verwandelt  waren.  Dieselbe 
enthielt,  soweit  ich  sehen  konnte,  nicht  einen 
einzigen  lebendigen  Faden  von  dem  schwarzen 
Mycelium,  -)  aber  aus  einer  unendlichen  Menge 
kleiner  Bruchstücke  desselben  war  zu  ersehen, 
wie  stark  es  ausgebreitet  gewesen  war  und  wie 
unverwüstlich  dieses  Gewebe  ist;  eine  Reihe  von 
Jahren  hat  es  nicht  ganz  zu  zersetzen  vermocht.^) 
Allerdings  war  der  Torf  noch  ungemein  reich  an 
freier  Humussäure  und  der  Regenwurm  fehlte 
noch,  aber  die  Schicht  selber  war  unzweifelhaft 
in  einem  Auflösungszustande;  ihre  Konsistenz  und 
Zähigkeit  verdankte  sie  jetzt  allein  den  Gras- 
wurzeln, welche  sie  doch  vielfach  durchbrochen 
und  eine  Reihe  von  Insektenlarven,  die  ich  nie- 
mals im  Buchentorf  bemerkt  habe  und  die  ohne 
Zweifel  das  Zersetzungswerk  fördern,  herbei- 
gerufen hatten.  Ob  es  der  Schmiele  und  ihrer 
Fauna  allmählich  gelingen  wird,  diese  Torf- 
bildung zu  zerstören  und  die  Stelle  wieder  für 
Pflanzen  und  Tiere  bewohnbar  zu  machen,  ist 
wohl  nicht  mit  Bestimmtheit  zu  sagen,  kommt 
mir  aber  doch  sehr  wahrscheinlich  vor." 

Auch  der  inmitten  größerer  ßuchentorfgebiete 
auftretende  „InsektenmuU",  von  dem  Müller 
S.  38 — 41  spricht,  und  den  er  zunächst  „für  einen 
von  Insekten  zerteilten  Torf"  ansehen  zu  müssen 
glaubt,  ist  wahrscheinlich  erst  durch  die  Boden- 
flora gelockert  worden,  ehe  ihn  die  Insekten  in 
Angriff  nahmen,  denn  aus  einer  Bemerkung  am 
Schluß  der  Seite  40  geht  hervor,  daß  es  sich  um 
begrünten  Waldboden  handelt.  „Die  meisten  der 
Bodenpflanzen  des  Buchenwaldes  können  hier 
vorkommen,  wenn  die  Schichten  größere  Mächtig- 
keit erreichen;  doch  scheint  die  Heidelbeere  auf 
einem   solchen   zerteilten  Torf  gut   zu  gedeihen." 

d)   Gegenüberstellung  der  alten  und 
neuen  Auffassung. 

Nach  der  immer  noch  herrschenden,  P.  E. 
Müller  zugeschriebenen  Auffassung  spielt  bei 
der   Entstehung   des   Trockentorfs   die  Verfilzung 

')  Wahrscheiolich  eine  Kolge  des  feuchten  Seeklimas. 
Bei  uns  habe  ich  diese  Erscheinung  nicht  beobachtet.     K. 

'^)  Der  Buchenpihwurzel.     K. 

')  Aber  die  erhaltende  Kraft  des  Trockentorfs  war  eben 
infolge  der  Durchlüftung  durch  die  /ijVa-Wurzel  im  Schwin- 
den.    K. 


40 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


der  Pflanzenreste  durch  Wurzeln,  Pilzfäden  und 
Moosrhizoiden  die  Hauptrolle.  Demgegenüber  ist 
zu  bemerken,  daß  Müller  vornehmlich  vom 
Buchenwald  Jütlands  spricht,  wo  allerdings  nach 
seiner  ausführlichen  und  lebendigen  Schilderung 
die  Verfestigung  der  Bodenstreu  durch  die  Pilz- 
wurzel der  Rotbuche  so  auffällig  ist,  daß  dieser 
Vorgang  als  Ursache  der  Trockentorfbildung  er- 
scheinen kann.  Müller  lehnt  freilich  S.  78 f. 
diese  Folgerung  ausdrücklich  ab. ') 

Aber  die  Verwerter  seiner  grundlegenden 
Arbeiten  sind,  wie  die  Ausführungen  im  Ab- 
schnitt a)  beweisen,  weniger  vorsichtig  gewesen. 
—  Offenbar  handelt  es  sich  um  einen  sekundären 
Vorgang.  Wenn  Müller  zeigt,  wie  auf  dem 
„Mull"  die  ganze  Erdkruste  bis  zum  Untergrund 
zur  Ernährung  der  Bäume  beiträgt  (S.  14),  wäh- 
rend bei  Trockentorfauflage  „das  unermeßliche 
Gewebe"  der  Buchenwurzeln  in  dieser  Deckschicht 
zu  einem  dichten  Filz  zusammengedrängt  ist 
(S.  33),  so  geht  daraus  m.  E.  ohne  Zweifel  her- 
vor, daß  die  Buche  zu  dieser  Verlegung  ihrer 
Wurzelmasse  nach  oben  durch  die  Trockentorf- 
bildung gezwungen  worden  ist.  Gewiß  trägt  die 
Buchenwurzel  mit  ihrem  Pilzgeflecht  unter  den 
geschilderten  Verhältnissen  zur  Erhaltung  und 
wegen  ihrer  schweren  Zersetzbarkeit  auch  zur 
Vermehrung  der  Trockentorfmasse  bei,  aber  zuerst 
muß  doch  der  Boden  durch  Trockentorf  anderer 
Entstehung  abgedichtet  worden  sein,  ehe  die 
Buchen  ihre  Saugwurzeln  aus  Atemnot  nach  oben 
zusammendrängten. 

Daß  es  für  das  Verständnis  aller  Fragen ,  die 
mit  dem  Trockentorf  zusammenhängen ,  nicht 
gleichgültig  ist,  ob  man  in  seiner  Verfilzung  die 
Ursache  seiner  Entstehung  oder  eine  Folge  sieht, 
ergibt  sich  aus  einer  Stelle  des  Müll  ersehen 
Werkes  selbst  mit  zwingender  Logik.  S.  37  sagt 
er:  „Die  gleichförmige  Decke,  welche  der  (Buchen-) 
torf  oft  auf  große  Strecken  über  den  Waldboden 
zieht,  ist  jedoch  hin  und  wieder  durch  Flecke, 
deren  Vegetation  einen  anderen  Charakter  des 
Bodens    verrät ,    unterbrochen.     So  kann  man  na- 


')  „Wenn  wir  darauf  aufmerksam  gemacht  haben,  daß 
der  (Buchen-)Mull  im  wesentlichen  das  Gepräge  von  der  Ar- 
beit der  Regenwürmer  irägt,  und  dafi  der  (Buchen-)Torf 
hauptsächlich  durch  die  verbindenden  Elemente,  die  Buchen- 
wurzeln und  das  Pilzmycelium ,  seinen  Charakter  erhält,  so 
haben  wir  damit  noch  keinen  Aufschluß  darüber  gegeben, 
wodurch  diese  beiden  Faktoren,  jeder  an  seinem  Ort,  hervor- 
gerufen wurden.  . .  Unsere  Beobachtungen  beginnen  mit  den 
Strukturverhältnissen  des  Bodens,  und  erst  darnach  können 
unsere  Schlüsse  beginnen.  Was  dagegen  für  die  besonderen 
Formen  des  organischen  Lebens  bestimmend  ist,  darüber  be- 
sitzen wir  nur  in  den  Aufschlüssen  über  das  Vorkommen  der- 
selben schwache  Andeutungen.  ,  .  Es  ist  nämlich  wahrschein- 
lich, daß  die  hervorgehobenen  faunistischen  und  floristischen 
Eigentümlichkeiten  im  Boden  nur  als  der  Ausdruck  etnes  Zu- 
standes  von  komplizierterem  Charakter  und  mit  einer  bunteren 
Reihe  von  Voraussetzungen,  als  es  sich  überschauen  ließ,  auf- 
gefaßt werden  muß;  daß  sie  als  ein  Ausdruck,  der  im  glück- 
lichsten Falle  nur  eins  der  wichtigsten  Hauptmomente  liefern 
kann,  anzusehen  sind.  Denn  hier,  wie  überall  in  der  leben- 
den Natur,  ist  eine  Erscheinung  äußerst  selten  die  einfache 
Folge  einer  einzigen  Ursache." 


mentlich  in  den  Niederungen  und  den  kessei- 
förmigen Vertiefungen  teils  kleine  Gebüsche  von 
Himbeeren,  teils  Gruppen  recht  gedeihlicher 
junger  Buchen  sehen,  die  durch  ihre  Entwicklung 
und  Form  gegen  die  verkümmerten  und  ver- 
krüppelten kleinen  Buchenpflanzen,  welche  hin 
und  wieder  auf  dem  Torf  ihr  Dasein  fristen,  deut- 
lich abstechen.  ...  In  diesen  kleinen  Himbeer- 
gebüschen oder  Gruppen  von  recht  kräftigen 
jungen  Buchen  habe  ich  nämlich  ...  oft  einen 
vortrefflichen  Mull  angetroffen,  ohne  daß  es  mög- 
lich war,  in  der  Beschaffenheit  des  Bodens  selber 
irgendwelchen  Grund  dafür  zu  finden,  daß  die 
Zersetzung  der  organischen  Reste  auf  diesem 
Fleck  .  .  .  sich  in  anderer  Weise  als  in  den  großen 
Torfflächen,  die  ihn  umgeben,  vollziehen  sollte. 
Ich  habe  niemals  .  .  .  eine  solche  Mulloase  unter- 
sucht, ohne  dort  Regenwürmer,  sogar  in  bedeu- 
tender Menge  zu  finden,  während  in  den  angren- 
zenden Strecken  keine  Spur  von  ihnen  vorhanden 
war."  Es  handelt  sich  offenbar  um  kleine  Lich- 
tungen im  Buchenwalde,  in  denen  es  eben  wegen 
des  Auftretens  von  Himbeeren  usw.  nicht  zur 
Bildung  von  Trockentorf  kommen  konnte. 
Müller  wird  durch  seine  Stellung  zur  Frage  der 
Trockentorfentstehung  gezwungen,  solchen  Oasen- 
boden, der  nach  seinem  Sprachgebrauch  ganz 
unzweifelhafter  „Mull"  ist,  an  anderer  Stelle  seines 
Werkes  als  „mullartigen  Torf'  zu  bezeichnen,  was 
natürlich  ganz  unhaltbar  ist  —  m.  E.  ein  schlagen- 
der Beweis  dafür,  wie  wichtig  es  ist,  die  primäre 
Ursache  der  Trockentorfbildung  zu  kennen.  Daß 
Müller  den  naheliegenden  Zusammenhang  nicht 
selbst  ausspricht,  kann  ich  mir  nur  so  erklären: 
In  seinem  Untersuchungsgebiet  herrscht  der  durch 
Buchen-Pilzwurzel  verfilzte  Trockentorf  bei  weitem 
vor;  in  dem  feuchten  Seeklima  Jütlands  scheint 
das  Zusammensetzen  das  Buchenlaubs  rascher  und 
auf  größeren  Strecken  vor  sich  zu  gehen  als  bei 
uns;  die  Buchenwurzeln  werden  schneller  in  Atem- 
not versetzt;  so  können  sie  in  weiten  Gebieten 
nur  an  der  Bodenoberfläche  für  die  Ernährung 
der  Bäume  tätig  sein;  die  wenigen  Stellen,  wo 
sich  die  Buchen  anders  verhalten,  bilden  Aus- 
nähmen; kein  Wunder,  wenn  dem  Beobachter  die 
Verfilzung  des  Buchentorfs  als  zu  seinem  Wesen 
gehörig  erscheint.  Auch  Müller  kennt  (Buchen-) 
„Torf  ohne  Wurzelmasse",  doch  behandelt  er  ihn 
wegen  seines  selteneren  Vorkommens  als  Abart. 
Meiner  Meinung  nach  zeigt  dieser  „Torf  ohne 
Wurzelmasse"  die  Entstehungsbedingungen  des 
Trockentorfs  aber  reiner  als  der  durch  Wurzeln 
verfilzte.  Aus  dem  Gesagten  scheint  sich  doch 
die  Notwendigkeit  zu  ergeben,  daß  man  zur  Ver- 
meidung von  Mißverständnissen  den  ursprünglichen 
Schüttungs-  oder  Lagertorf  von  dem  nachträglich 
verfilzten  Torf  unterscheidet.  — 

Ich  stelle  also  der  Auffassung,  daß  Trocken- 
torf durch  Verfilzung  der  Abfallmassen  entstehe, 
die  Anschauung  entgegen,  daß  lediglich  über- 
mäßige, d.  h.  von  den  zerstörenden  Kräften  nicht 
zu  bewältigende  Schüttung  der  Laub-  und  Nadel- 


I 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


41 


bäume  die  Ursache  der  Trockentorfbildung  ist. 
Nebenbei  gewinnen  wir  damit  den  Vorteil,  die 
Entstehung  des  Buchentorfs  nicht  anders  erklären 
zu  müssen  wie  die  des  Fichtentorfs.  (Vgl.  dagegen 
die  Anführungen  aus  Graebners  „Pflanzenwelt 
Deutschlands"  im  Abschnitt  a  verliegender  Ar- 
beit!) 

Ferner  lehne  ich  die  Ansicht  ab,  daß  auch 
Glieder  der  Waldbodenflora  {Call/i/ia,  Vacciniitm, 
Carex  hnzoides,  Moose  usw.)  nennenswert  an 
der  Bildung  von  Trockentorf  beteiligt  seien.  Die 
gesamte  Waldbodenflora  verhindert  vielmehr  die 
Trockentorfbildung  oder  zerstört  bereits  vor- 
handenen Trockentorf,  auf  dem  sie  sich  bei  gün- 
stiger werdenden  Lichtverhältnissen  ansiedelt. 
Callmia,  Vacciiiintn  und  die  Moospolster  kommen 
höchstens  als  Erhalter  des  von  den  Waldbäumen 
erzeugten  Trockentorfs  in  Frage.  In  ursprüng- 
lichen Gr/fo«(7-Heiden  mögen  die  Verhältnisse 
anders  liegen.  Auch  die  Durchspinnung  des 
Trockentorfs  mit  den  Mycelien  der  saprophytisch 
lebenden  Pilze  bedeutet  meines  Erachtens  in 
erster  Linie  eine  sehr  langsame  Zerstörung  der 
Waldbodendecke,  die  allerdings  mehr  chemischer 
Natur  ist. 

Endlich  ergibt  sich  aus  den  voranstehenden 
Ausführungen,  daß  auch  unvorsichtige  Lichtung 
des  Waldes  oder  Kahlschlag  nicht  Ursache  der 
Trockentorfbildung  werden  kann.  Es  handelt 
sich  dabei  nur  um  Verdichtung  bereits  vor- 
handenen Trockentorfs.  Das  ist  aber  eine  vorüber- 
gehende Erscheinung;  der  freigelegte  Trockentorf 
wird  von  den  Wurzeln  der  massenhaft  sich  ein- 
stellenden Kahlschlagspflanzen  im  Laufe  weniger 
Jahre  zerstört.  Die  unleugbaren  Schädigungen, 
die  der  Waldboden  durch  zu  starkes  Pläntern 
oder  Kahlhieb  erleidet,  müssen  also  anderswo  zu 
suchen  sein  als  in  unvermeidlicher  Trockentorf- 
bildung. 

e)  Ergebnisse. 

1.  Trockentorf  wird  lediglich  durch  den  Ab- 
wurf  der  Waldbäume,  besonders  der  Buchen  und 
Fichten,  gebildet  und  zwar  immer  dort,  wo  die 
zerstörenden  Kräfte  die  Abfallmassen  nicht  be- 
wältigen können. 

2.  Da  als  solche  Zerstörer  in  erster  Linie  die 
Pflanzen  des  Waldbodens  in  Frage  kommen,  die 
zu  ihrer  Entwicklung  Licht  brauchen,  so  kann 
Trockentorf  nur  an  unbegrünten  Stellen  des 
Waldbodens  entstehen,  also  im  geschlossenen 
Fichtenwalde  und  an  solchen  Stellen  des  Buchen- 
waldes, wo  das  Fallaub  so  hoch  aufgehäuft  ist, 
daß  die  Frühlingspflanzen  nicht  durchbrechen 
können. 


3.  An  begrünten  Waldstellen  kommt  es  nicht 
zur  Bildung  von  Trockentorf,  weil  einesteils  die 
Bodenstreu  in  jedem  Frühjahr  durch  massenhaft 
empordrängende  Pflanzentriebe  gehoben  und  ge- 
lockert wird  und  weil  andernteils  Sträucher, 
Gräser  und  Moospolster  ein  festes  Zusammen- 
lagern des  Baumabwurfs  verhindern. 

4.  Werden  trockentorfbedeckte  Waldstellen 
freigelegt,  so  siedeln  sich  Gräser  und  Stauden  an, 
die  mit  ihren  Wurzeln  den  Trockentorf  vor  allem 
mechanisch  zerstören.  Solche  Trockentorfzerstörer 
sind  besonders  Aira  flcxuosa,  Calaiiiagrostis 
arimdinacca,  Moliuia  caerulea,  Nardiis  strida, 
Fesiuca  heterophylla,  Carex  brizoidcs,  Liiznla 
iicmorosa,  Alajantliemitm  bifoUum. 

5.  Cnlluna  vulgaris  und  Vacciuiitin  myrtilhts, 
die  unter  den  gleichen  Umständen  besonders  im 
Nadelwalde  auftreten,  verzögern  wohl  die  Zer- 
störung des  Trockentorfs  durch  ihre  Faserwurzeln 
und  die  sie  umspinnenden  Pilzfäden,  lockern  ihn 
aber  durch  ihre  derben  Haupt-  und  Nebenwurzeln. 
Im  ganzen  ist  der  Trockentorf  unter  ihnen 
weniger  fest  und  dicht  als  an  den  Stätten  seiner 
Entstehung,  so  daß  doch  wohl  Luft  und  Wasser 
und  andere  zerstörende  Kräfte  ihn  besser  an- 
greifen können  als  an  unbegrünten  Stellen. 

6.  Moospolster,  die  belichtete  Waldboden- 
stellen besiedeln,  scheinen  im  allgemeinen  zwar 
nicht  die  vorhandene  Trockentorfdecke  selbsttätig 
zu  lockern,  setzen  aber  ihrer  Verstärkung  durch 
Neuaufschüttung  eine  Grenze. 

7.  Die  unter  5  und  6  genannten  Pflanzen  sind 
mit  Ausnahme  von  Moliuia  und  Majaiifhevuwi 
keineswegs  Trockentorfanzeiger.  Vielmehr  ge- 
deihen sie  ebensogut,  wahrscheinlich  sogar  besser, 
auch  auf  Mullerde  {Calamagrostis,  Carex  bri- 
zoidcs, Luzula  neiiiorosa)  oder  auf  Waldböden, 
die  bei  der  Bestandsverjüngung  von  der  Trocken- 
torfdecke befreit,  aufgerissen  oder  umgestürzt 
worden  sind  {Aira  flcxuosa,  Calluna  vulgaris, 
Vacciuium  myrfillus,  Dicraiieüa  heterornalla). 

8.  An  der  Vermehrung  des  Trockentorfs  ist 
die  Waldbodenflora  entweder  gar  nicht  oder  so 
unwesentlich  beteiligt,  daß  der  in  Frage  kom- 
mende Betrag  gegenüber  den  Abwurfmassen  der 
Bäume  völlig  zurücktritt. 

9.  Als  äußerst  langsam  und  zwar  hauptsäch- 
lich chemisch  arbeitende  Trockentorfzerstörer  sind 
auch  die  saprophytisch  lebenden  Pilze  anzusehen. 
Ihre  Tätigkeit  ist  um  so  beachtlicher,  als  viele 
von  ihnen  auch  den  Trockentorf  im  geschlossenen 
Walde  in  Angriff  nehmen,  wohin  ihnen  die  grüne 
Waldbodenflora  aus  Mangel  an  Licht  nicht  zu 
folgen  vermag. 


Bücherbesprechimgen. 


Stöckhardt,  Ad., Schule  der  Chemie.   22.  Aufl., 
bearbeitet     von     Prof.    Dr.     Lassar  -  Co hn. 


Braunschweig    1920,    Friedr.  Vieweg.      24  M. 
geb.  32  M. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Bücher  wie  dieses,  das  seit  nunmehr  beinahe 
75  Jahren  im  Buchhandel  erscheint,  pflegt  die 
Kritik  als  „alte,  liebe  Bekannte"  zu  begrüßen  mit 
der  Bemerkung,  daß  sie  besonderer  Empfehlung 
nicht  mehr  bedürfen.  Ich  betone,  daß  in  diesem 
Falle  der  Eindruck  eines  alten  Werkes  bei  mir 
vorherrschend  ist.  Es  wird  immer  eine  Unmög- 
lichkeit sein,  ein  Buch,  das  vor  Jahrzehnten  sehr 
wohl  „den  Bedürfnissen  seiner  Zeit  entsprochen 
hat",  im  selben  Geiste  nur  durch  gelegentliche 
„Bearbeitungen"  über  lange  Zeiträume  auf  der 
wissenschaftlicherseits  zu  fordernden  Höhe  zu 
halten.  Es  sei  denn,  man  treibt  die  Verjüngungs- 
arbeit an  jeder  Neuauflage  so  weit,  daß  — 
schließlich  ein  neues  Buch  dabei  herauskommt. 
In  richtiger  Würdigung  dieser  Sachlage  hat  denn 
auch  der  Verlag  vor  einigen  Jahren  den  Wunsch 
geäußert,  daß  ein  „ganz  moderner  Stöckhardt" 
geschrieben  werde.  Das  ist  durch  Ostwald 
geschehen;  und  die  Tatsache  einer  vierten 
Auflage  seiner  „Schule"  beweist  schon  rein  äußer- 
lich, daß  den  Bedürfnissen  der  Gegenwart  Ost- 
walds  Schule  entspricht.  Es  ist  deshalb  falsche 
Ehrfurcht  vor  der  inzwischen  geschichtlich  ge- 
wordenen Leistung  Stöckhardts,  seine  „Schule" 
zum  Prokrustesbett  der  ganzen  modernen  Chemie 
zu  machen. 

Dies  aber  ist  es,  was  durch  die  vorliegende 
Neuauflage  geschehen  ist.  Zunächst  hinsichtlich 
der  geradezu  unglaublichen  Fülle  des  Stoffes. 
Was  davon  geboten  wird,  geht  weit  über  den 
Rahmen  einer  „Schule",  d.  i.  einer  ersten  Ein- 
führung, hinaus.  Nicht  allein  die  gesamte  an- 
organische, sondern  sämtliche  Kapitel  der  or- 
ganischen Chemie  sind,  neben  der  „Tierchemie" 
und  einem  2o  Seiten  langen  „Analytischen  An- 
hang", der  aber  in  keiner  Weise  eine  syste- 
matische Analyse  ermöglicht!,  als  zum  Thema 
einer  erzieherischen  Einführung  in  eine  begriff- 
lich wahrlich  nicht  einfache  Wissenschaft  gehörig 
betrachtet  worden !  Was  für  den  geringen  Um- 
fang der  Chemie  von  1846  recht  war,  ist  aber 
für  1920  nicht  billig.  Es  heißt  ein  oberflächliches 
Wissen  um  außerordentlich  viel  Tatsachen  be- 
fördern, wenn  dem  Schüler  die  Konstitutions- 
formel des  Chinins  (S.  460)  vorgesetzt  (denn 
sie  bleibt  unbegründet)  wird.  S  o  erziehen  wir 
Chemikanten,  nicht  Chemiker!  Es  ist  mir 
nicht  zweifelhaft,  daß  die  trübe  Erscheinung  der 
chemischen  Halbbildung,  die  zu  insbesondere 
pharmazeutischen  Alchimistereien  der  unerfreu- 
lichsten Art  führt,  dieser  breiten,  im  Grunde  aber 
unendlich  seichten  Schulung  zuzuschreiben  ist. 
Findet  doch  sogar  Einsteins  Theorie  S.  330 
ehrfürchtige  Erwähnung ! ! 

Nicht  verwunderlich  ist  infolgedessen  derIVlangel 
an  exakter  Erläuterung  des  Chemischen 
schlechthin  andererseits.  „Wasserfreie  Säuren 
heißen  Anhydride"  (S.  162).  „Das  Vereini- 
gungsbestreben der  Atome  versinnbildlicht  man 
durch  Striche"  (S.  50).  „Oxydieren  heißt: 
einen  Körper  mit  Sauerstoff  verbinden"  (S.  92)  — 


dies  sind  nur  einige  willkürliche  Sätze  über  An- 
gelegenheiten, die  sorgfaltigster  Begriffsbestim- 
mung bedürfen.  Die  lonentheorie  ist  auf 
einer  Seite  abgetan;  von  einer  Anwendung  oder 
sonstigen  Erwähnung  findet  sich  nichts.  In  einem 
Buch,  das  über  die  allerersten  Anfänge  fortführen 
soll,  das  „angehende  Apotheker,  Landwirte"  usw. 
unterrichten  will,  unentschuldbar.  Ebenso,  sagen 
wir;  unmodern  ist  an  der  alten,  ja  ältesten  Nomen- 
klatur hängen  geblieben  worden.  Was  Wissen- 
schaft und  Industrie  immer  und  immer  wieder 
fordern,  was  zumal  zum  Verständnis  der  heu- 
tigen Chemiesprache  unentbehrlich  ist,  nämlich 
die  folgerichtige  Anwendung  einer  sinngemäßen 
Namengebung,  findet  in  diesem  Buche  nur  neben- 
her und  nicht  einmal  hervortretende  Behandlung. 
Ja,  S.  125  werden  sogar  Namen  wie  Kalium- 
sulfat   u.  ä.    als    „recht  überflüssig"   bezeichnet! 

So  altertümlich  wie  die  genannten  Tatsachen 
sind  auch  die  Abbildungen  des  Buches.  Ihre 
Menge  und  unzweckmäßige  Stilisierung  be- 
schweren das  ohnehin  viel  zu  umfangreiche  Buch 
um  ein  weiteres.  Viele  Bilder  kommen  doppelt 
und  dreifach  vor,  teilweise  auf  einander  gegen- 
überstehenden Seiten!  So  S.  130  und  131.  Eine 
pädagogische  Geschicklichkeit  vermag  ich  darin 
nicht  zu  sehen. 

Weitere  Einzelheiten  glaube  ich  mir  nach 
obigem  ersparen  zu  dürfen.  Nicht  leichten  Herzens 
entschloß  ich  mich  zu  dieser  ablehnenden 
Besprechung,  glaube  aber,  sie  der  Chemie  und 
dem  angesehenen  Verlage,  dem  wir  eine  große 
Zahl  bester  Veröffentlichungen  danken,  schuldig 
zu  sein.  Er  hat  ja  einen  vollwertigen  Ersatz  des 
alten  St öckhardt;  möchte  er  sich  entschließen, 
künftig  nur  ihn  erscheinen  zu  lassen.  Unseres 
Dankes  darf  er  sich  versichert  halten.  Hoch- 
achtung vor  der  großen  Leistung  von  einst! 
Die  Forderung  des  Tages  aber  lautet  anders; 
und  selbst  des  großen  Berzelius  berühmtes 
Lehrbuch  hat  das  Schicksal  erlebt,  dem  Fort- 
schritt der  Wissenschaft  zum  Opfer  gefallen  zu 
sein  . .  .  Hans  Heller. 

Pauli,  Prof  Dr.  Wo.,  Kolloidchemie  der 
Eiweißkörper.  I.  Hälfte.  Dresden  und 
Leipzig  1920,  Verlag  von  Theodor  Steinkopfif. 
10  M. 

Nachdem  Graham  in  den  Kolloiden  jene 
eigenartige  Erscheinungsform  der  Materie  kennen 
gelehrt  hatte,  die  ein  scheinbar  grundsätzliches 
Gegenteil  zu  den  Kristalloiden  bildete,  hat  sich 
die  Forschung  jener  neuen  Welt  „der  vernach- 
lässigten Dimensionen"  mit  außergewöhnlichem 
Eifer  hingegeben.  Die  formalen  Ergebnisse  dieser 
Arbeiten  auf  kolloidchemischem  Gebiete  zielen 
nun  mehr  und  mehr  dahin,  den  ursprünglichen 
Gegensatz  zu  den  anderen  physikochemischen 
Erscheinungen  verschwinden  zu  lassen  und  als 
einen  nur  graduellen,  nicht  aber  wesentlichen 
zu  demonstrieren.  Den  ersten  Schritt  hierzu  tat 
schon  Zsigmondy,   indem  er  Kolloide  als  dis- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


43 


perse  Anteile  von  der  Größe  0,i  ,«  bis  o,i  ///t 
definierte  und  sie  somit  als  einen  Sonderfall  der 
Lösungen  überhaupt  kennzeichnete.  Immer- 
hin aber  sind  die  in  diesem  Bereich  zu  verzeich- 
nenden Tatsachen  und  Vorgänge  von  solcher 
Eigenart,  und  erfordern  eine  von  den  üblichen 
Methoden  stark  abweichende  Behandlung,  daß  sie 
ihre  Sonderstellung  im  Gebiete  der  Gesamtchemie 
trotz  aller  Versuche,  sie  ihnen  zu  nehmen,  beibe- 
hielten. Rein  äußerlich  fand  dieses  Verhältnis 
seinen  Ausdruck  in  der  entsprechenden  Literatur, 
die  erfahrungsgemäß  dem  „Chemiker"  schlechthin 
stets  eine  Art  Bibliophilenangelegenheit  war.  In 
neuester  Zeit  nun  macht  sich  zunehmend  eine 
Bewegung  bemerkbar,  die  die  Kolloidchemie  ihres 
eigenartigen  Charakters  berauben  und  sie  als  einen 
Sonderfall  der  allgemeinen  Chemie  auch  dann 
betrachtet  wissen  will,  wenn  unsere  bisherigen 
„klassischen"  Vorstellungen  auf  kolloidchemische 
Probleme  nicht  anwendbar  zu  sein  scheinen. 
Mit  anderen  Worten,  man  sucht  eine  Deutung 
kolloidaler  Effekte  im  Sinne  und  mit  den  Mitteln 
der  Struktur-  und  Elektrochemie  der 
echten  Lösungen. 

Dies  mußte  vorausgeschickt  werden,  um  den 
Charakter  des  vorliegenden  Buches  verständlich 
zu  machen.  Auch  Pauli  nämlich,  dem  wir  zahl- 
reiche wertvolle  Arbeiten  auf  dem  im  Titel  ge- 
nannten Gebiet  verdanken,  glaubt,  wenn  ich  den 
Sinn  des  ersten  ganz  vorzüglich  geschriebenen 
Abschnittes  seiner  Arbeit  recht  verstehe,  die  in 
den  folgenden  Kapiteln  niedergelegten  Befunde 
„mit  der  Strukturchemie  verknüpfen"  zu  können. 
Selbstverständlich  ist  dieses  Bemühen  an  sich  so 
zu  billigen  wie  jeder  Versuch  der  Zusammen- 
fassung heterogener  Tatsachen  unter  allgemei- 
nen und  einheitlichen  Gesichtspunkten.  Aber 
es  darf  doch  nicht  übersehen  werden,  daß  solchen 
Versuchen  durch  den  Stoff  selbst  Grenzen 
gezogen  sind.  Und  es  bestehen  nun  einmal,  wo- 
rauf insbesondere  Wo.  Ostwald  immer  wieder 
eindringlich  hinweist,  kolloidchemische  Fakten, 
die  einstweilen  in  die  klassische  Chemie 
nicht  einzureihen  sind. 

Sie  als  solche  ausdrücklich  betont  zu  finden 
wird  man  in  dem  L  Teil  dieses  Werkes  ver- 
missen. Es  läßt  mithin  in  diesem  Betracht 
unbefriedigt.  Denn  die  vielen  exakten  Angaben 
und  Diskussionen  elektrochemischer  Verhältnisse 
an  Eiweißstoffen  sind  eben  keine  Kolloid- 
chemie dieser  Stoffel  Obwohl  ihr  einzigartiger 
Charakter  sachlich  natürlich  nicht  zu  verkennen 
ist.  Ich  denke  an  die  Maxim  u  merscheinungen, 
an  den  oft  völligen  Mangel  stöchiometrischer  Be- 
ziehungen und  schließlich  daran,  daß  die  72  Ta- 
bellen des  Buches  von  einer  Mannigfaltigkeit  der 
Versuchbedingungen,  Methodik  und  damit  also 
von  einer  Unvergleichbarkeit  sind,  die  ein- 
fach einzig  ist!  Solange  noch  eine  derartige 
„Empirie"  im  behandelten  Gebiet  notwendig  ist, 
fühlt    sich    der  Berichterstatter  außerstande,    den 


„klassisch"   gerichteten   Gedanken   und  Absichten 
des  Verf.  folgen  zu  können. 

Im  übrigen  stört,  daß  absichtlich  vorwiegend 
die  aus  Paulis  Laboratorium  hervorgegangenen 
Arbeiten  behandelt  werden.  Sie  bilden,  bei  aller 
Wertschätzung,  doch  nur  einen  Teil  der  hierher 
gehörenden  Forschungsergebnisse.  Aber  dieser 
Teil  ist  hoch  bedeutsam,  und  für  den  Arbeiter 
oder  Liebhaber  auf  diesem  Gebiet  dürfte  Paulis 
Buch  unentbehrlich  werden.  Diesem  zu  wünschen- 
den Erfolge  dient  nicht  allein  die  immer  klare 
und  gut  lesbare  Darstellung,  sondern  auch  die 
vorzüglichen  Abbildungen  und  Diagramme. 

Das  Buch  muß  also  angelegentlich  empfohlen 
werden.  Nachstehend  die  wichtigsten  Kapitel- 
überschriften: Stabilitätsbedingungen  der  Eiweiß- 
lösungen; Elektrische  Ladung  von  nativem  lös- 
lichen Eiweiß;  Eigenschaften  bei  isoelektrischer 
Reaktion;  Eiweißsalze  mit  Säuren;  desgl.  mit 
Basen;  Zeitliche  Zustandsänderungen  der  Alkali- 
proteine; Salze  des  Globulins;  Wanderungsge- 
schwindigkeit der  Proteinionen. 

H.  Heller. 

Bavink ,  Dr.  B.,  Einführung  in  die  anor- 
ganische Chemie.  Sammlung  Aus  Natur 
und  Geisteswelt.  Berlin  und  Leipzig  1920, 
B.  G.  Teubner.  1,60  M.  und  Zuschlägen. 
Klein,  Dr.  Joseph,  Chemie,  Anorganischer 
Teil.  7.,  verbesserte  Auflage.  Sammlung 
Göschen.  Vereinigung  wissensch.  Verleger. 
W.  de  Gruyter  &  Co.  2,10  M.  und  100  7o- 
Beide  Bändchen  wollen  einen  ersten  Überblick 
über  das  Gesamtgebiet  der  anorganischen  Chemie 
geben,  setzen  jedoch  verschieden  vorgebildete 
Leser  voraus.  Bavink  schrieb  „so  elementar  als 
möglich",  setzt  nur  einfachsten  Volksschulunter- 
richt voraus  und  sucht  seine  Darstellung  vor  allem 
auch  für  Volkshochschulkurse  brauchbar  zu  machen. 
Dies  würde  bedingen,  die  einfachen  Grundtat- 
sachen möglichst  eindringlich  darzulegen,  von 
jeder  weitergehenden  Vertiefung  in  Einzelheiten 
aber  abzusehen,  so  sehr  man  gerade  bei  völligen 
Laien  versucht  ist,  ihrem  Wissensdurst  durch  Hin- 
weis auf  bekannte  und  wichtige  Tatsachen  in 
Wissenschaft  und  Industrie  entgegen  zu  kommen. 
Der  Verf.  hat  auf  engem  Raum  beiden  Seiten 
der  zweifellos  schwierigen  Aufgabe  gerecht  zu 
werden  versucht.  So  kommt  leider  gerade  die 
für  den  Nichtvorgebildeten  wichtigste,  nämlich 
die  experimentelle  Seite  etwas  zu  kurz;  so 
sehr,  daß  selbst  für  wesentlichste  Versuche  auf 
„ein  gutes  Experimentierbuch"  verwiesen  werden 
muß,  z.  B.  S.  13.  Die  Notwendigkeit,  fast  auf 
jeder  Seite  auf  andere  einführende  Bücher  zu  ver- 
weisen, muß  das  Studium  immer  beeinträchtigen, 
was  um  so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  im  gan- 
zen die  Auswahl  des  Verf.  in  verschiedenen 
Richtungen  glücklich  getroffen  und  in  recht  an- 
genehmer Weise  zur  Darstellung  gebracht  ist. 
Aber ,  wie  gesagt ,  wenn  überhaupt  eine 
wissenschaftliche      Einführung      ange- 


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strebt  wird,  darf  die  Wissenschaft  auf 
keinen  Fall  vom  bloßen  Wissen  um  gewisse 
chemische    Erscheinungen   beeinträchtigt   werden. 

Eine  Neuauflage  könnte  in  diesem  Sinne  je- 
doch unschwer  umgestaltet  werden.  Viele  durch- 
aus entbehrliche  Einzelheiten  müßten  in  Wegfall 
kommen,  so,  um  nur  einige  Beispiele  zu  nennen, 
die  Nennung  der  Loschmidt sehen  Zahl  (I)  S.  27, 
StoiTe  wie  H  y  d  r  a  z  i  n  S.  60 ,  Cäsium  S.  86, 
ferner  der  Anhang  über  Kristallsysteme 
u.  a.  m.  Ich  glaube,  daß  das  Buch  dadurch  nur 
gewinnen  wird. 

Im  einzelnen  sei  noch  bemerkt:  für  die  Salz- 
bildung der  Schwefelsäure  auf  S.  34  ist  zweck- 
mäßig die  Umsetzung  mit  Zink  zu  streichen,  mit 
Rücksicht  auf  das  Reaktionsbeispiel   S.  33    unten. 

—  Im  Literaturverzeichnis  vermisse  ich  jegliches 
Buch  von  Ostwald.  Gerade  dieser  Meister 
chemischer  Unterrichtung  sollte  aber  nachdrück- 
lich empfohlen  werden!  Bücher,  wie  die  von 
Werner,  Nernst(!)  hingegen  gehören  nicht  in 
eine  „Einführung"  wie  die  vorliegende.  — 

Für  einen  Leserkreis  mit  besserer  Vorbildung 
schrieb  Klein  seinen  gedrängten  (und  darum 
nur  dem  höher  gebildeten  Schüler  leicht  ver- 
ständlichen) Abriß,  der  nach  einer  Einleitung  über 
die  wichtigsten  Grundtatsachen  in  zwei  große  klar 
disponierte  Abschnitte  zerlegt  ist:  Gesetzmäßig- 
keiten und  Theorien,  sowie  die  Elemente  und 
ihre  Verbindungen.  Gut  an  der  Darstellung  ist 
neben  der  flotten  Schreibweise  die  scharfe  For- 
mulierung kennzeichnender  Beispiele,  von 
denen  vielleicht  nur  das  auf  S.  32  unten  gegebene 
unklar  bleibt.  Im  übrigen  zeigt  das  Buch  selb- 
ständiges Urteil  in  der  Stoffauswahl.  S.  144 
möchte  das  „graue"  Zinn  Erwähnung  finden  als 
typischer  Fall  der  bei  Metallen  als  Regel  erkannten 
Allotropieerscheinungen.  Ob  es  richtig  ist, 
unter  diese  auch  den  Ionen  zustand  zu  rechnen 
(S.  42)  bestreite  ich.  Nach  den  Forschungen  ins- 
besondere von  Hantzsch  müssen  die  Ionen  als 
Oxoniumsalze,  mindestens  aber  als  Kom- 
plexe, d.  h.  Verbindungen  aufgefaßt  werden. 

—  Die  nächste  Auflage  des  Werkchens  sollte 
einer  Durchsicht  auf  eindeutige  und  einwandfreie 
Nomenklatur  unterzogen  werden.  —  Im  Sinne 
der  so  sehr  erwünschten  Einheitlichkeit  der 
Atomge  Wichtsrechnungen  liegt  es  endlich,  daß 
grundsätzlich  nur  0=i6  zur  Grundlage  genom- 
men wird.  Die  Tabelle  auf  S.  16  sollte  längst 
dementsprechend  abgeändert  sein. 

Druck  und  Ausstattung  des  Bändchens  sind 
sehr  gut,  und  so  ist  es  für  jeden,  der  aus  irgend- 
einem Grunde  der  anorganischen  Chemie  teil- 
haftig werden  möchte,  warm  zu  empfehlen. 

.  H.  Heller. 

Lehmann,  K.  B.  und  Neumann,  R.  O.,   Atlas 

undGrundriß  derBakteriologie.  2 Teile. 

6.  Aufl.    Lehmanns  medizinische  Handatlanten. 

Bd.  X.   München,  J.  F.  Lehmanns  Verlag.    60  M. 

Endlich  ist  dies  einzigartige  Lehrbuch,  auf  das 


nicht  besonders  aufmerksam  gemacht  werden  muß, 
wieder  neu  erschienen.  Wenn  auch  die  neue 
6.  Auflage  ein  unveränderter  Abdruck  der  5.  ist, 
so  ist  doch  ein  70  Seiten  langer  übersichtlicher 
Nachtrag  dazu  gekommen,  der  die  Fortschritte, 
die  während  des  Krieges  in  der  Wissenschaft  ge- 
macht worden  sind,  in  kurzer  Form  zusammen- 
faßt. Allerdings  ist  es  unverständlich,  warum  die 
Nachträge  nicht  einfach  an  die  betreffende  Stelle 
im  Hauptteil  gestellt  worden  sind,  zumal  stets 
genau  die  Seitenzahl  des  Hauptteiles  angegeben 
ist.  Dieser  Formfehler  hätte  sich  wohl  leicht  ver- 
meiden lassen  können. 

Im  Anhange  selbst  wäre  es  S.  750  wünschens- 
wert, die  Ergebnisse  der  Kolloidchemie  ausführ- 
licher behandelt  zu  sehen,  und  S.  799  vermißt 
man  sehr  ein  genaueres  Eingehen  auf  die  Much- 
schen  Fartialantigene.  Bei  S.  808  wäre  ein  Ein- 
gehen auf  die  neusten  Arbeiten  über  die  Wasser- 
mannsche  Reaktion  (z.  B.  Nathan  u.  a.)  ange- 
bracht. Sehr  gut  ist  hingegen  der  Abschnitt  über 
Influenza  (S.  757),  Thyphus,  Dysenterie  und  Para- 
typhus (S.  763)  und  Cholera  (S.  788).  Auch  das 
Fleckfieber,  das  ja  erst  während  des  Krieges  ein 
gesteigertes  Interesse  hervorrief,  ist  vortrefflich, 
wenn  auch  etwas  sehr  kurz,  behandelt  worden. 
Alles  in  allem  aber  wird  das  Buch  jeden  be- 
friedigen, ist  es  doch  das  einzige  umfassende  Lehr- 
buch der  bakteriologischen  Diagnostik,  das  sich 
nicht  nur  auf  pathogene  Bakterien  beschränkt. 
Auch  die  Tafeln  dürfen  uneingeschränktes  Lob 
verdienen.  Collier. 

Riebet,  Charles,  Die  Anaphylaxie.  Über- 
setzt von  J.  Negrin  y  Lopez.  Leipzig  1920, 
Akadem.  Verlagsgesellschaft  m.  b.  H. 
Obwohl  das  Buch  des  bekannten  Pariser  Physio- 
logen bereits  im  Jahre  1913  geschrieben  ist  und 
nur  einen  kurzen  späteren  (191 4)  Nachtrag  über 
die  durch  Chloroform  bedingte  Anaphylaxie  ent- 
hält, ist  doch  die  deutsche  LTbertragung  mit  Freude 
zu  begrüßen.  Der  größte  Mangel,  und  es  ist  wohl 
der  einzige,  liegt  nur  darin,  daß  die  19 14— 1920 
erschienene  umfangreiche  Literatur  nicht  berück- 
sichtigt worden  ist.  Obwohl  es  sich  in  dem  Werk 
um  eine  systematische,  objektive  Betrachtung  der 
Anaphylaxie  handelt,  hat  doch  Verf,  der  1902 
selbst  dieses  Wissensgebiet  zum  ersten  Male  er- 
kannte und  selbst  den  Namen  Anaphylaxie  prägte, 
eine  große  Reihe  eigener,  unveröffentlichter  Be- 
obachtungen eingeflochten.  So  ist  das  Büchlein 
nicht  nur  eine  zusammenfassende,  kritische  Ab- 
handlung, sondern  auch  zugleich  eine  Wiedergabe 
eigener  Untersuchungen,  und  gerade  dies  ist  es, 
was  die  Arbeit  so  wertvoll  macht.  Sehr  gut  ge- 
lungen sind  neben  den  Kapiteln  über  die  Ana- 
phylaxie in  der  Medizin  und  der  geschichtlichen 
Einleitung  der  Abschnitt  über  die  alimentäre 
Anaphylaxie,  der  aus  einem  Vortrag  auf  dem 
XVII.  internationalen  Kongreß  für  Medizin  in 
London  hervorgegangen  ist. 

Die  Anaphylaxie   ist   keineswegs   nur   ein   für 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


45 


Mediziner  wichtiges  Gebiet.  Im  Gegenteil  ist  es 
notwendig,  daß  die  Biologen  sich  in  diese  Pro- 
bleme, die  mit  den  Fragen  der  Immunitätswissen- 
schaft in  engstem  Zusammenhange  stehen,  in  weit 
größerem  Umfange  vertiefen.  Alle  diese  Gebiete 
gehören  ja  auch  eigentlich  weniger  zur  Medizin 
als  zur  Biologie,  wie  schon  seit  langer  Zeit  H.  Much 
erkannt  hat,  der  sie  unter  dem  Namen  „Patho- 
logische Biologie"  zusammenzufassen  versuchte. 
So  ist  das  Werk,  das  sich  trotz  seiner  Übersetzung 
durch  einen  äußerst  guten  Stil  auszeichnet,  nicht 
nur  Medizinern,  sondern  auch  jedem  biologisch 
interessierten  Wissenschaftler  zu  empfehlen,  zu- 
mal gerade  die  Anaphylaxielehre  sich  nicht  in 
kleinste  Einzelheiten  verliert,  sondern  die  Zusam- 
menhänge und  das  Wechselspiel  der  einzelnen 
Faktoren  im  Körper  betrachtet.  Collier. 


Schottler,  Dr.  W.,  Der  Vogelsberg,  sein 
Untergrund  und  Oberbau.  Eine  gemein- 
verständliche geologische  Heimatkunde.  Mit 
4  Tafeln  und  30  Textabbildungen.  Braun- 
schweig 1920.  G.  Westermann. 
Das  vorliegende  Buch  bildet  das  12.  Heft  der 
deutschen  Heimatgeologie,  die  von  Dr.  C.  Mord- 
ziol  in  Verbindung  mit  Fachgenossen  herausge- 
geben wird.  Das  ansprechend  geschriebene  Werk 
ist  der  Niederschlag  jahrelanger  Forschungen,  die 
der  Verf  als  kartierender  Landesgeologe  in  Vogels- 
berg angestellt  hat.  Im  Gegensatz  zu  den  schon 
vorhandenen  Führern  ist  das  Büchlein  als  eine 
volkstümliche  Heimatkunde  von  Oberhessen  ge- 
schrieben, die  zugleich  als  Einführung  in  die  Geo- 
logie dienen  kann.  Untergrund  und  Oberbau  sind 
hierbei  möglichst  gleichmäßig  berücksichtigt.  Nach 
einer  kurzen  Betrachtung  der  heutigen  Landober- 
fläche werden  auf  74  Seiten  die  einzelnen  For- 
mationen vomSilur  bisTertiär  mit  ihren  organischen 
Resten  und  Mineralschätzen  behandelt,  während 
der  größte  Teil  der  restlichen  94  Seiten  dem  Auf- 
bau des  alten  Vulkans  gewidmet  ist.  An  der 
Hand  guter  Abbildungen  werden  uns  die  charakte- 
ristischen Vorkommen  der  Basalte  mit  ihren 
Schlackenagglomeraten  und  Tuffen  vor  Augen 
geführt.  Die  Schilderung  der  Diluvialzeit  mit 
ihren  eiszeitlichen  Bildungen,  die  Entstehung  des 
Lösses  und  der  Torfmoore  bildet  den  Abschluß 
des  Werkes.  Ein  ausgedehntes  Ortsverzeichnis 
sowie  eine  Zusammenstellung  der  wichtigsten 
geologischen  Karten  und  Schriften  über  Ober- 
hessen erhöhen  den  Wert  derselben.  30  gut  aus- 
gewählte Textabbildungen  und  4  Tafeln  mit  Pro- 
filen erläutern  aufs  beste  das  Dargestellte.  Somit 
dürfte  dies  Werkchen  nicht  nur  dem  Naturfreunde 
reiche  Belehrung  bieten,  sondern  auch  dem  Fach- 
manne eine  willkommene  Gabe  sein.  Möge  dies 
treffliche  Büchlein  weit  über  die  Grenzen  von 
Hessen  hinaus  Interesse   und  Verbreitung   finden. 

Haupt. 

Fitschen,  J.,  Gehölzflora.    Ein  Buch  zum  Be- 
stimmen der  in  Deutschland  und  den  angrenzen- 


den Ländern  wildwachsenden  und  angepflanzten 
Bäume  und  Sträucher.  Mit  342  Abb.  8  ".  VIII, 
221  S.  Leipzig  1920,  Quelle  u.  Meyer. 
So  viele  Hilfsmittel  uns  zum  Bestimmen  der 
einheimischen  Blütenpflanzen  zur  Verfügung  stehen : 
Jeder,  der  sich  auch  mit  den  Gehölzen  abgibt, 
mußte  immer  wieder  als  empfindliche  Lücke  ein 
Buch  entbehren,  das  ihm  ermöglichte.  Bäume  und 
Sträucher  auch  im  blütenlosen  Zustande  zu  be- 
stimmen, besonders  aber  die  in  Gärten,  Anlagen, 
Parken  usw.  angebauten.  Diese  Lücke  will  vor- 
liegendes kleines  Buch  ausfüllen.  Es  enthält  nicht 
nur  alle  bei  uns  wildwachsenden  Holzgewächse, 
sondern  auch  die  bei  uns  angepflanzten  ausländi- 
schen, mit  Ausnahme  der  größeren  Seltenheiten. 
Dagegen  sind  Bastarde,  Abänderungen  usw.  in 
größerem  Umfange  mit  angeführt.  Die  Anord- 
nung ist  die  in  neueren  Bestimmungsbüchern 
übliche  dichotomische ;  als  Merkmale  sind  in  erster 
Linie  die  an  beblätterten  Zweigen  sichtbaren,  erst 
in  zweiter  Linie  die  Blüten  und  Früchte  heran- 
gezogen. Eine  kleine  Sondertabelle  behandelt  die 
gefülltblütigen  Holzgewächse.  Die  Bearbeitung 
ist,  wie  bei  dem  Rufe  und  der  Erfahrung  des 
Verfassers  nicht  anders  zu  erwarten,  sehr  geschickt ; 
es  sind  stets  leicht  kenntliche,  scharf  charakte- 
risierte Merkmale  herangezogen  und  durch  klare, 
charakteristische  Abbildungen  deutlich  gemacht. 
Eine  Anzahl  Probebestimmungen  führte  jetzt, 
Mitte  Oktober,  sicher  und  ohne  besondere  Schwierig- 
keiten zum  Ziele.  Die  Ausstattung  ist  eine  (ür 
die  jetzigen  Verhältnisse  sehr  gute.  So  wird  das 
kleine  Buch  jedem,  der  mit  Gehölzen  zu  tun  hat 
oder  sich  dafür  interessiert,  zur  Freude  gereichen 
Reh. 

Franz,  V.,  Ursprüngliches  in  der  warm- 
blütigen Tierwelt  der  Kriegsgebiete, 
in :  Beiträge  zur  Naturdenkmalpflege ,  heraus- 
gegeben von  H.  Conwentz,  Band  6,  Heft  3, 
S.  313  —  412.  Berlin  1919. 
Deutschland  ist  an  warmblütigen  Tieren  wesent- 
lich ärmer  als  Rußland,  die  Karpathenländer  und 
die  Balkanhalbinsel.  Die  Fauna  des  nordöstlichen 
F"rankreichs,  das  der  Verf.  während  des  Feldzugs 
aus  eigener  Anschauung  kennen  lernte,  zeigt  in- 
folge stärkerer  Besiedlung  und  ausgiebiger  wirt- 
schaftlicher Pflege  des  Landes  zwar  viel  weniger 
Ursprünglichkeit  als  diejenige  Rußlands,  übertrifi"t 
aber  an  Reichtum  bei  weitem  die  Tierwelt  der 
meisten  Gegenden  Deutschlands.  Den  Ausdruck 
„Ursprünglichkeit"  möchte  der  Verf.,  zumal  bei 
der  Fauna  des  Westens,  allerdings  in  bedingtem 
Sinne  verstanden  wissen.  Er  besagt  nur,  daß 
manche  Arten  dort  zahlreicher  auftreten  und  sich 
günstigerer  Existenzbedingungen  erfreuen  als  bei 
uns.  Wildkatze,  Fuchs,  Marder,  Fischotter,  Wild- 
schwein, Raubvögel,  Krähen,  Haselhuhn,  Wachtel, 
wohl  auch  Wiedehopf,  Waldschnepfe  und  Grau- 
reiher, sind  im  allgemeinen  in  Ost-  und  West- 
europa häufiger  als  in  Deutschland.  Für  den 
Osten   nennt   der  Verf.   ferner  Bär,  Wolf,   Luchs, 


46 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


Wisent,  Elch,  Adlerarten,  Uhu,  Kolkrabe,  Auer- 
und Birkwild ,  weißen  und  schwarzen  Storch, 
Blaurake,  für  den  Südosten  außerdem  Geier, 
Kaiseradler,  Edelreiher,  Purpurreiher,  zahlreiche 
Schwimmvögel ,  Steinhuhn ,  Dohle ,  Zwergtrappe 
und  Elster.  Manche  Tierarten  führen  in  den 
Kriegsgebieten  noch  eine  ursprünglichere  Lebens- 
weise als  in  Deutschland.  Ob  die  Vorliebe  der 
Misteldrosseln  Nordfrankreichs  und  Belgiens  für 
offenes,  parkähnliches  Gelände  in  diesem  Sinne 
gedeutet  werden  darf,  ist  fraglich.  Sicher  aber 
ist  die  Amsel  in  Frankreich  ebenso  wie  in  Polen 
noch  der  scheue  Waldvogel,  der  sie  in  Deutsch- 
land einst  war.  Im  Walde  brütend  fand  man  im 
Rokitnogebiet  und  im  Urwalde  von  Bialowieza 
den  bei  uns  ganz  an  menschliche  Bauwerke  ge- 
wöhnten Mauersegler.  Auch  weißer  Storch  und 
Haussperling  bevorzugen  im  Südosten  hier  und 
da  Bäume  als  Niststätten  statt  menschlicher  Bau- 
werke. Die  Armut  Deutschlands  an  größeren 
wildlebenden  Tieren,  die  nicht  nur  bei  einem  Ver- 
gleich mit  den  östlichen  Nachbarländern,  sondern 
auch  bei  einer  Betrachtung  Frankreichs  deutlich 
hervortritt,  ist  zweifellos  eine  Folge  der  wirt- 
schaftlichen Pflege  unseres  Landes.  „Der  Fort- 
schritt der  Bodenkultur  konnte  und  durfte  nicht 
aufgehalten  werden;  aber  durch  die  schonungs- 
lose Vernichtung  der  alten  Vegetation  in  Wald 
und  Feld  und  durch  die  unmäßige,  durch  Prämien- 
zahlungen unterstützte  Verfolgung  des  Raubwildes 
ist  unsere  Tierwelt  mehr,  als  unvermeidlich  war, 
beeinträchtigt  worden."  F.  Pax  (Breslau). 


Grossmann,  Prof.  Dr.  H.,  Fremdsprachiges 
Lesebuch  für  Chemiker.  Leipzig  1920, 
Verlag  von  Johann  Ambrosius  Barth.  28,20  M. 
Der  Verf.,  der  während  des  Krieges  durch 
zahlreiche  Veröffentlichungen  über  den  Wirt- 
schaftskampf der  chemischen  Industrien  der  krieg- 
führenden Länder  hervortrat,  setzt  seine  damalige 
im  besten  Sinne  nationale  Arbeit  in  diesem 
Buche  fort.  Mehr  denn  je  kommt  es  für  unsere 
chemische  Wissenschaft  und  Industrie  darauf  an, 
jetzt,  wo  man  uns  trotz  des  angeblichen  „Friedens"- 
zustandes  von  der  internationalen  Arbeit  auszu- 
schließen willens  ist,  zu  zeigen,  daß  ganz  gewiß 
nicht  w  i  r  unter  solcher  wissenschaftlichen  Kalt- 
stellung zu  leiden  haben.  Es  erübrigt  sich  zu 
erläutern,  daß  und  warum  die  chemischen 
Arbeiten  Deutschlands  an  Umfang  und  Inhalt 
nach  wie  voran  erster  Stelle  im  internationalen 
Wettbewerb  stehen.  Um  diese  unsere  vielbe- 
neidete Stellung  zu  behaupten,  um  sie  zu  festigen, 
ist  es  nötig,  daß  wir  die  Torheit  der  Feinde 
nicht  nachmachen,  nämlich  in  falscher  Über- 
heblichkeit zu  glauben,  es  geht  auch  ohne  die 
andern.  Der  Verf.  betont  in  seinem  Vorwort 
darum  mit  Recht,  daß  es  jetzt  „notwendiger  als 
früher  erscheint,  daß  die  deutschen  Chemiker  in 
die  Lage  versetzt  werden,  die  Literatur  des  Aus- 
landes im  Original  kennen  zu  lernen  und  zu  ver- 
stehen." 


Diesem  Zwecke  dient  das  vorliegende  Buch 
zweifellos  in  anerkennenswerter  Weise.  In  21  Ab- 
schnitten in  französischer  und  englischer  Sprache 
sind  Lesestücke  gegeben  worden,  deren  Thema 
ausschließlich  dem  Gesamtgebiet  der  reinen  und 
angewandten  Chemie  angehört.  Da  zum  Teil 
höchst  „moderne"  Angelegenheiten  darin  abge- 
handelt sind,  wie  z.  B.  „Les  soies  de  collodion", 
„Fixation  of  Atmospheric  Nitrogen"  usw.,  so  darf 
man  hofifen,  daß  allein  das  textliche  Interesse 
eine  eindringlichere  Beschäftigung  mit  dem  rein 
Philologischen  begünstigen  wird.  Um  freilich  die 
beiden  Sprachen  „so  weit  zu  beherrschen,  daß 
man  Verhandlungen  darin  zu  führen  imstande 
ist",  muß  weit  mehr  geschehen  als  das  noch  so 
aufmerksame  Durchlesen  dieses  Buches.  Diese 
Absicht  kann  nach  meiner  Schätzung  nur  durch 
„gemeinschaftliche  seminaristische  Übungen"  voll 
erfüllt  werden.  Auf  diese  mußte  der  Verf.  den 
Haupt  ton  in  seinem  ein  wenig  flüchtig  ge- 
schriebenen Vorwort  legen  I  Erst  die  sprach- 
lichen Übungen  vermögen,  so  wie  das  che- 
mische Praktikum,  eine  einigermaßen  flotte 
Behandlung  fremder  Texte  und  Aussprachen  zu 
gewährleisten.  Es  ist  doch  leider  Tatsache,  daß 
nur  wenige  unserer  Chemiestudierenden  genügend 
Begeisterungsfähigkeit  haben,  um  der  Chemie 
willen  Sprachstudien  zu  treiben.  Das  Seminar 
mit  Gleichstrebenden  könnte  da  Segensreiches 
wirken.  Und  für  es  ist  das  Buch  von  Groß- 
mann  in  der  Tat  eine  sehr  brauchbare  und  er- 
quickliche Unterlage. 

Ein  Wörterverzeichnis  ist  für  eine  Neu- 
auflage dringend  zu  empfehlen.  Viele  Kunstaus- 
drücke, die  übrigens  in  den  üblichen  Lexiken 
großenteils  fehlen,  würden  alsdann  dem  leichten 
Lesen  kein  Hindernis  mehr  sein. 

Im  übrigen  ist  die  Sauberkeit  und  Lesbarkeit 
des  Druckes  anzuerkennen.  Form  und  Einband 
sind  einwandfrei.  H.  Heller. 


Legahn,      Dr.     med.     A.,      Physiologische 
Chemie   II.  Dissimilation.      3.  verb.  Aufl. 
Berlin  und  Leipzig   1920,   Vereinigg.   wissensch. 
Verleger,  W.  de  Gruyter  &  Co.   2,ioM.  u.  ioo"/o. 
Die    in    Einzelheiten     sehr    verbesserte    Neu- 
auflage   hat  den   Charakter   eines   angenehm    les- 
baren   und    durch    verständnisvolle    Stoffauswahl 
auffallenden  Repetitoriums    bewahrt.     Als  solches 
wird    es    insbesondere   Studierenden    der   Medizin 
und    Naturwissenschaftlern     beste    Dienste    tun 
können.     Es  sind  nacheinander  die  Körperorgane, 
der   Eiweißabbau,    die    Exkrete,   schließlich  Stoff- 
wechselanomalien   und    postmortale    Zersetzungen 
behandelt.      Neu    ist    ein    Kapitel    über    die    Li- 
poide.     Hierzu  ist  zu  bemerken,    daß  die  Mem- 
brantheorie   von  O verton  keineswegs  allgemein 
angenommen  worden  ist. 

Im  Literaturverzeichnis  sollten  die  in  Buch- 
form erschienenen  Arbeiten,  sowie  überhaupt 
einige  Lehrbücher  hervorgehoben  werden. 

H.  H. 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


47 


Anregungen  und  Antworten. 


Die  Ausbreitung  eines  dominanten  Merkmales  in  der  freien 
Natur.  Den  Anlaß  zu  den  folgenden  Bemerkungen  bildet  der 
Artikel  von  Dr.  Hugo  Fischer  in  dieser  Zeitschrift.')  In 
dem  Hauptpunkte  zwar,  in  der  Überzeugung  von  der  hohen 
Bedeutung  der  Mutationen  und  der  Orthogenesis  bei  der  l'^ot- 
stehung  der  Arten,  stimme  ich  mit  dem  Verfasser  durchaus 
überein.  In  einem  Punkte  aber  ist  seine  Auffassung  richtig 
zu  stellen.  Er  nimmt  nämlich  an,  daß  ein  durch  Mutation 
neu  aufgetretenes  Merkmal,  wenn  es  nach  den  Mendelschen 
Regeln  erblich  und  zwar  dominant  ist,  daß  es  dann  bei  freier 
Kreuzung  von  selbst,  d.  h.  ohne  daß  es  Selektionswert  be- 
sitzt, sich  weiter  ausbreiten  und  „wie  eine  ansteckende  Krank- 
heit allmählich  die  ganze  Sippe  ergreifen"  werde.  Diese 
falsche  Auffassung  ist  mir  auch  sonst  in  der  Literatur  wieder- 
holt begegnet.  Johannsen  warnt  in  seiner  Erblichkeits- 
lehre'-) davor.  ,, Die  Erscheinung  der  Dominanz  hat  .  .  .  ge- 
legentlich zu  der  irrigen  Auffassung  Veranlassung  gegeben,  es 
müßte  die  Dominanz  ein  sukzessives  Überwiegen  dominierend 
charakterisierter  Individuen  mitführen.  Davon  ist  aber  keine 
Rede."  Ebensowenig  kann  andererseits  auch  von  einem  all- 
mählichen Verschwinden  eines  rezessiven  Merkmales  als  Folge 
der  Mendelschen  Gesetze  allein,  d.  h.  ohne  Eingreifen  von 
Selektion  die  Rede  sein. 

Man  kann  sich  durch  eine  einfache  Rechnung  von  diesen 
beiden  Tatsachen  überzeugen.  Sie  ist  1908  von  Hardy^) 
veröffentlicht.  Ich  habe  die  kleine  Rechnung  bald  nach  dem 
Bekanntwerden  der  Mendelschen  Gesetze  ebenfalls  durchge- 
führt und  dasselbe  nur  noch  etwas  allgemeinere  Ergebnis 
erhalten. 

Die  Aufgabe  ist  folgende :  In  einer  Population  tritt  eine 
Art  in  zwei  Varietäten  auf,  die  sich  zunächst  nur  durch  ein 
Merkmal  unterscheiden  sollen.  Außerdem  können  auch  Bastarde 
zwischen  den  beiden  Varietäten  vorhanden  sein,  die  sich,  wenn 
vollkommene  Dominanz  des  einen  Merkmales  vorliegt,  von  der 
einen  Varietät  äußerlich  nicht  unterscheiden.  Die  Anzahlen 
der  Individuen  der  ersten  Varietät  zu  denen  der  zweiten 
Varietät  zu  den  Bastarden  verhalten  sich  wie  p:q:x,  wobei 
X  im  speziellen  auch  gleich  o  sein  kann.  Die  Individuen 
kreuzen  sich ,  ohne  daß  irgendwelche  Zuchtwahl  stattfindet, 
d.  h.  nach  den  Gesetzen  der  Wahrscheinlichkeitslehre.  Für 
die  Vererbung  des  unterscheidenden  Merkmales  gelten  die 
Mendelschen  Regeln.  Welches  ist  dann  das  Verhältnis  der 
Anzahlen  der  Individuen  reiner  Rasse  der  ersten  Varietät  (P) 
zu  denen  reiner  Rasse  der  zweitenVarietät  (Q)  zu  den  Bastarden  (X) 
in  der  nächsten  und  den  weiter  folgenden  Generationen  ? 

Die  drei  Gruppen  von  Individuen  können  auf  6  ver- 
schiedene Weisen  zu  zweien  kopulieren ;  es  können  nämlich 
gebildet  werden  die  Kopulae  PP,  PQ,  PX,  QQ,  QX,  XX. 
Die  Wahrscheinlichkeiten  dieser  Kombinationen  verhalten  sich 
nach  den  Regeln  der  elementaren  Wahrscheinlichkeitslehre  wie 
p(p —  l);  2pq  :2px;  q(q  —  l):2qx:x(x  —  l).  Hierfür  kann  man, 
wenn  die  Anzahl  der  vorhandenen  Individuen  nicht  gar  zu  klein 
ist,  mit  großer  Annäherung  setzen  p-:  2pq  :  2px:  q- :2qx:x'^. 
Nach  den  Mendelschen  Regeln  gehen  nun  hervor: 


Aus  der  Kombi- 
nation 

PP 

PQ 

PX        QQ        QX 

XX 

Nachkommen  in 
der  ersten  Gene- 
ration 

lauter 
P 

lauter 
X 

V2P 
V2.X 

lauter 
Q 

VaQ 

V,x 

'/*p 

V«Q 

V,x 

Daraus  erhält  man  die  relative  Häufigkeit  der  verschiedenen 
Individuen  in  der  ersten  Nachkommengeneration.  Es  ver- 
halten sich  die  Zahl  der  Individuen  P  zu  den  Q  zu  den  X  wie 

(p+£^(,  +  })^.(p  +  ^)(,  +  ^). 

*)  Hugo  Fischer:  „Orthogenesis,  Mutation,  Auslese." 
Naturw.  Wochenschr.   1920  Nr.  36. 

^)  W.  Johannsen:  , .Elemente  der  exakten  Erblichkeits- 
lehre."    G.  Fischer,  Jena   1909,  S.  378. 

^)  Hardy;  „Mendelian  Proportions  in  a  Mixed  Popu- 
lation."    Science  N.  S.  1908,  Bd.  28. 


Für  die  folgende  Generation  erhält  man  auf  entsprechen- 
dem Wege  das  Verhältnis  der  relativen  Häufigkeiten  wiederum 

P  4-  ^f  ^  (.  +  'tf  -  (P  +  I)  K  I).     -- 

kommt  also  zu  dem  Ergebnis,  daß  schon  in  der  ersten  Nach- 
kommengeneration ein  Gleichgewichtszustand  sich 
herstellt,  der  bei  weiterer  freier  Kreuzung  nicht  wieder  ver- 
lassen wird. 

Zu  demselben  Ergebnis  kommt  man  leicht  auch,  falls  das 
betrachtete  Merkmal  in  drei  oder  beliebig  vielen  verschiedenen 
Ausprägungen  auftritt.  Im  besonderen  vermehrt  sich 
nach  der  ersten  Kreuzung  die  relative  Häufig- 
keit der  d  ominan  tm  erkm  aligen  Individuen  nicht 
weiter.  Sie  kann  nur  zunehmen,  wenn  das  Merkmal  durch 
wiederholte  Mutationen  immer  neu  erzeugt  wird  oder  wenn 
es  positiven  Selektionswert  besitzt.  Johannes  Reichel. 


Einige  Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz  von  H.  Fischer 
„Orthogenesis,  Mutation,  Auslese"  (in  Nr.  36,  1920,  S.  561 — 566). 
Über  die  Möglichkeit  einer  Artveränderung  durch  direkte  Ein- 
wirkung des  Milieus  zu  streiten,  hat  wenig  Zweck,  da  eine 
sichere  Entscheidung  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  der 
experimentellen  Forschung  nicht  möglich  ist.  Immerhin  dürfte 
Fischer  (S.  561,  Sp.  2,  Z.  24)  die  N i c h t vererbbarkeit  auch 
körperlich  erworbener  Eigenschaften  nicht  als  erwiesene  Tat- 
sache hinstellen.  Er  dürfte  höchstens  sagen,  die  Vererbbar- 
keit derselben  sei  bisher  nicht  erwiesen,  was  natürlich  etwas 
ganz  anderes  ist.  Wird  doch  mancher  z.  B.  auf  Grund  der 
Umfärbungsversuche  Kammerers  mit  Salamandra  (wobei  nur 
eine  ganz  geringe  Spur  von.  Licht  zu  den  Keimzellen  dringt, 
also  sog.  Purallelinduktion  fast  ausgeschlossen  ist)  und  anderer, 
experimenteller  Daten  diese  Vererbbarkeit  somatischer  Merk- 
male sogar  für  wahrscheinlich  halten,  wenn  wir  von  allem 
nichtexperimentellem  Material  absehen,  auf  das  ja  auch  F.  — 
mit  Recht  —  wenig  Wert  legt,  wie  aus  einer  Bemerkung 
gegen  O.  Hertwig  (dessen  extreme  Stellungnahme  mit  Recht 
kritisiert  wird)  hervorgeht.  Das  hält  F.  jedoch  nicht  ab,  als 
Beispiel  für  die  Wirkung  der  Auslese  selbst  einen  nichtexperi- 
meniellen,  also  nicht  sicheren  „Fall"  zu  verwenden  (Anm. 
S.  562).  Daß  alle  Organismenarten  durch  irgendeine  Milieu- 
bedingung verändert  werden  müßten,  noch  dazu  in  gleichem 
Sinne,  hat  wohl  noch  niemand  behauptet,  Fischers  diesbe- 
zügliche Erörterungen  sind  also  überflüssig  (S.  562,  Sp.  l).  — 
Die  auf  den  späteren  Seiten  mitgeteilten  Fälle  von  nicht 
nützlichen  Merkmalen  —  daß  es  solche  gibt,  hat  schon  be- 
sonders Nägeli  hervorgehoben  (Organisationsmerkmale)  — 
sind  allerdings  kaum  durch  Auslesewirkung  zu  erklären,  weniger 
sicher  sprechen  sie  gegen  die  sog.  Vererbung  erworbener 
Eigenschaften.  —  Übrigens  sind  die  Ansichten  nicht  bloß  über 
diese  letztere,  sondern  auch  über  die  von  F.  bevorzugte 
Mutationstheorie  recht  verschieden.  Denn  das  bisher  beige- 
brachte experimentelle  Mutationsmaterial  ist  für  die  Evolution 
so  gut  wie  werllos,  so  daß  als  (noch  dazu  indirekte)  Stütze 
dieser  Ansicht  eigentlich  nur  der  Mendelismus  mit  seinen  Erb- 
einheiten in  Betracht  kommt.  —  Auf  Seite  562,  Sp.  I,  Z.  8 
weist  F.  hin  auf  „die  Frage  der  Artbastarde,  die  allein  mit 
dem  einfachen  Mendelismus  nicht  aufzuklären"  sei.  Das  ist 
mindestens  mißverständlich.  Denn  daß  Artbastarde  ebenfalls 
mendeln,  haben  die  Artkreuzungsversuche  Baurs,  Lotsys 
und  anderer  mindestens  wahrscheinlich  gemacht,  wenn  nicht 
erwiesen.  Allerdings  handelt  es  sich  hierbei  nicht  um  t  oder  2, 
sondern  uro  eine  größere  Zahl  unabhängig  mendelnder  Fak- 
toren. Vielleicht  soll  sich  hierauf  Fischers  unklare  Be- 
merkung vom  „einfachen"  Mendelismus  beziehen,  wobei  man 
allerdings  nicht  wüßte,  bei  wieviel  Faktoren  dieser  einfache 
Mendelismus  aufhört.  —  Unklar  ist  auch  die  Definition  der 
Orthogenesis  (auf  S.  563,  Sp.  1,  Z.  29)  als  „Summe  erblicher 
Abänderungen,  die  in  gleicher  Richtung  erfolgen".  Hierbei 
ist  nicht  zu  erkennen,  ob  gemeint  ist  das  gleichzeitige  Auf- 
treten einer  Reihe  von  Organismen,  die  in  gleicher  Weise 
von  der  Norm  abwichen,  oder  das  Auftreten  einer  Reihe  von 
Veränderungen  nacheinander,  die  sich  in  der  gleichen  Richtung 
bewegen,    bei  demselben  Organismus  oder  wenigstens  in  der- 


48 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  3 


selben  Deszendenzreihe.  Dort  scheint  es,  als  wäre  beides  ge- 
meint (vgl.  S.  563,  Abschnitt  2).  —  Ganz  verfehlt  ist  end- 
lich der  Versuch,  für  die  Orthogenesis  (im  ersten  Sinne)  den 
Mendelismus  heranzuziehen  (S.  563,  Z.  54),  auf  den  ich  hier 
nicht  eingehe,  da  es  schon  von  anderer  Seite  kritisiert  wurde 
(s.  oben).  W.  Peter. 


Hellsehen  nnd  Namenraten.  Das  Referat  von  Wa sie- 
le wski  über  Tischners  Ausführungen:  ,,Über  Telepathie 
und  Hellsehen"  (diese  Zeitschrift  N.  F.  19,  Nr.  28)  veranlaßt 
mich,  hier  einige  Bemerkungen  vorzubringen,  die  auf  das  beim 
Hellsehen  stattfindende  psychische  Geschehen  ein  höchst  merk- 
würdiges Streiflicht  werfen.  Ich  kenne  die  Originalarbeit 
Tisch n er s  noch  nicht,  kann  mich  also  derzeit  nur  auf  obiges 
Referat  stützen.  In  diesem  steht  als  gelungenes  Beispiel  des 
Hellsehens  folgendes:  Die  Versuchsperson  sagt  beim  Be- 
trachten des  verschlossenen  Zettels:  ,,Ganz  schön  geschrieben, 
fremder  Name"  und  produziert  dann  die  Namen:  Zoroa, 
Zarathust,  Zarastro  (richtiger  Name  war  Sarastro).  Wie  man 
sieht,  wurde  der  aufgegebene  Name  nicht  völlig  richtig,  aber 
doch  mit  sehr  grofler  Annäherung  gefunden,  aber  —  und  das 
ist  sehr  wichtig  —  nicht  auf  einmal,  sondern  in 
stufenweisem,  tastendem  Heranraten  erarbeitet.  Ks 
ist,  als  hätte  die  Versuchsperson  das  aufgegebene  Wort  an- 
fangs wie  im  Nebel  gesehen  und  hätten  sich  ihr  allmählich 
einzelne  Buchstaben  (Vokale  und  Konsonanten)  mehr  oder 
'  minder  aufgehellt,  bis  das  ganze  Wort  klar,  d.  h.  also  richtig 
zum  Vorschein  kam. 

Genau  dasselbe  Phänomen  nun  beobachtet  man  in 
bestimmten  Fällen,  wenn  jemand  einen  ihm  aus  dem  Ge- 
dächtnis entschwundenen  Namen  wieder  aufsuchen  will.  Es 
kann  dies  häufig  sofort  oder  wenigstens  plötzlich  in  dem 
Sinne  gelingen,  daß  nach  einigem  Nachdenken  gleich  das 
richtige  Wort  hervorspringt,  oder  aber  es  gelingt  oft  überhaupt 
nicht.  In  bestimmten  Zwischenfällen  jedoch  kann  infolge 
langsamen  Ablaufes  des  psychischen  Prozesses  dieser  analysiert 
werden,  wobei  es  gelingt,  die  einzelnen  Phasen  dieses  Vor- 
ganges festzuhalten.  Ich  gebe  einige  einfachere  von  mir  ge- 
sammelte Beispiele,  in  denen  das  jeweils  letzte  Wort  das  ur- 
sprünglich vergessene,  aber  allmählich  wiedergefundene  Wort 
darstellt.  (Die  Wörter  sind  nicht  orthographisch ,  sondern 
mehr  oder  weniger  phonetisch  geschrieben);  I.  oto,  poto, 
ponto,  pontis.  —  2.  matuschek,  malischek,  marlinek.  — 
3.  pastinak,  pasternek,  partinek,  partonek.  —  4.  garibaldi, 
kanibali,  chinaldi,  califatti.  —  5.  heberdey,  humperdink, 
korumpey.  — 

Auch  hier  schwebt  eine  Art  Nebelbild  des  vergessenen 
Wortes  vor:  man  beachte,  daß  schon  der  erste  Schritt  in  der 
Anzahl  der  Silben,  oft  auch  in  der  Vokalfolge,  in  der  Bildung 
charakteristischer  Buchstabenkomple.xe  oder  Silben  bereits 
große  Ähnlichkeit  mit  dem  Endwortc  aufweist.  Stufenweise 
werden  dann  unrichtige  Buchstaben  oder  Kombinationen  aus- 
geschaltet, immer  richtigere  eingefügt,  bis  das  richtige  Wort 
hervorkommt. 

Das  nähere  Studium  dieses  Heranratens  birgt  eine  Fülle 
interessantesten  Details  und  allgemeiner  Gesetzmäßigkeiten, 
über  die  ich  gelegentlich  anderswo  berichten  will. 

Aber  auch  auf  anderen  Gebieten  spielt  das  Heranraten 
eine  auffallende  Rolle.  Am  besten  bekannt  ist  es  wohl  beim 
Kopfrechnen,  wobei  das  Wesen  desselben  in  einer  Zerlegung 
des  Rechnungsvorganges  in  Teiloperationen,  in  Annäherungs- 
Schritte  besteht.  Auch  die  Art  und  Weise,  wie  die  rechnenden 
Pferde  ihre  Aufgabe  lösen,  ist  wenigstens  in  manchen  Fällen 
als  ein  Heranraten  erkannt  worden.  In  der  Traumarbeit  auf- 
tretende   Wortbildungen     erinnern     durch    den    Verlauf    ihrer 


Bildung  mitunter  ebenfalls  an  ähnliche  Vorgänge,  Verlesen 
und  Versprechen  sind  damit  in  Zusammenhang  zu  bringen. 
Versuch  und  Irrtum  (trial  and  error)  stehen  damit  ebenfalls 
in  gewisser  Beziehung.  Und  die  Als-Ob-Philosophie  weist  in 
manchen  Fällen  von  Fiktionsbildung  auf  ähnliche  Erschei- 
nungen hin. 

Ich  konnte  hier  alle  diese  Dinge  nur  kurz  andeuten  und 
behalte  mir  ausführlichere  Mitteilungen  vor.  Jedenfalls  werfen 
die  hier  skizzierten  Fälle,  vor  allem  das  Wiederauffinden 
vergessener  Namen  durch  Gedächtnisarbeit  ein 
höchst  merkwürdig  es  Schlag  licht  aut  verschiedene 
Gebiete  psychischen  Geschehens  und  werden 
vielleicht  auch  bei  der  Untersuchung  gewisser 
Phänomene  des  Hellsehens  zu  überraschenden 
Ergebnissen  führen. 

Klosterneuburg  bei  Wien.  L.  Linsbauer. 


Dem  sehr  beachtenswerten  Aufsatz  von  O.  Schnurre: 
„Die  Schwalben  in  der  deutschen  Urlandschaft".  Naturw. 
Wochenschr.  1920,  Nr.  42,  S.  665  möchte  ich  noch  folgendes 
ergänzend  hinzufügen.  Da  unserer  Rauch-  oder  Stallschwalbe 
in  Nordamerika  die  Scheunenschwalbe  {^Chelidon  erythrogaster 
Stcyn)  entspricht,  kann  vielleicht  deren  Lebensweise  über  das 
Urlcben  unserer  Rauchschwalben  Auskunft  geben.  Vor  der 
Besiedlung  Amerikas  durcli  die  Europäer  nistete  die  Scheunen- 
schwalbe in  hohlen  Bäumen,  unter  Vorsprüngen  der  Felsen, 
an  Klippen,  in  Erdhöhlungen,  Felsenritzen  und  ähnlichen  Ort- 
lichkeiten,  und  auch  heute  noch  hält  sie  in  den  westlichen 
Gebirgen  an  dieser  ihrer  primitiven  Nistweise  fest.  „Sobald 
die  Axt  des  fleißigen  Ansiedlers  erschallt,  schreibt  H.  Nehr- 
ung („Die  nordamerikanische  Vogelwelt",  Milwaukee  1891, 
S.  277),  ertönt  auch  das  Gezwitscher  dieses  traulichen  Men- 
schenfreundes wie  ein  Echo,  und  sobald  das  primitive  Block- 
haus inmitten  des  Waldes  errichtet  ist,  hängt  sie  auch  schon 
laut  zwitschernd  unter  der  Dachtraufe,  in  der  Spitze  des 
Giebels  oder  am  Dachsparren,  um  sich  einen  passenden  Platz 
für  ihren  Erdpalast  auszusuchen." 

Auf  Grund  dieser  Tatsachen,  sowie  auch  noch  auf  Grund 
anderer  Erwägungen  möchte  ich  daher  glauben,  daß  unsere 
Rauchschwalbe  in  der  deutschen  Urlandschaft  nicht  nur 
Steppen-  sondern  auch  Waldbewohner  war,  namentlich 
natürlich  in  der  Nähe  der  Wildwechsel  sowie  der  Futterplätze 
der  großen  Tiere  und  der  Lichtungen.  Und  wenn  wir  weiter 
in  die  Diluvialzeit  zurückgehen  und  ferner  bedenken,  daß  die 
Rauchschwalbe  fast  ausschließlich  im  Innern  der  Gebäude  zu 
brüten  pflegt,  so  wird  die  Annahme  nicht  ohne  weiteres  von 
der  Hand  gewiesen  werden  können,  daß  sie  auch  am  Ein- 
gang der  damals  außergewöhnlich  wildreichen  Höhlen  ge- 
brütet haben  mag.  Dr.  W.  R.  Eckardt  in  Essen. 


Literatur. 

Oppenheimer,  Prof.  Dr.  C,  Kleines  Wörterbuch  der 
Biochemie  und  Pharmakologie.  Berlin  und  Leipzig  '20,  de 
Gruyter  &  Co.      16  M. 

Großmann,  Prof.  Dr.  H.,  Fremdsprachliches  Lesebuch 
für  Chemiker.     Leipzig  '20,  Joh.  A.  Barth.     28,20  M. 

Planck,  M.,  Die  Entstehung  und  bisherige  Entwicklung 
der  Quantentheorie.     Ebenda.     4  M. 

Boveri-Boner,  Dr.  Y. ,  Beiträge  zur  vergleichenden 
Anatomie  der  Nephridien  niederer  Oligochäten.  Mit  6  Text- 
abb.  u.  3  Tafeln.     Jena  '20,   G.  Fischer.     8  M. 

Czapek,  Prof.  Dr.  Fr.,  Biochemie  der  Pflanzen.  2.  Aufl. 
2.  Bd.     Ebenda.     66  M. 


Inhalt:  M.  Kästner,  Bemerkungen  zur  Entstehung  und  Besiedlung  des  Trockentorfs.  S.  33.  —  Bücherbesprechungen: 
Ad.  Stöckhardt,  Schule  der  Chemie.  S.  41.  Wo.  Pauli,  Kolloidchemie  der  Eiweißkörper.  S.  42.  B.  Bavink, 
Einführung  in  die  anorganische  Chemie.  J.  Klein,  Chemie,  Anorganischer  Teil.  S.  43.  K.  B.  Lehmann  und  R. 
O.  Neu  mann,  Atlas  und  Grundriß  der  Bakteriologie.  S.  44.  Ch.  Riebet,  Anaphylaxie.  S.  44.  W.  Schottler, 
Der  Vogelsberg,  sein  Untergrund  und  Oberbau.  S.  45.  J.  Fitschen,  Gehölzflora.  S.  45.  V.  Franz,  Ursprüngliches 
in  der  warmblütigen  Tierwelt  der  Kriegsgebiete.  S.  45.  H.  Grossmann,  Fremdsprachiges  Lesebuch  für  Chemiker. 
S.  46.  A.  Legahn,  Physiologische  Chemie  II.  Dissimilation.  S.  46.  —  Anregungen  und  Antworten :  Die  Ausbreitung 
eines  dominanten  Merkmales  in  der  freien  Natur.  S.  47.  Einige  Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz  von  H.  Fischer  ,, Or- 
thogenesis, Mutation,  Auslese".  S.  47.  Hellsehen  und  Namenraten.  S.  48.  Die  Schwalben  in  der  deutschen  Urland- 
schaft. S.  48.  —  Literatur:  Liste.  S.  48. 

Manuskripte  und  Zuschriften  werden  an  Prof.  Dr.  H.  Miehe,  Berlin  N  4,  Invalidenstrafie  41,  erbeten. 

Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  der  G.  Pätz'schen   Buchdr.  Lippert  &  Co.  G.  m.  b.  H.,  Naumburg  a.  d.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Folge  20.  Band ; 
der  ganzen  Reihe   36.  Band. 


Sonntag,  den  23.  Januar  1921. 


Nummer  4. 


Das  Typhetum  in  der  frühen  deutschen  Graphik. 

Von  Prof.  Dr.  Ernst  Küster  in  Gießen. 


[Nachdruck  verboten.] 


Mit   I   Abbildung  im  Text. 


Das  Streben  der  Zeichner  und  Maler  nach 
naturgetreuer  Wiedergabe  der  Pflanzenwelt  kennt 
zwei  Ziele:  das  eine  besteht  in  der  möglichst 
porträtähnlichen  Darstellung  eines  Pflanzenindivi- 
duums oder  einer  Pflanzenspezies,  bei  dem  anderen 
handelt  es  sich  um  eine  den  natürlichen  Verhält- 
nissen entsprechende  Auswahl  und  Verteilung  der 
Pflanzen  im  Bilde. 

Wie  sorgfältig  bereits  die  Künstler  des 
15.  Jahrhunderts  die  Merkmale  zahlreicher  Pflanzen- 
arten studiert  und  im  Bilde  wiedergegeben  haben, 
lehrt  ein  Blick  auf  die  Gemälde  der  frühen  Nieder- 
länder, auf  den  Genter  Altar,  auf  die  Werke  des 
Regier  v.  d.  Weyden,  Dirk  Bouts,  Hugo 
V.  d.  Goes  u.  a.  und  lehren  noch  eindringlicher 
die  Zeichnungen  eines  Dürer,  seine  „Rasen- 
stücke", seine  „Heilpflanzen"  [Aiiagallis  usw.),  sein 
Chelidonimn.  Hervorragend  als  Pflanzenbeobachter 
waren  Botticelli,  Leonardo  da  Vinci  ^) 
und  viele  andere  italienische  Künstler  des  Quattro- 
cento und  der  ihm  folgenden  Jahrzehnte. 

Von  der  Fähigkeit  der  Maler,  auch  die  Ver- 
teilung der  Pflanzenarten  auf  verschiedenartige 
Standorte  zu  studieren  und  das  Ergebnis  solcher 
Studien  künstlerisch  zu  verwerten,  indem  von 
ihnen  wohlcharakterisierte,  leicht  erkennbare 
Pflanzenformen  für  die  Kennzeichnung  der  im 
Bilde  dargestellten  Geländearten  verwendet  werden, 
gibt  uns  eine  recht  geringe  Zahl  von  Werken 
überzeugende  Kunde.  Die  ausgezeichneten  Pflan- 
zenkenner, als  welche  wir  die  Meister  des  Genter 
*  Altars  zu  bewundern  haben,  schenkten  ihr  Inter- 
esse nicht  nur  der  Morphologie,  sondern  auch  der 
Ökologie  oder  Standortslehre  der  ihnen  zugäng- 
lichen Pflanzen.  Rosen")  macht  darauf  aufmerk- 
sam, daß  die  Brüder  van  Eyck  im  Mittelbild 
ihres  Altarwerkes  (Brunnen  des  Lebens)  nicht  nur 
sehr  zahlreiche  Pflanzenarten  abbilden,  sondern 
auch  sehr  verständnisvoll  den  Standortsbedürfnissen 
der  Pflanzen  gerecht  werden:  Nasturtutm  offici- 
nalc  und  Cardamiiie  pratensis  lassen  die  Künstler 
in  der  Nähe  des  Baches  grünen,  Asperiila  odo- 
rata  wird  im  Schatten  untergebracht,  die  Wiese 
bevölkern  sie  mit  Wiesenpflanzen. 

Das  biologische  Verständnis   der  Brüder  van 


')  Vgl.  namentlich  R  o  s  e  n  ,  Die  Natur  in  der  Kunst,  1903, 
S.  309.  —  Ich  ergänze  seine  Bemerkungen  über  Leonardo 
mit  dem  Hinweis  darauf,  daß  sich  dieser  auch  mit  dem  Bau 
des  £uJ>/ioriia-Zy3,Üiium  beschäftigt  und  mit  dieser  Pflanze 
ein  von  den  Malern  und  Graphikern  seiner  Zeit  nur  selten 
dargestelltes  Objekt  studiert  hat  (Zeichnung  in  Windsor). 

-)  Rosen,   1903,  a.  a.  O.  S.  72. 


Eyck  verdient  um  so  höhere  Bewunderung,  als 
es  ihr  Werk  vor  so  vielen  gleichzeitigen  und 
späteren  niederländischen  und  deutschen  Gemälden 
oder  graphischen  Erzeugnissen  verschiedenster 
Art  hervorragend  auszeichnet:  die  Sorgfalt  der 
Genter  steht  in  auffälligem  Widerspruch  zu  der 
Unbedenklichkeit,  mit  der  die  späteren  Künstler 
Akelei  und  andere  üppig  grünende  und  prächtig 
blühende  Gewächse  zwischen  den  Backsteinen  der 
Gemäuer  und  den  Steinfliesen  ihrer  Hallen  und 
Paläste  sich  entwickeln  lassen,  Taraxacum  neben 
ConvaUaria  stellen  und  anspruchsvolle  Garten- 
pflanzen ebendort  anbringen,  wo  wir  auf  ihren 
Bildern  das  Gras  nur  büschelweise  gedeihen  sehen. 
Die  Entdeckung,  daß  man  durch  richtige  Wahl 
der  dargestellten  Pflanzen  den  Schauplatz  der 
vom  Künstler  dargestellten  Handlung  hervorragend 
gut  charakterisieren  kann,  und  daß  in  vielen  Fällen 
bestimmter  Gewächse  gar  nicht  zu  entraten  ist, 
wenn  die  naturwahre  Darstellung  eines  bestimmten 
Schauplatzes  gelingen  soll ,  ist  erst  sehr  spät  ge- 
lungen.') Die  Maler  und  Graphiker  des  15.  Jahr- 
hunderts deuten  zwar  gelegentlich  gern  den  Wald 
an ,  in  dessen  Schatten  sich  irgendein  Vorgang 
abspielt,  begnügen  sich  aber  mit  der  Darstellung 
von  Bäumen,  ohne  die  einer  bestimmten  Baumart 
—  abgesehen  von  den  Eichen,  deren  charakte- 
ristische Blattform  den  Künstlern  früh  sich  einge- 
prägt hat  —  auch  nur  zu  versuchen.  Der  Blick 
auf  „Kulturformationen"  öffnet  sich  in  vielen 
frühen  Darstellungeti,  aber  wir  erkennen  die  Ab- 
sicht der  Künstler,  Äcker  und  Felder  usw.  darzu- 
stellen, mehr  aus  der  geometrischen  Felderung 
des  Geländes,  den  Zäunen  und  Hecken,  aus  aller- 
hand landwirtschaftlichen  Zutaten  als  aus  den 
botanischen  Merkmalen  der  in  Betracht  kommen- 
den Arten.  Mit  großer  Liebe  und  oft  mit  be- 
merkenswertem Geschick  bauen  Maler  und  Gra- 
phiker des  15.  und  16.  Jahrhunderts  tropische 
Wälder  und  phantastische  Vegetationen  auf,  wenn 
es  sich  darum  handelt,  Adam  und  Eva  im  Paradies, 
die  Flucht  der  hl.  Familie  nach    Ägypten  -)   oder 

')  Die  griechische  Kunst  —  von  der  minoischen  bis  zur 
hellenistischen  Periode  —  macht  von  den  Pflanzen  als  Mitteln 
für  Charakterisierung  eines  Schauplatzes  keinen  nennenswerten 
Gebrauch  (wenn  man  von  den  Darstellungen  der  P/^/j-Sprosse 
und  -Früchte  und  der  dekorativen  Verwendung  der  Bäume  ab- 
sieht). Um  so  wirkungsvoller  ist  die  Art,  mit  der  die  Künstler 
des  alten  Ägyptens  sich  des  Lotos  und  des  Papyrus  bedienen, 
um  die  am  Flußufer  spielenden  Szenen  —  Jagd  .auf  Wasser- 
geflügel usw.  —   zu  kennzeichnen. 

'■')  Vgl.  Schenck,  H.,  Martin  Schongauers  Drachenbaum 
(Naturw.  Wochenschr.   1920,  Bd.   19,  Nr.  49,  S.  775). 


50 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Johannes  den  Evangelisten  auf  Patmos  zu  zeigen. 
Selbst  dann,  wenn  naturwahr  gezeichnete  Palmen 
das  tropische  Ensemble  kennzeichnen  helfen  und 
phantasievoll  erdachte  Exotenformen  zurücktreten, 
kann  auch  diese  Art,  den  Schauplatz  der  Hand- 
lung durch  richtig  gewählte  Pflanzen  zu  charakte- 
risieren, nicht  mit  der  Beobachtungsgabe  der 
van  E  y  c  k  wetteifern. 

Unter  den  vielen  Formationen  der  einheimi- 
schen Flora,  die  leicht  zu  beobachten  und  für  den 
Maler  und  Graphiker  leicht  wiederzugeben  sind, 
spielt  das  Typhetum  —  d.  h.  die  von  Sümpfen 
und  Gräben  her  wohlbekannte  aus  Typha ,  dem 
Liesch-  oder  Rohrkolben  (Schmackedutschke, 
Narrenzepter)  gebildete  Formation  —  eine  be- 
merkenswerte Rolle  in  der  Kunst  des  15.  Jahr- 
hunderts. Ihre  gewaltigen  Blätter  und  noch  mehr 
ihre  zylindrischen  schwarzen  Kolben  haben  ihr 
schon  damals  die  Aufmerksamkeit  der  Pflanzen- 
freunde  gesichert.  Beim  Studium  der  frühen 
Graphik  muß  es  auffallen,  daß  das  Typhetum  im 
15.  Jahrhundert  als  Kennzeichen  sumpfiger  Stand- 
orte, zur  Charakterisierung  der  Fluß-  und  Seen- 
ufer auch  bei  denjenigen  Künstlern,  die  im  übri- 
gen keine  besondere  Begabung  für  die  Beobach- 
tung des  Pflanzenlebens  und  die  naturwahre  Dar- 
stellung der  Standortsverhältnisse  der  Pflanzen  er- 
kennen lassen,  sich  einer  bemerkenswerten  Beliebt- 
heit erfreut. 

Der  hervorragende  oberdeutsche  Stecher,  den 
wir  als  Meister  E.  S.  zu  bezeichnen  pflegen  (1450? 
— 1467),  belebt  seine  Darstellungen  gern  mit 
reicher  Flora.  Die  Begegnung  der  tiburtinischen 
Sibylle  mit  Kaiser  Augustus  (L.  192)  findet  vor 
einem  Flusse  statt.  Daß  die  an  seinem  Ufer 
grünende  Gruppe  monokotyler  Gewächse  aus 
Typha  besteht,  halte  ich  für  wahrscheinlich;  alle 
anderen  Pflanzen,  die  der  Künstler  darstellt,  wird 
der  Botaniker  kaum  zu  benennen  wagen :  sie  sind 
unter  seiner  Hand  teils  zu  schwungvollen  Orna- 
menten geworden,  zum  Teil  zwar  von  ihm  natura- 
listisch, aber  unter  Vernachlässigung  der  spezifi- 
schen Formen  dargestellt;  der  Freude  des  Künst- 
lers am  Beobachten  vegetabilischer  Naturformen 
stellen  sie  kein  günstiges  Zeugnis  aus.  Ganz 
ohne  Zweifel  ist,  deiß  die  auf  der  Taufe  Christi 
(L.  28)  dargestellten  Kolben  eine  Typlia-G:Tü-^^z 
darstellen;  von  den  zahlreichen  roseitenbildenden 
Pflanzen  des  Vordergrundes  gilt  dasselbe  wie  von 
den  auf  L.  192  sichtbaren.  735*//(7  Gruppen  von 
befriedigender  Naturwahrheit  finden  sich  auf  der 
großen  Taufe  Christi  (L.  29),  deren  Vordergrund 
wiederum  stilisierte  Rosetten  füllen.  Nach  Be- 
trachtung dieser  Stiche  werden  wir  kaum  be- 
zweifeln können,  daß  auch  die  sterile  Wasser- 
pflanze, die  am  Ufer  des  vom  hl.  Christophorus 
durchschrittenen  Gewässers  (L.  140)  grünt,  als 
Typha  bestimmt  werden  darf  —  um  so  weniger, 
als  inmitten  des  Wassers  an  einer  felsigen  Klippe 
ein  kolbentragendes  Exemplar  sichtbar  ist. 

Die  Blätter  des  Hausbuchmeisters  geben  — 
trotz  seiner  Vorliebe  für  Kranzgewinde,  für  Garten- 


und  Walddarstellungen  —  dem  Botaniker  nur  ge- 
ringe Ausbeute.  Die  feine  Beobachtungsgabe,  die 
der  Meister  in  den  Dienst  der  Menschen-  und 
Tierdarstellung  stellt,  scheint  —  wie  bei  so  man- 
chem anderen  Künstler  —  der  Pflanzenwelt  gegen- 
über untätig  zu  bleiben.  ^)  Um^  so  überraschender 
ist,  daß  die  Typha  wiederholt  und  gut  gelungen  bei 
ihm  erscheint,  bei  den  Darstellungen  des  hl. 
Christophorus  (L.  31  und  L.  32)  an  Flußufern,  wie 
die  Ökologie  der  Pflanze  es  fordert,  —  in  anderen 
Fällen  (L.  41,  L.  67,  L.  71)  ohne  solche  örtliche 
Beziehungen.  Gerade  für  Christophorusdarstellun- 
gen  hat  aber  auch  der  Hausbuchmeister  gewiß 
schon  so  viele,  mit  Typha  ausgestattete  Vorbilder 
gehabt,  daß  wir  aus  den  wohlgelungenen  Typhetum- 
Darstellungen  seines  Griffels  nicht  auf  eigene 
Naturbeobachtung  zu  schließen  nötig  haben. 

Eine  stattliche  Kollektion  von  Typhetum- 
darstellungen  bringt  der  Illustrator  der  kölnischen 
Bibel  von  1478,  deren  schöne  Holzstöcke  später 
noch  einmal  in  der  von  Kob  erger,  dem  Nürn- 
bergischen Drucker  und  Verleger  des  Schatz- 
behalters,  der  Schedeischen  Chronik  usw.,  heraus- 
gegebenen sog.  Neunten  deutschen  Bibel  (1483) 
Verwendung  finden.  Ich  verweise  für  die  letztere 
auf  die  Darstellung  des  Opfers  von  Kain  und 
Abel  (fol.  VI),  auf  Moses  vor  seinem  göttlichen 
Gesetzgeber  (fol.  XLIX),  eine  weitere  Mosesszene 
aus  den  Numeris  (4.  Mos.  10;  fol.  LXXI),  auf 
Tobias  mit  dem  Engel  (fol.  CCXXXIIII).  Überall 
erscheint  Typha  als  leicht  erkennbarer  Begleiter  der 
Wasserläufe.  Der  Illustrator  der  genannten  Bibeln  ist 
für  unsere  Frage  besonders  ergiebig,  weil  er  es  sehr 
liebt,  seine  Bildchen  mit  Bächen,  Flüssen  oder 
Seen  zu  beleben,  auf  deren  Spiegel  sich  zumeist 
ein  Schwan  schaukelt.  Auch  durch  vegetabilische 
Zutaten  die  Wasserläufe  zu  kennzeichnen,  hat  der 
Künstler  freilich  nur  einige  Male  das  Bedürfnis 
gefühlt.  Wenn  er  auch  seine  Darstellungen  gern 
mit  Vegetation  ausstattet,  und  seine  Bäume  gut 
beobachtet  und  gezeichnet  sind,  so  bleibt  doch 
die  Typha,  auch  bei  ihm  die  einzige  mit  Sicher- 
heit bestimmbare  und  ökologisch  an  die  richtige 
Stelle  gesetzte  Pflanze.  Gar  nicht  selten  läßt  der- 
selbe Künstler  an  den  Ufern  seiner  Gewässer 
sterile  Sumpfpflanzen  sprießen ,  die  nach  dem 
Laub  zu  schließen,  recht  wohl  Typha  sein  könnten ; 
vielleicht  hat  der  Künstler  auch  bei  jenen  tat- 
sächlich an  den  Rohrkolben  gedacht. 

Auf  die  Bibel  läßt  1 49 1  K  o  b  e  r  g  e  r  den  Schatz- 
behalter  folgen,  dessen  Holzschnitte  von  Nürnberger 
Meistern  stammen.  Wir  haben  hier  auf  die 
„35.  Figur"  zu  verweisen,  die  Auffindung  Mosis: 
am  Ufer  des  Nils  läßt  der  Illustrator  ein  reiches 
Typhetum  sich  entwickeln,  das  vorn  das  Bild 
abschließt.  Die  lockenähnlich  stilisierten  Blätter 
unterscheiden  den  Schnitt  deutlich  von  dem  des 
niederrheinischen     Meisters.        Ähnliche     Formen 


')  Die  vielen  Bilder  im  „Spiegel  menschlicher  Behältnis" 
sind  vollends  so  gut  wie  vegetationslos  (vgl.  Naumann, 
HolzschniUe  des  Meisters  vom  Amsterdamer  Kabinett  z,  Sp. 
menschl.  Beh.,  Straßburg  1910). 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


5> 


zeigen  die  Typ/ia-?{iAnzen  in  Schedels  Welt- 
chronik —  ich  verweise  auf  das  Städtebild  von 
„Constancia"  (fol.  CCXLI).i)  — 

Auf  den  schönen  Holzschnitten,  die  das  von 
Bergman  von  Olpe  1494  herausgegebene 
„Narrenschiff''  Sebastian  Brants  schmücken, 
spielen  vegetabilische  Zutaten  eine  geringe  Rolle. 
Am  allerwenigsten  ist  versucht  worden,  durch 
Studium  des  natürlichen  Vorkommens  der  Pflanzen 
in  der  Vegetation  ein  Mittel  zur  Kennzeichnung 
des  Geländes  zu  finden.  Einen  schwachen  Ver- 
such hierzu  dürfen  wir  immerhin  in  der  Dar- 
stellung des  Narren  am  Vogelgarn  erkennen :  der 
Waldrand,  an  dem  der  Vogelsteller  Platz  ge- 
nommen hat,  wird  sogar  durch  Farnkraut  ge- 
kennzeichnet. Um  so  wichtiger  wird  hiernach 
die  Rolle,  welche  auch  in  dieser  Holzschnittfolge 
das  Typhetum  spielt:  den  Narren,  der  „in  pfütz 
und  moß"  watet,   zeigt   eine   der   ersten  Darstel- 


deuten.  Das  geschieht  auch  bei  den  Typha- 
Pflanzen,  deren  Kolben  als  schwarze  Massen  in 
dem  Bilde  eingetragen  sind. 

Ungefähr  gleichzeitig  mit  dem  Baseler  Holz- 
schnitt ist  die  Typhetumdarstellung  bei  Felix 
H  e  m  m  e  r  1  i  n :  Varie  oblectationis  opuscula  et 
tractatus,  Argentorati  Joh.  Preiß,  1477). ')  Die 
hier  reproduzierte  Abbildung  zeigt  den  von 
Wespen  umschwärmten  Hemmerlin,  der  inmitten 
eines  7)'Ma- Bestandes  kniet.  Wir  bemerken  an 
letzterem  manche  gut  beobachtete  Einzelheit  und 
stellen  fest,  daß  Mensch  und  Typha  auf  dem 
Straßburger  Schnitt  in  richtigen  Proportionen 
dargestellt  sind. 

Von  weiteren  Holzschnittwerken  erwähne  ich 
noch  das  Exercitium  super  pater  noster  (Krems- 
münster) ^)  mit  einer  schönen  ökologisch  richtig 
angebrachten  Ty/^/^a-Gruppe.  Das  Berliner  Kabi- 
nett  bewahrt   einen    den    hl.   Christophorus    dar- 


lungen  des  Buches  inmitten  einer  dichten 
Typhagruppe;  ihre  Halme  sind  wie  das  Laub, 
allerdings  unsorgfaltig  gezeichnet  und  im  Ver- 
hältnis zur  Gestalt  des  Narren  viel  zu  klein 
geraten.  —  Wie  bekannt,  hat  man  —  wohl  mit 
Unrecht  —  versucht,  die  Holzschnitte  der  Berg- 
manschen Offizin  dem  jungen  Dürer  zuzu- 
schreiben. Ich  erwähne  in  diesem  Zusammen- 
I  hang,  daß  mir  weder  aus  Dürers  Werk  noch 
I  aus  dem  Schongauer sehen  bisher  eine  Dar- 
stellung des  Typhetum  bekannt  geworden  ist,  — 
j  wie  überhaupt  beiden  die  Pflanzenwelt  zur  Cha- 
rakterisierung des  Schauplatzes  zu  verwerten,  fern 
lag.  —  Der  Künstler  der  Bergmanschen  Offizin 
liebt  es  wie  andere  Künstler  seiner  Zeit,  einzelne 
Teile  seiner  Darstellungen  schwarz  auszufüllen, 
um   den   Lokalton   der   betreffenden  Dinge  anzu- 

')  Vgl.  auch  das  sterile  Zy/^a-Exemplar  von  „Cracovia". 


stellenden  Holzschnitt,  *)  der  vielleicht  schon  dem 
16.  Jahrhundert  angehört.  Er  zeigt  im  Vorder- 
grund eine  Typha  —  sie  ist  zwar  schlecht  be- 
obachtet, aber  doch  die  einzige  nach  der  Spezies 
bestimmbare  Pflanze,  die  auf  dem  Schnitte  sicht- 
bar ist. 

Bei  der  weiten  Verbreitung  der  Rohrkolben 
in  der  frühen  deutschen  Graphik  wäre  es  nicht 
zu  verwundern,  wenn  gar  mancher  Zeichner  von 
den  Werken  früherer  Künstler  seinen  vegetabili- 
schen Motive  entlehnt  hätte  und  hierbei  zur  Dar- 
stellung mißverstandener    und  mißratener  Typha- 


')  Hain  8425,  Proctor  581  :  vgl.  auch  Jos.  Baer&Co. 
Incunabula,  xylographica  et  typographica  1455  —  1500,  p.  52,  13. 

')  Schreiber,  Manuel  de  l'amateur  de  la  gravure  sur 
bois  et  sur  metal,  T.  VII  (1895),  tab.  LXVII ;  vgl.  auch 
T.  VIII,  1900,  tab.  LXXXVIII. 

^)  Kristeller,  Holzschnitte  im  kgl.  Kupferstichkabinelt 
zu  Berlin.     Zweite  Reihe   1915,  Tab.  LXX. 


S2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Pflanzen  gekommen  wäre.  Beispiele  für  letztere 
ließen  sich  leicht  erbringen :  ich  verweise  auf  die 
Zj'/'^ö'-Darstellungen  eines  holländischen  „Specu- 
lum  humanae  salvationis"  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert oder  auf  die  Holzschnitte  zur  Fridolins- 
legende  (Ulm,  Joh.  Zainer,  ca.  1480). 

Von  der  französischen  Graphik  erwähne  ich 
den  Pariser  Totentanz  von  i486  („Miroer  salutaire 
pour  toutes  gens").  Der  Künstler,  der  in  zahl- 
reichen kleinen  Darstellungen  den  Boden  mit 
einer  Fülle  kleiner  Blümchen  ausstattet,  weiß 
nichts  von  Naturbeobächtung  und  naturalistischer 
Darstellung  der  Gewässer;  seine  Streublumen  zu 
benennen,  ist  unmöglich  —  nur  eine  (in  natur- 
widrig kleinem  Format  erscheinende)  Typha- 
Pflanze  scheint  hiervon  eine  Ausnahme  zu  machen. 
Daß  der  Zeichner  seine  Typha  von  anderen  gra- 
phischen Darstellungen  entlehnt  und  abgeschrieben 
hat,  ist  wahrscheinlich. 

Von  den  Italienern  mag  Mantegna  genannt 
sein ;  Typheta  stellt  er  auf  seinen  Tritonenkämpfen 
dar  (B.  17,  B.  18),  die  zweite  Darstellung  zeigt 
Typha  neben  blühendem  Schilf.    — 

Die  große  Beliebtheit,  deren  sich  die  Typha 
bei  den  Künstlern  des  Quattrocento  erfreut,  und 
die  sie  auch  in  späteren  Perioden  nicht  verliert, 
ja  bis  in  unsere  Tage  behalten  zu  wollen  scheint, 
erklärt  sich  nicht  nur  durch  die  Auffälligkeit 
ihres  Habitus  und  ihrer  Färbung,  sondern  ebenso 
sehr  aus  dem  Umstände,  daß  ihre  charakteristi- 
schen formalen  Eigenschaften  mit  wenigen  Strichen 
und  bescheidenstem  Aufwand  bereits  befriedigend 
zur  Darstellung  gebracht  werden   können    und  in  ' 


allen  Techniken  leicht  zu  bewältigen  sind.  Wie 
in  Kupferstich  und  Holzschnitt  sind  die  Rohr- 
kolben auch  für  den  mit  Pinsel  und  Farbe 
arbeitenden  Künstler  leicht  wiederzugeben.  Um 
auch  hier  Beispiele  zu  nennen,  verweise  ich  auf 
das  schöne  Typhetum,  das  der  Brügger  IVIeister 
der  Ursulalegende  in  der  iVlartyriumszene  gegeben 
hat  (Kloster  der  Sceurs  noires  zu  Brügge).  Ein 
besonders  schönes  Werk  der  Miniaturmalerei 
finden  wir  in  den  Tres  heiles  heures  de  Chan- 
tilly  (tab.  VI,  VII,  XXXVII);  auf  einem  der  Bild- 
chen sehen  wir  Typha  neben  Kopfweiden  die 
Vegetation  eines  Bachufers  nicht  übel  kennzeichnen. 
Sogar  der  Bildhauer  findet  in  der  Typha  ein 
Gewächs,  das  mit  seinen  besonderen  technischen 
Mitteln  charakteristisch  wiederzugeben  leicht  mög- 
lich ist.  Beispiele  sind  mir  freilich  zunächst  nur 
aus  der  mit  heraldischen  Motiven  beschäftigten 
Bildhauerei ')  bekannt  geworden. 


Wir  besitzen  noch  keine  vergleichend-ikono- 
graphischen  Studien  für  die  Taufe  Christi,  den 
hl.  Johannes-Evangelist  auf  Patmos,  die  Christo- 
phoruslegende,  den  wunderbaren  Fischzug.  Ich 
zweifle  nicht,  daß  das  Studium  der  frühen  Dar- 
stellungen dieser  Szene  uns  noch  zahlreiche 
weitere  Belege  für  die  bevorzugte  Rolle  kennen 
lehren  würde,  welche  der  Typha -Vi.o\htn  in  der 
Kunst  des  15.  Jahrhunderts  spielt. 

^)  Typhakolben  finden  wir  im  Wappen  der  Rohrbeck 
(Siebmachers  Wappenbucli  Bd.  5,  Abt.  10,  bürgerliche 
Geschlechter  1916),  Ried  und  gewiß  noch  anderer  Familien 
in  deutlich  „redender"   Beziehung  zum   Namen. 


Einzelberichte. 


Die  Aiistrockming  Südafrikas. 

Zu  dieser  Frage  gibt  Fritz  Jäger  in  seinen 
Beiträgen  zur  Landeskunde  von  Süd- 
westafrika (Mitt.  aus  den  deutschen  Schutzge- 
bieten, Ergänzungsheft  Nr.  14,  Berlin  1920,  E.  S. 
Mittler  &  Sohn)  sehr  beachtenswertes  Tatsachen-  • 
material.  Er  weist  nach,  daß  an  eine  stetige  Ver- 
minderung der  Niederschläge  in  dem  letzten  Men- 
schenalter nicht  zu  denken  sei,  daß  vielmehr  die 
Menge  des  Grundwassers,  neben  welcher  die  des 
Oberflächenwassers  gar  keine  Rolle  spielt,  sehr  be- 
deutenden Schwankungen  unterliege,  nicht  nur  inner- 
halb einzelner  Jahrgänge,  sondern  auch  in  Zeit- 
räumen von  Jahren  und  Jahrzehnten.  Daß  die 
Abnahme  dabei  weit  häufiger  beobachtet  wird  als 
die  Zunahme,  liegt  in  der  Hauptsache  daran,  daß 
das  Wasser  fast  dauernd  allmählich 
sinkt,  also  um  so  weniger  von  künstlichen  Boh- 
rungen erfaßt  werden  kann.  Demgegenüber  kommen 
starker  örtlicher  Verbrauch,  Entwaldung,  Gras- 
brände, die  hier  und  da  lokal  die  Austrocknung 
kleiner  Gebiete  begünstigen  mögen,  im  großen 
und  ganzen  doch  kaum  in  Betracht.     Sie  ersticken 


wohl  "in  trockenen  Zeiten  den  Wasserrückgang, 
ohne  jedoch  dadurch  eine  dauernde  Verminderung 
herbeiführen  zu  können.  Wenn  häufig  das  Aus- 
trocknen des  Ngamisees  als  ein  Hauptbeweis  für 
die  fortschreitende  Austrocknung  Südafrikas  ange- 
führt wird,  so  ist  demgegenüber  die  Mitteilung 
von  A.  G.  Stigand,  Notes  on  Ngamiland,  G.  J. 
Bd.  39,  S.  3766".  von  großer  Bedeutung,  nach 
welcher  beim  Rückzug  des  Wassers  am  Westende 
des  Sees  die  Stümpfe  von  Steppenbäumen  ent- 
blößt wurden,  woraus  hervorgeht,  daß  einstmals 
an  Stelle  des  Sees  Baumsteppe  oder  Trockenwald 
stand. 

Fragt  man  nun  nach  der  Ursache  der  fast 
dauernden  Senkung  des  Wasserstandes,  so  scheint 
sich  Verf  der  Meinung  Passarges  anzuschließen, 
die  auch  Ref.  mehrfach  ausgesprochen  hat,  daß 
nämlich  die  Menge  des  in  der  Erdrinde  befind- 
lichen Bodenwassers  nicht  bloß  von  der  heutigen 
Niederschlagsmenge  abhängig  ist,  sondern  daß 
jene  noch  große  Vorräte  aus  einer  regenreicheren 
jüngsten  geologischen  Vergangenheit  besitzt,  die 
erst  allmählich  aufgezehrt  werden,  ohne  daß  des- 
wegen    die    Regenmenge     wesentlich     abnimmt. 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


53 


Die  heutigen  Regen  vermögen  eben  den  Verlust 
durch  Verdunstung  und  Abfluß  nicht  zu  ersetzen, 
und  dadurch  trocknet  tatsächlich  der 
Boden  Südafrikas  langsam  aber  stetig 
aus,  ohne  daß  deswegen  eine  wesentliche  oder 
stetige  Abnahme  der  Niederschläge  zu  konstatieren 
wäre. 

Erst  wenn  das  Wasser  im  Boden  sich  dem 
heutigen  Klima  angepaßt  hat,  wird  sich  ein  Still- 
stand im  Austrocknen  des  Bodens  bemerkbar 
machen.  W.  Halbfaß. 


Berieht  über  eiue  Forschiiugsexpedition 
in  Deutsch-Ostafrika. 

G.  Krenkel  teilt  in  den  Berichten  der 
Mathematisch  •  Physischen  Klasse  d.  Sachs.  Akad. 
d.  Wissensch.  z.  Leipzig,  LXXI.  Bd.  seine 
geologischen  Ergebnisse  mit.  In  vier  Ge- 
bieten der  Kolonie  hat  er  unter  schwierigen 
Kriegsverhältnissen  —  er  kam  wenige  Wochen  vor 
Beginn  des  Krieges  dahin  —  seine  Untersuchungen 
anstellen  können:  im  Küstenland;  im  Uluguru- 
gebirge;  in  der  Landschaft  Ugogo  und  im  abfluß- 
losen Rumpfschollenland;  im  Tanganjikaseegebiet. 

Im  südlichen  Teil  der  Küstenzone  tritt  an  das 
Land  unmittelbar  der  Kontinentalsockel  an  das 
Meer  heran  (2000  m  Tiefe).  Im  mittleren  Teile 
liegt  vor  der  Küste  ein  80  km  breiter  Schelf,  aus 
dem  die  Koralleninseln  Mafia  und  Sansibar  als 
letzte  Reste  der  alten  zerstörten  Küste  hervor- 
ragen. An  der  Ostküste  des  Schelfes  findet  sich 
dann  der  Steilabfall  des  Kontinentalsockels.  Im 
Norden  trennt  ein  900  m  tiefer  Grabeneinbruch 
die  Insel  Pamba  vom  Festland.  Die  Küstenlinie 
ist  hier  vielleicht  von  tektonischen  Verhältnissen 
vorgezeichnet. 

Das  Küstenland  bauen  entweder  Riffgesteine 
(marine  Kalke,  echte  Rififkalke,  Korallensandsteine) 
oder  Gesteine  fluviatiler  Entstehung  mit  Ver- 
witterungserden. Im  mittleren  Küstenland  lagern 
diese  jungen  Gesteine  auf  dem  Sockel  aus  meso- 
zoischen Gesteinen.  Sowohl  in  den  Rififgesteinen 
als  auch  in  den  nicht  marinen  Bildungen  lassen 
sich  zwei  verschiedenaltrige  Horizonte  nachweisen. 
Das  Küstenland  ist  in  schaukelnder  Bewegung. 
Man  kann  annehmen,  daß  eine  Vernichtung  des 
Küstenlandes  vor  sich  geht.  Küstenterrassen  sind 
mehrfach  stufenförmig  übereinander  gelagert. 
Wir  haben  an  der  ostafrikanischen  Küste  entweder 
eine  Steilküste  mit  Kliff  oder  eine  Flachsandküste 
mit  Dünen  und  Strandwällen  vor  uns.  Nicht  allein, 
aber  mit  erklärt  werden  die  „ertrunkenen"  Täler 
der  ostafrikanischen  Küste. 

Das  Ulugurugebirge  steigt  aus  dem  Steppen- 
und  Buschgebiete  steil  auf  und  ist  von  einer  brei- 
teren oder  schmäleren  Vorhügelzone  umgeben. 
Kurze,  steile  Täler  führen  in  das  Gebirge,  dessen 
höhere,  regenreiche  Abhänge  von  dichtem  Urwald 
bedeckt  sind.  An  dem  Westabhang  tritt  der 
Graben  der  Mkatasteppe  heran.  Im  Mkatagraben 
fanden  sich  Schichten  der  pflanzenführenden  unteren 


Karruformation  in  Gestalt  von  dunklen  Kohlen- 
schiefern. Ob  sie  einer  versenkten  Decke  oder 
einem  Becken  angehören,  ist  noch  nicht  erwiesen. 
Im  vorgelagerten  Menduberge  fand  man  Asbest- 
lager. Das  Gebirge  wird  überwiegend  von  kristal- 
linen Schiefern  (Gneisen  und  Glimmerschiefer), 
untergeordnet  von  Graniten  und  anderen  Tiefen- 
gesteinen aufgebaut.  Kristalline  Kalke  herrschen 
im  Osten  vor.  Krenkel  glaubt,  daß  ältere  kristal- 
line Schiefer  und  granitisch-körnige  Gesteine  von 
jüngeren  Graniten  und  verwandten  Gesteinen 
durchdrungen  worden  sind.  Die  Gneise  und 
Glimmerschiefer  sind  aufgerichtet,  sogar  stellen- 
weise steilgestellt. 

Als  Ganzgesteine  treten  Pegmatite  in  15 — 20  m 
Mächtigkeit  auf.  Die  Gänge  werden  von  Längs- 
und Querverwerfungen  durchsetzt.  Die  Pegmatite 
liefern  Glimmerplatten,  die  abgebaut  werden. 

Das  Hochplateau  von  Ugogo  stellt  im  Gegensatz 
zu  den  umgebenden  Hochschollen  eine  Tiefscholle 
dar.  Morphologisch  lassen  sich  folgende  Bauele- 
mente erkennenn:  i.  die  Fastebene  von  Nord- 
ugogo;  2.  die  Fastebene  von  Südugogo;  3.  das 
Ugogomittelgebirge;  4.  das  Ugogogrenzgebirge ; 
5.  das  Rubehogebirge ;  6.  die  Turubruchstufe;  7. 
das  Bergland  von  Hochussandaui.  Das  Grund- 
gebirge Ugogos  bilden  kristalline  Gesteine.  Jünger 
sind  wenig  verbreitete  jungvulkanische  Gesteine. 
Darüber  legen  sich  die  aus  der  Zerstörung  der 
älteren  Schichten  hervorgegangenen  Deckschichten. 

Krenkel  nimmt  an,  daß  die  kristallinen  Ge- 
steine dem  Altpaläozoikum  angehören  und  bis  zum 
Präpaläozoikum  hinabreichen.  Die  jungvulkanischen 
Gesteine  sind  jungtertiären  Alters.  Die  Deck- 
schichten reichen  vom  Altquartär  bis  zur  Jetztzeit. 
Während  Grundgebirgsschichten  und  Deckschichten 
sich  immer  zusammen  vorkommend  zeigen,  sind 
die  jungvulkanischen  Gesteine  nur  auf  den  Umkreis 
zwischen  Makutupora  und  Manjoni  in  der  Turu- 
bruchstufe vorhanden.  Das  Fehlen  aller  paläo- 
zoischen und  mesozoischen  Schichten  ist  eine 
Folge  der  Abtragung  durch  Erosion.  Die  jung- 
vulkanischen Gesteine  treten  in  Gängen  oder 
Decken  auf,  sind  emporgestiegen,  als  sich  die 
großen  Brüche  der  ostafrikanischen  Schollenzone 
bildeten. 

Das  kristalline  Grundgebirge  ist  spätestens 
im  Altpaläozoikum  gefaltet  worden.  Das  Grund- 
gebirge wurde  in  der  Folgezeit  teilweise  bis  auf 
den  granitischen  Kern  abgetragen.  Im  Osten 
Ugogos  haben  sich  in  abgesenkten  Gebieten 
Schiefermassen  erhalten.  Es  entstand  eine  Fast- 
ebene. Schon  in  der  Kreidezeit,  im  jüngeren 
Tertiär  den  Höhepunkt  erreichend,  begannen 
tektonische  Ereignisse,  die  Ugogo  in  den  Bereich 
der  östlichen  ostafrikanischen  Zerrüttungszone 
führen.  Zwei  große,  landschaftlich  deutlich  hervor- 
tretende Bruchlinien  lassen  Ugogo  als  Tiefen- 
scholle aus  dem  Landschaftsbild  heraustreten. 
Durch  das  Innere  Ugogos  zieht  als  Bruchlinie 
die  Ilindilinie.  Krenkel  bezeichnet  Ugogo  als 
„Kesselbruchfeld",    das    in    seiner   südwestlichsten 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Ecke,  in  der  großen  Salzsteppe,  am  tiefsten  abge- 
sunken ist.  Im  Osten  scheint  eine  weit  gespannte 
Verbiegung  den  Übergang  zur  großen  Salzsteppe 
zu  vermitteln. 

Am  nördlichen  Ostufer  des  Tanganjikasees 
finden  sich  mächtige  sedimentäre  Ablagerungen 
mit  Diabasen  in  Form  von  Decken  und  Gängen. 
Sie  reichen  bis  zu  dem  GneisKungwestock  im 
Süden,  zu  den  kristallinen  Schiefern  beim  Orte 
Njassa  im  Norden  und  in  das  Flußgebiet  des 
Malagarassi  und  Vindi  im  Osten.  Fossilien  fehlen 
den  Schichten  bis  jetzt  völlig.  Man  hat  die  Schichten 
zur  „Tanganjikaformation"  zusammengefaßt,  die 
Krenkel  als  den  Absatz  eines  salzigen  Binnen- 
meeres auffaßt.  Diese  Formation  zerfällt  in  die 
liegenden  „Sandsteinschichten"  und  die  hangenden 
„Kalkkieselschichten".  Die  Diabase  sind  lokal  in 
ihrem  Auftreten  beschränkt.  Zusammenhängende 
JVIassen  bilden  sie  im  Plateau  von  Hochuha.  Süd- 
lich davon  zeigen  sich  Diabase  in  den  Njamuri- 
bergen.  Die  Schichten  der  Tanganjikaformation 
sind  wenig  gestört,  nur  entlang  einer  Störungs- 
zone von  15  km  Breite,  die  mit  der  Entstehung 
des  Tanganjikagrabens  zusammenhängt,  finden  sich 
auffallende  Verwerfungen.  Am  See  sind  eine 
Menge  Schollen  vorhanden.         Rudolf  Hundt. 

Die  geologische  Stellung  des  Faläolithikuins. 

In  den  Mitteilungen  der  Wiener  anthropolog. 
Gesellschaft  50,  1920,  S.  69 — 71  wirft  V.  Hilb er 
aus  Graz  von  neuem  die  Frage  nach  der  geologi- 
schen Stellung  des  Paläolithikums  auf.  Nach  der 
Boule-Obermaier sehen  Gliederung  ist  das 
ganze  Oberpaläolithikum  (vom  Aurignacien  an) 
postglazial.  Bekanntlich  hat  Penck  und  ihm  im 
wesentlichen  folgend  auch  Bayer  die  Ansicht 
vertreten,  daß  das  Solutreen  letztinterglazial,  und 
das  kalte  Mousterien  der  vorletzten  Eiszeit  ange- 
höre. Die  Stellung  der  Niederterrasse  und  des 
jüngeren  Löß  wollte  sich  mit  diesen  Ansichten 
jedoch  nicht  recht  vereinbaren  lassen.  Wenn 
die  Niederterrasse  letztglazial  ist,  so  könnte  der 
jüngere  Löß  spätestens  in  einem  früheren  Ab- 
schnitt des  Letztglazials  zwischen  den  Bildungs- 
zeiten der  Hoch-  und  Niederterrasse  entstanden 
sein.  Der  Löß  ist  aber  nach  seiner  Schnecken- 
fauna nicht  eiszeitlich;  der  jüngste  Löß  müßte 
demnach,  wie  auch  Penck  folgerichtig  annimmt, 
in  das  letzte  Interglazial  gehören  und  die  zwei 
Terrassen  würden  nach  Penck  dann  den  letzten 
beiden  Eiszeiten  entsprechen. 

Diese  Folgerungen  aber  widersprechen  un- 
zweifelhaft den  Tatsachen.  Nicht  nur  das  Solu- 
treen, sondern  auch  das  Aurignacien  und  Magda- 
lenien  liegen  im  jüngsten  Löß.  Was  also  für  das 
unbestrittene  postglaziale  Alter  des  Magdaleniens 
gilt,  gilt  für  das  ganze  Oberpaläolithikum. 

H  i  1  b  e  r  glaubt  eine  Lösung  dadurch  ge- 
funden zu  haben,  daß  er  die  Schotterterrassen 
oder,  wie  er  sie  nennt,  Baustufen,  nicht  in  Eis- 
zeiten entstanden   sein  läßt.     Da  das  Oberpaläo- 


lithikum nacheiszeitlich  ist,  so  muß  auch  der 
Junglöß,  welcher  es  enthält,  nacheiszeitlicher  Ent- 
stehung sein.  Für  die  vielfach  erwähnte  Nicht- 
bedeckung  der  Niederterrasse  durch  Löß  gibt  es 
für  ihn  nur  die  Erklärung,  daß  dieser  Löß  älter 
ist  als  diese  Terrasse.  Da  er  aber  wegen  seines 
Magdaleniengehaltes  nacheiszeitlich  ist,  muß  es 
auch  die  (jüngere)  Niederterrasse  sein.  In  der 
Nacheiszeit  haben  sich  also  zuerst  Löß  und  da- 
nach die  Niederterrasse  gebildet. 

Für  das  aus  den  Kulturen  gefolgerte  Alter 
des  jüngeren  Lößes  sucht  H  i  1  b  e  r  auch  noch 
andere  unmittelbare  Beweise  zu  geben.  Neue 
Analysen  der  Lößschneckenfauna  ergaben  nach 
ihm  in  der  strittigen  Frage  nach  dem  Klima- 
charakter dieser  Fauna  deren  gemäßigte  Natur. 
Die  entgegengesetzten  Ergebnisse  anderer  Autoren 
sollen  nach  Hilber  lediglich  durch  ausschließ- 
liche Berücksichtigung  einzelner  nordischer  Arten, 
welche  nach  Hilber  jedoch  auch  in  nicht- 
glazialen Ablagerungen  vorkommen  sollen,  ge- 
wonnen sein  (?).  Auch  aus  dem  mehrfach  be- 
obachteten Auftreten  einer  warmen  Fauna 
zwischen  zwei  kalten  im  Löß  will  Hilber  ein 
Zeichen  für  nichtglaziales,  interstadiales  Alter  des 
jüngsten  Lößes  entnehmen.  Es  sei  klar,  daß  das 
Intensitätsmaximum  einer  Klimaperiode  in  der 
Mitte  der  zugehörigen  Ablagerung  erscheinen 
müsse.  Wenn  Wiegers  also  den  jüngeren  Löß 
in  drei  Phasen,  je  eine  kältere  am  Anfang  und 
am  Schluß,  und  eine  wärmere  in  der  Mitte  ein- 
teile, so  dürfe  er  dann  nicht  auf  Eiszeit  schließen, 
da  dort  die  kalte  Fauna  in  der  Mitte  stehen 
müßte.  Es  bleibe  also  weiter  keine  andere 
Deutung  übrig  als  die,  daß  der  Löß  nicht  glazial 
sei.  Da  der  Löß  ein  Produkt  klimatischer  Fak- 
toren sei,  müssen  auch  die  älteren  Löße  nicht- 
glazial sein.  Die  Niederterrasse  sei  nach  ihrer 
Nichtbedeckung  durch  den  Löß  nach  diesem  ge- 
bildet, also  müsse  sie  ebenfalls  postglazial  sein. 

Die  geologische  Stellung  des  Paläolithikums 
denkt  sich  Hilber  dann  folgendermaßen:  Chel- 
leen  und  das  kulturell  und  faunistisch  eng  mit 
ihm  verbundene  Acheuleen  gehören  in  die  letzte 
Zwischeneiszeit,  das  Mousterien  fällt  als  Kaltzeit 
in  die  jüngste  Eiszeit  und  das  ganze  Oberpalä- 
olithikum gehört  in  die  Nacheiszeit. 

Eine  derartige  Ansetzung  löst  gewiß  „alle 
Schwierigkeiten"  —  aber  diese  Lösung  geht  nur 
zu  glatt  und  zu  einfach  vor  sich,  als  daß  sie  des- 
halb von  vornherein  als  richtig  gelten  könnte. 
Schwerlich  werden  die  Geologen  von  ihrer  Seite 
aus  der  von  Hilber  gegebenen  Ansetzung  zu- 
stimmen. Das  entscheidende  Wort  darüber  liegt 
bei  ihnen,  ich  will  ihnen  als  Archäologe  nicht 
vorgreifen. 

Zum  Schluß  nur  noch  eine  kleine  nebensäch- 
liche Bemerkung:  Hilber  schreibt  ständig 
Chellean,  Acheulean  usw.  Diese  wohl  als  „Ver- 
deutschungen" gedachten  neuen  Formen  sind 
sprachlich  ebenso  unschön  wie  durch  nichts  ge- 
rechtfertigt.    Ich  möchte  deshalb  dringend  davon 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


55 


abraten,  sie  etwa  in  die  Literatur  zu  übernehmen 
und  durch  sie  die  alten  französischen  Fachaus- 
drücke ersetzen  zu  wollen. 

Wernigerode  a.  H.  Hugo  iWötefindt. 

Naturschutz  in  den  Yereiuigten  Staaten  von 
Amerika. 

Im    Jahresberichte     1919     des     Nationalpark- 
dienstes     zu      Washington      berichtet      Direktor 
Stephan  T.  Math  er   über  den  Stand   des  Natur- 
schutzes in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika. 
Die  Zahl    der  dort    bestehenden  Naturschutz- 
parks  stieg   im  Jahre   1919   mit  Errichtung  des 
Canjonparks  am  Coloradofluß  und  des  La  Fayette- 
Nationalparks    im    Staat    Maine    auf    18.       Dazu 
kommen    noch    33   kleinere  Naturdenkmäler, 
wovon  23    durch   den  Nationalparkdienst    und   10 
durch  das  Ackerbauministerium  verwaltet  werden. 
Die    gesamte  Gebietsfläche   der   Naturschutzparks 
beträgt    27800   qkm,    jene    der   Naturdenkmäler 
5000  qkm.   Im  Hauptlande  der  Vereinigten  Staaten 
befinden    sich     16    Naturschutzparks,     außerdem 
je  einer  in  Alaska    und  auf  Hawaii.     Östlich  des 
Mississippi    liegt    nur    ein     einziger   Naturschutz- 
park, nämlich  der  La  Fayettepark  in  Maine.      Es 
ist    aber    die    Errichtung    weiterer    solcher   Parks 
im    Osten   der  Vereinigten   Staaten    zu   erwarten; 
am   meistenAussicht  auf  Verwirklichung   scheint 
von    den  bestehenden  Projekten  jenes  betreffend 
einen    Naturschutzpark    im    Sanddünengebiet    des 
Staates  Indiana  zu  haben. 

Der  erste  von  der  Regieruag  errichtete  Natur- 
schutzpark war  jener  zu  Hot  Springs  in  Arkansas; 
sein  Gebiet  wurde  schon  1832  reserviert.  Erst 
1872  folgte  dann  der  Yellowstone  Nationalpark. 
Das  erste  Naturdenkmal,  das  unter  den  Schutz 
der  Bundesregierung  genommen  wurde,  ist  die 
weltbekannte  indianische  Ruinenstätte  von  Casa 
Grande  im  Staat  Arizona,  nahe  der  mexikanischen 
Grenze ;  ein  diesbezügliches  Gesetz  kam  1 892  zu- 
stande. Dann  folgte  1908  der  sog.  Teufelsturm 
im  Staat  Wyoming. 

Als  Denkmäler  der  nordamerikanischen  Indianer 
und  ihrer  Kulturen  kommen  besonders  das  Casa 
Grandegebiet  und  der  Mesa  Verde-Naturpark  in 
Betracht,  letzterer  im  Staat  Colorado.  Die  Aus- 
grabungen im  Mesa  Verde-Park  werden  vom 
Direktor  des  Bureau  of  Ethnology  am  National- 
museum Dr.  J.  W.  Fewkes  geleitet,  der  auch 
die  Rekonstruktion  einer  Anzahl  alter  Bauten 
ausgeführt  hat.  Außerhalb  des  Parkes,  einige 
Kilometer  westlich  von  seiner  gegenwärtigen 
Grenze,  befinden  sich  am  Rande  des  Monte- 
zumatales  die  sog.  Aztekenbrunnen-Ruinen,  die 
von  ihrem  früheren  Besitzer  der  Bundesregierung 
geschenkt  wurden,  um  als  nationales  Denkmal 
erhalten  zu  werden.  Auch  im  Nordwesten  von 
Mesa  Verde,  im  Hovenweepbezirk,  liegen  zahl- 
reiche indianische  Ruinen,  deren  Schutz  dringend 
geboten  ist. 

Das  Casa  Grandenaturdenkmal  und  die  weiter 


gegen  die  mexikanische  Grenze  zu  gelegene 
Ruinenstätte  von  Tumacacori,  die  ebenfalls  als 
Naturschutzgebiet  erklärt  ist,  stehen  unter  Ver- 
waltung von  Kustos  P  i  n  k  1  e  y.  Die  Ausgrabungen 
sind  an  beiden  Plätzen  noch  nicht  weit  vorge- 
schritten. Das  Leben  der  Indianer  der  Gegen- 
wart ist  ebenfalls  in  einigen  Naturschutzparks  zu 
beobachten,  so  im  Grand  Canyonpark  des  Colo- 
radoflusses, in  dem  großen  Gletscherpark  im 
Staat  Montana  (an  der  kanadischen  Grenze)  und 
anderwärts. 

Zu  wichtigsten  Aufgaben  des  Nationalpark- 
dienstes gehört  der  Schutz  der  einheimischen 
Tier-  und  Pflanzenwelt.  Für  wilde  Tiere  sind  in 
den  meisten  Naturschutzgebieten  musterhafte  Zu- 
fluchtsstätten eingerichtet.  Das  ist  notwendig, 
nicht  nur  weil  zum  Teil  das  Wild  von  den  In- 
dianern abgeschossen  wird,  sondern  auch,  weil 
es  der  zunehmende  Touristenverkehr  noch  mehr 
bedroht.  Hatte  doch  19 19  die  Zahl  der  Besucher 
schon  755000  betragen,  verglichen  mit  253000 
1913  und  61000  1907.  Bei  Haus-  und  Wege- 
bauten usw.,  die  im  Interesse  der  Erschließung 
der  Naturschutzgebiete  für  den  Verkehr  not- 
wendig sind,  wird  stets  strenge  darauf  Bedacht 
genommen,  den  natüriichen  Zustand  der  Land- 
schaften so  wenig  wie  möglich  zu  stören.  Wo 
in  der  Vergangenheit  gegen  diesen  Grundsatz 
verstoßen  wurde,  ist  der  Naturparkdienst  bestrebt, 
die  ursprünglichen  Verhältnisse  wieder  herzu- 
stellen. Direktor  Math  er  regt  an,  daß  die  Natur- 
schutzgebiete in  Zukunft  mehr  wie  bisher  für 
Studienzwecke  seitens  der  Hochschulen,  aber  auch 
von  Einzelpersonen,  ausgenutzt  werden  sollen. 

H.  Fehlinger. 

Die  Natur  des  roten  Farbstoffes  der 
Crustaceen 

ermittelte  der  Franzose  J.  V  e  r  n  e. ')  Der  P  arb- 
stoff,  der  in  besonderer  Menge  und  Reinheit 
beim  Hummer  in  nahezu  allen  gepanzerten 
Teilen  seines  Körpers  angetroffen  wird,  gab  mit 
Jod  eine  veilchenfarbige  Anlagerungsverbindung, 
mit  Schwefelsäure  eine  Blaufärbung.  Das  Ab- 
sorptionsspektrum wurde  für  die  Identifizierung 
entscheidend.  Es  wies  nämlich  alle  die  Absorp- 
tionsstreifen auf,  die  man  auch  am  Carotin 
festgestellt  hat.  Dieser  Farbstoff  ist  bekanntlich 
sehr  verbreitet;  es  ist  der  Farbstoff"  der  Mohr- 
rübe, des  Eigelb,  -)  sowie  manch  anderer  kress- 
farbiger usw.  Pigmentierungen  Seine  Überein- 
stimmung mit  dem  Crustaceenpigment  wird  außer 
den  genannten  Farbenreaktionen  auch  durch  die 
chemische  Elementaranalyse  erwiesen.  Danach 
ist  in  ihm  das  Verhältnis  von  Kohlen-  zu  Wasser- 
stoff" wie  5:7.  Das  ergibt  in  Verbindung  mit 
ebuUioskopischen  Bestimmungen  die  Bruttoformel 
CjoHse.  die  von  WiUstätter  für  das  Carotin 
sichergestellt  ist. 

')  C.  r.  de  la  Soc.  de  Biologie;  83,  S.  963  (1920). 
'')  Vgl.  Naturw.  Wochenschr.,  N.  F.  17,  S.  545  (1918). 


56 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Da  das  Chlorophyll,  der  Farbstoff  des 
Blattgrüns,  auch  im  Tierreich  festgestellt  worden 
ist,')  so  liefert  der  oben  beschriebene  F"und  einen 
neuen  Beleg  für  die  Übereinstimmung  einer 
ganzen  Reihe  physiologischer  Bestandteile  im 
Pflanzen-  und  Tierreich.  Die  biologische  Be- 
deutung dieser  Erkenntnis  bedarf  keines  be- 
sonderen Hinweises.  H.  H. 

Atomgewicht  von  Wismut. 

O.  Hönigschmidt  und  L.  Birckenbach 
machen  über  diese  Bestimmung  eine  vorläufige 
Mitteilung,  -)  aus  der  hervorgeht,  daß  der  bisher 
international  geltende  Wert  Bi  =  208,o  als  erheb- 
lich falsch  angesehen  werden  muß.  Dieser  Wert 
beruht  auf  Bestimmungen,  die  von  Schneider, 
Marignac  (1883)  und  Gutbier  (1908)  gemacht 
wurden  und  denen  man  unbesehen  trauen  zu 
dürfen  glaubte,  weil  die  von  den  Genannten  ge- 
fundenen Werte  bis  auf  geringe  Abweichungen 
gut  miteinander  übereinstimmen.  Nun  fand  zwar 
C lassen^)  bereits  1890  einen  Wert,  der  von 
den  anderen  um  nahezu  eine  Einheit  abwich, 
nämlich  Bi  =^  208,9,  «^ber  da  dieser  Wert  einzig 
dastand,  so  fand  er  überhaupt  keine  weitere  Be- 
achtung. Ja,  Brauner,  dem  man  eine  peinliche 
Durchsicht  aller  Alomgewichtswerte  verdankt,  *) 
ging  so  weit,  die  Sicherheit  des  international  an- 
genommenen Wertes  als  bis  auf  eine  Einheil 
der  ersten  Dezimale  anzunehmen ! 

Die  Analyse  Hönigschmidts  wurde  am 
Chlorid  und  Bromid  vorgenommen.  Reinstes 
Wismut  wurde  in  einem  Quarzgefäß  durch  Er- 
hitzen im  Chlorstrom  in  das  Chlorid  überführt. 
Dieses  wurde  in  einem  Stickstoffstrom  in  ein 
anderes  Quarzgefäß  sublimiert  und  darin  einge- 
schmolzen zur  Wägung  gebracht.  Aus  dem  so 
gewogenen  Chlorid  wurde  alsdann  unter  Ver- 
wendung reinster  Reagentien  und  Beobachtung 
allergrößter  Exaktheit  mittels  Silbernitrat  das 
Chlor  bestimmt.  Aus  dem  Verhältnis  Wismut- 
chlorid :  Chlor  konnte  der  wahre  Wert  des  Atom- 
gewichtes ermittelt  werden.  Als  Mittelwert  zahl- 
reicher Bestimmungen  ergab  sich  so  der  Wert 
Bi  =  209,06  ±  0,009. 

In  vorzüglicher  Übereinstimmung  hiermit  er- 
gab die  Analyse  des  Bromids  die  Größe  209,034. 
Diese  Werte  weichen  mithin  um  eine  Einheit 
von  dem  bisher  als  richtig  angesehenen  Werte 
ab;  der  neue  Wert,  an  dessen  Richtigkeit  zu 
zweifeln  zunächst  kein  Grund  vorliegt,  ist  also  um 
nicht  weniger  als  0,5%  höher.  Da  der  Wert 
Classens  ihm  recht  nahe  kommt,  so  findet 
dieser  damit  eine  sicherlich  unerwartete  Recht- 
fertigung.  Im  übrigen  beweist  dieser  Fall  wiederum. 


•)  Naturw.  Wochenschr.,  N.   K.   18,  S.  303  (1919). 

'')  Sitzungsberichte  d.  Bayr.  Akad.  d.  Wissensch. ;  Math.- 
Phys.  Kl.;  1920,  S.  83.  Ausführliche  Mitteilung:  Zeitschr.  (. 
Elektrochemie  26,  S.  403  (1920). 

')  Ber.  d.  d.  Chem.  Ges.  23,  S.  938  (1890). 

*)  Vgl.  A b  e  g  g ,  Handb.  d.  anorg.  Chemie.    Leipzig  1 907  fl. 


daß  auch  in  den  exakten  Wissenschaften  nicht 
die  Mehrheit  ausschlaggebend  gemacht  werden 
sollte,  daß  auch  hier  gut  begründete  Annahmen 
nie  sicher  sind,  eines  Tages  von  den  besser  be- 
gründeten abgelöst  zu  werden.  H.  Heller. 


Gletscherbewegungen  in  der  Schweiz 
im  Jahre  1919. 

Seit  191 3  wurde  in  der  Schweiz,  ähnlich  wie 
in  den  österreichischen  Alpen  (vgl.  für  diese  den 
Bericht  von  Brückner  in  der  Zeitschrift  für 
Gletscherkunde,  10.  Bd.  1916,  S.  137)  der  Wieder- 
beginn des  Vorrückens  der  Gletscher  festgestellt, 
nachdem  sie  sich  seit  1888  im  Rückzug  befunden 
hatten  (vgl.  die  Berichte  in  den  Jahrbüchern  des 
Schweizerischen  Alpenklubs;  die  folgenden  An- 
gaben für  das  Jahr  191 9  sind  zum  Teil  einer  vor- 
läufigen Notiz  im  Bulletin  de  la  Societe  Vaudoise 
des  Sciences  Naturelles,  Vol.  53,  Nr.  198  ent- 
nommen). Das  Vorrücken  machte  sich  im  Jahre 
1919  viel  stärker  als  im  Vorjahre  bemerkar:  von 
100  beobachteten  Gletschern  befanden  sich  69 
im  Zunehmen  (1918:  46,5),  4  waren  stationär 
(1918:  14),  und  27  (1918:  39,5)  im  Abnehmen. 
Speziell  im  Kanton  Wallis  zeigten  von  18  be- 
obachteten Gletschern  9  einen  Vorstoß,  8  ein 
Zurückweichen,  nur  einer  (der  Mont- Fort- Gletscher 
im  Nendaztal)  blieb  stationär.  Am  stärksten, 
nämlich  um  25,30  m,  ging  der  Zinalgletscher 
zurück ;  die  Vorstöße  dagegen  erreichten  viel  be- 
trächtlichere Werte,  z.  B.  beim  Trientgletscher 
im  schweizerischen  Teil  des  Montblancmassives 
31  m,  beim  oberen  Grindelwaldgletscher  55  m, 
beim  Blattengletscher  im  Lötschental  sogar  67  m. 
Das  Vordringen  der  Gletscher  erfolgte  oft  mit 
großer  Heftigkeit:  Felsen  und  Erdreich  mit  den 
darauf  stehenden  Bäumen  wurden  mitgerissen  und 
Gebäude  zerstört,  z.  B.  eine  Steinbrücke  durch 
den  oberen  Grindelwaldgletscher. 

Im  großen  und  ganzen  scheinen  sich  die 
Gletscherschwankungen  ziemlich  gut  in  die  von 
Brückner  (vgl.  Klimaschwankungen  seit  1700. 
Pencks  Geogr.  Abhdl.  IV,  2,  1890)  aufgestellte 
35  jährige  Periode  der  Klimaschwankungen  zu 
fügen ;  die  Zeiträume  des  Vorrückens  umfassen  in 
der  Schweiz  im  vergangenen  Jahrhundert  die 
Jahre  1811  — 1822;  1840—1855;  1870—1888,  und 
seit  191 3.  Auch  regenreiche  Jahre  mit  zahl- 
reichen Bergstürzen  folgen  sich  annähernd  peri- 
odisch: 1816,  1846,  1876/78,  1908/10.  Immerhin 
scheint  die  Periode  mit  35  Jahren  etwas  zu  groß 
zu  sein;  ein  Zeitraum  von  30 — 33  Jahren  würde 
den  Tatsachen  besser  entsprechen.  —  Für  die 
Gletscher  von  Chamounix  hat  Mouzin  (Etudes 
glaciologiques  en  Savoie,  T.  II,  Paris  1910)  eine 
Periode  von  105 — 106  Jahren  (also  ein  Vielfaches 
von  35)  gefunden;  hiernach  wäre  das  mittlere  i 
Maximum  des  gegenwärtigen  Vorrückens  im 
Jahre  1925  zu  erwarten. 

Zürich.  .  M.  Schips.  S 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


57 


^ 


Biologie  und  Anatoiiiie  einiger 
Enchyträiden. 

Hierüber  wurden  in  jüngster  Zeit  von  Georg 
Jegen  in  der  Vierteljahrsschrift  der  Naturforschen- 
den Gesellschaft  in  Zürich  (65.  Jahrg.  1920,  S.  100  bis 
208)  eingehende  Untersuchungen  veröffentlicht. 
Die  Enchyträiden  sind  bekanntlich  kleine  (kaum 
einige  Millimeter  lange)  Oligochäten,  die  im 
Boden  und  in  Blumentöpfen  (daher  der  Name, 
von  chytra  =  Topf)  oft  in  ungeheuren  Mengen 
gefunden  werden.  Die  Tatsache,  daß  sich  die 
Enchyträiden  häufig  in  absterbenden  Pflanzen 
bzw.  Pflanzenteilen  vorfinden,  legt  die  bisher  all- 
gemein für  richtig  gehaltene  Ansicht  nahe,  daß 
es  sich  um  pathogene  Parasiten  handle.  Es  er- 
gaben aber  Untersuchungen  von  erkrankten 
Pflanzen,  die  weiter  noch  durch  Infektionsver- 
suche bestätigt  wurden,  daß  die  Enchyträiden 
nur  bedingt  als  pathologisch  angesehen  werden 
dürfen.  Die  Krankheit  der  Versuchspflanzen  war 
nämlich  nicht  durch  die  Enchyträiden,  sondern 
durch  Nematoden  [Tylcnchiis  devastatrix  und 
Aphclctichys  oniicroidcs)  hervorgerufen ;  die  Enchy- 
träiden dringen  den  Älchen  nach,  wobei  sie  hem- 
mend auf  die  Ausbreitung  der  Nematoden  ein- 
wirken und,  sofern  die  Schädigung  der  Pflanze 
einen  bestimmten  Grad  noch  nicht  überschritten 
hat,  die  Gesundung  der  Pflanze  herbeiführen. 
Dabei  bringen  die  Enchyträiden  die  Nematoden 
sehr  wahrscheinlich  durch  Absonderung  eines 
Verdauungssekretes  zum  Absterben,  indem  sie 
deren  Körper  in  eine  schleimige  Masse  auflösen 
und  diese  dann  als  Nahrung  aufnehmen.  Sind 
aber  die  Pflanzenteile  durch  die  Älchen  schon  in 
erheblichem  Maße  geschädigt,  dann  werden  nicht 
nur  die  Älchen,  sondern  auch  die  Pflanzenzellen 
selbst  durch  die  Drüsenabscheidung  der  Enchy- 
träiden zersetzt,  wodurch  natürlich  der  Untergang 
der  erkrankten  Pflanze  beschleunigt  wird.  Im 
Boden  selbst  dringen  die  basisch  reagierenden 
Drüsensäfte  leicht  in  abgestorbene,  pflanzliche 
Gewebe  ein  und  schaffen  so  für  die  Fäulnis- 
erreger günstige  Existenzbedingungen.  Es  sind 
also  die  Enchyträiden  nicht  als  Schädiger,  sondern 
als  Förderer  des  Pflanzenwuchses  (bzw.  der  Humus- 
bildung) anzusehen,  indem  sie,  freilich  in  anderer 
Weise  als  die  Regenwürmer,  an  der  ständigen 
Umsetzung  des  Bodens  sich  aktiv  beteiligen. 
Tatsächlich  sind  denn  auch  fruchtbare  Böden  sehr 
reich  an  Enchyträiden  (Jegen  fand  im  Humus- 
boden je  nach  Jahreszeit  11  800— 150  000  Indi- 
viduen auf  den  Quadratmeter),  während  sie  in 
unfruchtbaren  Ton-  und  Lehmböden  fast  ganz 
fehlen. 

Die  anatomischen  Untersuchungen  erstreckten 
sich  besonders  auf  die  Verdauungs-  und  auf  die 
Fortpflanzungsorgane.  Dabei  stellte  sich  heraus, 
daß  die  inneren  Organe  je  nach  dem  Alter  des 
Individuums  in  weiten  Grenzen  voneinander  ab- 
weichen. Es  lassen  sich  Jugendstadium,  Reife- 
stadium   und    Altersstadium    unterscheiden.      Im 


Jugendstadium  zeigen  besonders  die  Ge- 
schlechtsorgane, dann  auch  das  Blutgefaßsystem, 
das  Nervensystem  und  die  Segmentalorgane  ganz 
larvalen  Charakter  und  können  leicht  in  syste- 
matischer Beziehung  zu  I  äuschungen  Veranlassung 
geben.  In  diesem  Stadium  ernähren  sich  die 
Tiere  vorwiegend  von  pflanzlichen  Stoffen  (faulende 
Pflanzenreste  aus  dem  Boden),  während  die  älteren 
Individuen  ihre  Nahrung,  wie  die  Regenwürmer, 
der  Erde  selbst  entnehmen.  Das  Alters- 
stadium ist  charakterisiert  durch  den  Zerfall 
besonders  der  Geschlechtsorgane.  Für  die  syste- 
matische Einteilung  dürfen  nur  die  Merkmale  der 
reifen  Tiere  verwendet  werden;  da  dies  bis 
jetzt  nicht  immer  geschah,  ist  die  Systematik  der 
Enchyträiden  ziemlich  schwankend;  vor  allem 
sollten  die  inneren,  stark  veränderlichen  Organe 
bei  der  Aufstellung  des  Systems  möglichst  wenig 
benutzt  werden ;  ihre  Heranziehung  für  die  Syste- 
matik erscheint  aber  auch  gar  nicht  nötig,  da  die 
äußeren  Merkmale,  welche  sich  besonders  auf  das 
Borstenfeld  (Borstentaschen),  auf  die  Zahl,  Form 
und  Anordnung  der  Borsten  und  auf  die  Zahnung 
der  Mund-  und  Kopflappen  beziehen,  zur  Fest- 
stellung des  Systems  der  Enchyträiden  genügen. 
Zürich.  Dr.  M.  Schips. 

Tönen  der  Telegraplien-  und  Fernsprech- 
leitungen. 

Aus  Beobachtungen  zweier  Linien  entgegen- 
gesetzter Richtung  ermittelte  H.  Tietgen  (Das 
Wetter  1920,  S.  26)  folgende  Tatsachen:  Das 
Tönen  ist  unabhängig  vom  Wind  (bei  Windstille 
ist  es  vielfach  am  heftigsten),  von  der  Tempe- 
ratur (relativ  heftiger  bei  niedrigen  Temperaturen 
infolge  der  größeren  mechanischen  Spannung  der 
Drähte)  und  den  Tageszeiten  (es  tritt  tagsüber 
wie  nachts,  morgens  wie  abends  auf).  Es  tönen 
die  an  beiden  Enden  geerdeten  und  ungeerdeten 
Leitungen,  bei  sehr  heftigem  Tönen  läßt  sich 
häufig  eine  Grundschwingung  von  etwa  5  per/sec. 
feststellen,  dabei  tönen  die  Linien  entgegengesetzter 
Richtung  (N — S,  0 — W)  mit  wesentlicher  Inten- 
sität nie  gleichzeitig,  tönen  sie  zu  gleicher  Zeit, 
so  geschieht  es  mit  geringer  Intensität  und  wenig 
auffallend.  Nicht  zu  ermitteln  ist  ein  fester  Zu- 
sammenhang des  Tönens  mit  dem  Barometerstand, 
doch  hat  das  Tönen  der  einen  oder  anderen 
Linie  stets  einen  Witterungswechsel  im  Gefolge, 
welcher  fast  immer  innerhalb  der  auf  das  Tönen 
folgenden  nächsten  zwei  Tage  eintritt,  und  zwar 
ist  aufklärendes,  heiteres,  sog.  schönes  Wetter  zu 
erwarten,  wenn  die  N-S-Linie  tönt,  Trübung  der 
Atmosphäre  und  Niederschläge  aber  beim  Tönen 
der  0-W-Linie.  Die  Schroffheit  und  Heftigkeit 
des  Wetterumschlages  ist  proportional  der  Stärke 
des  Tönens,  wieder  einsetzendes  Tönen  der  Drähte 
deutet  auf  weitere  Verschärfung  des  eingetretenen 
Wetterzustandes,  andernfalls  nach  Eintritt  des- 
selben völlige  Beruhigung  der  Drähte.  Tietgen 
erklärt    die    das    Tönen    verursachenden    Schwin- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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gungen  der  Drähte  magnetischer  Natur, 
denn  er  hatte  bei  den  Beobachtungen  stets  die 
Empfindung,  als  „ob  die  Drähte  von  mag- 
netischen Kraftl  inien  geschnitten  wür- 
den oder  magnetische  Kraftlinien 
schneiden,  wenn  sie  tönen".  Letzteres 
könnte  der  Fall  sein  infolge  der  Erdbewegung, 
und  die  magnetischen  Vorgänge  wären  kosmischer 
Natur.  Dr.  Bl. 

Verdunstung  auf  dem  Meere. 

Unter  diesem  Titel  erschien  kürzlich  eine  Ar- 
beit von  Dr.  G.  Wüst  in  den  „Veröüfentlichungen 
des  Instituts  für  IVIeereskunde  an  der  Univ.  Berlin. 
N.  F.  A.  Geogr.  naturw.  Reihe  Heft  6,  mit  1 1  Fig.' 
im  Text,  Berlin  1920",  welche  die  Versuche  zur 
direkten  Bestimmung  der  Verdunstung  auf  dem 
Ozean  zusammenfaßt  und  dabei  besonders  das 
Beobachtungsmaterial  verwertet,  daß  auf  deutschen 
Schiffen  von  191 1  bis  19 13  gesammelt  worden 
ist.  Als  Verdunstungsgefäß  dienten,  wie  bei  den 
bekannten  Lütgensschen  Messungen,  zylindrisch 
geformte  Glasgefäße,  die  ein  Volumen  von 
2,4  cdm  besaßen  und  möglichst  gleichmäßig  bei 
allen  Beobachtungsreihen  montiert  worden  waren. 
Die  Analyse  der  Wasserproben,  wobei  die  Ver- 
dunstungshöhe aus  der  Salzgehaltszunahme  er- 
mittelt wurde,  geschah  allerdings  oft  erst  mehrere 
Jahre  nach  der  Ermittlung  im  Laboratorium,  doch 
war  Vorsorge  getroffen,  daß  eine  Änderung  im 
Salzgehalt  zwischen  Entnahme  und  Titrierung  in- 
zwischen nicht  eintreten  konnte. 

Als  weitaus  wichtigste  Energiequelle  für  die 
Entstehung  der  Verdunstung  stellt  sich  die  Strah- 
lung heraus,  an  zweiter  Stelle  ist  die  Geschwindig- 
des  Windes  zu  nennen.  Bei  50  km/Stunde  erwies 
sich  die  Verdunstung  im  Durchschnitt  6  mal 
größer  als  bei  Windstille,  und  schon  bei  10  km- 
Stunde  doppelt  so  groß.  Damit  steht  im  engsten 
Zusammenhang  das  Ergebnis  eigener  Studien,  die 
W.  in  der  Ostsee  durchführte,  daß  nämlich  die 
Verdunstungsgröße  an  der  IMeeresoberfläche  eine 
im  ganzen  um  44  "/o  geringere  Verdunstung 
zeigen  würde,  als  an  Bordhöhe,  obwohl  der  Unter- 
schied im  Durchschnitt  nur  6  m  betrug.  Die 
Windgeschwindigkeit  nimmt  nämlich  in  geringer 
Höhe  über  dem  Horizont  schon  sehr  schnell  zu. 
Sehr  sorgfältig  werden  von  dem  Verf  der  Einfluß 
der  Lufttemperatur,  des  Luftdrucks,  des  Salzgehalts, 
der  Luftbewegung,  endlich  der  Größe  und  der 
Aufstellung  des  Gefäßes  erwogen,  so  daß  er  glaubt, 
instand  gesetzt  zu  sein,  aus  den  Ergebnissen  der 
Messungen  im  Beobachtungsgefäß  auf  die  Ver- 
dunstung über  dem  freien  Meer  schließen  zu 
können,  ein  Resultat,  das  bekanntlich  bei  Messun- 
gen der  Verdunstungsgröße  auf  dem  Festland 
noch  lange  nicht  erreicht  ist. 

Während  W.  Schmidt  zu  einer  mittleren 
tatsächlichen  Verdunstung  des  Weltmeeres  von 
2,07  mm;24'^  oder  76  cm/Jahr  gelangte,  wobei  er 
in  der  Hauptsache  sich  auf  die  bekannten  Ergeb- 


nisse der  Lütgensschen  Beobachtungen  stützte, 
ergibt  sich  aus  den  Wüst  sehen  Berechnungen 
eine  mittlere  Verdunstung  von  2,24  mm/24i'  oder 
82  cm/Jahr,  also  ein  etwas  höherer  Betrag,  wobei 
die  Fehlergrenze  etwa  +  12  %  beträgt.  Für  die 
Kalmen  erhielt  W.  nur  fast  45  "/^  höhere  Werte 
als  Schmidt,  während  in  den  Passaten  nahezu 
Übereinstimmung  besteht;  in  den  Nordbreiten 
findet  er  höhere  Werte  als  für  die  entsprechenden 
Zonen  der  Südhalbkugel,  während  die  Auffassung 
von  Schmidt  das  Gegenteil  ergab.  Die  zonalen 
Unterschiede  der  Verdunstung  sind  im  Weltmeer 
schwächer  ausgeprägt  als  im  Atlantischen  Ozean. 
Dennoch  ist  wegen  des  verhältnismäßig  großen 
Anteils  der  .  verdunstungsarmen  Polarmeere  der 
Mittelwert  für  den  Atlantischen  Ozean  (2,18  mm/ 
24'')  kleiner  als  für  das  ganze  Weltmeer.  Die 
Maxima  der  Verdunstung  im  Weltmeer  liegen 
zwischen  20 — 10"  n.  Br.  und  10 — 20"  s.  Br.,  die 
Minima  natürlich  in  den  Polargebieten,  sie  er- 
scheinen gegen  die  Maxima  des  Salzgehalts  um 
10 — 15"  Breite  gegeneinander  verschoben,  jeden- 
falls eine  Folge  des  Einflusses  der  Niederschläge. 
Da  wir  über  seine  absoluten  Beträge  noch  immer 
sehr  mangelhaft  unterrichtet  sind,  verzichtet  W. 
darauf,  auf  seine  Verdunstungsergebnisse  die  Bilanz 
des  Wasserhaushaltes  auf  der  Erde  aufs  neue  zu 
ziehen,  sondern  verschiebt  sie  auf  die  Zeit,  bis  wir 
über  die  Niederschlagsverhältnisse  auf  dem  Ozean 
genauer  unterrichtet  sein  werden. 

Halbfaß. 


Die  Löß-  und  Schwarzerdeböden  Rheinhessens. 

Kürzlich  hat  Victor  Hohenstein  in  den 
Mitt.  d.  Oberrhein.  Geol.  Vereins  N.  F.  Bd.  IX,  1920, 
über  dieses  Thema  Untersuchungen  veröffentlicht. 

In  regionalen  bodenkundlichen  Arbeiten  ist  es 
zweckmäßig,  der  Beschreibung  der  Böden  eine 
kurze  Charakteristik  des  geologischen  Aufbaues, 
der  Morphologie,  des  Klimas,  der  Flora  und  der 
Anbauverhältnisse  des  betreffenden  Gebietes  voran- 
gehen zu  lassen. 

Am  geologischen  Aufbau  Rheinhessens 
beteiligt  sich  hauptsächlich  das  Tertiär,  das  Dilu- 
vium und  das  Alluvium,  im  SW  und  W  als 
Liegendes  auch  noch  das  Rotliegende.  Das  Dilu- 
vium setzt  sich  aus  Schottern  und  Sanden,  sowie 
vor  allem  aus  Löß  zusammen,  welcher  eine  bis 
mehrere  Meter  mächtige  Decke  auf  den  Hoch- 
flächen und  besonders  an  den  Abhängen  (10 — 20  m 
gegen  das  Rheintal)  bildet  und  damit  zur  hohen 
Fruchtbarkeit  und  intensiven  Nutzung  des  rhein- 
hessischen Bodens  wesentlich  beiträgt. 

In  engem  Zusammenhang  mit  dem  geologi- 
schen Aufbau  steht  der  Landschaftscharak- 
ter. In  mehreren  Stufen  steigt  das  rheinhessische 
Plateau  zu  einer  größtenteils  über  200  m  über 
NN  liegenden  welligen  Hochfläche  an,  die  im  SW 
häufig  Höhen  von  300  m  über  NN  erreicht. 

Das  Klima  Rheinhessens  ist  günstig.  Die 
Niederschlagshöhe     beträgt    450—500   mm,    die 


i 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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mittlere  Jahrestemperatur  9 — 10"  C.  Rheinhessen 
gehört  somit  zu  den  trockensten  und  wärmsten 
Gebieten  Deutschlands. 

Die  Anbauverhältnisse  Rheinhessens 
stehen  ganz  im  Zeichen  einer  intensiven  Kultur. 
Auf  den  Ackerbau  entfallen  75  %.  Hauptbrot- 
frucht ist  Roggen,  Weizen  tritt  zurück.  Mangels 
an  Wiesen  und  Weiden  wird  viel  Luzerne  und 
Esparsette  angebaut.  Wein  nimmt  10  "/o  '^^'^ 
landwirtschaftlich  genutzten  Fläche  ein.  In  be- 
sonderer Blüte  und  Pflege  steht  der  Obstbau; 
riesige  Walnußbäume  sind  nicht  selten.  Die 
Dörfer  und  Landstraßen  tragen  reichlichen  Baum- 
schmuck. Wald  ist  von  Natur  her  sehr  spärlich 
vertreten.  In  der  rheinhessischen  Flora,  beson- 
ders aber  in  der  Sandflora  von  Mainz  sind  charak- 
teristische weitverbreitete  Typen  der  osteuropäisch- 
asiatischen Steppengebiete  vertreten,  wie  Adonis 
vernalis,  Gypsophila  fastigiata,  Stipa  capillata  und 
pennata  usw. 

Die  Unterlage  der  rheinhessischen  Löß-  und 
Schwarzerdeböden  bildet  der  Löß,  welcher  wie 
anderwärts  charakteristisch  als  gelber  bis  gelb- 
brauner kalkhaltiger  Staubsand  ausgebildet  ist  und 
durch  sein  außerordentlich  feines  gleichmäßiges 
staubartiges  Korn  ausgezeichnet  ist.  Der  Gehalt 
an  Feinboden  (unter  2  mm)  beträgt  im  Mittel 
98 — 99  "/q.  Auf  den  Staub  (0,05 — 0,01  mm)  allein 
entfallen  etwa  50  "/„.  Der  Kalkgehalt  beträgt  im 
Mittel  13  "/o;  8— 9  "/j  sind  seltene  Ausnahmen, 
doch  kann  er  auch  auf  18  "jg  ansteigen.  Die 
Wasseraufnahmefähigkeit  erreicht  im  Maximum 
48  Vol.-7o. 

Die  Lößböden  nehmen  in  Rheinhessen  weite 
Gebiete  ein  und  sind  durch  hervorragend  günstige 
physikalische  Eigenschaften  ausgezeich- 
net: feinkörnig,  lehmig,  schwach  humos,  licht- 
braun, warm,  wegen  des  Kalkgehaltes  gut  krümelig, 
deshalb  sehr  leicht  bearbeitbar  und  nicht  ver- 
krustend. Die  Wasserfassung  ist  groß,  so  daß 
die  Lößböden  einerseits  reichliche  Wassermengen 
aufspeichern  können,  andererseits  auch  wieder 
dieselben  bei  langanhaltenden  Trockenperioden 
an  die  Vegetation  abgeben  können,  was  bei  der 
geringen  Niederschlagshöhe  von  besonderer  Be- 
deutung ist.  Die  Absorptionskraft  für  Nährstoffe 
ist  eine  gute.  Nicht  so  günstig  sind  wie  bei 
allen  Lößböden  die  chemischen  Eigen- 
schaften, die  indessen  hier  noch  verhältnis- 
mäßig gute  sind,  da  infolge  der  geringen  Nieder- 
schlagshöhe die  Auswaschung  sehr  gering  ist. 
Der  beste  Maßstab  dafür  ist  der  hohe  Kalkgehalt, 
der  im  Mittel  5  %  beträgt. 

Die  rheinhessische  Schwarzerde  ist  eine 
dem  russischen  Tschernosem  entsprechende  klima- 
tische Bodenart  von  50 — 60  cm  Mächtigkeit  und 
schwarzbrauner  Farbe,  welche  nach  unten  allmäh- 
lich in  einen  dunkelbraun  bis  hellbraun  ge- 
sprenkelten Horizont  und  schließlich  in  den  Löß 
übergeht.  Sie  ist  in  einem  nacheiszeitlichen, 
trockenen  steppenartigen  Klima  bei  fortgesetzter 
Anreicherung   von   chemisch  ausgefälltem  Humus 


aus  den  langsam  verwesenden  Resten  einer  üppi- 
gen und  gut  bewurzelten  Gras-  und  Kräuter- 
vegetation hervorgegangen.  Ihre  Eigenschaften 
sind  ganz  hervorragende,  vielleicht  noch  etwas 
besser  als  jene  der  Lößböden:  schwarzbraun,  gut 
krümelig,  tiefgründig,  leicht  bearbeitbar,  kalkhaltig, 
sehr  warm  und  nährstoffreich.  Die  Schwarzerde 
besteht  aus  reichlichen  Wurmkrümeln,  ebenso 
reichen  senkrechte  Regenwurmgänge  bis  2  m 
Tiefe.  Nicht  selten  kommen  in  der  Schwarzerde 
wie  auch  in  dem  dicht  anschließenden  Löß  runde 
oder  ovale  Tierlöcher  von  Wühlern,  vor  allem 
dem  Hamster  vor,  welche  mit  Schwarzerde  oder 
Lößmaterial  oder  beidem  gemischt  angefüllt   sind. 

Unter  der  normalen  Oberflächenschwarzerde 
ist  in  der  ausgedehnten  Lehmgrube  der  Dampf- 
ziegelei von  Herrn  Gebrüder  Schnell  am  Bahn- 
hof in  Sprendlingen  dem  etwa  8 — 10  m  mächtigen 
Löß  ein  30 — 100  cm  mächtiger  Horizont  von  „be- 
grabener Schwarzerde"  in  4  m  Tiefe  eingelagert. 
Diese  begrabene  Schwarzerde  zeigt  weitgehende 
Übereinstimmung  mit  der  Oberflächenschwarzerde. 
Auch  hier  sind  Hamsterlöcher,  Regenwurmgänge 
und  -krümel  häufig,  woraus  hervorgeht,  daß  die 
begrabenen  Schwarzerdeböden  dereinst  echte 
Oberflächenböden  waren  und  von  Löß  wieder 
eingedeckt  wurden.  Ähnliche  Böden  hat  Verf.  in 
der  Provinz  Sachsen  nachgewiesen,  außerdem 
kommen  sie  in  Rußland  und  Kanada  vor. 

Die  rheinhessische  Schwarzerde  bildet  sich 
unter  der  augenblicklichen  landwirtschaftlichen 
Betriebsweise  nicht  mehr.  Sie  ist  als  Reliktboden 
eines  trockenen  kontinentalen  Steppenklimas  auf- 
zufassen, das  an  der  Wende  vom  Diluvium  zum 
Alluvium  geherrscht  hat.  Die  rheinhessische 
Schwarzerde   bedeckt   eine  Fläche   von  200  qkm. 

Auf  Grund  der  agrogeologischen  Untersuchun- 
gen muß  angenommen  werden,  daß  die  rhein- 
hessischen Löß-  und  Schwarzerdeböden  von 
Natur  waldfrei  waren.  Es  sind  vortreffliche  Acker- 
böden, die  sich  durch  leichte  Bearbeitbarkeit  und 
große  Fruchtbarkeit  auszeichnen;  auf  ihnen  ge- 
deihen alle  Feldfrüchte  gut.  Roggen,  Gerste  und 
Luzerne  werden  besonders  häufig  angebaut. 

V.  Hohenstein,  Halle. 


Die  Endmoräiieu  der  Hauptvereisung 

zwischen  Teutoburger  Wald  und  Klieiuischem 

Schiefergebirge 

behandelt  R.  Bärtling  in  einer  interessanten 
Arbeit,  welche  in  der  Zeitschr.  d.  Deutschen 
Geolog.  Ges.,  Monatsber.  Nr.  i — 3,  72.  Bd.  1920, 
erschienen  ist. 

Den  langwierigen  Untersuchungen  zahlreicher 
Geologen  der  Preuß.  Geol.  Landesanstalt  ist  es 
gelungen,  den  Verlauf  der  Endmoränen  im  Rand- 
gebiete des  größten  Eisvorstoßes  auch  für  Rhein- 
land und  Westfalen  festzustellen.  Während  sie 
auf  der  linken  Rheinseite  bei  verhältnismäßig 
flachem  Gelände  als  große,  das  ganze  Landschafts- 
bild beherrschende  Bergzüge   erscheinen,   sind  sie 


6o 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


dagegen  im  Hügellande  rechts  des  Rheines  zu 
mehr  oder  weniger  undeutlichen  Resten  aufgelöst, 
deren  Zusammenhang  durch  die  Bergzüge  des 
alten  Gebirges,  sowie  durch  die  starke  Löß- 
bedeckung verschleiert  wird. 

Auf  der  linken  Rheinseite  endigt  der  süd- 
lichste Endmoränenzug  in  der  Gegend  von 
Krefeld.  Von  da  ab  fehlt  jede  Spur,  da  der 
Rhein  die  Reste  zerstört  oder  überschüttet  hat. 
Erst  wieder  im  Gebiete  der  Saarner  Mark  auf  der 
rechten  Rheinseite  konnten  sie  unter  den  Ablage- 
rungen der  Rheinniederterrasse  als  mächtige  lokale 
Blockpackung  festgestellt  werden,  deren  Untergrund 
(,, Flözleeres")  deutliche  Glazialschrammen  zeigte. 
Ihre  Fortsetzung  finden  diese  Endmoränen  der 
Ruhr  entlang  in  dem  großen  die  Stadt  Essen  in 
weitem  Umkreis  umziehenden  Essener  End- 
moränenbogen.  Daran  reiht  sich  der  um  die 
Stadt  Bochum  verlaufende  Bochumer  End- 
moränenbogen,  der  hauptsächlich  aus  sehr 
mächtigen,  vorwiegend  feinsandigen  Ausschüt- 
tungen besteht.  Nach  einer  Unterbrechung  durch 
Karbon-  und  Kreidehöhen  folgen  ostwärts  bei 
Dorstfeld  mächtige  Blockpackungen.  Der  an- 
stoßende Dortmunder  Bogen  erstreckt  sich 
über  die  Stadt  Horde  bis  östlich  von  Holzwickede. 
In  der  Hörder  Endmoräne  überwiegt  ein- 
heimisches Karbon,  in  der  Holzwickeder 
Endmoräne  hauptsächlich  Oberer  Turonmergel. 
Stark  nach  Süden  ausbiegend  folgt  nun  in  einem 
sehr  flachen  Bogen  die  Unnaer  Endmoräne. 
Unsere  Kenntnisse  \on  der  weiteren  östlichen 
F'ortsetzung  sind  sehr  dürftig.  Aus  dem  Vor- 
kommen der  Grundmoräne  südlich  der  Städte 
Soest,  Lippstadt  und  Paderborn,  sowie  der  dünnen 
Bestreuung  mit  vereinzelten  nordischen  Blöcken, 
die  bis  auf  die  Höhe  des  Haarstrangs  hinauf- 
gehen, wissen  wir,  daß  die  Endmoräne  in  der 
Nähe  der  Kammlinie  des  Haarstrangs  gelegen 
haben  muß,  daß  aber  der  Kamm  wahrscheinlich 
frei  vom  Eise  blieb,  wie  man  dies  wohl  auch 
vom  südlichsten  höchsten  Teile  des  Teutoburger 
Waldes  annehmen  muß. 

Im  Hinterlande  dieser  Endmoränen  liegen 
weit  ausgedehnte  eintönige  Grundmoränen,  die 
erst  wieder  durch  die  erste  Rückzugsstaft'el  in  der 
Gegend  von  Münster  eine  Unterbrechung  er- 
fahren. Hier  verläuft  der  große  Endmoränen - 
bogen  von  Münster,  an  den  sich  nach 
Norden  bis  in  die  Gegend  von  Rheine  der 
Neuenkirchener  Bogen  anschließt,  dann  die 
Emsbürener  Endmoräne  und  die  Lohner 
Berge,  während  nach  Süden  der  Beckumer 
Endmoränenbogen  sich  hinzieht.  In  der 
Münsterschen  Endmoräne  fehlen  Blockpackungen 
fast  ganz.  Ihre  Oberflächenformen  sind  wenig 
frisch  und  überaus  verwischt,  so  daß  man  an- 
nehmen muß,  daß  hier  eine  Gleichgewichtslage 
zwischen  Nachschub  und  Zurückschmelzen  des 
Eisrandes  bestand.  Der  Rückzug  vollzog  sich 
ungleichmäßig  und  zwar  im  westlichen  Teile  von 
West  nach  Ost  schneller  (90  km)  als  gleichzeitig 


im  östlichen  Teile  von  Süd  nach  Nord  (25  km). 
Vermutlich  ist  hier  der  Einfluß  der  See  oder  gar 
des  Golfstromes  bemerkbar,  wie  das  auch  bei 
später  gebildeten  Endmoränen,  wie  der  schleswig- 
holsteinischen, der  Fall  ist. 

Beim  weiteren  Zurückschmelzen  des  Eises 
kam  es  in  Westfalen  nochmals  zur  Aufschüttung 
einer  bedeutenden  Endmoräne  zwischen  den  süd- 
lichsten Kuppen  und  Kämmen  des  Teutoburger 
Waldes.  Sie  ist  vor  allem  bei  Lengerich,  Lienen, 
Iburg,  Hilter  und  Borgholzhausen  beobachtet. 
Der  Eisrand  fiel  lange  mit  den  südlichsten 
Kämmen  des  Teutoburger  Waldes  zusammen,  so 
daß  nördlich  des  Gebirges  die  Grundmoränen, 
südlich  der  Kammlinie  dagegen  glaziale  Sande 
{Schmelzwasserabsätze)  vorherrschen,  die  sich  in 
fast  allen  Schluchten  bis  nahe  an  die  Kammlinie 
hinaufziehen.  Auffallend  ist  dieser  Gegensatz  im 
Landschaftsbild:  auf  der  Nordseite  fruchtbare 
Grundmoränenflächen,  auf  der  Südseite  dagegen 
eintönige   Heidesandflächen. 

Für  die  Art  der  Ausbildung  der  End- 
moränen war  der  Einfluß  des  Untergrundes 
und  der  Gebirge  von  ganz  besonderer  Be- 
deutung. In  Holland  herrscht  der  Typ  der  Stau- 
moränen vor,  welche  in  Westfalen  fehlen  und 
hier  durch  Sandaufschüttungen  und  Blockpack- 
ungen vertreten  werden.  Nach  Ansicht  von 
Bärtling  hat  das  Eis  den  Teutoburger  Wald 
beim  ersten  Vorstoß  größtenteils  überschritten, 
während  es  sich  dem  Gebirgsrand  des  Rheinischen 
Schiefergebirges  und  des  Haarstrangs  anpassen 
mußte.  Der  Einfluß  des  Teutoburger  Waldes  mit 
seinen  geschlossenen  quer  zur  Stromrichtung  des 
Eises  verlaufenden  Kämmen  zeigt  sich  besonders 
in  der  Ausbildung  der  südlichsten  Endmoräne  auf 
der  rechten  Rheinseite,  während  links  des  Rheines 
und  vor  allem  in  Holland,  wo  keine  derartigen 
Hindernisse  bestanden,  größere  und  geschlossene 
Endmoränen  zur  Ausbildung  gelangten.  Wo  das 
Inlandeis  ungehindert  vordringen  konnte,  waren 
die  Wirkungen  wesentlich  größer  als  dort,  wo 
ein  geschwächtes  Eis  im  Lee  oder  wie  Bärtling 
es  treffend  nennt,  im  „Eisschatten"  des  Teuto- 
burger Waldes  erst  noch  die  Höhen  des  Haar- 
strangs und  der  Grafschaft  Mark  hinaufsteigen 
mußte.  Je  höher  die  vorgelagerten  Kämme, 
desto  geringer  die  Ausbildung  der  südlichen  End- 
moräne. Aber  auch  bei  der  Münsterschen  End- 
moräne zeigt  sich  ein  ähnliches  Bild,  indem  ihre 
Fortsetzungen  in  den  Lohner  Bergen  bedeutender 
sind,    als  die  Sandrücken  im  Innern  des  Beckens. 

Die  Wirkungen  des  Eises  und  vor  allem 
seiner  Schmelzwässer  auf  den  Untergrund 
beobachtete  Bärtling  im  Gebiete  zwischen 
Rhein  und  Dortmund.  Das  untere  Ruhrtal  be- 
stand damals  ebensowenig  wie  das  Rheintal.  Vor 
dem  Herannahen  des  Eises  verlief  das  Ruhrtal 
von  der  Quelle  bis  Witten  wie  heute;  bei  Witten 
aber  brach  die  Ruhr  nach  Norden  durch  und 
schüttete  mächtige  Flußschotter  auf  den  flachen 
Kreidehöhen    des    Gebirgsvorlandes    im    Gebiete 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


6i 


zwischen  Witten,  Kastrop,  Herne  und  Essen  auf. 
Sie  sind  erheblich  älter  als  das  Eis,  welches  50  m 
tief  in  diese  Geröllablagerungen  eingeschnittene 
Täler  vorfand.  Die  Ausräumung  dieser  Täler  hat 
entweder  während  der  ersten  Eiszeit  oder  in  der 
ersten  Interglazialzeit  stattgefunden.  Hernach 
sind  die  Täler  wie  die  Höhen  mit  den  Grund- 
moränen des  vordringenden  Inlandeises  bedeckt 
worden.  Das  Eis  hat  wenig  umgestaltend  ge- 
wirkt, dagegen  um  so  mehr  die  vor  dem  Eis- 
rande verlaufenden  Schmelzwässer.  Die  außer- 
ordentlich tiefe  Lage  von  Eisrandbildungen  je  im 
einspringenden  Winkel  zweier  Endmoränenbögen 
ist  auf  die  Erosionswirkung  gewaltiger 
Wasserfälle  vor  dem  Eisrand  zurückzuführen, 
welche  durch  Zusammenströmen  der  auf  der 
Oberfläche  des  Eises  verlaufenden  Schmelzwasser- 
flüsse in  der  Senke  zwischen  zwei  Zügen  des 
Eisrandes  entstanden  sind.  Ähnliche  auskolkende 
Wirkungen  der  Schmelzwässer  auf  den  Unter- 
grund wurden  auch  bei  der  Münsterländischen  End- 
moräne festgestellt,  wo  sie  indessen  nicht  auf  den 
einspringenden  Winkel  beschränkt  sind,  sondern 
der  Endmoräne  über  weite  Bogenstücke  folgen. 
Bei  der  nördlicher  liegenden  Endmoräne  des 
Teutoburger  Waldes  sind  solche  Wirkungen  noch 
nicht  beobachtet,  da  hier  so  tiefgehende  Auf- 
schlüsse fehlen.  Diese  gewaltigen  Wirkun- 
gen der  Schmelzwässer  sind  nicht  zu  unter- 
schätzen; sie  machen  sich  ohne  Unterschied  der 
Härte  des  Untergrundes  bemerkbar.  Bei  Kupfer- 
dreh schufen  sie  Höhenunterschiede  von  80  m, 
ebenso  bei  Langendreer,  wo  die  Auskolkung  bis 
13  m  unter  den  heutigen  Ruhrspiegel  hinabgeht. 
Ohne  die  tiefgehenden  Schächte  wären  diese  Fest- 
stellungen nicht  möglich  gewesen.  Sie  zwingen 
uns,  vor  weitgehenden  Schlüssen  aus  der  Lage 
der  Endmoränen  zu  den  Talterrassen  zu  warnen, 
denn  die  Höhenlage  der  Endmoränen  ermöglicht 
keinerlei  Schlüsse  auf  ihre  Beziehungen  zu  den 
Talterrassen.  Während  im  Oberlaufe  der  Ruhr 
die  Terrassen  stufenweise  in  das  anstehende  Ge- 
stein eingeschnitten    sind,    haben    sie    sich  weiter 


unten  in  die  Endmoränenmassen  der  Auskolke 
eingeschnitten,  so  daß  bei  Altendorf  oberhalb  von 
Steele  Grundmoränen  unter  der  untersten  Ruhr- 
terrasse festgestellt  werden  konnten.  Die  Moränen 
sind  älter  als  die  3  Terrassen  oder  wenigstens 
gleichaltrig  mit  einer  zur  Hauptterrassenzeit  zeit- 
weilig stark  zurückgestauten  Ruhr. 

Die  Eismächtigkeit  rechnet  Bärtling 
zur  Zeit  des  größten  Eisvorstoßes  bei  Münster  auf 
fast  500  m,  da  der  Eisrand  am  Haarstrang  bis  in 
Höhen  von  über  200  m  hinaufstieg  und  man  in 
den  randlichen  Gebieten  des  Inlandeises  wenig- 
stens 5  "0  Gefälle  für  eine  Bewegung  des  Eises 
annehmen  muß. 

Da  der  Abfluß  der  Schmelzwasser  in  nörd- 
licher oder  nordwestlicher  Richtung  versperrt 
war,  so  entstanden  vielfach  Stauseen,  deren 
Abflüsse  auf  die  heutigen  Täler,  so  z.  B.  der 
Ruhr,  umgestaltend  gewirkt  haben.  Das  Hell- 
weger  Tal,  das  sich  am  ganzen  Nordrand  des 
Haarstrangs  bis  in  die  Gegend  von  Paderborn 
verfolgen  läßt  und  sich  östlich  von  Soest  mit 
dem  Lippetal  vereinigte,  stellt  wahrscheinlich  den 
Abfluß  des  großen  Sennestausees  dar.  Die 
Lippe  führte  die  Schmelzwasser  aus  der  Gegend 
von  Detmold,  Mastholte  und  Beckum  ab,  während 
die  Stever  jene  des  Münsterschen  Endmoränen- 
bogens  sammelte.  Nachdem  die  Münstersche 
Tiefebene  frei  geworden  war,  sammelte  die  Ems 
die  vom  Teutoburger  Walde  kommenden  Schmelz- 
wassermassen und  führte  sie  nach  Nordwesten 
ab.  Die  Talsysteme  der  Lippe,  Stever  und  Ems 
stehen  somit  im  Zusammenhang  mit  je  einer  ein- 
zigen Rückzugsphase  des  Inlandeises,  woraus  sich 
die  Tatsache  erklärt,  daß  diese  Täler  über  dem 
heutigen  Talboden  nur  die  eine  von  den  glazialen 
Schmelzwassermassen  aufgeschüttete  Talterrasse 
besitzen.  Die  interessanten,  z.  T.  recht  schwie- 
rigen Untersuchungen  von  Bärtling  haben  die 
Glazialgeologie  Nordwestdeutschlands  um  ein  be- 
trächtliches Stück  vorwärts  gebracht. 

V.  Hohenstein,  Halle. 


Bücherbesprechungen. 


Robien,  Paul,    Die  Vogelwelt  des  Bezirks 
Stettin.       112    Seiten,     Stettin    1920,     Leon 
Sauniers  Buchhandlung. 
Unter  „Bezirk  Stettin"  versteht  der  Verf.  nicht 
den  gleichnamigen  Regierungsbezirk,    sondern  ein 
Gebiet,  das  im  Süden  die  Kreise  Randow,  Gräfen- 
hagen  und  Pyritz,  im  Osten  Saatzig,  Regenwalde, 
Naugard    und    Kammin,    im  Westen  Ückermünde 
und  im  Norden  das  Gebiet  von  Swinemünde   bis 
zur  Regamündung  umfaßt.      Innerhalb   dieses  Be- 
zirks   wurden    von    Robien    durch    eigene    Be- 
obachtung   rund    200    Vogelarten,    darunter    127 
Brutvögel,  festgestellt.      Das  Blaukehlchen   ist  er- 
freulicherweise im  Bezirk  Stettin  nicht  selten,  der 


Ortolan,  wie  in  anderen  Gegenden  Norddeutsch- 
lands, in  Zunahme  begriffen.  Bemerkenswert  ist 
das  Vorkommen  des  Heuschreckensängers  sowie 
der  Gebirgsbachstelze,  die  ursprünglich  dem  Flach- 
lande fehlte.  1913  hat  der  Erlenzeisig  in  den 
Grabower  Anlagen  gebrütet.  Die  Wiesenweihe 
nistet  nur  westlich  von  Waldowshof  Brutplätze 
der  Sumpfohreule  liegen  in  den  Kreisen  Pyritz 
und  Greifenhagen.  Der  Wespenbussard  soll  in 
der  Ückermünder  Heide  brüten.  Der  Kolkrabe 
dürfte  im  Osten  des  Gebiets  noch  einige  Horste 
bewohnen;  das  gelegentliche  Brüten  der  Raben- 
krähe wird  vom  Verf.  nicht  für  unmöglich  ge- 
halten.   Schwarzstorch  und  Kranich  sind  in  letzter 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Zeit  nicht  mehr  mit  Sicherheit  als  Brutvögel 
nachgewiesen  worden.  An  vielen  Stellen  seiner 
Schrift  tritt  R  o  b  i  e  n  warm  für  die  Idee  des  Natur- 
schutzes ein  und  wendet  sich  energisch  gegen 
das  unverantwortliche  Treiben  von  Schießern  und 
Eierräubern.  Von  dem  Erlaß  eines  radikalen 
Schießverbots  verspricht  er  sich  guten  Erfolg  für 
den  Schutz  der  einheimischen  Vogelwelt.  Den 
durch  eine  derartige  Maßnahme  bedingten  Aus- 
fall an  Fleisch  empfiehlt  er  durch  eine  groß- 
zügige Zucht  von  Tauben,  Hühnern,  Gänsen  und 
Enten  auszugleichen.  Da  die  Schrift  in  erster 
Linie  für  Vogelfreunde  bestimmt  ist,  hat  der  Verf 
auf  die  Unterscheidung  der  Subspezies  und  die 
Hinzufügung  von  Autorennamen  verzichtet.  Daß 
der  Verf.  im  Gegensatz  zu  führenden  Ornithologen 
die  Verwendung  von  Doppelnamen  (z.  B.  Cocco- 
thraustes  coccothraustes)  ohne  stichhaltigen  Grund 
prinzipiell  ablehnt,  vermag  der  Referent  nicht  zu 
billigen.  F.  Fax  (Breslau). 


Verworn,  Max,    Die  Anfänge    der   Kunst. 

2.  Aufl.   75  S.    31  Abb.  u.  3  Tafeln.    Jena  1920, 

Gustav  Fischer. 
Das  Buch  führt  uns  in  mustergültig  einfacher 
Weise  das  allmähliche  Werden  der  künstlerischen 
Ausdrucksfähigkeit  des  Menschen  vor,  von  den 
leisesten  Symptomen  an  Feuersteinfunden  des 
ältesten  Diluviums  bis  zu  den  „physioplastischen", 
ohne  jede  Ideenbildung  wiedergegebenen  Jagd- 
tieren der  Höhlenbilder  und  Beinschnitzereien  des 
mittleren  Paläolithikums.  Der  Text  ist  ergänzt 
mit  lehrreichen  Abbildungen.  Auch  prinzipiell 
ist  dem  Verfasser  seine  Auffassung  zuzugeben, 
daß  der  Naturalismus  gerade  dieser  ältesten  Figuren- 
darstellungen ein  Ergebnis  des  noch  ideenlosen 
Seelenlebens  ihrer  Verfertiger  ist.  Die  darauf 
folgende,  aus  der  nunmehr  erst  entwickelten  Ein- 
bildungskraft entstehende  „ideoplastische"  Kunst, 
die  nicht  mehr  direkt  an  das  Naturbild  sich  hält, 
sondern  aus  der  Phantasie  schafft,  rechnet  Ver- 
worn nicht  mehr  unter  die  Anfänge  der  Kunst 
und  berücksichtigt  sie  daher  nicht  weiter.  Doch 
weist  er  überzeugend  darauf  hin,  daß  deren  äußer- 
liches Ungeschick  nur  einen  relativen  Rückschritt  • 
gegenüber  der  naturalistischen  Überzeugungskraft 
der  „physioplastischen"  Kunst  bedeutet.  Denn  sie 
hat  dieser  gegenüber  den  Vorzug  eines  unbe- 
grenzten Ideengehaltes.  Da  entsteht  denn  freilich 
sogleich  eine  grundsätzliche  Frage:  Sind  die  An- 
fange dessen,  was  wir  im  eigentlichen  Sinne  Kunst 
nennen  im  Gegensatz  zu  reiner  Technik  und 
naturalistischer  Richtigkeit,  nicht  gerade  erst  da 
zu  suchen,  wo  die  „ideoplastische"  Kunst  beginnt? 
Verworn  schließt  seine  Ausführungen  mit  dem 
Hinweise,  die  Aufgabe  der  Kunst  sei,  Bewußtseins- 
inhalte zum  Ausdruck  zu  bringen.  Wie  aber, 
wenn  man  vielmehr  Gefühlsinhalte  verlangte?  In 
dem  Falle  würden  des  Verfassers  Ausführungen 
weniger  den  Anfängen  der  Kunst  als  ihren  Vor- 
stufen und  Voraussetzungen  gelten.  Rezensent  ist 
dieser  Meinung   und  bedauert   daher,   daß   die  so 


überzeugend  sachlichen  Ausführungen  am  Schluß 
durch  eine  Polemik  gegen  die  ästhetische  Nach- 
barwissenschaft ein  wenig  getrübt  worden  ist. 

K.  Steinacker. 

Winteler,  Dr.  F.,  Die  heutige  industrielle 
Elektrochemie.     Ein  Überblick  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  schweizerischen  Ver- 
hältnisse.    Sonderabdruck  aus  der  Halbmonats- 
schrift    für     das     Gesamtgebiet     der     Technik 
„Technik  und  Wirtschaft"  Jahrg.   1918,  Heft   17 
bis  24.     80  Seiten  in    kl.  8"   mit    2ö  Abbildgn. 
im    Text    und    2  Tafeln.     Zürich   1919,   Verlag 
von  R.  Ascher  &  Co.     Preis  geh.   1,70  Frs. 
In  außerordentlich  klarer  Darstellung  gibt  der 
Verf    eine    Übersicht    über  die   allgemeinen  wirt- 
schaftlichen Grundlagen    der   Elektrochemie,    ihre 
derzeitigen    Leistungen    und    ihre    Entwicklungs- 
möglichkeiten   und    -notwendigkeiten.       Bei    der 
Besprechung  der  heute  praktisch  im  großen  durch- 
geführten Verfahren,    bei    der    die    elektrothermi- 
schen    Prozesse,    die  Schmelzelekttolyse    und    die 
Elektrolyse  der  wässerigen  Lösungen    in   gleicher 
Weise   berücksichtigt  werden,    befleißigt   er   sich 
großer    Kürze    und    bringt     so    dem    Leser    das 
Wesentliche  zur  klaren  Anschauung.     Das  Büch- 
lein verdient  daher,    auch    wenn    es    sich    in   der 
Hauptsache   auf  die   schweizerischen  Verhältnisse 
beschränkt,    doch    das    Interesse    auch    des   deut- 
schen   Publikums   —    des  allgemein  interessierten 
Wissenschafters  wegen  der  Klarheit  der  Darstellung, 
des  Spezialisten  wegen  vieler  wertvoller  Angaben 
über  den  Stand  der  elektrochemischen  Technik  in 
der  Schweiz  — ,  und  es  muß  nur  bedauert  werden, 
daß    der    —    an    sich    durchaus    angemessene   — 
Preis  von   1,70  Frs.    das   Büchlein    den   deutschen 
Interessenten  infolge  des    unglückseligen  Tiefstan- 
des unserer  Valuta  heute  fast  unzugänglich  macht; 
es    ist   dies   ein   weiteres   kleines  Beispiel    für  die 
Schwierigkeiten,    die   den   wissenschaftlich  inter- 
essierten   Deutschen   bei    der   —   in    Wirklichkeit 
unentbehrlichen  —  Benutzung  der  außerdeutschen 
Literatur  entgegenstehen. 

Berlin-Dahlem.  Werner  Mecklenburg. 


Abel,    O.,    Lehrbuch    der    Paläozoologie. 

500  S.,  70oTextabb.    Gustav  Fischer,  Jena  1920. 

Brosch.  40  M. 
Von  dem  überaus  rührigen  Verfasser  liegt 
abermals  ein  umfangreiches,  in  gewohnter  sorg- 
fältiger Weise  illustriertes  Lehrbuch  vor.  Es  be- 
handelt diesmal  auch  die  Wirbellosen  unter  den 
Fossilien.  Freilich  ist  dabei,  um  für  lehrhafte  zu- 
sammenhängende Darstellung  Raum  zu  gewinnen, 
bewußt  nur  ein  kleiner  Bruchteil  von  Einzel- 
erscheinungen der  fossilen  Tierwelt  herausgehoben 
worden  und  mit  gleicher  Absichtlichkeit  die  Aus- 
führlichkeit von  Gruppe  zu  Gruppe  je  nach  dem 
tatsächlichen  wissenschaftlichen  Werte  durchaus 
verschieden  gehandhabt  worden,  Schematismus 
also  in  jeder  Beziehung  vermieden. 

Die  Wahl  des  Ausdrucks  Paläozoologie  anstatt 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


63 


Paläontologie  bedeutet  ein  Programm,  nämlich 
das  Streben  nach  Eingliederung  des  Wissensstoffes 
in  die  biologischen  Fächer,  nach  Unabhängigkeit 
vor  allem  von  allzu  geologisch  betonten  Bedürf- 
nissen. Daß  biologische  Betrachtungen  einen 
größeren  Raum  einnehmen,  ist  bei  der  bekannten 
Arbeitsrichtung  des  Verf.  selbstverständlich  und 
ganz  gewiß  kein  Schaden,  um  so  weniger  als 
gerade  sie  mit  Recht  als  ein  Brückenpfeiler 
zwischen  geologischem  und  paläontologischem 
Ufer  aufgefaßt  werden. 

Dem  speziell  systematischen  Teil  gehen  Kapitel 
allgemein-paläontologischen  Inhalts  voraus.  Bei 
den  sonst  nicht  zu  ausführlich  behandelten  Säuge- 
tieren finden  sich  ebenfalls  wertvolle  Bemerkungen 
allgemeineren  Inhalts  vorausgeschickt. 

Das  Werk  dürfte  neben  anderen  paläontologi- 
schen Lehrbüchern  seinen  Platz  erobern  und  be- 
haupten, insbesondere  weil  es  wirklich  mehr  auf 
Einführung  in  den  Stoff  als  eine  dem  Schüler 
doppelt  fernstehende  vollkommene  Übersicht  über 
den  gesamten  Formenschiatz  abgestellt  ist. 

Hennig. 


Oppenheimer,   C.    und   Wei§,   O. ,    Grundriß 
der   Physiologie  für   Studierende  und 
Ärzte.       I.  Teil.      Oppenheimer,     Biochemie. 
3.  Aufl.     522  S.     Leipzig  1920,  Georg  Thieme. 
22  M. 
Über    dieses   Werk,    das    nach    kaum    Jahres- 
verlauf  eine    neue    Auflage    erlebte,    erübrigt    es 
sich    eigentlich,  ein   Wort    des    Lobes    zu    sagen. 
War  schon  die  vorangehende  Auflage  ein  Kunst- 
werk, so  ist  die  jetzt  vorliegende  neue  Bearbeitung 
noch    um    vieles   verbessert  worden.     So  ist  auch 
das  schwierige  Kapitel   über   den  Zellstoffwechsel 
in    prägnanter    Weise    ausgearbeitet,    und    keine 
wichtigen    Tatsachen   sind   umgangen.     Auch  das 
Kapitel    der   Kolloide   ist    völlig    neu    umgestaltet 
worden.      Es   ist   besonders  erfreulich,    daß  hoher 
Wert  auf  möglichst  klare,  vollständige  Darstellung 
der  modernen  Zellphysiologie    gelegt    ist,    was   in 
manchem  Lehrbuch  oder  Grundriß   vermißt  wird. 
Und  doch  tritt  die  Wichtigkeit  gerade  dieses  Ge- 
bietes immer  mehr  in  den  Vordergrund. 

Auch  die  Pathologie  des  Stoffwechsels  tritt 
diesmal  in  ihr  Recht:  Es  sind  Zusätze  über  Gicht 
und  Diabetes  hinzugekommen,  Ansätze  zu  der 
wichtigen  Umgestaltung  in  der  Pathologie,  in  der 
etwas  weniger  pathologische  Anatomie  aber  desto 
mehr  pathologische  Physiologie  wünschenswert 
ist.  Ebenso  ist  der  praktische  Ausblick,  der  der 
.  Ernährungslehre  angefügt  ist,  eine  wesentliche 
Bereicherung  des  Werkes.  Oppenheimers 
Grundriß  hält  in  trefflicher  Weise  den  Mittelweg 
zwischen  kompendienhafter,  unzureichender  Kürze 
und  ermüdender  Länge  und  ist  daher  für  Studie- 
rende ebenso  wie  für  Gelehrte,  die  mit  dem  Ge- 
biete der  Biochemie  Berührung  haben,  ein  in 
seiner  Art  einzig  dastehendes  Lehrbuch. 

Collier. 


Spitta,  O.,   Grundriß   der  Hygiene.     Berlin 

1920,  Julius  Springer.  36  M. 
Ein  Lehrbuch  der  Hygiene  soll  sich  nicht  nur 
darauf  beschränken,  die  schädigenden  Wirkungen 
der  Außenwelt  auf  den  Menschen  der  Reihe  nach 
aufzuzählen,  sondern  es  soll  den  Leser  den  Zu- 
sammenhang zwischen  Mensch  und  Umwelt 
vor  Augen  führen.  Es  muß  gleichsam  ein  Ge- 
samtbild der  Umwelt  mit  dem  Menschen  in  der 
Mitte  malen  und  zeigen,  wie  im  Wechselspiel 
zwischen  beiden  alles  Geschehen  darauf  hinaus- 
läuft, den  Menschen  als  Individuum  oder  als  Gat- 
tung erstarken  zu  lassen,  teils  durch  Ausschaltung 
ungünstiger  oder  gar  feindlicher  Momente,  teils 
durch  Verstärkung  der  günstigen  und  fördernden. 
Der  Spittasche  Grundriß  erfüllt  nun  diese 
Forderungen  in  vortrefflichem  Maße.  Dies  ist 
vor  allen  Dingen  der  Erfolg  der  Anordnung  des 
Stoffes,  der  nach  physiologischen  Gesichtspunkten 
eingeteilt  ist,  da  Verf.  von  dem  sehr  richtigen 
Grundsatz  ausgeht,  daß  die  Hygiene  zum  größten 
Teil  angewandte  Physiologie  und  Pathologie  ist. 
So  gibt  das  Buch  einen  einheitlichen  Überblick 
über  das  Gesamtgebiet  der  Hygiene.  Die  ange- 
fügten kurzen  Abschnitte  über  die  Untersuchungs- 
methoden werden  besonders  dem  Studierenden 
und  die  Literaturangaben  jedem  angenehm  sein, 
der  sich  in  einzelne  Kapitel  der  Hygiene  aus- 
führlicher vertiefen  will.  Die  Gesetzgebung  ist 
ebenfalls  eingehend  berücksichtigt,  ein  Umstand, 
der  das  Buch  auch  für  solche  Leser  wertvoll 
macht,  die  in  der  sozialen  Fürsorge  beschäftigt 
sind,  zumal  noch  der  klare,  leicht  faßliche  Stil 
dazukommt.  Collier. 


Arndt,  Kurt,  DieBedeutung  derKolloide 

für     die    Technik.       Allgemeinverständlich 

dargestellt.     3.  verb.  Aufl.     53  Seiten  in  kl.  8". 

Dresden  und  Leipzig  1920.    Verlag  von  Theodor 

Steinkopff.     Preis  geheftet  3  M. 

Die  kleine  Schrift,  die  sich  an  weitere  Kreise 

des  naturwissenschaftlich  interessierten  Publikums 

wendet,     gibt    zunächst    einen     ganz    kurz    und 

elementar  gehaltenen  Überblick   über   das  Wesen 

der  Kolloide    und    schildert  dann   an  einer  Reihe 

von    Beispielen     die    praktische    Bedeutung     der 

Kolloidchemie.      Daß    das    Büchlein    jetzt    schon 

in  der  dritten  —  übrigens  wesentlich  verbesserten 

und    sorgfältig    ergänzten     —     Auflage    vorliegt, 

beweist  seine  Brauchbarkeit. 

Berlin-Dahlem.  Werner  Mecklenburg. 


Littrow,    Atlas  des   gestirnten   Himmels 
für  Freunde   der  Astronomie.     Taschen- 
ausgabe.     Mit    einer   Einleitung    von    Prof.  Dr. 
J.    PI  aß  mann.       2.    Auflage.        Berlin    1920, 
F.  Dümmler.     il  M. 
Auf   diese    unveränderte    Auflage   des   bereits 
früher  mehrfach  besprochenen  Büchleins  seien  die 
Freunde  der  Astronomie  hier  nur  hingewiesen. 

Miehe. 


64 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  4 


Mieleitner,   K.,    Die    technisch    wichtigen 
Mineralstoffe,  Übersicht  ihres  Vorkommens 
und  ihrer  Entstehung.    Mit  einem  Vorwort  von 
P.  Groth.     VI  und  195  Seiten  in  8"  und  9  Ab- 
bildungen im  Text.     München  und  Berlin  1919, 
Druck   und  Verlag  von   R.  Oldenbourg.     Preis 
geheftet  15,60  M. 
Das    vorliegende    Buch    gibt    eine    Übersicht 
über  die  für  die  Chemie   und  chemische  Techno- 
logie   wichtigen  Mineralvorkommen.      Es    wendet 
sich  an  alle  die,  die  —  aus  allgemeinen  theoreti- 
schen oder  aus  praktischen  Gründen  —  Interesse 
für  die  genannten  Industrien  haben.     Es  ist  sach- 
gemäß und  sehr  übersichtlich  geschrieben  —  sein 
Verfasser   ist  Kustos  der   mineralogischen  Samm- 
lungen des  Bayerischen  Staates    in  München   und 
hat  an  der  Aufstellung  der  großen  dortigen  topo- 
graphisch geordneten  Sammlung  der  Minerallager- 
stätten   aller    Länder    hervorragenden    Anteil    — 
und  wird  zweifellos  allen  Interessenten  von  großem 
Nutzen   sein.      Wenn   der  Referent  einen  Wunsch 
aussprechen    darf,    so    möchte    er   bitten,    daß    in 
einer    etwa    notwendig   werdenden    zweiten    Auf- 
lage  auch    einige   Zahlenangaben    über    die    wirt- 
schaftliche   Bedeutung    der    einzelnen    Mineralien 
gemacht    werden ;    sie  würden    für  die  Leser   und 
Benutzer  des  Buches  von  großem  Werte  sein. 
Berlin-Dahlem.  Werner  Mecklenburg. 


Classen, Alexander,  Handbuch  der  qualita- 
tiven   chemischen    Analyse   anorgani- 
scher und  organischerVerbindungen. 
7.  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage.     IX  u. 
341  Seiten  in  8".     Stuttgart  1919,  Verlag  von 
Ferdinand  Enke. 
In  dem  vorliegenden  Buche  behandelt  der  be- 
kannte   Aachener    Hochschullehrer    zunächst    die 
wichtigsten     Reaktionen      der     Metallionen     und 
schildert   im  Anschluß  daran   den    systematischen 
Gang,    der    zur  Erkennung    der    einzelnen    Metall- 
ionen   in  Mischungen  dient.     Weiter  bespricht  er 
das    für   den    Analytiker    wichtige  Verhalten    der 
anorganischen    und    eine   größere   Anzahl    organi- 
scher    Säuren     und      —      sehr      ausführlich     — 
das    der    wichtigeren    Alkaloide.       Zum     Schluß 
werden    eine    große    Anzahl    besonders    wichtiger 


organischer  Stoffe  behandelt.  Das  Buch  be- 
schränkt sich  also  nicht,  wie  die  meisten,  für  den 
Gebrauch  der  Studierenden  bestimmten  Lehr- 
bücher der  analytischen  Chemie  auf  die  Stoffe 
der  anorganischen  Chemie,  es  läßt  auch  die  Stoffe 
der  organischen  Chemie  zu  ihrem  Rechte  kommen ; 
daher  hat  es  auch  für  weitere  Kreise  Interesse. 
Für  die  Zuverlässigkeit  der  Angaben  und  die 
Klarheit  der  Darstellung  bürgt  der  Name  des 
Verfassers;  bewiesen  werden  sie  durch  die  Not- 
wendigkeit der  Herausgabe  einer  siebenten  Auflage. 
Berlin- Dahlem.  Werner  Mecklenburg. 


Wolff,  W.,  Die  Entstehung  derlnselSylt. 

2.  Aufl.       Friedrichsen  u.  Co.,    Hamburg  1920. 

48  S.,  II  Tafeln.  Brosch.  6  M. 
Den  zahlreichen  Besuchern  der  Insel  wird  in 
kurzen  Zügen  ein  zuverlässiges  gemeinverständ- 
liches Bild  von  den  geologischen  Vorgängen  ent- 
rollt, an  deren  Ende  der  heutige  Zustand  des 
Eilandes,  seine  Gestalt,  Umgrenzung  und  sein  Bau 
stehen.  Eine  Reihe  guter  Lichtbildwiedergaben 
führen  noch  sicherer  in  das  Verständnis  des  Be- 
handelten ein.  (Daß  die  Entwicklung  des  Menschen- 
geschlechts rückwärts  „bis  in  die  Braunkohlen- 
periode hinauf  reiche,  S.  34,  ist  eine  wohl  kaum 
allgemein  geteilte  Auffassung!). 

Edw.  Hennig. 


Literatur. 

Mosler,  Dr.  H.,  Einführung  in  die  moderne  drahtlose 
Telegraphie  und  ihre  praktische  Verwendung.  Mit  2l8  Text- 
abb.     Braunschweig  '20,  Fr.  Vieweg.     24  M. 

Andree,  Prot.  Dr.  K.,  Geologie  des  Meeresbodens. 
Bd.  II  die  Bodenbeschaffenheit  und  nutzbare  Mineralien  am 
Meeresboden.  Mit  139  Textfig. ,  7  Tafeln  und  I  Karte. 
Leipzig  '20,  Gebr.  Bornträger.     92  M. 

Heiberg,  J.  L.,  Naturwissenschaften,  Mathematik  und 
Medizin  im  klassischen  Altertum.  2.  Aufl.  Leipzig  u.  Berlin  '20, 
B.  G.  Teübner.     2,80  M. 

Binz,  Dr.  A.,  Schal-  und  Exkursionsflora  der  Schweiz. 
Basel  '20,  B.  Schwabe  &  Co.     9  Fr. 

K  ü  k  e  n  t  h  a  1 ,  Prof.  Dr.  W.,  Leitfaden  für  das  zoologische 
Publikum.  8.  Aufl.  Mit  174  Textabb.  |ena '20,  G.Fischer. 
28  M. 

Mez,  Prof.  Dr.  C,  Hagers  „Mikroskop  und  seine  An- 
wendung. 12,  Aufl.  Mit  495  Textfig.  Berlin  '20,  J.  Springer. 
3S  M. 


Inhalt:  E.  Küster,  Das  Typhetum  in  der  frühen  deutschen  Graphik,  (i  Abb.)  S.  49.  —  Einzelbericbte  :  Fr.  Jäger, 
Die  Austrocknung  Südafrikas.  S.  52.  G.  Krenkel,  Bericht  über  eine  Forschungsexpedition  in  Deutsch  -  Ostafrika. 
S.  53.  V.  Hilber,  Die  geologische  Stellung  des  Paläolithikums.  S.  54.  T.  Math  er,  Naturschutz  in  den  Ver- 
einigten Staaten  von  Amerika.  S.  55.  J.  Verne,  Die  Natur  des  roten  Farbstoffes  der  Crustaceen.  S.  55.  .  O.  Hönig- 
schmidt  und_  L.  Birckenbach,  Atomgewicht  von  Wismut.  S.  56.  Gletscherbewegungen  in  der  Schweiz  im 
Jahre  1919.  S.  56.  G.  Jegen,  Zur  Biologie  und  Anatomie  einiger  Enchylräiden.  S.  57.  H.  Tietgen,  Tönen 
der  Telegraphen-  und  Fernsprechleitungen.  S.  57.  G.  Wüst,  Verdunstung  auf  dem  Meere.  S.  58.  Victor 
Hohenstein,  Die  Löl3-  und  Schwarzerdeböden  Rheinhessens.  S.  58.  R.  Bärtling,  Die  Endmoränen  der  Haupt- 
vereisung zwischen  Teutoburger  Wald  und  Rheinischen  Schiefergebirge.  S.  59.  —  Bücherbesprechungen :  1'.  Robien, 
Die  Vogelwelt  des  Bezirks  Stettin.  S.  61.  M.  Verworn,  Die  Anfänge  der  Kunst  S.  62.  F.  Winteler,  Die  heutige 
industrielle  Elektrochemie.  S.  62.  O.  Abel,  Lehrbuch  der  Paläozoologie.  S.  62.  C.  Op  penheimer  und  Q.  Weiß, 
Grundriß  der  Physiologie  für  Studierende  und  Arzte.  S.  63.  O.  Spitta,  Grundriß  der  Hypienc.  S.  63.  K.  Arndt, 
Die  Bedeutung  der  Kolloide  für  die  Technik.  S.  63.  Littrow,  Atlas  des  gestirnten  Himmels  für  Freunde  der  Astro- 
nomie. S  63.  K.  Mieleitner,  Die  technisch  wichtigen  Mineralstoffe.  S.  64.  A.  Classen,  Handbuch  der  qualita- 
tiven chemischen  Analyse  anorganischer  und  organischer  Verbindungen.  S.  64.  W.  Wolff,  Die  Entstehung  der  Insel 
Sylt.  S.  64.  —  Literatur:  Liste.  S.  64. 

Manuskripte  und  Zuschriften  werden  an  Prof.  Dr.  H.  Miehe,  Berlin  N  4,  Invalidenstraße  42,  erbeten. 

Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  der  G.  Pätz'schen  Buchdr.  Lippert  &  Co.   G.  m.  b.  H.,  Naumburg  a.  d.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Folgre  20.  Band; 
der  ganzen  Reihe  36.  Band. 


Sonntag,  den  30.  Januar  1921. 


Nummer  5. 


Kakao  und  Schokolade  bei  den  alten  Mexicanern  und  anderen 
mittelamerikanischen  Völkern. 


[Nachdruck  verboten.]  Von  Dr.  phil.  Frau 

Vierhundert  Jahre  sind  verflossen,  seit  Euro- 
päer zum  ersten  Male  mit  dem  Kakao  und  der 
Schokolade  bekannt  wurden,  die  heute  eine  so 
hervorragende  Rolle  in  der  Ernährungswirtschaft 
spielen.  Wie  schnell  sich  der  Kakao  als  eines 
der  beliebtesten  Genußmittel  neben  dem  Kaffee 
und  Tee  eingebürgert  hat,  beweist  nichts  besser 
als  ein  kurzer  Hinweis  auf  die  Zunahme  seines 
Verbrauches  in  Deutschland  im  Anfang  dieses 
Jahrhunderts.  Die  Einfuhrzahlen  für  Kakao  in 
den  beiden  Jahren  1900  und  1913  erreichten  eine 
Höhe  von  200000  dz  im  Werte  von  rund  29,6 
Millionen  Mark  und  eine  Höhe  von  529000  dz  im 
Werte  von  rund  67,1  Millionen  Mark.  Auf  den 
Kopf  der  Bevölkerung  entfielen   im  Jahre  0,8  kg. 

Bei  diesem  Import  spielte  die  ursprüngliche 
Heimat  der  Pflanze  überhaupt  keine  Rolle.  Mittel- 
amerika fiel  für  Deutschland  völlig  aus.  Sein 
Bedarf  wurde  vielmehr  zum  größten  Teile  durch 
Afrika  gedeckt  (297000  dz  im  Werte  von  35,8 
Millionen  Mark) , ')  erst  dann  folgten  Amerika 
(209000  dz  für  27,8  Millionen  Mark),  Asien  (10400 dz 
für  1,5  Millionen  Mark)  und  die  Südsee  (6800  dz 
für  I  Million  Mark).  Von  dem  amerikanischen 
Kakao  kamen  wiederum  die  beträchtlichsten 
Mengen  aus  Südamerika,  und  zwar  aus  Ecuador 
(71  300  dz  für  9,7  Millionen  Mark)  und  aus  Brasilien 
(63000  dz  für  8  Millionen  Mark).  Der  Rest  ver- 
teilt sich  außer  auf  die  beiden  Republiken  Co- 
lombia  und  Venezuela  ausschließlich  auf  West- 
indien, wo  die  Dominikanische  Republik  auf  Haiti 
bevorzugt  war  (32  100  dz  für  3,8  Millionen  Mark). 
Unmittelbar  vor  Ausbruch  des  Krieges  machte 
sich  bereits  auch  eine  erfreuliche  Zunahme  der 
Kakaogewinnung  in  unseren  Kolonien  bemerkbar. 

Wenn  man  die  Steigerung  des  Kakaoverbrau- 
ches, die  übrigens  in  gleichem  Maße  auch  für  die 
anderen  europäischen  Staaten  zu  verzeichnen  ist, 
in  solcher  Weise  durch  Zahlen  bestätigt  findet, 
so  darf  man  doch  nicht  außer  acht  lassen,  daß 
sie  eben  nur  in  verhältnismäßig  später  Zeit  ein- 
getreten ist.  Früher  war  das  keineswegs  der 
Fall. 

Nach  der  üblichen  Annahme  kamen  zum  ersten 
Male  in  Europa  Kakaobohnen  den  Abendländern 
zu  Gesicht,  als  Hernan  Cortes,  der  Eroberer 
Mexicos,  im  Jahre  1528  aus  der  Neuen  Welt 
heimkehrte  und  am  spanischen  Hofe  vor  den 
Augen   Karls  V.    neben   den    Kostbarkeiten    und 

')  Die  eingeklammerten  Zahlen  beziehen  sich  auf  das 
Jahr  1913.  Sie  sind  der  Statistik  des  Deutschen  Reiches  ent- 
nommen. 


z  Termer. 

seltsamen  Dingen  der  neu  eroberten  Gebiete  auch 
Proben  der  dort  heimischen  typischen  Agrikultur- 
gewächse ausbreitete.  Von  da  an  wurde  in 
Spanien  die  Herstellung  der  Schokolade  bekannt 
und  schnell  beliebt.  Durch  die  strenge  Abschließung 
der  spanischen  Kolonien  in  Amerika  gegen  andere 
Nationen  —  kein  Nichtspanier,  nicht  einmal  ein 
Portugiese  durfte  seinen  Fuß  auf  spanisch-ameri- 
kanischen Boden  setzen,  —  und  ferner  durch  das 
sich  abschließende  Wesen  der  Spanier  gegenüber 
ihren  europäischen  Nachbarn  war  es  möglich,  das 
Geheimnis  der  Schokolade  das  16.  Jahrhundert 
hindurch  zu  wahren.  Erst  1606  wurden  die 
Schranken  durchbrochen,  als  ein  längere  Zeit  in 
Spanien  ansässiger  Italiener  Antonio  Carletti 
bei  der  Rückkehr  in  sein  Heimatland  den  Lands- 
leuten Kunde  von  dem  angenehmen  Getränk 
einer  fremden  Welt  übermittelte.  Nun  schlössen 
durch  Vermittlung  der  Italiener  schnell  auch  die 
anderen  europäischen  Nationen  mit  dem  Kakao 
Bekanntschaft,  vor  allem  Frankreich,  wo  unter 
Ludwig  XIIL  und  seinem  Nachfolger  die  Schoko- 
lade zu  einem  Modegetränke  wurde.  Freilich  war 
ihr  Genuß  nur  den  Vornehmen  möglich,  da  alle 
Mengen  von  verbrauchtem  Kakao  Schmuggel- 
oder Seeräubergut  waren,  das  natürlich  sehr  teuer 
bezahlt  werden  mußte.  Zu  Beginn  ihrer  lohnen- 
den Tätigkeit  hatten  allerdings  die  englischen 
wie  holländischen  Flibustier  und  Buccaniers  die 
Kakaoladungen  spanischer  Beuteschiffe  für  nichts 
geachtet.  Sie  warfen  den  „Bockmist",  *)  wie  sie 
spottend  die  Kakaobohnen  bezeichneten,  einfach 
ins  Meer. 

Veranlassung  zur  Einbürgerung  und  Anpflan- 
zung in  anderen  Erdteilen  gaben  die  Spanier 
selbst,  die  den  Kakao  um  1670  nach  ihren  philip- 
pinischen Besitzungen  überführten.  ^)  Von  dort 
kam  er  in  die  holländischen  Kolonien  Hinter- 
indiens und  noch  später  findet  er  sich  in  Afrika. 
In  Europa  aber  blieben  Kakao  und  Schokolade 
nach  wie  vor  bis  ins  19.  Jahrhundert  hinein  ein 
kostspieliges  und  daher  nur  von  wenigen  ge- 
nossenes Getränk,  das  dann  erst  die  zunehmende 
tropische  Produktion  und  damit  verbundene  Ver- 
billigung  der  Ware  auch  weniger  Bemittelten  zu- 
gänglich machte  und  so  den  europäischen  Völkern 


')  „cagarruta  de  carnero"  nach  Thomas  Gage,  Neue 
merkwürdige  Reisebeschreibung  nach  Neuspanien.  Leipzig 
1693,  P-  230- 

')  Vgl.  des  näheren  hierüber:  Padre  Fray  Manuel 
Blanco,  Flora  de  Filipinas.  2.  Aufl.  Manila  1S45,  P-  4 '9 
bis  423. 


66 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  s 


in  ihren  breiteren  Volksschichten  ein  ebenso  an- 
genehm schmeckendes  wie  nahrhaftes  Getränk 
übermittelte. 

Lange  bevor  die  Europäer  Mittelamerika  und 
Mexico  betreten  hatten,  war  der  Kakaobaum  in 
diesen  Ländern  eines  der  wichtigsten  Kultur- 
gewächse gewesen.  Welche  Bedeutung  er  für  das 
Kulturleben  der  alten  Zeit  errungen  hatte,  erhellt 
aus  seiner  Aufnahme  in  den  mexikanischen  My- 
thus. Kakaobohnen  finden  sich  da  des  öfteren 
unter  anderen  Attributen  bestimmter  Gottheiten; 
der  vornehmste  und  volkstümlichste  Gott  der 
alten  Mexikaner,  der  Windgott  Quetzalcouatl,  muß 
natürlich  als  Heros  und  Repräsentant  eines  golde- 
nen Zeitalters  unerschöpflicher  Fülle  an  allem 
dem  Erdenmenschen  Notwendigen  und  Begehrens- 
werten unter  seinen  Besitztümern  auch  einen  aus- 
gedehnten Garten  mit  erlesenen  Kakaobäumen 
sein  eigen  nennen,  die  poetisch  als  „Blumenkakao" 
(xochicacauatl)  bezeichnet  wurden.  Selbst  in  den 
erhaltenen  Bilderschriften  mythologischen  Inhaltes 
aus  dem  mexikanischen  Kulturreiche  wird  der 
Kakao  mit  abgebildet,  sei  es  in  der  Form  von 
Bohnen  oder  des  ganzen  Baumes,  mit  dem  dann 
der  mythische  Baum  des  Südens  gemeint  ist,  ^) 
sei  es  in  der  Form  der  Schokolade,  die  etwa  bei 
der  Göttin  der  Lebensmittel,  Tonacaciuatl,  -)  oder 
bei  der  Wassergöttin  Chalchiuhtlicue ")  in  einem 
Becher  schäumend  wiedergegeben  ist. 

Das  in  den  europäischen  Sprachen  gebräuch- 
liche Wort  „Kakao"  geht  auf  das  mexikanische 
cacauatl  zurück,  das  die  einzelne  Kakaobohne 
bezeichnet.  Die  Schoten,  die  reihenweise  die 
Bohnen  enthalten,  hießen  im  Mexikanischen 
cacauacentli,  während  für  den  Baum  mehrere 
Benennungen  üblich  waren.  Man  unterschied  be- 
sonders vier  Arten:  zwei,  die  cacauaquauitl 
hießen  und  sich  nur  durch  ihre  verschiedene  Größe 
voneinander  trennen  ließen,  xochicacaua- 
quauitl  und  tlalcacauatl.  Von  letzterer 
wurde  hauptsächlich  die  Schokolade  zubereitet. 
Linguistisch  mag  noch  hinzugefügt  werden,  daß 
die  Herkunft  und  Etymologie  des  Wortes  cacauatl 
unbekannt  ist. 

Das  Gedeihen  des  Kakaobaumes  ist  an  be- 
stimmte klimatische  Bedingungen  geknüpft  und 
daher  sein  Vorkommen  geographisch  begrenzt. 
Wärme  ist  für  ihn  eine  Hauptnotwendigkeit  seiner 
Existenz.  Daher  überschreitet  denn  auch  in 
Mittelamerika  seine  Wachstumsgrenze  nicht  die 
Meereshöhe  von  600  m. '')  Er  ist  ganz  an  die 
warme  Tieflandszone  (tierra  caliente)  mit  ihren 
Mitteltemperaturen  von  27 — 23"  C  angepaßt. 
Tiefgründige  Alluvialböden  mit  mäßigem  Zusatz 
von  Kalk  sind  für  das  Fortkommen  des  Baumes 
am    geeignetsten,    und    daher    findet    er   sich    am 


')  Codex  Fejervary-Mayer,  fol.  I.  Herausgegeben 
von  E.  Seier. 

'•')  Codex  Borgia,  Blatt  57  ed.   E.  Seier. 

ä)  Codex  Borgia,  Blatt  57  ed.  E    Seier. 

*)  Nur  selten  kommen  Exemplare  bis  über  900  m  vor. 
Sapper,  Nördl.  Mittelamerika,  S.   197. 


besten  entwickelt  in  den  Urwäldern  des  nördlichen 
Guatemala,  in  der  Feten-Landschaft,  wie  in  den 
heißen  Küstengegenden  des  atlantischen  und  pa- 
zifischen Gestades  des  östlichen  und  südöstlichen 
Mexico.  Analog  liegen  die  Verhältnisse  in  anderen 
mittelamerikanischen  Republiken,  von  denen  El 
Salvador,  Nicaragua  und  Britisch  Honduras  in 
Betracht  kommen. 

Genau  die  gleiche  Verbreitung  besaß  der  Kakao- 
baum schon  in  vorspanischer  Zeit.  Für  Mexico, 
wo  das  Kulturzentrum  beim  Eintreffen  der  Weißen 
mitten  auf  dem  Hochlande  lag,  ergab  sich  aus 
diesen  klimatischen  und  geographischen  Momenten 
ein  Import  aus  den  warmen  Tieflandsregionen 
auf  die  kühlen  Flächen  des  Hochlandes.  Die  Haupt- 
importgegenden für  diesen  Zweig  des  mexikanischen 
Handels  lagen  im  heutigen  Staate  Tabasco  und  an 
der  pazifischen  Abdachung  von  Chiapas,  also  in 
den  beiden  alten  Landschaften  Anauac  Xicalanco 
und  Anauac  Ayotlan,  dem  heutigen  Soconusco. 
Dort  waren  regelrechte  Kakaopflanzungen  ange- 
legt, in  ihrer  Einrichtung  den  modernen  gleichend.*) 
Denn  man  pflanzte  ebenso  wie  heute  höhere  Bäume 
zwischen  die  Kakaostämme,  damit  sie  vermöge 
ihres  höheren  Wuchses  dem  Kakaobaum  den  ihm 
notwendigen  Schatten  spendeten.  Die  Spanier 
nannten  diese  hilfsmäßig  gepflanzten  Stämme  später 
„Mutter  des  Kakao"  (madre  de  Cacao).-) 

In  den  anderen  bereits  erwähnten  mittelameri- 
kanischen Gebieten  waren  die  vorhandenen  Pflan- 
zungen in  ihrem  Umfange  beschränkter  und  eben 
nur  für  den  Unterhalt  ihrer  Besitzer  bestimmt. 
Überall  in  den  Urwäldern  Guatemalas,  die  zwar 
vor  langer  Zeit  von  kulturell  hoch  entwickelten 
Indianerstämmen  bewohnt  waren,  aber  später  nur 
noch  primitiv  lebende  Nachkommen  jener  beher- 
bergten, trafen  die  Spanier  im  17.  Jahrhundert 
bei  ihren  Kriegszügen  gegen  diese  „Lacandones" 
bei  jeder  kleinen  Siedelung  Kakaogärtchen  (cacaua- 
tales)  an.  Erst  in  Yucatan,  bei  den  Mayaindianern, 
und  in  Nicaragua,  bei  den  Nicarao,  einem  Stamme 
mexikanischer  Herkunft,  fanden  sich  wieder  um- 
fangreichere Plantagen. 

Über  die  Bedeutung  des  Kakaobaumes  für  die 
Wirtschaft  der  Bevölkerung  Mittelamerikas  in  vor- 
spanischer Zeit  läßt  sich  das  Wesentliche  zum 
größten  Teile  nur  aus  Mitteilungen  über  die  mexi- 
kanischen Zustände  und  denen  bei  den  Nicarao 
in  Nicaragua  entnehmen.  Nur  spärlich  fließen 
demgegenüber  die  Quellen  über  die  anderen  mittel- 
amerikanischen Gebiete.  Verwendung  von  dem 
Baume  fanden  nur  die  Bohnen  —  vielleicht  auch 
das  Holz  — ,  und  zwar  nach  zwei  ganz  entgegen- 
gesetzten Richtungen  hin,  nämüch  zur  Herstellung 

')  Oviedo  VIII.  cap.  30  (=  tom.  I,  p.  317  li.) 
*)  Wenn  Dufour  als  mexikanisches  Wort  hierfür  ,,atl- 
inan"  angibt,  so  ist  zu  bemerken,  daß  aus  alter  Zeit  ein 
solches  Wort  nicht  überliefert  ist.  Es  scheint  vielmehr  eine 
Übersetzung  des  spanischen  Wortes  zu  sein,  wobei  freilich  nur 
der  zweite  Teil  ,,inan"  (=  seine  Mutter)  versländlich  ist,  wäh- 
rend der  erste  „all"  (Wasser)  nicht  recht  am  Platze  ist.  — 
Oviedo  gibt  als  Namen  für  diese  Bäume  in  Nicaragua 
„yaguaguyt"  an   (aquauiti?). 


I 


N.  F.  XX.  Nr.  5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


6? 


der  Schokolade  und  als  Zahlungsmittel  im  öffent- 
lichen Verkehr. 

Neben  dem  aus  dem  Saft  der  Agave  gewon- 
nenen Pulque  (mex.  octli)')  erregte  kein  anderes 
der  einheimischen  Getränke  so  sehr  die  Aufmerk- 
samkeit der  Eroberer  als  die  Schokolade.  Dieses 
Wort  ist  seiner  Herkunft  nach  mexikanisch.  Die  An- 
sicht eines  neueren  englischen  Autors,-)  der  ein  in 
seinen  technischen  Teilen  recht  wertvolles  Werk 
über  den  Kakao  verfaßte,  daß  es  sich  zusammensetze 
aus  „choco"  (=  Frucht  des  Baumes)  und  „latl" 
(=  Wasser),  ist  völlig  unrichtig.  Sie  zeigt,  daß 
ihr  Vertreter  nicht  genügende  Sprachkenntnisse 
besaß  und  daher  ohne  Besinnen  die  falschen  An- 
gaben eines  sonst  vortrefflichen  alten  Autors, 
Thomas  Gage,^)  übernahm,  die  er  allerdings 
insofern  modifizierte,  als  Gage  „choco"  für  eine 
Bezeichnung  des  Aufschäumens  hält,  das  ja,  wie 
sich  zeigen  wird,  auch  eine  gewisse  Rolle  spielte. 
Die  richtige  Ableitung  des  Wortes  ist  vielmehr  die 
von  „coco"  und  „atl",  wobei  „coco"  ein  Synonym 
für  „cacauatl"  ist,  wie  Oviedo  beweist  (tom.  I, 
p.  318  li.).  Die  Bedeutung  wäre  dann  einfach 
„Kakaowasser",  „Kakaogetränk". 

Die  Mexikaner  bereiteten  ihre  Schokolade  nun 
auf  folgende  Weise  zu.  Über  einem  nicht  sehr 
starken  Feuer  wurden  die  Kakaobohnen  unter  an- 
dauerndem Umrühren  zum  Schutz  gegen  An- 
brennen getrocknet.  Dann  schüttete  man  sie  auf 
den  steinernen  Mahlstein  (metlatl)  und  erhielt 
durch  das  Zerreiben  der  Bohnen  mittels  der 
steinernen  Handwalze  (metlapilli)  ein  Pulver,  das 
„cacauapinolli"  genannt  wurde.  Zu  diesem  fügte 
man  darauf  allerlei  Ingredienzien,  die  dem  Getränk 
hernach  einen  besonders  angenehmen  Geschmack 
verleihen  sollten.  Besonders  bevorzugte  Gewürze 
waren  schwarzer  und  roter  Pfeffer,  Vanille  und 
Bienenhonig.  Dieser  diente  an  Stelle  von  Zucker 
zum  Süßen.  Endlich  mußte  das  Gemisch  auch 
noch  gefärbt  werden,  meist  durch  Achiote  (Bixa 
Orellana)  in  roter  Farbe,  weil  angeblich  die  Ein- 
geborenen durch  ihre  mit  den  Kulten  zusammen- 
hängende Anthropophagie  an  Bluttrinken  gewöhnt 
waren.*)  Im  Anschluß  daran  sei  bemerkt,  daß  der 
Padre  Avendaflo,  der  sich  am  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts bei  den  Itzä  im  nördlichen  Guatemala 
aufhielt,  berichtet,  bei  diesem  Mayastamme  sei  es 
Brauch  gewesen,  den  Opfern  vor  ihrer  Hinrichtung 
einen  Kakaotrunk  zu  verabfolgen.*) 

Eine  zweite  Art  der  Herstellung  des  Kakao- 
pulvers war  einfacher.  Man  schüttete  das  Pulver 
einfach  in  Atolli,  eine  mit  Wasser  aufgekochte 
Maismasse,  und  genoß  dann  diese  ohne  besondere 
Würze.  Dem  Anschein  nach  ist  diese  zweite  Art 
die  beim  niederen  Volke  übliche  gewesen. 

')  Das  Wort  Pulque  gehört  wahrscheinlich  der  arauka- 
nischen  Sprache  Chiles  an. 

'■')  Whymper. 

')  Th.  Gage,  Neue  merkw.  Reisebeschr.  usw.  Part.  II, 
Cap.  19. 

*)  Oviedo  1.  c.  (=  tom.  I,  p.  318  li.)- 

')  cf.  Ph.  A.  Means,  History  of  the  Spanish  Conquest 
of  Yucatan  and  of  the  Itzas.    Cambridge,  Mass.   1917,  p.  134. 


In  spanischer  Zeit  wurde  es  erst  Sitte,  noch 
andere  Beitaten  zu  den  alten  hinzuzufügen,  wie 
Zimt,  Nelken,  Mandeln,  Haselnüsse,  Pomeranzen- 
blütenwasser  u.  a.^) 

Das  auf  die  erste  Art  zubereitete  Gemisch 
mußte  tüchtig  durchknetet  werden,  bis  es  einen 
guten  Teig  ergab.  Diesen  ließ  man  in  kleinen 
Tafeln  trocknen  und  bekam  so  Tafelschokolade. 
So  geschah  es  wenigstens  in  den  Zeiten  nach  der 
Unterwerfung  des  Landes,  als  die  Spanier  die  Her- 
stellung nach  ihrem  Geschmack  vorgenommen 
hatten.  In  alter  Zeit  kannte  man  Tafelschokolade 
wohl  nicht.  Vielmehr  ließ  man  es  hier  bei  der 
Zubereitung  des  Pulvers  bewenden.  Um  Schoko- 
lade zu  erhalten,  tat  man  es  einfach  in  Wasser 
und  rührte  es  mit  kleinen  —  teilweise  kunstvoll 
gearbeiteten  —  Quirlen  um.'^)  Hauptbedingung, 
die  der  mexikanische  Schokoladetrinker  an  sein 
Getränk  stellte,  war  einmal,  daß  die  Schokolade 
kalt  sein  mußte  und  ferner,  daß  sie  auf  ihrer 
Oberfläche  eine  dicke  Schaumschicht  trug  (Cacau- 
apogouallotl).  Um  den  nötigen  Schaum  zu  er- 
halten, gehörte  ein  gewisses  Geschick  und  eine 
besondere  Übung  dazu,  den  Aufguß  nicht  zu  dünn, 
aber  auch  nicht  zu  dick  werden  zu  lassen.  Zu 
geringes  Aufschäumen  wurde  stets  auf  falsche 
Zubereitung  oder  auf  eine  minderwertige  Sorte 
des  Kakaos  zurückgeführt.  Letzteres  war  fast 
stets  bei  der  Schokolade  des  kleinen  Mannes  der 
Fall. 

Trotzdem  die  Spanier  in  Einzelheiten  Neue- 
rungen in  der  Schokoladeherstellung  einführten, 
übernahmen  sie  doch  zum  größeren  Teile  das, 
was  sie  im  Lande  vorgefunden  hatten.  Auch  sie 
gewöhnten  sich  daran,  das  Getränk  mit  einer 
dichten  Schaumschicht  zu  genießen,  was  sie  frei- 
lich oft  dadurch  zu  erreichen  suchten,  daß  sie  die 
Flüssigkeit  in  einem  langen  Strahle  sich  aus  dem 
Trinkgefäße  in  den  Mund  laufen  ließen,  vielleicht 
einer  Sitte  ihrer  europäischen  Heimat  huldigend, 
der  noch  heute  der  spanische  Bauer  beim  Wein- 
trinken aus  dem  Schlauche  nachkommt.  Nur 
darin  wichen  sie  von  dem  indianischen  Vorbilde 
ab,  daß  sie  den  Trank  warm  zu  sich  nahmen.  Die 
Eingeborenen  verharrten  aber  noch  immer  bei 
ihrer  kalten  Schokolade. 

Über  die  Zubereitung  des  Getränkes  in  den 
übrigen  noch  in  Frage  kommenden  Gebieten 
Mittelamerikas  sind  Einzelheiten  nicht  überliefert 
worden.  Sie  wird  aber  ähnlich  vorgenommen 
worden  sein  wie  in  Mexico.  Denn  aus  Yucatan 
berichtet  ein  Autor  das  Vorhandensein  eines  Scho- 
koladegetränks aus  Mais  und  Kakao,  wie  es  ja 
in  Mexico  ebenfalls  genossen  wurde.  Als  das 
entsprechende  Wort  für  chocolatl  wird  für  die 
yukatekische  Mayasprache  „zaca"  angegeben.^) 
Eine   Besonderheit  findet   sich    in   Nicaragua    bei 


')  Vgl.  darüber  des  näheren  Colmenero. 
*)  Abbildungen    solcher  Quirle   bei   Caec.   Sei  er,    Auf 
alten   Wegen  usw.  S.   130. 

"]  Villagutierre  lib.  U,  cap.  2  Ifol.  89  li.). 


68 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  s 


den  mexikanischen  Nicarao  insofern,  als  dort  die 
Kakaobutter  für  den  Häuptling  reserviert  wurde.*) 

Wie  bereits  angedeutet,  kannten  die  alten 
Mexicaner  Qualitätsunterschiede  einzelner  Kakao- 
sorten. Bevorzugten  sie  schon  den  „tlalcacauatl" 
als  besonders  zur  Schokoladeherstellung  geeignet, 
so  richtete  sich  dessen  Güte  wiederum  nach  der 
Gegend  seiner  Herkunft.  Die  beste  Sorte  wurde 
in  Anauac  Ayotlan,  dem  heutigen  Soconusco 
(mex.  Xoconochco),  gewonnen,  und  selbst  bis  in 
neue  Zeiten  hinein  hat  es  damit  sein  Bewenden 
gehabt.  Denn  noch  zu  Beginn  des  19.  Jahr- 
hunderts schreibt  der  gelehrte  Historiker  Guate- 
malas, Domenigo  Juarros  mit  Bezug  auf 
Soconusco:  „en  efecto  su  cacao  es  el  mas  apre- 
ciado  del  mundo,  y  el  que  se  gasta  en  el  Real 
Palacio"  (in  der  Tat  ist  sein  Kakao  der  am  höchsten 
geschätzte  der  Welt  und  wird  am  Hofe  des  Königs 
verwendet.)")  Außerdem  waren  noch  andere 
Kakaogegenden  in  alter  Zeit  durch  die  Qualität 
ihrer  Produkte  angesehen.  Als  solche  nennt  unter 
anderen  Sahagun  die  Gegend  von  Tochtepec, 
das  heutige  Tuxtepec  am  Rio  Papaloapan,  neben 
Guatemala  und  den  beiden  Anauac.^) 

Die  feinen  Sorten  wanderten  in  die  Küchen 
der  Vornehmen  und  in  die  des  Hofes.  In  diesen 
Kreisen  war  die  Schokolade  das  Tafelgetränk,  das 
nach  den  Mahlzeiten  in  kunstvoll  aus  edlem  Me- 
tall gearbeiteten  Trinkschalen  *)  genossen  wurde, 
genau  wie  auch  im  modernen  Europa  der  Kaffee 
im  Anschluß  an  die  Mittagsmahlzeit  eingenommen 
wird.  Wenn  auch  die  Zahlenangaben  der  spanischen 
Autoren  meist  um  ein  Vielfaches  die  wirkliche 
Zahl  übertreiben,  so  muß  doch  immerhin  nach 
dem  Überlieferten  der  Verbrauch  an  Kakao  bei 
den  in  Betracht  kommenden  Stellen  ziemlich  be- 
deutend gewesen  sein.  So  soll  der  Kakaospeicher, 
den  die  Truppen  des  Cortes  bei  der  Einnahme 
der  Hauptstadt  Mexico  plünderten,  4000  Cargas 
Kakaobohnen  enthalten  haben,*)  was  einer  Zahl 
von  96  Millionen  Bohnen  gleichkäme,  und  bei  der 
täglichen  Mahlzeit  des  Herrschers  Motecuhgoma 
sind  nach  Angabe  desBernal  Diaz  50  größere 
Gefäße  mit  Schokolade  aufgetragen  worden.*) 
Wenn  der  schon  einmal  zitierte  W  h  y  m  p  e  r  den 
jährlichen  „Verbrauch"  an  Kakao  am  mexika- 
nischen Hofe  auf  2744000  fanegas  (^=  ca.  1 10  Mil- 
lionen Kilogramm)  beziffert,   so    ist    das  ein  Miß- 


')  Oviedo,  1.  c.  (=  tom.  I,  p.  319  re.):  „El  calachuti 
.  .  ,  pönese  de  aquel  graso  por  los  labrios  e  toda  la  barba, 
e  paresge  que  esid  undato  con  agafran  desleydo  grueso,  e  re- 
luce  como  manteca." 

')  Juarros  trat.  IV,  cap.   14  (=  Band  II,  p.   77). 

')  Sahagun  Hb.  X,  cap.   18. 

*)  Bernal  Diaz  cap.  91:  ,,copas  de  oro  fino"  (ed. 
Garcia  I,   p.  280). 

°)  Herrera  II,  IX,  4  und  Torquemada  IV,  57. 

")  Bernal  Diaz,  cap.  91.  „En  ello,  mas  lo  que  yo  vi, 
que  trayan  sobre  c;inquenta  jarros  grandes  hechos  de  buen 
cacao,  bon  su  espuma".  .  .  Erst  vor  kurzem  ist  in  einem  Artikel 
der  „Woche"  über  die  Schokolade  diese  Stelle  so  ausgelegt 
worden,  als  habe  der  König  selbst  die  50  Gefäße  getrunken. 
Davon  kann  keine  Rede  sein.  Denn  aus  der  Quelle  geht  her- 
vor, daß  sie  für    die    ganze  Tafelgesellschaft   bestimmt  waren. 


Verständnis  der  benutzten  Quelle.  Bezieht  sich 
doch  diese  Zahlangabe  vielmehr  auf  die  Tribut- 
leistungen in  Form  von  Kakaobohnen  an  dem 
Hofe  des  mit  dem  mexikanischen  König  eng  ver- 
bündeten  Fürsten   Negaualcoyotl    von   Tezcoco.*) 

Diese  Tribute  zeigen  nun  gleich  den  Kakao 
in  der  zweiten  Art  seiner  Verwendung  in  Mexico 
sowohl  wie  im  übrigen  Mittelamerika,  soweit  der 
Baum  kultiviert  wurde,  nämlich  als  Münze  im 
öffentlichen  Verkehr. 

Neben  Metallstückchen,  mit  Goldstaub  ange- 
füllten Federposen,  Quetzalvogelfedern,  Decken 
und  Stoffstücken  als  Zahlungsmitteln  nahmen  die 
Kakaobohnen  eine  gleichwertige  Stellung  ein.  Sie 
bildeten  eine  der  beliebtesten  einheimischen  Geld- 
sorten. Ebenso  war  es  mit  ihnen  in  Yucatan  der 
Fall,  wo  sie  neben  Steinen,  kupfernen  Glöckchen 
und  Schellen  benutzt  wurden,  wie  auch  in  Nica- 
ragua, wo  man  sie  mit  Muschelschnüren,  Edel- 
steinen, kleinen  Beilen  und  kupfernen  Schellen 
zusammen  bei  Handelsgeschäften  verwendete.  Auch 
in  Guatemala  waren  sie  die  häufigste  Münzsorte. 
Allgemein  verwendeten  die  Indianer  zu  Münz- 
zwecken die  weniger  guten  Kakaosorten,  da  ja 
die  Qualität  dabei  nicht  in  Frage  kam. 

Überall  hatte  sich  eine  bestimmte  Währung 
herausgebildet,  und  alte  Berichte  lassen  er- 
kennen, daß  sich  das  Währungssystem  auf  der 
vigesimalen  Zählmethode  aufbante.  400  Bohnen 
bildeten  ein  „tzontli",  20  tzontli  (8000  Bohnen) 
ein  ,,xiquipilli"  und  3  xiquipilli  (24000  Bohnen) 
eine  „carga",  eine  Bezeichnung  spanischer  Her- 
kunft, für  die  die  entsprechende  mexikanische  Be- 
nennung unbekannt  ist.-)  Sie  bedeutet  „Last"  und 
ist  in  Anwendung  gebracht  worden  auf  die  weiten, 
umfangreichen  Körbe  aus  Weidengeflecht,  die  eine 
so  große  Zahl  von  Bohnen  fassen  konnten.  Es 
wird  sogar  erzählt,  daß  manche  Körbe  loo  car- 
gas, also  24  Millionen  Bohnen,  enthalten  hätten; 
sie  wären  von  einem  derartigen  Umfange  gewesen, 
daß  sechs  Männer  sie  nicht  zu  umspannen  ver- 
mocht hätten. 

Die  erwähnte  Währungseinteilung  erhielt  sich 
nicht  lange  in  die  spanische  Zeit  hinein.  Bereits 
im  Jahre  1527  setzte  ein  Königliches  Manifest 
unter,  dem  28.  Januar  fest,  daß  an  Stelle  der  Be- 
hälter, die  die  Bohnen  in  den  abgestuften  Zahlen- 
einheiten bargen,  bestimmte  durch  einen  offiziellen 
Stadtstempel  signierte  Maße  zu  treten  hätten. 
Vielleicht  waren  die  Spanier  bei  der  früheren  Me- 
thode zu  oft  von  den  Eingeborenen  betrogen 
worden,  daß  sie  auf  eigene  geeichte  Hohlmaße 
zurückgriffen.  Aber  schon  am  24.  September  1536 
kam  ein  neuer  Erlaß  heraus,  der  wiederum  die 
Abzahlung  der  Bohnen  nach  der  alten  Weise  ver- 
langte. 

Eine  der  ältesten  Quellen  über  die  Eroberung 
Mexicos,   der  Bericht   eines  ungenannten  und  bis- 


')  Torquemada  II,  53. 

ä)  Motolinia,  Historia  de  los  Indios  de  Nueva  Espana 
(bei  Icazbalceta  I,  p.  190). 


N.  F.  XX.  Nr.  5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


69 


her  unbekannt  gebliebenen  Autors,  des  sog.  Con- 
quistador  Anönimo,  gibt  bereits  den  den  euro- 
päischen Münzen  damaliger  Zeit  entsprechenden 
Wert  der  Kakaomünze  bekannt.  Danach  hätte 
eine  Kakaobohne  im  Werte  einem  halben  „mar- 
chetto"  entsprochen,')  der  nach  Ansicht  des  ge- 
lehrten französischen  Herausgebers  und  Übersetzers 
spanischer  Quellen  aus  dem  ZeitaUer  der  Ent- 
deckungen, Henri  Ternaux-Co  m  pans,  etwa 
einem  französischen  Centime  gleich  gewesen  wäre. 
Demnach  müßte  also  eine  Bohne  gleich  einem 
Centime  gesetzt  werden.  Ob  diese  Rechnung 
stimmt,  mag  dahingestellt  bleiben.  Nach  späteren 
Quellen  wäre  sie  zu  hoch  gegriffen;  denn  Palacio, 
ein  Geistlicher,  der  im  Jahre  1579  Guatemala  im 
Auftrage  der  spanischen  Krone  bereiste  und  über 
die  Ergebnisse  seiner  Rundreise  einen  offiziellen 
Bericht  abfaßte,  bestimmt  den  Wert  von  200  Bohnen 
zu  einem  Real,  das  wären  20  Pfennig.  Dann  käme 
auf  eine  Bohne  Vio  Pfennig.  Er  fügt  aber  noch 
ausdrücklich  hinzu,  daß  eine  carga  im  Werte 
24000  Reales  gleichgekommen  wäre.  Eine  carga 
sind,  wie  oben  angegeben,  24000  Bohnen.  Dem- 
nach hätte  innerhalb  der  carga  eine  Bohne  den 
Wert  eines  Reals  gehabt,  also  von  20  Pfennig. 
Oviedo  hat  Angaben  hinterlassen,  aus  denen 
sich  auf  die  Kaufkraft  des  Kakaogeldes  in  der 
ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  schließen  läßt. 
Danach  hätte  ein  Sklave  100  Bohnen  gekostet, 
für  4  Bohnen  hätte  man  8  Früchte  erhalten,  ein 
käufliches  Frauenzimmer  hätte  sich  für  8—10 
Bohnen  hingegeben.  =)  Der  Wert  des  Kakaogeldes 
ist  demnach  ziemlich  hoch  gewesen. 

Bis  in  die  Gegenwart  hinein  hat  sich  der  Kakao 
als  Zahlungsmittel  neben  den  Metallmünzen  er- 
halten. Zur  Zeit,  als  Otto  Stoll  Guatemala 
bereiste,  um  die  Wende  der  siebziger  Jahre,  waren 
16  Bohnen  gleich  einem  Viertel  eines  Reals 
(i  cuartillo) ;  ^)  für  eine  Beichte  zahlte  man  in 
Nebaj  (Departamento  Vera  Paz)  1 5  Kakaobohnen 
und  IG  Maiskolben.'')  Auch  Desire  Charnay 
hatte  1863  noch  auf  dem  Markte  in  San  Christo- 
bal  (Chiapas)  Kakaobohnen  als  Münzen  im  Um- 
lauf gefunden.  ^)  Und  um  auch  noch  ein  Beispiel 
aus  dem  17.  Jahrhundert  hinzuzufügen:  so  fand 
D  a  m  p  i  e  r  auf  seinen  Seereisen  in  mittelamerika- 
nischen Gewässern  Kakaomünzen  im  Umlauf  an 
dem  Gestade  der  Bai  von  Campeche,  also  wohl 
in  Tabasco.  ®) 

Die  Verbreitung  des  Kakaos  im  mexikanischen 
Reiche  erfolgte  teils  durch  den  Handel,  teils  durch 
Tributleistungen,  die  die  aztekischen  Eroberer 
des  Landes  den  unterworfenen  Provinzen  auferlegt 

1)  „Sono  queste  alberi  (d.  h.  Kakaobäume)  in  grande 
stimaziüne  perche  quei  grani  sono  tenuli  per  la  principal 
moneta  che  corra  in  quel  paese,  et  val  ciascuno  come  un 
mtzzo  marchetto  fra  noi."  Conquistador  anönimo  (bei  Icaz- 
balceta  I,  p.  3S0/81). 

*)  Oviedo,  1.  c.  (=  tom.  1,  p.  316  re.). 

')  Stoll,  Guatemala,  S.  103. 

♦)  Stoll,  ebendort,  S.  394- 

>•)  Charney,  Cites  et  Ruines,  S.  484. 

")  Dampier,  vol.  I,  S.  91. 


hatten.  Der  Kaufmannsstand  nahm  ja  in  der 
Bevölkerung  eine  hervorragende  Stellung  ein. 
Von  seinem  Handelszentrum  in  der  Stadt  Mexico 
zogen  seine  Mitglieder  bis  in  die  Gegenden  von 
Honduras,  ja  vermutlich  sogar  bis  in  jene  von  El 
Salvador  und  Nicaragua,  also  Gebiete,  die  schon 
früher  als  besondere  Produktionsländer  des  Kakao 
genannt  wurden.  Nach  Überlieferungen  soll  der 
regelmäßige  Kakaoimport  unter  der  Regierung 
des  letzten  Königs  von  Tlaltelolco  namens  Mo- 
quiuix  aufgenommen  worden  sein.  Das  wäre 
mithin  etwa  um  1470  n.  Chr.  gewesen,  und  dieses 
Datum  hat  eine  um  so  größere  Wahrscheinlich- 
keit für  sich,  als  eben  jene  südlicheren  Provinzen 
verhältnismäßig  spät  mexikanischer  Oberhoheit 
Untertan  wurden. 

Die  Art  des  in  Frage  kommenden  Handels- 
objektes brachte  es  mit  sich,  daß  Betrug  beim 
Handel  mit  Kakao  nicht  selten  war.  So  röstete 
der  Betrüger  kleine  schlechte  Bohnen,  um  ihnen 
ein  besseres  Äußere  zu  geben,  er  tauchte  sie  in 
Wasser,  damit  sie  durch  Vollsaugen  ihren  geringen 
Umfang  vergrößerten;  bisweilen  wurden  sie  auch 
mit  Farbe  bemalt,  damit  sie  recht  frisch  erschie- 
nen. Ganz  grob  verfuhren  Fälscher,  die  in  die 
dünne  äußere  Haut  der  Bohnen  einen  aus  Wachs 
hergestellten  Kern  einschlössen. ') 

Die  Tributleistungen  werden  zumeist  aus  jenen 
Qualitäten  zusammengesetzt  gewesen  sein,  die  für 
die  Münzen  verbraucht  wurden.  Daneben  gingen 
natürlich  auch  Mengen  besserer  Sorten  ein,  durch 
die  der  Konsum  am  königlichen  Hofe  gedeckt 
wurde.  Vielfach  finden  sich  in  den  erhaltenen 
Bilderschriften  derartige  Kakaotribute  bei  einzelnen 
Städten  angegeben. 

Unter  den  zahlreichen  Kultzeremonien,  die 
einzelnen  Verrichtungen  in  der  einheimischen 
Landwirtschaft  gewidmet  waren,  finden  sich  natür- 
lich auch  solche,  die  mit  der  Pflege  des  Kakao- 
baumes in  Zusammenhang  stehen.  So  mußte 
beim  Einpflanzen  eines  Setzlings  oder  beim  Aus- 
streuen der  Samen  das  Ackerland  zuvor  mit  dem 
Blute  eines  Menschen  oder  Tieres  besprengt  wer- 
den. Bei  den  Maya-Indianern  der  Halbinsel  Yu- 
katan  und  ihren  mittelamerikanischen  Nachbarn 
hielt  man  vor  der  Aussaat  zunächst  ein  Fest  ab 
zu  Ehren  der  Götter  Ekchuah,  Chac  und  Hobnil, 
die  als  Schutzgottheiten  der  Kakaopflanzungen 
verehrt  wurden.  Auf  dem  Landstück  eines  Dorf- 
genossen abgehalten,  gipfelte  die  Feier  in  der 
Opferung  eines  Hundes,  der  auf  seinem  Fell  einen 
der  Farbe  des  Kakao  entsprechenden  Fleck  tragen 
mußte.  War  diese  auf  Analogiezauber  beruhende 
Handlung  beendet,  so  brannten  die  Anwesenden 
vor  den  Götteridolen  Weihrauch  ab,  und  zum 
Schluß  bekam  jeder  Teilnehmer  einen  Zweig  vom 
Kakaobaume,  den  er  als  guten  Talisman  für  das 
Gedeihen  seiner  Pflanzung  daheim  aufzubewahren 
hatte. 


')  Sahagun.lib.  X,  cap.  18. —  Oviedo,  1.  c.  (=tom.  I, 
p.  316  re.). 


70 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  5 


Die  Bedeutung  des  Kakaobaumes  für  die  Wirt- 
schaft der  einheimischen  Bevölkerungen  von  Mittel- 
amerika und  Mexico  ist  nach  allem  Vorhergehen- 
den sehr  hoch  zu  veranschlagen,  Oviedo  nennt 
ihn  sogar  den  von  den  Indianern  am  höchsten 
geschätzten  Baum.*)  Für  das  letztere  Land  war 
er  freilich  nur  Gegenstand  des  Importes,  und 
daher  mag  er  dort  in  alter  Zeit  bereits  nicht 
billig  gewesen  sein.  Nicht  ohne  Grund  werden 
jedenfalls  die  Quellen  fast  stets  nur  von  dem 
Schokoladegetränk  der  Vornehmen  reden.  Im 
Erzeugungslande  selbst  ist  er  neben  den  aus  Mais 
gewonnenen  Getränken  von  alters  her  auch  bei 
dem  niederen  Volke  zur  Zubereitung  der  Schoko- 
lade verwendet  worden.  Und  diese  ist  über  die 
Zeiten  der  Eroberung  hinweg  das  Nationalgetränk 
Mittelamerikas  geblieben,  ein  Beweis  mehr  dafür, 
daß  jene  Zeiten  trotz  ihrer  eingreifenden  Umwäl- 
zungen in  dem  Kulturleben  der  eingeborenen 
Nationen  vieles  von  dem  alten  Kulturgut  und  dem 
alten  Volksleben  weiter  fortbestehen  ließen.  Und 
so  sehr  ist  die  Schokolade  heute  dem  Mittel- 
amerikaner zum  Bedarfsgegenstand  geworden,  daß 
seine  Länder  für  den  Kakaoexport  so  gut  wie 
gar  nicht  in  Frage  kommen.  Nur  das  nordwest- 
liche Chiapas  mit  seinem  Departement  Pichucalco 
macht  davon  eine  Ausnahme.  ^)  Langsam  hat 
der  Kakao,  wie  anfangs  gezeigt  wurde,  Fuß  in 
Europa  gefaßt;  heute,  so  kann  man  wohl  sagen, 
ist  er  zum  Lieblingsgetränk  vieler  Millionen 
Europäer  geworden.  Aber  auch  bei  niedriger 
stehenden  Völkern ,  die  ihn  erst  später  kennen 
lernten,    hat  er  sich  bald  eine  Vorzugsstellung  zu 


erringen  gewußt,  wie  das  Beispiel  der  Philippinen 
beweisen  mag.  *) 

Literatur. 

Blanco,  Manuel,  Flora  de  Filipinas.  2.  Aufl.  Manila  1845. 

Charney,  Desire,    Cites  et  Ruines  Americaines.      1863. 

Colmenero  de  Ledesnaa,  Antonio,  De  chocolata  Inda, 
seu  de  eius  qualitate  et  natura.     Norib.   1644. 

Darapier,  William,  Voyages.  Herausgegeben  von 
Masefield,  London   1906.     2  vols. 

Diaz  del  Castillo,  Bemal,  Historia  verdadera  de  la 
Conquista  de  la  Nueva  Espana,  ed.  G.  Garcia,  Mexico   1904. 

Dufour,  Philippe  Sylvestre,  Traite  curieux  du  Cafe,  The 
et  Chocolate.     Vienne  (ohne  Jahr). 

Herrera,  Antonio  de,  Historia  general  de  los  hechos 
de  los  Castellanos  etc.     Amberes   1728. 

Icazbalceta,  Joaquin  Garcia,  Colecciön  de  Docu- 
mentos  para  la  Historia  de  Mexico.     Mexico  1858 — 60. 

Juarros,  Domenigo,  Compendio  de  la  Historia  de  la 
Ciudad  de  Guatemala.     2tom.,  Guatemala   1S08 — 18. 

Oviedo  y  Valdcs,  Historia  general  de  las  Indias, 
Madrid   1851—55. 

Sahagun,  Bernardino  de,  Histoire  generale  des  choses 
de  la  Nouvelle  Espagne,  ed.  R.  Simeon,  Paris   1880. 

Sapper,  Karl,  Das  nördliche  Mittelamerika.  Braun- 
schweig  1897. 

,  Mittelamerikanische  Reisen  und  Studien,  Braun- 
schweig 1902. 

Seier-Sachs,  Cäcilie,  Frauenleben  im  Reiche  der  Az- 
teken.    Berlin  191g. 

—  — ,  Auf  alten  Wegen  in  Mexiko  und  Guatemala,  Berlin 
1900. 

Seier,  Eduard,  Gesammelte  Abhandlungen  zur  ameri- 
kanischen Sprach-  und  Altertumskunde.     Berlin   1901  ff. 

StoU,  Otto,  Guatemala.     Leipzig  1886. 

Villagutierre  y  Sotomayor,  Historia  de  la  Pro- 
vincia  de  el  Itza  etc.     Madrid   1700. 

Whymper,  R. ,  Cocoa  and  Chocolate,  their  chemistry 
and  manufacture.     London   1912. 


')  1.  c.  (=  tom.  J,  p.  315  re.). 

')  Sapper,  Nördl.  Mittelam.  S.  197. 


')  Über  die  dortigen  Verhältnisse  unterrichtet  Padre  Kr. 
Manuel  Blanco,  Flora  de  Filipinas.  Es  scheint,  als  ob 
dort  zuerst  die  Sitte  aufgekommen  ist,  die  Schokolade  mit 
Kaffee  vermischt  zu  trinken:  „Otros  le  (dem  Kakao)  aiiaden 
cafe  tostado  en  sustancia."     2.  Aufl.     S.  422. 


Täuschende  Ähnlichkeit  mit  Bienen,  Wespen  und  Ameisen. 


[Nachdruck  vcrbotCD.] 


Von  Prof.  Dr. 


Auf  Seite  752  des  letzten  Bandes  dieser  Zeit- 
schrift kommt  Heikertinger,  bezugnehmend 
auf  meinen  Aufsatz  (S.  173)  noch  einmal  auf  den 
Bienenfang  der  Spinnen-  und  den  Ameisenfang 
der  Vögel  zurück.  —  Da  Heikertinger,  um 
seine  Theorie  stützen  zu  können,  unausgesetzt  die 
Forschungsresultate  anderer  unrichtig  wiedergibt 
und  alles  fortläßt,  was  gegen  seine  Theorie  spricht, 
würde  ich  es  nicht  für  nötig  halten,  noch  einmal 
in  diesem  Punkt  das  Wort  zu  nehmen,  wenn  ich 
es  nicht,  als  staatlich  angestellter  Spezialist  in  der 
Spinnentierkunde,  für  meine  Pflicht  hielte,  weitere 
Kreise  über   den    wahren  Sachverhalt  aufzuklären. 

Aus  der  etwas  unklaren  jetzigen  Darstellung 
Heikertingers  muß  derjenige  Leser,  der  meine 
früheren  Arbeiten  und  Ausführungen  nicht  noch 
einmal  vornimmt,  den  Eindruck  gewinnen,  i.  daß 
zwischen  den  Bienen  und  Spinnen,  mit  denen  ich 
experimentiert  habe  und  denen,  über  die  sonst 
gewöhnlich    in    der  Mimikryliteratur  die  Rede  ist. 


Friedr.  Dahl. 

ein  wesentlicher  Unterschied  bestehe,  2.  daß  auch 
nach  meiner  Ansicht  die  Kreuzspinne,  mit  der 
Heikertinger  einige  Versuche  gemacht  hat, 
zu  denjenigen  Spinnen  gehört,  welche  Bienen  in 
allen  Fällen  leicht  bewältigen  und  3.  daß 
ich  bei  meinen  Experimenten  Bienen  verwendet 
habe,  welche  im  Verhältnis  zur  Spinne  zu  groß 
waren  und  deshalb  freigegeben  wurden.  —  Ein 
unbefangener  Leser,  dem  ich  Heikertingers 
Darstellung  vorlegte,  verstand  diese  wenigstens 
so.  —  Alles  das  ist  aber  unrichtig. 

Ad  I.  Zunächst  verstehe  ich  auch  jetzt  noch 
nicht,  warum  die  kleineren  Bienen,  die,  ebenso 
wie  die  größeren,  mit  einem  Stachel  bewehrt  sind, 
und  denen,  ebenso  wie  den  größeren,  wehrlose 
Fliegen  in  Bau,  Haltung  und  Bewegungen  täuschend 
ähnlich  sind  (Mimikry),  nur  deshalb,  weil  sie  mit 
einer  Theorie  in  Widerspruch  stehen,  „außerhalb" 
bleiben  sollen.  —  Zudem  habe  ich,  wie  sich  jeder 
Leser  leicht   überzeugen   kann  (Vierteljahrsschr.  f. 


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7« 


wiss.  Philos.  Bd.  9  S.  177),  auch  mit  Tieren  ex- 
perimentiert, die  annähernd  so  groß  sind  wie  die 
Kreuzspinne  und  die  Honigbiene.  Ich  benutzte 
Arama sclopetaria,  Andrena  labialis  und Helophihis 
pcnditltis.  Bei  allen  meinen  Versuchen  mit  diesen 
Tieren  entkam  die  genannte  Biene  und  die  bienen- 
ähnliche Fliege  regelmäßig  aus  dem  Netz.  Nur 
das  Abbeißen  der  haltenden  Fäden  ging  in  diesen 
Fällen  so  schnell  vor  sich,  daß  ich  es  nicht  mit 
aller  wünschenswerten  Sicherheit  feststellen  konnte. 
Dieses  Abbeißen  habe  ich  dagegen  bei  Zilla 
x-noiata  sehr  deutlich  gesehen.  Worauf  es  aber 
bei  der  Mimikryfrage  allein  ankommt,  das  zeigte 
sich  auch  in  diesen  Fällen  sehr  klar  und  sicher: 
Die  Spinne  verhielt  sich  diesen  Tieren  gegenüber 
völlig  anders  als  noch  größeren  gewöhnlichen 
Fliegen  gegenüber  und  die  Versuchstiere  entkamen 
deshalb  regelmäßig,  während  die  größeren  ge- 
wöhnlichen Fliegen  regelmäßig  gefangen  wurden. 

—  Bei  meinen  Versuchen  ging  ich  allerdings  viel 
sorgsamer  zu  Werke  als  Heikertinger,  der  die 
Honigbiene  gewaltsam  mit  einer  Pinzette  am 
Hinterbein  packte  und  ins  Netz  hielt.  Solche  Fälle 
kommen  in  der  Natur  nicht  vor  und  können 
deshalb  bei  Schlüssen  auf  das  Naturleben  nicht 
maßgebend  sein.  Ich  habe  ausdrücklich  einen  Fall 
erwähnt,  daß  eine  ziemlich  stark  gedrückte  Biene, 
Nomada  succincta,  von  der  Aranea  sclopetaria  ein- 
gesponnen und  an  die  Wohnung  geschleppt  wurde. 

—  Was  speziell  die  Kreuzspinne  anbetrifft,  so 
verweise  ich  auf  das  Spinnenwerk  von  A.  Menge 
(Preußische  Spinnen  in:  Sehr.  d.  naturf.  Ges.  Danzig 
1866 — 78  S.46),  den  ich  in  meinem  Aufsatz  als  einen 
unserer  vorzüglichsten  Spinnenbeobachter  bezeich- 
nete, und  der  als  solcher  den  Biologen  allgemein 
bekannt  ist.  Menge  sagt:  „Erkennt  die  Spinne 
das  ins  Netz  gedrungene  Tier  als  gefahrbringend, 
z.  B.  eine  größere  Wespe  oder  Ameise,  oder  ist 
es  für  sie  ungenießbar,  so  beißt  sie  selbst  die 
zurückhaltenden  Fäden  ab  und  ist  dem  Tiere  zu 
seinem  Entkommen  behilflich."  —  Also  auch  da 
liegt  eine  durchaus  zuverlässige  Veröffentlichung 
vor.  —  Ad  2.  Über  das  Bewältigen  von  Bienen 
im  Netz  der  Spinnen,  das  ich  nur  nebenbei  er- 
wähnte, konnte  ich  die  ganze  Literatur  nicht 
bringen  und  glaubte  durch  den  allgemeinen  Hin- 
weis auf  Menge  für  jeden,  der  sich  weiter  für 
die  Frage  interessiert,  dargetan  zu  haben,  daß  die 
Kreuzspinne  nicht  zu  ihnen  gehört.  Auch  jetzt 
kann  ich  nicht  alles  bringen,  da  natürlich  kritische 
Auseinandersetzungen  nötig  sind.  Als  eine  Spin- 
nengattung, bei  der  man  den  Bienen-  und  Hummel- 
fang auch  in  der  Natur  beobachtete,  nenne 
ich  nur  die  Gattung  Argyope.  Die  Gattung  kommt 
für  Deutschland  fast  gar  nicht  in  Betracht,  weil 
sie  nur  bei  Berlin  und  am  Rhein  von  Bingen  bis 
Basel  einzeln,  selten  zahlreich,  vorkommt.  Be- 
obachtungen in  der  Natur  sind  übrigens  in  allen 
Fällen,  in  denen  es  sich  um  Schlüsse  auf  das 
Naturleben  handelt,  viel  wertvoller  als  Experi- 
mente. Experimente  bleiben  da  immer  nur  ein 
Notbehelf.   —    Ad   3.     Bei   meinen  Experimenten 


mit  Bienen  habe  ich  stets,  wie  jeder  aus  meiner 
genannten  Arbeit  ersehen  kann,  einen  Gegenver- 
such gemacht  und  zwar,  wenn  möglich,  mit  Fliegen, 
die  noch  etwas  größer  waren  als  die  Bienen. 

Wir  kommen  nun  zu  einer  zweiten  Frage,  wie- 
weit Ameisen  von  den  Vögeln  gefressen  werden. 
Heikertinger  sagt,  er  habe  „an  erdrückendem 
Tatsachenmaterial  nachgewiesen,  daß  die  Ameisen 
eine  Hauptnahrung  der  Vögel  ausmachen".  —  Er 
selbst  hat  keine  Untersuchungen  am  Objekt  ge- 
macht. —  Sehen  wir  uns  also  einmal  an,  wie  er 
die  Literatur  benutzt.  —  Da  er  meine  Arbeit  über 
„Das  Leben  der  Vögel  auf  den  Bismarckinseln" 
(Mitt.  a.  d.  zool.  Mus.  Berlin,  Bd.  i,  H.  3,  S.  107  ff.) 
nennt,  mag  uns  diese  Arbeit  als  Beispiel  dienen. 

—  In  seiner  Abhandlung  (Biol.  Zentralbl.  Bd.  39, 
S.  98)  sagt  Heikertinger:  „Eine  Arbeit  F. 
Dahls  gewährt  uns  einigen  Einblick  in  die 
Nahrung  der  Vögel  der  Bismarckinseln.  Von  63 
zumeist  insektivoren  Vogelarten  fanden  sich  in 
28  Ameisen  vor  und  zwar  ebensowohl  geflügelte 
als  ungeflügelte."  —  So  kurz  und  allgemein  diese 
Angabe  ist,  so  falsch  ist  sie  von  Anfang  bis  zu 
Ende  und  zwar  von  ihm  zugunsten  seiner  Theorie 
gefälscht.  —  Zunächst  sei  erwähnt,  daß  ich  im 
ganzen  280  Mageninhalte  von  97  Vogelarten  ge- 
nau untersuchte.  Unter  diesen  waren,  wenn  man 
von  Fällen  absieht,  in  denen  Insekten  höchstens, 
wie  angegeben  wurde,  den  hundertsten  Teil  des 
Mageninhalts  ausmachten  und  nur  zufällig  mit 
Pflanzenteilen  aufgenommen  sein  konnten,  167 
Mägen  54  insektenfressenden  Vogelarten 
entnommen.  In  41  Mägen,  die  27  Vogelarten 
entnommen  waren,  befanden  sich  Ameisen;  aber 
nur  in  10  Mägen  von  9  Vogelarten  wurden  sicher 
ungeflügelte  Ameisen,  d.  i.  Arbeiter,  nachgewiesen. 
In  19  Mägen  waren  es  sicher  nur  geflügelte,  und 
in  12  Mägen  von  10  Vogelarten  waren  die  Ameisen 
soweit  zerstört,  daß  man  nicht  erkennen  konnte, 
ob  es  Geschlechtstiere  oder  Arbeiter  waren.  — 
Die  Angabe  H ei ker tingers,  daß  in  den  Mägen 
aller  27  (bzw.  28)  ameisenfressenden  Arten  „so- 
wohl geflügelte  als  ungeflügelte"  vorhanden  ge- 
wesen seien,  ist  also  falsch.  Selbst  wenn  alle 
Ameisenbruchstücke  von  Arbeitern  hergerührt 
haben  würden,  was  als  vollkommen  ausgeschlossen 
gelten  kann,  könnten  es  höchstens  19  Vogelarten 
sein,  welche  Arbeiter  gefressen  hatten.  Nach  der 
Lebensweise  der  Vögel  zu  schließen  aber  waren 
es  gewiß  nicht  mehr  als  10 — 12  Arten.  Auf  die 
Arbeiter  aber  kommt  es  bei  der  Mimikryfrage 
allein  an;  denn  Mimikryfälle  nach  geflügelten 
Ameisen  sind  bisher  noch  nicht  bekannt  geworden. 

—  Es  kommt  hinzu,  daß  ich  nur  bei  einer  einzigen 
Vogelart  im  Bismarck- Archipel,  bei  Megaluriis 
iiiacntnis  eine  größere  Zahl  von  Arbeitern  (30) 
im  Magen  fand  und  daß  gerade  diese  Vogelart  nur 
ganz  lokal  vorkommt,  von  mir  nur  auf  der  kleinen 
Insel  Uatom,  niemals  dagegen  auf  Neupommern 
selbst  beobachtet  wurde.  Abgesehen  von  Alega- 
lurus  fand  ich  höchstens  2  Ameisenarbeiter  in 
einem  Magen.  —  Zu   diesen  Befunden  muß  noch 


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eins  berücksichtigt  werden,  worauf  ich  in  meiner 
Arbeit  „Das  Leben  der  Ameisen  im  Bismarck- 
Archipel"  (Mitt.  a.  d.  zool.  Mus.  Berlin  Bd.  2, 
H.  I III)  ganz  besonders  hingewiesen  habe :  Der 
Ameisenreichtum  ist  im  Bismarck -Archipel,  wie 
jedem  Besucher  sofort  auffällt,  ein  ungeheurer. 
Nach  meinen  zahlreichen  Köderfängen  mittels 
Selbstfängers,  die  ich  in  Norddeutschland  und  im 
Bismarck-Archipel  in  gleicher  Weise  unter  sorg- 
fältiger Vermeidung  von  Ameisennestern  und 
Ameisenstraßen,  ausführte,  ließ  sich  berechnen, 
daß  der  Ameisenreichtum,  d.  i.  der  Reichtum  an 
Ameisenarbeitern  im  Bismarck-Archipel  etwa  30 
mal  so  groß  ist  als  in  Norddeutschland.  Was  be- 
deuten da,  frage  ich,  die  wenigen  Ameisenarbeiter, 
die  ich  wirklich  in  Vogelmägen  fand? 

Vergleichen  wir  aber  nun  einmal  die  Individuen- 
zahlen der  verschiedenen  Landarthropoden,  die  in 
den  Mägen  der  Vögel  des  Bismarck- Archipels  ge- 
funden   wurden.    —    Zunächst    sei    darauf   hinge- 
wiesen,  daß,   abgesehen    von  den  Tagfaltern,    die 
täuschende  Ähnlichkeit  sich  ganz  besonders  beim 
ruhenden    und    kriechenden   Tiere    zeigt.      Damit 
steht  im  Einklang,    daß  die  fliegend  fangenden 
Vögel    des    Bismarck-Archipels,    wie    die   Magen- 
inhalte zeigen,  beim  Fange  eine  Auswahl    nur   in 
der    Größe    treffen,    sonst    aber    Fliegen,    Bienen, 
Ameisen,   Käfer   und   Wanzen   ohne   Unterschied 
fressen.  Wenn  der  Bienenfresser  f'ili/d?;'^?/'^/'  besonders 
Bienen  frißt,  so  liegt  das  lediglich  daran,  daß  an  den 
Orten,  wo  er  seine  Jagd  betreibt,   die   fliegenden 
Insekten  von  geeigneter  Größe  besonders  Bienen 
sind.      Da  die    fliegendfangenden   Vögel   für   die 
Mimikryfrage,  abgesehen  von  den  Tagfaltern,  also 
nicht    in   Betracht   kommen,   mögen   sie  zunächst 
aus  unserer  Statistik  ausscheiden.   Ebenso  scheiden 
aus  die  Seeschwalben  (Sterna),  welche  ihre  Nahrung 
auf  dem  Meere  suchen  und  gelegentlich  tote  oder 
halbtote   geflügelte   Insekten   auf  der   Oberfläche 
treibend  finden.    —    Es    ergeben    sich    dann    aus 
meinen    Magenuntersuchungen    folgende    Zahlen : 
142  Vögel   hatten   gefressen:   87   Spinnen,   mehr 
als  280  Käfer,   4  Schmetterlinge,    mehr    als    I2i 
Raupen,    159   Ameisen    (und    zwar    42    Arbeiter, 
68  Geschlechtstiere  und  49  zweifelhafte),  4  Bienen, 
2  Grabwespen,   keine  Faltenwespen  und  Schlupf- 
wespen, 23  Zweiflügler,  197  Zweiflüglerlarven,  4 
Ameisenlöwen,  39  Wanzen,    33  Zikaden,  22  Ohr- 
würmer  und   69    Geradflügler.      Die   Zahlen    ent- 
sprechen   bei    den    Käfern,    Raupen,   Zweiflügler- 
larven,   Zikaden,    Ohrwürmern    und  Geradflüglern 
etwa  dem  Eindruck,    den    man   selbst  beim  Sam- 
meln von  ihrer  Häufigkeit  bekommt.  —  Entschie- 
den   zu    niedrig   ist    die  Zahl  der  Schmetterlinge, 
Hautflügler,   Zweiflügler   und  Wanzen.      Auch  bei 
den    Spinnen    scheint    mir    die    Zahl    keineswegs 
ganz  der  Häufigkeit  zu  entsprechen.  —   Z.  T.  er- 
.    klärt  sich  das  Mißverhältnis  in  den  letztgenannten 
Tiergruppen    daraus,    daß   die   Tiere   keine   Teile 
besitzen ,    die    sich    bei    der    Druckwirkung    des 
Muskelmagens    gut    erhalten    und    die    schon    in 
Bruchstücken  erkennbar  sind.     Alle  Tiere,  welche 


feste  Mundwerkzeuge  oder  einen  festen  Kopf  be- 
sitzen, lassen  sich  leicht  der  Gruppe  und  der  Zahl 
nach  feststellen.   Feste  Mundwerkzeuge  (Cheliceren) 
haben    freilich    auch    die    Spinnen.      Wenn   diese 
trotzdem  in  zu  geringer  Zahl  erscheinen,  so  wird 
es   daran    Hegen,    daß    erfahrungsgemäß    von  den 
Vögeln    oft    nur    der    leicht    abtrennbare    weiche 
Hinterleib  gefressen  wird,  dieser  aber  im  Magen- 
inhalt schwer  zu  erkennen  ist.    Die  sicher  erkenn- 
baren   Spinnwarzen    sind    zu     klein    und    werden 
nicht  leicht  gefunden.    Daß  bei  Vögeln  gegen  die 
Spinne    als    Nahrung   irgendeine  Abneigung    vor- 
handen  wäre,   läßt  sich   also   aus   ihrer  Zahl  im 
Magen   nicht   nachweisen.   —   Viel   zu  gering   ist 
die    Zahl    der   Zweiflügler,    die,    nach  meiner  Be- 
rechnung   aus    den    Köderfängen,    im    Bismarck- 
Archipel  35  "1^1  so  individuenreich  vertreten  sind 
als  bei   uns   (Mitt.  a.  d.  zool.  Mus.  Bd.  I,  Heft  3, 
S.  1 29  f.),  was  sehr  viel   sagen  will ,   da   sie   auch 
bei  uns  schon  recht  individuenreich  vertreten  sind. 
Da  wir  wissen,  daß  Fliegen  allgemein  von  Vögeln 
gern  gefressen  werden,  könnte  man  denken,    daß 
sie  als  die   geschicktesten   Flieger   unter   den   In- 
sekten, durch  ihren  geschickten  Flug  den  Vögeln 
entgehen, ')  und  das  mag  in  einem  gewissen  Grade 
auch  richtig  sein.     Bei   ihrem    großen  Individuen- 
reichtum   erklärt    uns    der   geschickte  Flug    aber 
auch   nicht  annähernd   ihre  äußerst  geringe  Zahl 
in  den  Mageninhalten  der  Vögel;   denn  auch  bei 
den  geschickt  fliegenden,  fliegendfangenden  Vögeln 
ist    offenbar    die   Zahl    der    Dipteren    (57    in    23 
Mägen)  viel  zu  gering.    Nun  wissen  wir  aber,  daß 
die  Dipteren  durchweg  sehr  zart  gebaut  und  da- 
bei  äußerst   brüchig   sind   und  daß  sie  sehr  feste 
Teile,  die  gequetscht  leicht  erkennbar  wären,  nicht 
besitzen.      Ferner    zeigt    die    Untersuchung    der 
Mageninhalte,  daß  gerade  bei  den  Vogelarten,  bei 
denen  Dipteren  besonders   als  Nahrung   in  Frage 
kommen  könnten,    nach   den  Angaben    in  meiner 
Arbeit   fast   immer   ein   großer  Teil   des   Magen- 
inhaltes  als   unerkennbare  Masse   vorhanden  war. 
Da  diese  Masse  aber  meist  Chitinteilchen  erkennen 
ließ,    dürfen    wir    wohl    annehmen,    daß    die    ge- 
fressenen Dipteren   der  Mehrzahl   nach    unter  der 
Wirkung     des     Muskelmagens     völlig     zermalmt 
sind.     —    Dasselbe    gilt    für    die    Schmetterlinge 
namentlich    für   die   Kleinschmetterlinge    und   die 
kleineren    Heteroceren.    —   Schmetterlingsraupen 
und   Dipterenlarven    sind    zwar   auch   dünnhäutig. 
Aber  ihre  Haut  ist  verhältnismäßig    zäh ,    so    daß 
diese   trotz   ihrer   Zartheit    meist   erkannt   wurde. 
Von  den  Raupen  wurden  allerdings  bisweilen  nur 
die  Köpfe  und  die  Stigmen  erkannt.  —  Es  bleiben 
dann   nur   die    Hymenopteren    und  Wanzen,    die, 
obgleich  sie  leicht  erkennbare  Hartgebilde  besitzen, 
in    zu    geringer   Zahl    in   den  Mageninhalten   sich 
finden.     Besonders  fällt  das  bei   den  Wanzen  auf, 
die  im  Bismarck-Archipel  außerordentlich  viel  in- 
dividuenreicher  vorhanden   sind   als    die   Zikaden 


')  Die  schlimmsten  Feinde    der  Dipteren   sind   zweifellos 
die  netzbauenden  Spinnen. 


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und  sich  trotzdem  in  den  Mageninhalten  in  kaum 
größerer  Zahl  finden.  Bei  den  Hymenopteren 
muß  ganz  besonders  die  geringe  Zahl  der  Ameisen- 
a  r  b  e  i  t  e  r  auffallen,  deren  Individuenreichtum,  wie 
schon  hervorgehoben  wurde,  im  Bismarck- Archipel, 
ganz  enorm  groß  ist.  Doch  auch  die  Bienen, 
Grabwespen  und  Faltenwespen  sind  reich  ver- 
treten und  nicht  annähernd  in  entsprechender 
Zahl  in  den  Mageninhalten  vorhanden.  Bei  den 
genannten  Hautflügjern  und  den  Wanzen  bleibt 
uns  nichts  anderes  übrig,  als  anzunehmen,  daß  sie 
von  vielen  Vögeln  als  Nahrung  gemieden  werden. 
Sie  fanden  sich  auch  nur  in  dem  Magen  verhält- 
nismäßig weniger  Vogel  arten.  Während  sich 
Käfer  bei  29  nichtfliegendfangenden  Vogelarten 
und  die  verhältnismäßig  individuenärmeren  Gerad- 
flügler bei  23  Vogelarten  fanden,  hatten  nur 
8  Arten  Bienen  gefressen,  nur  14  Arten  Wanzen 
und  auch  nur  15  Arten  geflügelte  Ameisen. 
Ameisenarbeiter  werden,  wie  schon  oben  ange- 
geben wurde,  höchstens  von  12  Vogelarten  ge- 
fressen. 

Damit    ist    der    Beweis    erbracht,    daß    im 
Bismarck- Archipel  die  Ameisen,  Wespen,   Bienen 
und  Wanzen   unter   den  Vögeln   weniger  Feinde 
besitzen  als  andere  Insekten,  daß  sie  also,  während 
sie  ihrer  Nahrung    nachgehen    und    in    der    Brut- 
pflege tätig  sind,    weniger   von  Vögeln   behelligt 
werden  als  andere  Insekten.   —   Bewiesen  ist  da- 
mit  freilich    nur,    daß   sie  von  manchen  Vögeln 
gemieden   werden.     Die   Frage,   warum  sie  ge- 
mieden werden,  interessiert    uns    erst   an    zweiter 
Stelle.  —  Da  wir  wissen,  daß  besonders  in  diesen 
beiden  Ordnungen  unangenehme,  ja,  sogar  gefähr- 
liche Absonderungen  vorkommen,    liegt    der  Ge- 
danke allerdings  sehr  nahe,   das  Gemiedenwerden 
diesen    Absonderungen    zuzuschreiben.      Da    die 
Absonderungen  nicht  bei  allen  Arten  der  Gruppe 
gleich  stark   sind,  —   wissen    wir   doch,    daß   bei 
manchen    Wanzen,    namentlich    bei    gestreckten, 
unscheinbar    gefärbten    Arten,    der    Geruch    sehr 
schwach  ist,  —  würde  uns  die  Richtigkeit  dieser 
Annahme    noch    klarer   vor   Augen    treten,    wenn 
wir  bei  unseren  Vergleichen  über  die  „Ordnung" 
hinaus,   wenigstens   bis   auf  die  „Familie"  weiter 
gingen.     Wir  würden  dann  sehen,  daß  unter  den 
Wanzen  manche,  z.  B.  die  sehr  lebhaft  gefärbten 
Pyrrhocoriden,    fast   nur   von  den  Kuckucken  ge- 
fressen   werden,    von    diesen   aber   ziemlich  regel- 
mäßig.    Wir  würden  weiter  sehen,   daß   es  auch 
unter  den  Käfern  einzelne  Gruppen  gibt,  die  (ab- 
gesehen von    den  fliegendfangenden  Vögeln)    nur 
von  den  Kuckucken  gefressen  werden ,   z.  B.  eine 
lebhaft  gefärbte  häufige  Coccinellide  und  die  eben- 
falls lebhaft  gefärbte  Gattung  O'idcs. 

Steht  nun  fest,  daß  Bienen,  Wespen  und 
Ameisenarbeiter  von  vielen  insektenfressenden 
Vögeln  gemieden  werden,  so  ergibt  sich  als 
logischer  Schluß,  daß  diejenigen  Tiere  anderer 
Gruppen,  die  ihnen  täuschend  ähnlich  sind,  in 
dieser  Ähnlichkeit  einen  großen  Vorteil  besitzen  und 
nur  das  setzt  die  Selektionslehre  voraus.  Diese  Lehre 


gibt  dann  für  das,  was  der  Neolamarckismus  als 
Zufall  ansehen  muß,  eine  natürliche  Er- 
klärung. 

Wie  der  Leser  an  dem  hier  gegebenen  Bei- 
spiel sieht,  muß  der  Forscher,  um  aus  Vogel- 
magenuntersuchungen sichere  Schlüsse  ziehen  zu 
können,  äußerst  sorgfältig.  Schritt  für  Schritt  vor- 
gehen. Bei  Heikertinger  bemerken  wir  von 
einer  solchen  Sorgfalt  keine  Spur.  Bei  ihm  soll 
es  die  Masse  tun.  Die  Masse  soll  das  „erdrückende 
Beweismaterial"  liefern. 

In  meiner  Arbeit  über  die  Ameisen  des  Bis- 
marck-Archipels  nannte  ich  die  Vögel  die  schlimm- 
sten Feinde  der  Ameisen,  und  das  ist  richtig.  Ich 
wies  aber  ausdrücklich  darauf  hin,  daß  gerade  die 
Vernichtung  der  Geschlechtstiere  den  Be- 
stand der  Ameisenstaaten  gefährden  könne.  Die 
wenigen  Arbeiter,  die  von  den  Vögeln  gefressen 
werden,  kommen  dabei  gar  nicht  in  Betracht. 
Meine  Worte  schließen  keineswegs  aus,  daß  die 
Vögel  anderen  Tiergruppen  noch  weit  schlimmere 
Feinde  sind.  Durch  meine  hier  gegebenen  Aus- 
führungen ist  dafür  der  Beweis  geliefert. 

Was   die  Magenuntersuchungen   einheimischer 
Vögel  anbetrifft,  so  bin  ich  bereits  in  einer  ande- 
ren Zeitschrift  („Aus  der  Heimat"  Jahrg.  33,  S.  22) 
näher   auf  dieselben    eingegangen    und    werde   in 
derselben  Zeitschrift  noch  einmal  auf  das  Thema 
zurückkommen.  —  Hier  sei  nur  noch  einmal  her- 
vorgehoben,   in    wie    geringer   Zahl    die    Arbeiter 
unserer  Waldameise,  (der  eine  einheimische  Spinne 
täuschend  ähnlich  ist),  von  Vögeln  gefressen  wer- 
den, namentlich  während  des  Sommers.     —    Man 
kann  es  nicht  genug  betonen,  daß  Tiere,   welche 
so   offen    auftreten    wie    unsere    Waldameise,    un- 
möglich viele  Feinde  haben  können,  weil  sie  dann 
schon  längst  ausgerottet  sein   würde;    und    damit 
decken  sich  alle  Vogelmagenuntersuchungen  voll- 
kommen.     Neben    den    Ameisenstraßen    könnten 
zahlreiche  Vögel  sich  gütlich  tun,  wenn  ihnen  die 
Waldameise  wirklich  ein  angenehmes  Futter  wäre. 
Jeder  Tierbeobachter  kann  sich  leicht  davon  über- 
zeugen, daß  man  mit  einer  Pinzette   eine  Ameise 
nach  der  andern  aufsammeln  kann,  ohne  von  den 
anderen  belästigt  zu  werden.  —  Man  müßte  also 
hunderte  von  Waldameisenarbeiter  in  den  Vogel- 
mägen  finden.     Und  was  findet  man?     Während 
des  Sommers   günstigenfalls   einzelne  Stücke.     Ist 
das  alles  Zufall?  — Daß  offen  auftretende  Tiere 
von    den    Vögeln    gemieden,    versteckt    lebende 
gierig  gefressen  werden,    ist  übrigens  eine  so  all- 
gemein  gültige  Erscheinung,   daß  jeder  Naturbe- 
obachter, ja,  sogar  der  Laie  sie  kennt.      Welcher 
Garten-  und  Hühnerbesitzer  wüßte  nicht,  daß  die 
zahlreich  frei  auf  dem  Kohl  lebenden  Raupen  des 
Kohlweißlings  von  den  Hühnern,  auch  einzeln  vor- 
geworfen,  verschmäht,   die    im   Innern    der  Kohl- 
köpfe lebende  Raupe  der  Kohleule  dagegen  gierig 
gefressen  wird.    Ist  das  alles  Zufall?  —  Heiker- 
ting;er  sagt:  „Eine  Unterscheidung  zwischen  ge- 
fährlichen   und    harmlosen  Ameisen    müßte    vom 
Vogel-    und    nicht    vom  Menschenstandpunkt  vor- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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genommen  werden,  was  aber  für  uns  Menschen 
undurchführbar  ist."  —  Gewiß  ist  das  durchführbar. 
Wenn  man  im  Magen  des  Wendehalses,  nach  den 
bis  jetzt  vorliegenden  Untersuchungen,  während 
des  Sommers  fast  nie  Waldameisen,  sehr  zahl- 
reich aber  andere  Ameisen  findet,  so  muß  er  sie 
doch  wohl  unterscheiden  können;  denn  daß  er 
Waldameisen,  auch  einzeln  umherlaufende,  im  Som- 
mer nicht  finden  könne,  wird  doch  wohl  keiner, 
der  das  Tierleben  der  Heimat  kennt,  glauben 
wollen.  —  Der  Vertreter  der  neolamarckistischen 
Zufallstheorie  wird  sich  also  immer  wieder  mit 
der  Annahme  beruhigen  müssen,  es  ist  Zufall, 
während  sich  für  den  Vertreter  der  Selektions- 
lehre das  eine  stets  als  notwendige  F"olge  aus  dem 
anderen  ergibt. 

Ich  hoffe  durch  meine  hier  gegebenen  Aus- 
führungen dem  nicht  voreingenommenen  Leser 
klar  vor  Augen  geführt  zu  haben,  wie  verschieden 
der  Neodarwinismus  und  der  Neolamarckismus 
den  aus  den  Vogelmagenuntersuchungen  sich 
ergebenden   Tatsachen  gegenüberstehen. 

Wundern  muß  man  sich  eigentlich  über  das 
nochmalige  Wiederaufglimmen  des  Larmarckis- 
mus,  da  er  doch  das  allgemeine  Bedürfnis  des 
Menschen,  sich  alle  Erscheinungen  in  der  lebenden 
Natur  ursächlich  zu  erklären,  so  wenig  befriedigt, 
da  doch  erst  die  Darwinsche  Selektionslehre 
kommen  mußte,  um  den  Abstammungsgedanken 
zum  vollen  Siege  zu  führen.  —  Diese  eigenartige 
Erscheinung  dürfte  in  folgenden  drei  Tatsachen 
ihre  Erklärung  finden :  Erstens  darin ,  daß  B  o  - 
taniker  die  Abstammungslehre  mehr  in  die 
Hand  nahmen,  in  der  Botanik  aber  der  Kampf 
ums  Dasein  und  das  Wirken  der  Selektion  nicht 
so  klar  zutage  tritt  wie  in  der  Zoologie.  Zweitens 
daiin,  daß  über  die  wichtigsten  Fragen  der  Se- 
lektionslehre, namentHch  über  die  Mimikryfrage  in 
erster  Linie  die  Entomologie  zu  entscheiden  hatte, 
diese  sich  aber  vorwiegend  in  den  Händen  von 
Dilettanten  befindet.  Drittens  darin,  daß  die  Ver- 
treter der  Selektionslehre  sich  über  das  Auftreten 
der  ersten  Anfangsstadien  nützlicher  Eigenschaften 
immer  noch  nicht  völlig  klar  geworden  sind. 

Dilettanten  sind  leicht  geneigt  ins  Extrem  zu 
verfallen.  Nachdem  die  Entomologen  von  der 
Selektionslehre  gehört  hatten,  suchten  sie  überall 
nach  Mimikryfällen.  Bald  gab  es  für  sie  nur  noch 
Schutzfarben,  Trutzfarben  und  Mimikry.  Jede 
auch  nur  annähernde  Ähnlichkeit  wurde  von  ihnen 
als  Mimikry  gedeutet.  — ■  Die  Folge  war,  daß  sie 
die  Mimikrylehre  und  damit  auch  die  Selektions- 
lehre gründlich  in  Mißkredit  brachten;  denn  jeder, 
der  z.  B.  Vögel  kennt,  muß  sich  sagen',  daß 
viele  Farben  der  Tiere  weder  als  Schutzfarben 
noch  als  Trutzfarben  zu  verstehen  sind.  Da  man 
aber  nicht  auf  den  eigentlich  recht  nahe  liegen- 
den Gedanken  kam,  daß  das  Weibchen  jeder 
Tierart  das  Männchen  der  eigenen  Art  von  denen 
anderer  Arten,  die  am  gleichen  Orte  vorkommen, 
zur  Paarung  muß  unterscheiden  können,  daß, 
wenn  der  Geruchssinn  versagt,  wie  bei  den  Vögeln, 


zum  Erkennen  außer  dem  Gehörssinn  nur  noch 
der  bei  Vögeln  so  hoch  entwickelte  Gesichtssinn 
in  Frage  kommen  kann,  die  Farben  also  lediglich 
Erkennungs färben  sein  werden,  so  wandte 
man  der  Selektionslehre  den  Rücken  und  ließ  unbe- 
kannte  innere   Ursachen,   ließ   den  Zufall  walten. 

—  Die  extremen  Vertreter  der  Selektionslehre 
aber,  die  in  sehr  vielen  Fällen  durch  die  Selektion 
den  Zufall  ausgeschaltet  sahen,  wollten  gar  keinen 
Zufall  mehr  anerkennen  und  alles  durch  Selektion 
erklären.  —  Beides  ist  verfehlt :  —  Wie  ein  Stück 
Feuerstein  einem  Stück  Bernstein  lecht  ähnlich 
sein  kann,  ohne  daß  beide  Substanzen  auch  nur 
das  Geringste  miteinander  gemein  hätten,  so  kann 
auch  ein  Tier  einem  Tiere  aus  einer  anderen 
Gruppe  recht  ähnlich  sein,  ohne  daß  zwischen 
beiden  auch  nur  die  geringste  Beziehung  bestände. 

—  Freilich  ist  es  viel  merkwürdiger,  wenn  einmal 
zwei  Tiere  verschiedener  Gruppen  als  wenn  zwei 
Steine  einander  ähnlich  sind,  weil  die  Ähnlichkeit 
bei  Tieren  viel  mehr  an  Einzelheiten  gebunden 
ist.  Der  Fall  ist  um  so  merkwürdiger,  je  höher 
die  einander  ähnlichen  Tiere  organisiert  sind.  — 
Je  ähnlicher  zwei  hochorganisierte  Tiere  ver- 
schiedener Gruppen  einander  sind,  um  so  seltener 
wird  es  sich  um  eine  zufällige  Ähnlichkeit 
handeln.  Sehen  wir  deshalb  eine  Ähnlichkeit  mit 
Tieren  einer  Gruppe  (z.B.  mit  Ameisen)  in  ver- 
schiedenen Gruppen  wiederkehren,  so  sind 
wir,  wegen  der  äußerst  geringen  Wahrscheinlich- 
keit eines  Zufalls,  genötigt,  anzunehmen,  daß  die 
Fälle  in  der  gleichen  oder  in  einer  sehr  ähnlichen 
Weise  zustande  gekornmen  sind.  - —  Sehen  wir 
weiter,  daß  in  der  Ähnlichkeit  ein  Vorteil  der 
einen  Tiergruppe  begründet  ist,  so  haben  wir  da- 
mit einen  Anhaltspunkt,  mittels  der  Selektions- 
lehre den  Zufall  auszuschalten.  Wir  sind  dann  aber 
genötigt,  das  Wirken  der  Naturauslese  anzu- 
erkennen. So  zwingt  uns  schon  die  öfter  wie- 
derkehrende Ähnlichkeit  von  Spinnen,  die  viele 
Feinde  besitzen,  mit  Ameisenarbeitern,  die  wenige 
Feinde  besitzen,  die  Entstehung  der  Ähnlichkeit 
duich  Selektion  anzunehmen.  Das  ist  kurz  der 
logische  Gedankengang,  welcher  der  Mimikrylehre 
zugrunde  liegt.  Es  macht  uns  also  schon  die  in 
meinem  letzten  Aufsatz  hervorgehobene,  in  ver- 
schiedenen Spinnengruppen  wiederkehrende  Ähn- 
lichkeit mit  Ameisenarbeitern,  die  von  Vögeln 
selten  gefressen  werden,  die  Selektionslehre  gleich- 
sam zur  Gewißheit,  weil  die  Wahrscheinlichkeit, 
daß  in  allen  Fällen  ein  Zufall  vorliegt,  fast  gleich 
Null  ist.  —  Die  Gewißheit  wird  noch,  größer, 
wenn  das  nähere  Eingehen  auf  irgendeinen  Einzel- 
fall weitere  Einzelheiten  ergibt :  —  Sehen  wir,  daß 
bei  der  Gattung  Myrmaradnic  (Salticus) ,  im 
Gegensatz  zu  fast  allen  anderen  Spinnen,  die  Taster 
des  Weibchens  stark  erweitert  sind  und  dadurch 
die  Kiefer  der  Ameisen  vortäuschen,  daß  die 
Vorderbeine  beim  Gehen  vorgestreckt  gehalten 
werden  und  dadurch  die  Fühler  der  Ameisen  vor- 
täuschen, daß  nicht  nur  die  Gestalt  und  Haltung, 
sondern  auch  die  Bewegungen  ameisenartig  sind, 


N.  F.  XX.  Nr.  5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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so  kann  nach  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  ein 
Zufall  als  völlig  ausgeschlossen  gelten.  Schon  die 
Ameisenähnlichkeit  bei  den  Spinnen  genügt  also, 
um  die  Richtigkeit  der  Selektionslehre  dem  Neo- 
lamarckismus  gegenüber  zu  beweisen  für  jeden, 
der  es  gelernt  hat,  mathematisch  zu  denken. 
Diese  Gewißheit  darf  uns  aber  nicht  hindern, 
jeden  neuen  Fall  einer  Ähnlichkeit  einer  gründ- 
lichen Untersuchung  zu  unterwerfen.  Wir  dürfen 
niemals  ohne  erneute  Untersuchung  verallgemeinern 
wollen  und  müssen  uns  stets  darüber  klar  sein, 
daß  eine  zufällige  Ähnlichkeit  niemals  völlig 
ausgeschlossen  ist. 

Kurz  sei  zum  Schluß  des  Auftretens  der  ersten 
Anfange  nützlicher  Eigenschaften  bei  Tieren,  in 
unserem  Falle  der  Entstehung  der  ersten  An- 
fänge einer  Ameisenähnlichkeit  gedacht,  da  die 
Neolamarckisten  behaupten,  die  ersten  Anfänge 
einer  nützlichen  Eigenschaft  ließen  sich  durch  Natur- 
auslese nicht  erklären,  die  Vorteile  seien  zuerst 
zu  unbedeutend  um  Selektionswert  zu  besitzen. 
Den  Beweis  für  diese  Behauptung  sind  sie  uns 
freilich  schuldig  geblieben.  —  Nach  allem,  was 
der  Systematiker  täglich  beobachtet,  muß  genau 
das  Gegenteil  von  dem,  was  jene  behaupten,  als 
zutreffend  angenommen  werden.  Der  Systema- 
tiker weiß,  daß  bei  jeder  Tierart  einige  Eigen- 
schaften mehr,  andere  weniger  abändern,  und  zwar 
pflegen  alle  Eigenschaften,  die,  soweit  wir  die 
Funktion  kennen,  für  die  Erhaltung  der  Tierart 
wichtig  sind,  wenig  zu  variieren,  während  die 
weniger  lebenswichtigen  Eigenschaften  stark  ab- 
zuändern pflegen.  Schon  Darwin  wußte,  daß 
die  sog.  rudimentären  Organe,  die  keine  lebens- 
wichtige Funktion  mehr  besitzen  und  deshalb  ver- 
kümmern, meist  sehr  stark  variieren.  —  Nach 
diesen  unseren  Erfahrungen  muß  bei  den  Mimikry- 
formen, z.  B.  bei  den  ameisenähnlichen  Spring- 
spinnen die  ameisenähnliche  Gestalt,  da  sie  lebens- 
wichtig   ist,    verhältnismäßig    konstant    sein,    und 


das  trifft  zu.  Nur  die  mächtig  entwickelten  Man- 
dibeln  des  Männchens,  welche  dessen  Ameisen- 
ähnlichkeit bedeutend  herabsetzen,  variieren 
stark.  Die  Gestalt  des  Weibchens  aber  variiert 
wenig.  Als  bei  den  Vorfahren  dieser  Spinnen  die 
Ameisenähnlichkeit  noch  nicht  vorhanden  war, 
war  der  allgemeine  Habitus  noch  nicht  lebens- 
wichtig und  konnte  stark  variieren.  Durch  starke 
Variation  der  Körperform  kann,  namentlich  bei 
einer  gestreckten  Springspinne,  leicht  eine  ziem- 
lich hochgradige  Ameisenähnlichkeit  zustande 
kommen,  so  daß  die  Naturauslese  an  derartige 
Variationen  anknüpfen  konnte.  —  Starke  Variationen 
kennen  wir  auch  heute  noch  bei  vielen  Tierarten. 
Erinnert  sei  nur  an  die  verschiedenen  Farben  und 
Zeichnungen  des  Hainschneckengehäuses  (Helix 
)iemoralis) ,  einer  gemeinen  Ostseeassel  (Idothea 
haWiica)  und  an  die  starken  Farbenabänderungen 
fast  aller  Haustiere.  Der  Züchter  hatte  bei  der 
Domestikation  z.  B.  des  Rindes  natürlich  besonders 
einen  reichen  Milch-  und  Fleischertrag  im  Auge. 
Die  Haarfarbe  war  ihm  ziemlich  gleichgültig.  Des- 
halb trat  nach  Aufhören  der  Naturzüchtung  eine 
starke  Variation  der  Farbe  ein.  Verwildert  ein 
Haustier,  wie  man  es  beim  Kaninchen  kennt,  so 
tritt  sofort  wieder  die  Naturzüchtung  ein,  und  die 
Farbe  wird  wieder  konstant. 

Ich  möchte  diesen  Aufsatz  nicht  abschließen, 
ohne  auf  zwei  vorzügliche  kleine  Abhandlungen 
von  E.  Study  hingewiesen  zu  haben,  die  in  der 
Zeitschrift  „Die  Naturwissenschaften"  (7.  Jahrg. 
S.  371  ff.)  und  in  der  „Zeitschrift  für  induktive 
Abstammungs-  und  Vererbungslehre"  (Bd.  24,  S.  33  ff.) 
veröffentlicht  sind.  Die  erste  wendet  sich  gegen 
die  Anhänger  der  E  im  ersehen  Schule  und  be- 
kämpft sie  mit  ihren  eigenen  Waffen.  Die  zweite 
geht  mit  der  Logik  O.  Hertwigs  ins  Gericht. 
Beide  zeigen  klar,  daß  nur  die  Selektionslehrc 
unserem  logischen  Denken  gerecht  wird. 


Einzelberichte. 


Die  Lehre  von  der  inneren  Sekretion. 

Vor  dem  Jahre  1890  finden  sich  in  der  Lite- 
ratur nur  einige  wenige  Hinweise  auf  die  endo- 
krinen Drüsen  oder  Blutgefäßdrüsen,  welche  ihre 
Absonderungen  nicht  in  die  äußere  Umgebung 
des  Lebewesens,  sondern  ins  Blut  desselben  er- 
gießen. Immerhin  hatte  schon  1801  der  Physio- 
loge Legallois,  wie  Gley')  nachweist,  eine 
sehr  klare  Vorstellung  von  den  Beziehungen,  die 
vorhanden  sein  müssen  zwischen  den  verschiedenen 
Sekreten  auf  der  einen,  und  den  Schwankungen 
in  der  Zusammensetzung  des  venösen  Blutes  auf 
der  anderen  Seite.     Der  Göttinger  Professor  A.  A. 

')  Abhandlungen  und  Monographien  aus  dem  Gebiete  der 
Biologie  und  Medizin,  I.  Heft:  Gley,  „Die  Lehre  von  der 
inneren  Sekretion"  (Bern  J920,  Ernst  Bircher). 


Berthold  demonstrierte  1849  ^'s  erster  durch 
Versuche,  daß  die  Keimdrüsen  auf  dem  Wege  über 
das  Blut  den  ganzen  Organismus  beeinflussen 
können.  Auch  sonst  finden  sich  kurze  Hinweise 
auf  die  Drüsen  mit  innerer  Abscheidung.  Die 
wahren  Begründer  der  Lehre  von  der  inneren 
Sekretion  sind  jedoch  Claude  Bernard  und 
Brown-Sequard;  den  Anteil,  den  der  eine 
und  der  andere  an  der  Begründung  dieser  Lehre 
haben,  zeigt  Gley  auf. 

Als  wesentliche  Kennzeichen  der  Drüsen  mit 
innerer  Sekretion  werden  genannt:  i.  Die  Zellen 
der  sog.  Blutgefäßdrüsen  müssen  die  Eigenschaften 
von  drüsigen  Elementen  besitzen,  und  sie  müssen 
um  die  Blutgefäße  gelagert  sein,  die  aus  dem 
Organ  austreten;  2.  in  diesen  Zellen  und  in  dem 
venösen  Blut  der  Drüse  oder  in  der  austretenden 


1P^ 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  5 


Lymphe  muß  eine  spezifische  Substanz  chemisch 
nachgewiesen  werden  Icönnen;  und  3.  muß  das 
venöse  Blut  der  Drüse  die  physiologischen  Eigen- 
schaften dieser  spezifischen  Substanz  besitzen.  Für 
zahlreiche  Organe  —  sagt  Gley  —  die  zu  den 
Drüsen  mit  innerer  Sekretion  gerechnet  werden, 
„sind  ohne  Zweifel  nicht  alle  diese  Bedingungen 
erfüllt  worden ;  manche  dieser  Organe  sind  jedoch 
ganz  sicher  auch  vom  Standpunkt  der  schärfsten 
Kritik  als  Drüsen  mit  innerer  Sekretion  aufzu- 
fassen, denn  obwohl  nicht  alle  oben  erwähnten 
Merkmale  zugegen  sind,  gestattet  es  eine  Reihe 
übereinstimmender  Tatsachen ,  sie  als  endokrine 
Drüsen  anzuerkennen.  .  .  .  Niemand  wird  z.  B. 
bestreiten  wollen,  daß  die  Schilddrüse  eine  Blut- 
gefäßdrüse ist,  obwohl  man  bisher  im  venösen 
Blut  dieses  Organs  keine  spezifischen  chemischen 
oder  physiologischen  Eigenschaften  nachweisen 
konnte;  aber  die  Folgen  der  Exstirpation  dieses 
Organs  sind  so  eigenartig  und  die  Wirkung  des 
Schilddrüsenextraktes,  das  diese  schädlichen  Folgen 
aufhebt,  ist  so  charakteristisch,  daß  man  gezwungen 
ist  anzunehmen,  daß  die  Stoffe,  die  in  diesem  Ex- 
trakt enthalten  sind,  das  innere  Milieu  elektiv  be- 
einflussen." 

Eine  Ausnahme  von  der  Regel,  daß  die  Drüsen 
der  inneren  Abscheidung  keine  Beziehungen  zum 
äußeren  Milieu  haben,  bilden  die  Leber,  das  Pan- 
kreas, und  auch  die  Schleimhaut  des  Zwölffinger- 
darms und  des  Leerdarms,  die  Stoffe  sowohl  nach 
außen  wie  nach  innen  abscheiden.  Überdies  be- 
stehen gewisse  Wechselbeziehungen  zwischen  äuße- 
rer und  innerer  Abscheidung.  Als  typisches  Bei- 
spiel wird  u.  a.  der  Harnstoff  erwähnt,  der  in  der 
Leber  gebildet,  ins  Blut  ausgeschieden  und  von 
der  Niere  abgefangen  wird,  um  nach  außen  ab- 
gegeben zu  werden. 

Der  direkte  Nachweis  der  Abscheidungspro- 
dukte  in  den  Drüsen  oder  im  Blut  und  die  Er- 
mittlung ihrer  chemischen  Natur  ist  bisher  erst 
ausnahmsweise  gelungen.  „Es  sind  nur  wenige 
Stoffe,  die  in  den  Drüsenzellen  chemisch  nach- 
gewiesen werden  konnten :  so  Fette  in  den  Darm- 
zellen und  in  den  Zellen  des  Fettgewebes,  sowie 
Adrenalin  in  den  Zellen  der  Nebennieren.  Man 
hat  allerdings  auch  in  den  Zellen  der  Schilddrüse 
ein  Produkt  der  Zelltätigkeit  nachgewiesen ,  die 
kolloide  Substanz;  aber  wir  wissen  nicht,  ob  diese 
kolloide  Substanz  nur  das  aktive  Prinzip  des  Schild- 
drüsensekretes enthält  und  ob  es  das  ganze  aktive 
Prinzip  in  sich  beherbergt.  Der  chemische  Nach- 
weis der  spezifischen  Produkte  der  Drüsen  mit 
innerer  Sekretion  im  venösen  Blute  ist  ebenfalls 
nur  für  eine  geringe  Anzahl  von  Drüsen  gelungen. 
In  den  Darmvenen  und  im  Ductus  thoracicus  hat 
man  Fette  gefunden  und  sogar  quantitativ  be- 
stimmt; man  hat  Zucker  und  Harnstoff  im  Blut 
der  Lebervenen  nachgewiesen,  und  man  hat  schheß- 
lich  Adrenalin  im  Blute  der  Nebennierenvene  ge- 
funden." 

Sehr  wichtig  für  den  Beweis  des  Vorliegens 
innerer  Sekretion  ist  die  Feststellung,   daß  einem 


spezifischen  Produkt  der  Drüsentätigkeit  bestimmte 
physiologische  Eigenschaften  zukommen,  die  zeit- 
weilig auf  das  Blut  übertragen  werden.  Es  wäre 
nötig,  daß  er  für  alle  endokrinen  Drüsen  erbracht 
würde;  darauf  abzielende  Untersuchungen  sind 
jedoch  selten  gemacht  worden.  Ein  diesbezüg- 
licher Nachweis  wurde  erbracht  für  jene  Drüsen, 
in  denen  Stoffe  produziert  werden,  welche  den 
Ablauf  chemischer  Reaktionen  verändern  und  nach 
der  Art  von  Fermenten  wirken,  nämlich  das  innere 
Sekret  des  Pankreas,  das  zur  Regulierung  des  nor- 
malen Zuckergehaltes  im  Blute  dient,  und  das 
Antithrombin  der  Leber,  auf  dem  die  Gerinnung 
des  Blutes  beruht.  Auch  hinsichtlich  der  beiden 
bestbekannten  inneren  Abscheidungsstoffe,  des 
Sekretin  der  Schleimhaut  des  Zwölffinger-  und  des 
Leerdarms,  sowie  des  Adrenalin,  gelang  die  Fest- 
stellung, daß  dieselben  in  das  venöse  Blut  der 
Organe  übergehen,  in  welchen  sie  gebildet  werden. 

Statt  die  Anwesenheit  der  Sekrete  im  venösen 
Blut  zu  ermitteln,  wurde  gewöhnlich  ein  einfacheres 
Verfahren  angewendet,  das  in  der  Beobachtung 
der  Wirkung  von  Organextrakten  besteht.  Das 
Resultat  jedoch  istj  meint  Gley,  daß  beinahe 
alle  Arbeiten,  die  seit  fünfzehn  Jahren  über  diese 
Frage  ausgeführt  wurden,  auf  einer  Methode  be- 
ruhen, die  zwar  nicht  absolut  mangelhaft,  jedoch 
unvollständig  und  darum  ungenügend  ist.  Ohne 
die  große  Bedeutung  mancher  Ergebnisse  zu  ver- 
kennen, zu  welchen  die  Untersuchung  mit  Organ- 
extrakten führte,  warnt  Gley  vor  Schlüssen,  die 
einzig  auf  solcher  Wirkung  beruhen;  er  sagt: 
„Wenn  die  chemischen  und  physiologischen  Merk- 
male, d.  h.  der  Nachweis  des  spezifischen  Produktes 
im  venösen  Blute,  nicht  vorhanden  sind,  so  kann 
eine  innersekretorische  Wirkung  nur  dann  ange- 
nommen werden,  wenn  eine  ganze  Reihe  von 
übereinstimmenden  physiologischen,  pathologischen 
und  therapeutischen  Momenten  vorliegt :  es  muß 
nachgewiesen  sein,  daß  die  Exstirpation  des  Or- 
gans, dessen  innersekretorische  Wirkung  vermutet 
wird,  einen  ganzen  Komplex  von  funktionellen 
Störungen  hervorruft,  die  auch  beim  Menschen  als 
Krankheit  vorkommen  können;  ferner  daß  man 
diese  Störungen  herabmindern  oder  zum.  Ver- 
schwinden bringen  kann  durch  regelmäßige  An- 
wendung von  Organextrakten  oder  durch  Organ- 
verpflanzung, wenn  die  letztere  möglich  ist.  Der 
Erfolg  einer  solchen  Substitutionstherapie  bildet 
die  Gegenprobe  zu  den  Versuchen,  in  denen  ein 
Organ  zerstört  wird.  Und  nur  weil  eine  solche 
Reihe  von  übereinstimmenden  Tatsachen  mit  Be- 
zug auf  die  Schilddrüse  und  mit  Bezug  auf  die 
interstitielle  Drüse  der  Geschlechtsdrüsen  ermittelt 
wurde,  werden  die  Schilddrüse,  die  interstitielle 
Drüse  des  Hodens  und  das  Corpus  luteum  mit 
Recht  als  Organe  mit  innerer  Sekretion  betrachtet." 
Gleys  Einwände  gegen  die  Methode  der  Organ- 
extrakte lese  man  in  seiner  Schrift  selbst  nach. 

Die  inneren  Sekrete  werden  in  vier  Gruppen 
eingeteilt:  i.  Innere  Sekrete,  die  als  Nährstoffe 
dienen  (Glukose  der  Leber ;  Fett  der  Darmschleim- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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haut  und  des  Panniculus  adiposus;  Fibrinogen  der  gänge  oder  Funktionen  reguliert  werden.  3.  Hor- 
Leber).  2.  Morphogenetische  Substanzen  oder  mone  und  4.  Parhormone.  Die  Harmozone  teilt 
Harmozone,   durch   welche   die   chemischen   Vor-     Gley  wie  folgt  ein: 


Innere  Sekrete: 


1.  Substanzen,  die  im  Stoffwechsel      Substanz,     die     die     Zuckerpro- 
eine  Rolle  spielen.  duktion  reguliert. 

2.  Substanzen,    die   dazu   dienen,     Antithrombin, 
das  innere  Milieu  unverändert 

zu  erhalten. 

3.  Morphogenetische    Substanzen,     Chemische  Natur  unbekannt, 
die  durch  ihre  chemischen  Wir- 
kungen   die   Formbildung   be- 
einflussen. 


Organe  mit  innerer  Sekretion: 
Pankreas. 


Leber. 


Interstitielle  Drüse  des  Testi- 
kels  und  Corpus  luteum. 
Schilddrüse.  Hypophyse. 
Thymus. 


Die  Hormone  und  die  Parhormone  werden   nach  ihrer  physiologischen  Funktion   wie   nach- 
stehend gruppiert: 


Innere  Sekrete: 


Organe  mit  innerer  Sekretion: 


Hormone    mit    chemischen    Wir-     Substanz,   die   das  Trypsin   akti-      Milz. 


kungen. 


Hormone   mit   physiologischen 
Wirkungen. 


Parhormone. 


viert. 


Substanz,  die  den  Stickstoffumsatz     Schilddrüse, 
und  den  Gaswechsel  steigert. 


Sekretin. 

Galaktagoge  Substanz. 

Kohlensäure. 
Harnstoff. 


Schleimhaut    des    Duodenums 
und  Jejunums. 

Myometrale    Drüse ,     Plazenta 
oder  Fötus  (?). 

Muskeln  und  Drüsen. 

Leber. 


Entgegen  dem  sonstigen  Gebrauch  beschränkt 
Gley  die  Bezeichnung  „Hormone"  auf  eine  Ab- 
teilung der  inneren  Sekrete,  welche  als  eigentliche 
Reizstoffe  aufzufassen  sind. 

Die  Nährstoffsekrete  werden  in  recht  beträcht- 
lichen Mengen  ans  Blut  abgegeben;  sie  sind  für 
den  Energieverbrauch  bestimmt  und  werden  des- 
halb auch  Verbrauchssekrete  genannt.  Anderer- 
seits sind  die  „morphogenetischen  Substanzen 
und  die  Hormone  schon  in  sehr  geringen  Dosen 
wirksam;  es  handelt  sich  um  Körper,  die  sich 
augenscheinlich  in  ähnlicher  Weise  verhalten,  wie 
nervöse  Reize  oder  Fermente.  Mit  ihnen  gelangt 
keine  Energie  zu  den  Zellen,  die  von  ihnen  be- 
einflußt werden;  sie  setzen  bloß  präexistierende 
Energie  frei,  sie  regeln  die  physiologische  Funk- 
tion und  lösen  sie  aus".  Sehr  wichtig  ist,  daß 
Harmozone  und  Hormone  in  ihrem  Ursprung  und 
in  ihrer  Wirkung  spezifisch  im  anatomischen  und 
physiologischen  Sinne  sind,  nicht  aber  im  zoolo- 
gischen Sinne,  d.  h.  „die  Sekrete,  die  mit  einer 
elektiven  Wirkung  ausgestattet  sind,  stammen  aus 
einem  ganz  bestimmten  Organ  und  ausschließlich 
aus  diesem  Organ;    aber    welcher    Art    das    Tier 


auch  angehören  mag,  dem  sie  entnommen  wur- 
den, sie  üben  ihre  Wirkung  auch  auf  Tiere  aus, 
die  anderen  Arten  angehören".  Fraglich  ist,  ob 
die  Beschränkung  der  Sekrete  auf  bestimmte  Or- 
gane absolut  ist,  oder  „ob  sich  trotz  der  Arbeits- 
teilung im  Organismus  nicht  auch  in  anderen 
Organen  Spuren  von  Eigenschaften  nachweisen 
lassen,  die  bei  einem  bestimmten  Organ  die  aus- 
schlaggebende Eigenschaft  sind." 

Im  letzten  Teil  seiner  Arbeit  unternimmt 
Gley,  festzustellen,  aus  welchen  Stoffen  die  Drüsen- 
zellen die  von  ihnen  sezernierten  spezifischen  Sub- 
stanzen bereiten,  oder  mit  anderen  Worten,  wie 
die  Drüse  geladen  wird;  weiterhin  geht  er  auf 
die  Ursachen  ein,  welche  die  Ausscheidung  aus 
den  Drüsenzellen  oder  die  Entladung  der  Drüse 
hervorrufen.  Dann  untersucht  er  den  Einfluß  des 
Nervensystems  auf  die  innere  Sekretion  und 
schließlich  die  Wechselwirkung  oder  gegenseitige 
Beeinflussung  der  Drüsen  mit  innerer  Sekretion ; 
in  dieser  letzteren  Beziehung  sind  wichtige  patho- 
logische Probleme  erstanden. 

Aus  der  Unter-  oder  Überfunktion  der  Drüsen 
mit  innerer  Sekretion  erwachsen  mehr  oder  min- 


fs 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  5 


der  schwere  Störungen  der  Gesundheit.  Der  Be- 
griff der  Unterfunktion  ist  längst  bekannt  und 
manche  Pathologen  meinen,  daß  er  überhaupt  die 
Pathologie  zu  beherrschen  habe.  Da  die  endo- 
krinen Drüsen  nur  ganz  kleine  Mengen  von  außer- 
ordentlich wirksamen  Stoffen  liefern,  meint  Gley, 
es  sei  nicht  anzunehmen,  daß  ihre  Produktion 
allzu  leicht  ungenügend  würde.  Ebenso  wie  die 
Unterfunktion  wahrscheinlich  weniger  häufig  vor- 
kommt, als  heute  angenommen  wird,  spielt  wahr- 
scheinlich auch  die  Überfunktion  eine  verhältnis- 
mäßig bescheidene  Rolle.  Gley  sagt:  „Man  hat 
einen  großen  Mißbrauch  mit  Erklärungen  durch 
Störungen  der  inneren  Sekretion  getrieben;  man 
ging  dabei  so  weit,  daß,  wenn  man  einen  Sym- 
ptomenkomplex nicht  allein  durch  Hyper-  oder 
allein  durch  Hyposekretion  einer  Drüse  erklären 
konnte,  man  einfach  diese  beiden  Faktoren  gleich- 
zeitig heranzog ;  so  hat  man  z.  B.  behauptet,  daß 
bei  der  Akromegalie  gleichzeitig  ein  partieller 
Hyperpituitarismus  und  ein  Hypopituitarismus  vor- 
handen sind."  Auf  solche  kritiklose  Weise  kann 
man  freilich  leicht  alle  krankhaften  Erscheinungen 
erklären,  aber  die  Erklärungen  bedeuten  in  Wirk- 
lichkeit gar  nichts. 

Zum  Schlüsse  wird  die  Frage  aufgeworfen,  „ob 
nicht  in  den  endokrinen  Drüsen  toxische  Sub- 
stanzen gebildet  werden,  durch  deren  mehr  oder 
weniger  weitgehende  Resorption  krankhafte  Sym- 
ptomenkomplexe hervorgerufen  werden  könnten. 
Eine  solche  Vorstellung  ist  natürlich  hypotheti- 
scher Natur,  aber  manche  Tatsachen  lassen  sie 
von  Interesse  erscheinen".  So  hat  man  z.  B.  ge- 
funden, daß  die  Schilddrüse  bei  vielen  Infektions- 
krankheiten ein  abnormes  Kolloid  ausscheidet,  das 
nicht  mehr  seine  normalen  Farbreaktionen  gibt. 
Neuerdings  wurde  versucht,  die  Erscheinungen  der 
Akromegalie  durch  eine  Störung  in  der  inneren 
Sekretion  der  Hypophyse  zu  erklären ,  die  von 
der  physiologischen  Sekretion  qualitativ  verschie- 
den sein  soll.  Es  ist  also  möglich,  daß  die  krank- 
haften Erscheinungen  nicht  alle  aus  einer  Insuffi- 
zienz oder  gar  einem  Verlust  der  Funktion  resul- 
tieren; krankhafte  Symptome  können  auch  bedingt 
sein  durch  einen  gestörten  Stoffwechsel  des  Or- 
gans. H.  Fehlinger. 

Das  Gesetz  der  Verteilung  der  Fixsterne 
im  Räume. 

Dieses  Gesetz  versuchten  Kapteyn  und 
van  Rhijn  durch  sorgfältige  Bearbeitung  des 
reichen,  jetzt  vorliegenden  Materials  über  Paral- 
laxen, Eigenbewegungen  und  Sternhelligkeiten  zu 
erforschen  (Astrophys.  Journal,  July  1920).  In 
den  galaktischen ,  d.  h.  auf  die  Ebene  der  Milch- 
straße bezogenen  Breiten  zwischen  +  40 "  bis 
+  90"  läßt  sich  die  mittlere,  jährliche  Parallaxe 
von  Sternen  der  Größenklasse  m  und  der  Eigen- 
bewegung ft  befriedigend  darstellen  durch  die 
Formel 

\gn=  —0,691  —  0,0682  m  -|-  0,645  lg  /<. 


Durch  Kombination  dieser  Formel  mit  dem  be- 
reits früher  ebenfalls  von  Kapteyn  gefundenen 
Gesetz  der  Verteilung  der  Parallaxen  von  Sternen 
von  gegebener  Größe  und  Eigenbevvegung  er- 
geben sich  die  beiden  Hauptgesetze,  welche  die 
Anordnung  der  Sterne  im  Räume  bestimmen. 
Das  erste  dieser  Gesetze  gibt  die  Häufigkeit  der 
verschiedenen  absoluten  Helligkeiten  M ')  pro 
Raumeinheit  wenigstens  in  der  Umgebung  der 
Sonne  zwischen  —  10,6  M  und  -{-  7,4  M  an  und 
stellt  sich  als  eine  symmetrische  Wahrscheinlich- 
keitskurve dar  von  der  Gleichung: 

lg  cp  (M)  =  —  2,394  +  0,1858  M  —  0,0345  M^. 
Daraus  folgt,  daß  die  totale  Anzahl  von  Sternen 
in  der  Nachbarschaft  der  Sonne  vom  hellsten  bis 
zum  schwächsten  ganz  gleichmäßig  gleich  0,0451 
für  die  Raumeinheit  (i  parsec^)  ist.  Unter  parsec 
oder  Sternweite  ist  die  Entfernung  zu  verstehen, 
die  einer  Parallaxe  von  i  Sekunde  entspricht, 
d.h.  eine  Entfernung  206225  Erdbahnhalbmessern 
oder  3  74  Lichtjahren.  —  Nimmt  man  an,  daß  die 
für  die  Nachbarschaft  der  Sonne  abgeleitete  Funk- 
tion <p  (M)  auch  für  alle  weiteren  Entfernungen 
gilt,  so  wäre  die  mittlere  absolute  Helligkeit  aller 
Sterne  2,7  mit  einem  wahrscheinlichen  Fehler  von 
+  1,69,  d.  h.  ungefähr  2,9  M  schwächer  als  die 
Sonne;  die  Sonne  gehört  somit  zu  den  helleren 
Fixsternen  des  Milchstraßensystems. 

Das  zweite  Grundgesetz  über  die  Anordnung 
der  Sterne  im  Räume  bezieht  sich  auf  die  Raum- 
dichtigkeit der  Sterne  als  Funktion  ihrer  Entfernung 
von  der  Sonne.  Setzt  man  die  Sterndichtigkeit 
nahe  der  Sonne  gleich  I,  so  findet  Kapteyn 
folgende  Tabelle: 

Parallaxe  Sterndichte  Parallaxe  Sterndichte 


0,296" 

1,00 

0,007" 

0,60 

0,118 

1,00 

0,005 

0.45 

0,047 

1,00 

0,003 

0,30 

0,030 

0,92 

0,002 

0,18 

0,019 

0,86 

0,001 

0,09 

0,012 

0,76 

Betrachtet  man  die  Dichtigkeit  der  Sternverteilung 
in  einer  Ebene  senkrecht  zur  Milchstraßenebene,  so 
ergibt  sich  in  der  Richtung  der  Pole  der  Milch- 
straße praktisch  als  Grenze  des  ganzen  Systems 
die  Entfernung  von  1500  parsec,  während  in  der 
Milchstraßenebene  die  ebenso  geringe  Dichtigkeit 
von  Sternen  erst  in  einer  achtmal  so  großen  Ent- 
fernung angetroffen  wird.  Hierbei  ist  allerdings 
Symmetrie  rund  um  die  Pole  der  Milchstraße 
vorausgesetzt,  die  in  Wirklichkeit,  wie  schon  der 
Anblick  der  Milchstraße  zeigt,  nicht  vorhanden 
ist.  Auch  ist  bei  allen  diesen  Untersuchungen 
der  Einfachheit  halber  die  Sonne  als  im  Mittel- 
punkt des  gesamten  Systems  stehend  angenom- 
men, was  bekanntlich  ebenfalls  nicht  ganz  richtig 
ist.      Demnach    müssen    Kapteyns   Forschungs- 


')  d.  h.  der  Größe,  wie  sie  in  der  Einheit  der  Entfernung 
(i  parsec)  erscheint. 


N.  F.  XX.  Nr.  5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


79 


resultate  auch  jetzt  noch  als  provisorische  be- 
zeichnet werden,  doch  glaubt  der  geschätzte 
Groninger  Astronom,  daß  die  erst  in  Zukunft  zu 
gewinnenden  definitiven  Ergebnisse  die  schon 
jetzt  erkennbaren  Gesetze  nicht  mehr  wesentlich 
umgestalten  werden.  Kbr. 

Die  Ansdehuuug  des   ultravioletten 
Spektrums. 

IVIillikan  berichtet  im  vorjährigen  Juliheft 
des  Astrophysical  Journal ,  daß  durch  hochge- 
spannte, im  Vakuum  überspringende  Funken  und 
Benutzung  eines  Hochvakuum-Spektrometers  mit 
besonders  für  diesen  Zweck  hergestelltem  Kon- 
kavgitter das  ultraviolette  Spektrum  erheblich  über 
die  bisher  bekannten  Grenzen  hinaus  verfolgt  wer- 


den konnte.  Während  Schumann  mittels  Vaku- 
umkamera das  Spektrum  Geißlerscher  Röhren  bis 

etwa  100  ixf.1  =  looo  Ängström-Einheiten  zu  ver- 
folgen vermochte,  photographierte  M  i  1 1  i  k  a  n  als 
äußerste  Linien  der  Funkenspektra  von  Kohlen- 
stoff, Zink,  Eisen,  Silber  und  Nickel  solche  von 
bzw.  260,5 ;  317.3;  271,6;  260,2;  202  Ängström- 
Einheiten.  Da  in  allen  diesen  Spektren  auch  die 
Wasserstofflinie  1215,7  auftritt,  glaubt  Millikan, 
daß  im  hochgespannten  Funken  neben  gleichfalls 
festgestellten  Röntgenstrahlen  Wasserstoff  abge- 
spalten wird.  Die  ultravioletten  Strahlen  sind 
durch  diese  Beobachtungen  den  Röntgenstrahlen, 
deren  Wellenlängen  nach  Haga  und  Wind  zwischen 
I    und    10  A.-E.  liegen,    erheblich    näher   gerückt. 

Kbr. 


Bücherbesprechungen. 


Stromer,  Ernst,  Paläozoologisches  Prak- 
tikum. 104  S.,  6  Textabb.  Borntraeger,  Berlin 
1920.     Brosch.  10  M. 

Ohne  mechanisches  Handwerk  geht  es  in 
keiner  Naturwissenschaft  ab.  Der  vorliegende 
Leitfaden  geht  von  der  sehr  beherzigenswerten 
Mahnung  aus,  solche  Hilfsarbeit  nicht  zu  gering 
zu  achten  und  etwa  grundsätzlich  Hilfskräfte 
damit  zu  betrauen.  Das  Sammeln  und  die  Prä- 
paration von  Fossilien  gewähren  nicht  nur  häufig 
unwiederbringliche  Gelegenheit  zu  wichtigen  Be- 
obachtungen, sondern  sie  müssen  oft  selbst  aus 
bestimmtem,  wissenschaftlich  bedingtem  Gesichts- 
winkel betrieben  werden  und  sind  dann  ein  un- 
lösbarer Bestandteil  der  geistigen  Stoffbearbeitung. 
So  sollte  jeder  Paläontologe  die  wichtigsten  Hand- 
griffe selbst  geübt  haben  und  kennen.  Um  sich 
im  Einzelfalle  schnell  über  die  vorteilhafteste 
Methode  zu  unterrichten,  ebenso  zur  methodischen 
Aneignung  ist  die  Stromer  sehe  Zusammenstellung 
der  wesentlichsten  mechanischen  und  chemischen 
Möglichkeiten   ein  trefflicher  Führer. 

Ein  kürzerer  spezieller  Teil  geht  zum  Schluß 
die  Tiergruppen  in  systematischer  Reihe  mit  Hin- 
blick auf  die  jeweils  in  Betracht  zu  ziehenden, 
durch  die  normale  Erhaltung  bedingten  Anwen- 
dungen durch.  Ein  sorgfältig  zusammengestelltes 
und  klar  geordnetes  Literaturverzeichnis  gibt  alle 
nötigen  weiteren  Hinweise.  Edw.  Hennig. 


einen  aufreibenden  Kampf  gegen  Sonnenglast  und 
Dürre  —  die  gekrümmten,  verzerrten  Formen  der 
Stämme  scheinen  der  Ausdruck  dieses  verzweifelten 
Ringens  zu  sein.  Trotz  seiner  Armut  beherbergt 
das  Kaokofeld  eine  zahl-  und  artenreiche  Tierwelt, 
die  St.  in  lebhaften  Bildern  vor  Augen  führt.  Wir 
erfahren  u.  a.,  wie  sehr  die  Tiere  der  Dürre  und 
Trockenheit  angepaßt  sind,  daß  sie  im  Kampfe 
ums  Dasein  andere  Eigenschaften  ausbildeten  als 
Artgenossen  im  wasserreichen  Kongobecken,  an 
den  Seen  und  den  Sümpfen  des  Sudan. 

Große  Teile  der  Steppe  bewohnt  ein  Zweig 
des  Hererovolkes,  Ovatjimba  genannt.  Viehzüchter 
sind  alle  Ovatjimba  in  gleicher  Weise;  Anfänge 
von  Ackerbau  findet  man  im  Norden  des  Kaoko- 
feldes.  Dort  werden  Felder  gerodet,  gehackt  und 
mit  Mais  oder  Hirse  bestellt.  Die  südlichen  Ova- 
tjimba, soweit  sie  südlich  des  18,45  Breitengrades 
leben,  hausen  ohne  Stammesverband  hordenweise 
im  Busch.  Über  körperliche  und  psychische 
Eigenarten  der  Ovatjimba  sagt  St.  Beachtenswertes. 
In  ihrem  friedfertigen,  ja  feigen  Wesen  unter- 
scheiden sie  sich  stark  von  ihren  Nachbarn,  den 
Ovambo.  Unter  letzteren  gibt  es  auffallend  viele 
Weißlinge  oder  Albino ;  St.  bekam  den  Eindruck, 
daß  diese  geistig  augenscheinlich  nicht  ganz  auf 
der  Höhe  stehen.  H.  Fehlinger. 


Steinhardt,   Vom    wehrhaften   Riesen  und 
seinem    Reiche.      224    S.      24    Bildertafeln, 
I  Karte.     Hamburg  1920,  Alster- Verlag. 
Eindrucksvoll  schildert  St.  die  Landesnatur  des 
südwestafrikanischen  Kaokofeldes  sowie  das  Leben 
von  Tieren   und  Menschen    in   dieser  Steppe,   die 
im    steten    Wechsel    von    Sonnenglut    und    eisiger 
Nachtkälte  steht,    die    durchzogen  ist  von  felsum- 
schlossenen Tälern,  deren  Hänge  spärlicher  Wuchs 
bedeckt;    knorriger  Steppendorn    kämpft   im  Tale 


Walther,  J.,  Vorschule  derGeologie.   Eine 
gemeinverständliche  Einführung    und  Anleitung 
zu  Beobachtungen  in  der  Heimat.    Siebente  er- 
gänzte Auflage.     Jena   1920,  Gustav  Fischer. 
Das  vor  15  Jahren  in  erster  Auflage  erschienene 
Werk  liegt  nun  in  der  siebenten  Auflage  vor,  der 
beste  Beweis  für  seine  Brauchbarkeit  und  die  An- 
erkennung,    die    es    in    geologisch    interessierten 
Kreisen  gefunden  hat.      Die  Darstellung   ist   klar, 
verständlich  und  anregend,  gegen  frühere  Auflagen 
vielfach  verändert  und  ergänzt.    Die  Literatur  für 
Exkursionen   ist  bis   in    die  neueste  Zeit  nachge- 
tragen. Krenkel. 


8o 


Natui-wissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  5 


Anregungen  und  Antworten. 


Zu  Höfers  Grundwasser  und  Quellen.  Die  Bemerkungen 
des  Herrn  W.  Halbfafi  über  mein  Buch  „Grundwasser  und 
Quellen"  (Nr.  39,  S.  624,  1920  dieser  Wochenschrift)  scheinen 
mir  geeignet,  teilweise  Irrungen  im  Leserkreise  zu  veranlassen, 
weshalb  ich  mir  erlaube,  sie  richtig  zu  stellen.  So  sagt  Herr 
Halb  faß:  „Man  weiß  nicht  recht,  ob  der  Verf.  den  Begriff 
des  juvenilen  Wassers  überhaupt  gänzlich  ablehnt  oder  nicht." 
Hierzu  habe  ich  zu  bemerken,  daß  ich  auf  S.  67  das  juvenile 
Wasser  mit  der  Bemerkung  erwähne,  daß  „es  im  Abschnitt 
Thermen  eingehender  besprochen  wird".  Da  der  Begriff  ju- 
veniles Wasser  zur  Erklärung  mancher  Thermen  von  E.  Sueß 
aufgestellt  und  auch  nur  für  diese  verwendet  wurde,  so  ist 
es  naturgemäß,  daß  jenes  bei  diesen  'besprochen  wird.  Da 
heißt  es  nach  eingehenden  Untersuchungen  über  Thermen  auf 
S.  165:  „nicht  das  heiße  Thermal  wasser,  sondern  nur  seine 
Wärme  ist  juvenil;  es  gibt  kein  juveniles  Wasser, 
wohl  jedoch  juvenile  Thermen" ,  also  ein  juveniles,  fremdes 
Heizgas,  welches  das  Bodenwasser  erwärmt.  Damit  glaube 
ich  mich  über  allen  Zweifel  klar  ausgesprochen  zu  haben.  — 

Die  Volgersche  Kondensationsbypolbese  habe  ich  auf 
6  Seiten  als  unhaltbar  bewiesen  und  durch  meine,  auch  meteo- 
rologisch begründete  Nebellheorie  ersetzt.  Die  „Umformung" 
jener  Hypothese  durch  M  e  z  g  e  r  erscheint  mir  nicht  ausreichend 
und  deshalb  zwecklos.  Ich  mußte  mit  den  Zeilen  sparen  und 
Unnotwendiges  unterdrücken.  —  Herr  Halb  faß  scheint  den 
wesentlichen  Unterschied  zwischen  dem  dickleibigen  Lehr- 
buch Keilhacks  und  meinem  kurzen  Leitfaden  manch- 
mal zu  übersehen ;  jenes  kann  die  einzelnen  Abschnitte  mit 
vielen  Einzelfällen,  Beispielen  und  Bildern  erweitern,  während 
ich,  meinem  Programm  gemäß,  stets  bemüht  sein  mußte,  mich 
auf  das  Wesentliche  zu  beschränken.  —  Den  ,, Zusammenbang 
des  Grundwassers  mit  dem  Meere"  habe  ich  auf  den  Seiten 
76,  98  und  109  besprochen,  auch  Beispiele  und  Literatur- 
hinweise gegeben,  was  mir  hydrogeologisch  als  ausreichend 
erscheint;  ich  wäre  dem  Hydrographen  Herrn  Halbfaß  dank- 
bar gewesen,  wenn  er  mir  angedeutet  hätte,  in  welcher  Art 
ich  meine  diesbezüglichen  Ausführungen  zu  ergänzen  hätte. 

Wien  III,  8.  Oktober  1920. 

Dr.  Hans  Höfer-Heimhalt. 


Äther-Theorie    und   Einstein-Effekt.      Da    das  Sonnenlicht 

elektro-magnetischer  Natur  ist,  liegt  die  Annahme  nahe,  daß 
die  Sonne  im  Äther  nicht  nur  Bewegungserscheinungen,  sondern 
auch  Zustandsänderungen  in  Form  von  Spannungen  und  Zer- 
rungen hervorruft.  Die  Stärke  derselben  wird  c.  p.  von  der 
Größe  der  Entfernung  der  betreffenden  Ätherpartie  von  der 
Sonne  abhängen  und  in  der  Nähe  derselben  vergleichsweise 
am  stärksten  sein. 

Durch  diese  magnetische  Beeinflussung  des  Äthers  durch 
die  Sonne  kann  die  Ablenkung  eines  Sternlichtstrahles  beim 
Vorbeistreichen  am  Sonnenrand  hervorgebracht  werden,  indem 
die  Verzerrungen  des  Fortpflanzungsmittels  den  Gang  des 
Lichtwellenzuges  in  ähnlicher  Weise  beeinflussen  müssen,  wie 
eine  Narbe  das  benachbarte  Gewebe,  d.  h.  an  sich  heran- 
ziehen. Hat  doch  schon  Faraday  eine  Drehung  des  polari- 
sierten Lichtstrahls  im  magnetischen  Felde  nachweisen  können. 

So  kann  der  ,,  Einst  ein- Effekt "  auch  auf  Grund  der 
Äther-Theorie  erklärt  werden. 

Die  Abweichung  in  der  Perihelbewegung  des 
Merkur  aber,  welche  eigentlich  das  Vorhandensein  von 
Planeten  innerhalb  der  Merkurbahn,  die  aber  tatsächlich 
fehlen,  erfordern  würde,  ist  ebenfalls  durch  ein,  in  der  Son- 
nennähe am  stärksten  wirkendes,  von  der  Sonne  selbst  aus- 
gehendes und  den  ihr  am  nächsten    befindlichen  Planeten  am 


meisten  beeinflussendes  Magnetfeld  einer  prinzipiellen  Er- 
klärung zugänglich,  dazu  bedarf  es  also  ebenfalls  nicht  der 
Relativitätstheorie.  Ar.  Adler. 


F'ischende  Hunde.  Am  Stagno  di  San  Giusta  bei  Orislano 
an  der  Westküste  Sardiniens  beobachtete  ich  einstmals  Hunde, 
die  regelrecht  Fische  fingen.  Als  wir  am  Ufer  des  erv/ähnten 
großen  Strandsees  (den  man  kurz  vor  dem  Kriege  trocken  zu 
legen  begann)  nach  Milben  und  Insekten  suchten,  bemerkten 
wir  wenige  Schritte  von  uns  entfernt  ganz  nahe  am  Wasser 
einen  mittelgroßen  Hund,  der  scharf  ins  Wasser  schaute.  Er 
ließ  sich  durch  unsere  Anwesenheit  nicht  stören  (wurden  doch 
die  Hunde  in  Sardinien  zumeist  in  merkwürdig  freundlicher 
Weise  behandelt,  so  daß  sie  wenig  scheu  sind).  Nachdem  der 
Hund  einige  Minuten  unbeweglich  ins  Wasser  gesehen,  fuhr 
er  plötzlich  blitzschnell  mit  dem  rechten  Fang  ins  Wasser 
und  schleuderte  einen  etwa  20  cm  langen  Fisch  ans  Land  und 
trug  ihn  davon.  Eine  Strecke  weiter  fischte  ein  zweiter  Hund 
in  derselben  Weise,  ebenfalls  mit  Erfolg.  ,  Da  ich  vermutete, 
es  könnte  sich  vielleicht  um  matte,  kranke  Fische  handeln, 
die  die  Hunde  anzögen,  weil  leicht  fangbar,  untersuchte  ich 
das  Ufer  genauer;  es  waren  aber  keine  kranken  oder  toten 
Fische  aufzufinden.  Die  Scharen  von  Fischen  schwammen 
schnell  davon,  wenn  ich  näher  hinzutrat;  sie  machten  durch- 
aus nicht  den  Eindruck  als  wären  sie  krank.  Diese  Hunde 
fischten  also  regelrecht.  Es  wäre  mir  interessant,  von  ähn- 
lichen Beobachtungen  zu  hören.  Wenn  ich  mich  recht  er- 
innere, habe  ich  einmal  in  einer  Jagdzeitschrift  im  allge- 
meinen gelesen,  daß  Hunde  zuweilen  große  Fischliebhaber 
seien  und  den  Teichwirt  dadurch  schädigten. 

Dr.  Anton  Krausse,  Eberswalde. 


Moderne,  biologische  Auffassung  des  Tierbaues  bei  J.  Swift. 
Bei  meiner  heurigen  Reiselektüre  des  bekannten  satyrischen 
Werkes  „Gullivers  Reisen"  von  Swift,  das  bereits  1726  er- 
schienen ist,  ist  mir  im  3.  Kapitel  der  Reise  in  das  Land  der 
Riesen  Brobdignag  (Ausgabe  der  Reclamschen  Universalbiblio- 
thek S.  Ill),  wo  davon  die  Rede  ist,  daß  drei  Gelehrte  Gul- 
liver untersuchen,  eine  hochinteressante  Stelle  aufgefallen,  die 
wohl  verdient,  allgemein  bekannt  gemacht  zu  werden.  Es 
heißt  dort:  „Alle  drei  stimmten  darin  überein,  daß  ich  nicht 
nach  den  regelmäßigen  Naturgesetzen  geschaffen  sein  könne, 
weil  ich  nicht  zur  Erhaltung  meines  Lebens,  durch  Erklettern 
der  Bäume  oder  durch  Eingraben  in  die  Erde,  gebildet  sei. 
Sie  sahen  ferner  aus  meinen  Zähnen,  die  sie  genau  in  Augen- 
schein nahmen,  ich  sei  ein  fleischfressendes  Tier;  da  jedoch 
die  meisten  Vierfüßler  mich  an  Kraft  bei  weitem  überträfen 
und  Feldmäuse  sowie  einige  andere  viel  zu  behende  seien, 
könnten  sie  sich  nicht  vorstellen,  wovon  ich  lebte,  wenn  ich 
mich  nicht  von  Schnecken  oder  Insekten  ernähre;  zugleich 
aber  erboten  sich  alle  drei,  durch  sehr  gelehrte  Gründe  zu 
beweisen,  auch  dies  sei  nicht  wohl  möglich."  Diese  Äuße- 
rung erinnert  lebhaft  an  die  Stelle  in  Goethes  ,,Athrois- 
mos",  der  freilich  so  manches  Jahrzehnt  später  erschienen 
ist:  „Also  bestimmt  die  Gestalt  die  Lebensweise  des  Tieres, 
und  die  Weise  zu  leben,  sie  wirkt  auf  alle  Gestalten  mächtig 
zurück." 

W'ien.  Prof.  Dr.  E.  Witlaczil. 


Literatur. 


Much,  Prof.  Dr.  H.,  Pathologische  Biologie  (Immuni 
tälswissenschaft).  3.  Aufl.  Mit  6  Tafeln  u.  7  Textabb.  Leip- 
zig '20,  C.  Kabitsch.     45  M. 


Inhalt:  Fr.  Termer,  Kakao  und  Schokolade  bei  den  alten  Mexicanern  und  anderen  mittelamerikanischen  Völkern.  S.  65. 
Fr.  Dahl,  Täuschende  Ähnlichkeit  mit  Bienen,  Wespen  und  Ameisen.  S.  70.  —  Einzelberichte:  Gley,  Die  Lehre 
von  der  inneren  Sekretion.  S.  75.  Kapteyn  und  van  Rhijn,  Das  Gesetz  der  Verteilung  der  Fixsterne.  S.  78. 
Millikan,  Die  Ausdehnung  des  ultravioletten  Spektrums.  S.  79.  —  Bücherbesprechungen:  E.  Stromer,  Paläo- 
zoologisches  Praktikum.  S.  79.  Steinhardt,  Vom  wehrhaften  Riesen  und  seinem  Reiche.  S.  79.  J.  Walther, 
Vorschule  der  Geologie.  S.  79.  —  Anregungen  und  Antworten:  Zu  Höfers  Grundwasser  und  Quellen.  S.  80.  Äther- 
Theorie  und  Einstein-Effekt.  S.  80.  Fischende  Hunde.  S.  80.  Moderne,  biologische  Auffassung  des  Tierbaues  bei 
J.  Swift.  S.  So.  —  Literatur:  Liste.  S.  80. 

Manuskripte  und  Zuschriften  werden  an  Prof.  Dr.  H.  Miehe,  Berlin  N  4,  Invalidenstraße  41,  erbeten. 

Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  der  G.  Pätz'schen  Buchdr.  Lippert  &  Co.  G.  m.  b.  H.,  Naumburg  a.  d.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Fol^e  20.  Band; 
der  ganzen  Reihe    36.  Band. 


Sonntag,  den  6.  Februar  1921. 


Nummer  6. 


Über  Moorbildungen  im  tropischen  Afrika. 


tNachdruck  verboten.]  Von  Prof.  Dr.  E. 

H.  Potonie,  dem  die  geologische  Wissen- 
schaft eine  Reihe  höchst  wichtiger  Forschungen 
über  die  Bildungsweise  und  den  Bau  der  rezenten 
Moore  und  über  ihre  Umwandlung  zu  Kohlen- 
lagern verdankt,  ist  seit  vielen  Jahren  dafür  ein- 
getreten, daß  die  großen  Kohlenbildungs- 
perioden der  Erde  unter  dem  Einfluß  eines 
tropisch- feuchten  Klimas  gestanden  haben. 
Auf  die  Begründung  dieser  Ansicht,  für  die  Po- 
tonie eine  Anzahl  vollgültiger  Beweise  beibringen 
konnte,  soll  hier  nicht  eingegangen  werden.  Bis 
in  die  neueste  Zeit  fand  er  Gegnerschaft,  natur- 
gemäß von  solchen,  denen  eine  sachgemäße  Ab- 
wägung aller  hierbei  in  Frage  kommenden  Materien 
unmöglich  war,  vor  allem,  weil  ihnen  eine  Kennt- 
nis tropischer  Natur  und  tropischer  Klimaeigen- 
tümlichkeiten fehlte. 

Eine  wesentliche  Stütze  fand  Potonie  durch 
die  Entdeckung  eines  800000  Hektar  großen 
Flachmoorgebietes  in  der  heißen  Ebene  des  flachen 
östlichen  Teiles  von  Sumatra  am  Kamparfluß  durch 
S.  H.  Koorders,  dessen  30  m  hoher  immer- 
grüner Mischwald  auf  mächtigen  Torflagen  wächst. 
Andere  Tropenmoore  wurden  später  von  Janensch 
aus  Deutsch  Ostafrika ,  von  R.  Lang  aus  dem 
malayischen  Archipel  und  von  K.  Keilhack  von 
Ceylon  beschrieben.^) 

Während  des  Krieges  ist  es  mir  gelungen,  die 
Zahl  der  bekannten  Tropenmoore  um  einige  zu 
vermehren,  die  sich  in  Deutsch-Ostafrika  und  in 
der  Kongokolonie  finden,  also  in  recht  verschieden- 
artigen Klimaprovinzen  liegen.  Diese  seien  im 
folgenden  kurz  geschildert. 

Kigoma,  der  Endpunkt  der  von  Daressalam 
nach  dem  Tanganjikasee  führenden  Zentralbahn 
steigt  am  Suedgehänge  einer  geräumigen  Ein- 
buchtung des  Sees  empor.  Sie  wird  durch  zwei 
Landzungen   gegen   die    heftigen   böigen   Wirbel- 

')  Über  Tropenmoore  und  die  ältere  Literatur  vgl, 
K.  Keilhack,  Über  tropische  und  subtropische  Torfmoore 
auf  der  Insel  Ceylon,  Jahrb.  Preuß.  Geol.  Landesanst.  1915, 
H.  1;  ferner  K.  Keilhack,  Über  tropische  und  subtropische 
Flach-  und  Hochmoore  auf  Ceylon ;  Mitt.  Oberrhein.  Geol. 
Vereins,  N.  F.  4,  S.  76.  Keil  hack  gibt  zum  ersten  Male 
Listen  der  gesammelten  Pflanzen,  die  wichtige  Schlüsse  und 
Vergleiche  mit  außertropischen  Mooren  erlauben.  —  Weiter 
sind  anzuführen:  4.  Bericht  über  die  Ausgrabungen  und  Er- 
gebnisse der  Tendaguru- Expedition,  Sitz.-Ber.  Ges.  Naturforsch. 
Freunde,  Berlin  1911,  S.  393. —  Janensch,  Die  Torfmoore 
im  Küstengebiet  des  südlichen  Deutsch-Ostafrikas.  Wiss.  Er- 
geh, der  Tendaguru-Expedition,  3.  H.,  S.  265.  —  R.  Lang, 
Geol.-Min.  Beobachtungen  in  Indien,  I — 3;  Centralblatt  für 
Min.,  Geol.  u.  Pal.  1914,  S.  257,  513.  —  Ausführlichere  An- 
gaben über  die  unten  beschriebenen  Moore  und  ihre  klima- 
tische Stellung  inE.  Krenkel,  Moorbildungen  im  tropischen 
Afrika,  Centralblatt  f.  Min.  1920. 


Krenkel,  Leipzig. 

winde  des  Grabensees  abgeschlossen,  der  nach 
den  neuesten,  von  Jacobs  und  Stappers  aus- 
geführten Lotungen  in  seinem  südlichen  Teil- 
becken bis  zu  1435  "^  Tiefe  erreicht  und  damit, 
655  m  unter  den  Spiegel  des  Indischen  Ozeans 
eingesenkt,  der  zweittiefste  See  der  Erde  nach 
dem  Baikal  ist.  Die  genannten  Landzungen,  die 
Anhöhen  um  die  Bucht  von  Kigoma  wie  die 
hohen  Uferberge  des  Sees  bestehen  aus  stark  ge- 
störten eintönigen  Sandsteinserien  der  Tangan- 
jikaformation. 

Die  Bucht  von  Kigoma  zeigt  an  ihrem  innersten 
Rande  einen  flachen  Strandsaum,  der  von  hellen, 
aus  der  Zerstörung  der  Sandsteine  der  Tangan- 
jikaformation  hervorgehenden  Seesanden  aufgebaut 
ist.  Die  übrigen  Seiten  der  Umrahmung  der 
Bucht  steigen  steiler  aus  dem  Wasser  empor.  An 
diesen  steiler  geneigten  Uferböschungen  läßt  sich 
um  die  ganze  Bucht  herum  ein  markantes  Bran- 
dungskliff erkennen,  wie  solche  auch  von  anderen 
Strecken  des  Sees  bekannt  geworden  sind.  Der 
Strand  der  innersten  Bucht  findet  landeinwärts 
seine  Fortsetzung  in  einem  weiten  ebenen  Tal- 
boden, der  hinter  einer  etwa  loo  m  breiten  den 
See  von  ihm  abdämmenden  Landbrücke  einen 
ausgedehnten  Sumpf  mit  einer  offenen  Wasser- 
fläche in  der  Mitte  trägt.  Sie  wird  von  einem 
wechselnd  breiten  Streifen  wasserliebender  Ge- 
wächse umzogen ,  der  sich  durch  seine  saftig 
grüne  Farbe  namentlich  zur  Trockenzeit  von  dem 
fahlen  Gelb  der  umgebenden  Vegetation  scharf 
umrissen  abhebt.  Auch  an  den  Abhängen  dieses 
Talbodens  in  der  Umgebung  des  Teiches,  der  den 
Namen  Kibirizi  trägt,  ist  ein  Strandkliff  sehr 
deutlich  zu  erkennen,  das  sich  in  das  eben  er« 
wähnte  lückenlos  fortsetzt.  Das  den  Teich  Kibi- 
rizi umziehende  Kliff  beweist,  daß  sich  die  Bucht 
von  Kigoma  einst  erheblich  tiefer  landein  er- 
streckte. Es  erklärt  zugleich  die  Entstehung  des 
Teiches,  der  als  ein  von  der  heutigen  Bucht  von 
Kigoma  abgeschnürter  Teil  einer  älteren,  ausge* 
dehnteren  Bucht  des  Sees  anzusehen  ist. 

Der  Teich  Kibirizi  und  seine  Umgebung  mit 
stagnierenden  Regenwassertümpeln  sollten,  als 
Brutstätten  malariaübertragender  Mücken,  während 
des  Krieges  der  Gesundung  Kigomas  zu  Liebe 
trockengelegt  werden.  Die  vorgenommenen  Ent- 
wässerungsarbeiten, so  die  Anlage  eines  den  Teich 
mit  der  Bucht  verbindenden  Entwässerungsgrabens, 
gaben  Gelegenheit,  die  geologische  Beschaffenheit 
des  Teichuntergrundes  kennen  zu  lernen.  Sie 
legten  zugleich  ein  recht  ausgedehntes  Tropen- 
sumpfmoor frei. 


82 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


N.  F.  XX.  Nr.   6 


Dieses  Sumpfmoor  erhält  an  einer  Seite  kleine 
Zuflüsse  aus  den  Randbergen  des  Sees.  In  seinem 
Innern  trägt  es  eine  unregelmäßig  gestaltete,  von 
Schwimmpflanzen  lückenhaft  bestandene  Wasser- 
fläche, die  alle  Anzeichen  vorschreitender  Ver- 
sumpfung durch  Verlanderpflanzen  zeigt.  Denn 
von  dem  sie  umgebenden  innersten  Vegetations- 
gürtel aus  rücken  locker  stehende  Ausläufer  in 
sie  vor,  die  sich  nach  außen  mehr  und  mehr 
verdichten.  Dieser  innerste  Vegetations- 
gürtel besteht  aus  einem  sehr  gleichmäßigen 
Bestände  von  Sumpfgräsern  —  fast  ausschließlich 
wohl  Cyperus  Papyrus  —  von  übermannshohem 
Wuchs,  die  in  dicken  Klumpen,  die  man  als 
„Riesenbülte"  bezeichnen  könnte,  beisammen  stehen 
und  von  schmalen  Wasseradern  durchzogen  wer- 
den. Auf  diesen  innersten  „Papyrusgürtel"  folgt 
nach  außen  mit  abnehmender  Wassertiefe  ein 
zweiter,  in  dem  die  üppigen  Papyrusstauden 
zurücktreten,  kleiner  werden  und  sich  andere 
Gräser  und  Blütenpflanzen  zwischenmischen.  Am 
Rande  des  Sumpfmoores,  dem  ausdauernde  Was- 
serlachen schon  fast  völlig  fehlen,  ist  Papyrus 
nicht  mehr  zu  finden,  eine  Reihe  verschiedener 
Gräser  und  Stauden  bilden  vielmehr  das  vor- 
herrschende Pflanzenelement.  Auch  hier  stehen 
die  Süß-  und  Sauergräser  noch  in  kleinen  Bülten, 
eine  Analogie  zu  unseren  Mooren. 

Die  Verlandung  des  Kibiriziteiches  wird  also, 
genau  wie  bei  den  Seen  unseres  Klimas,  durch 
mehrere,  zonenartig  aufeinander  folgende,  wenn 
auch  nicht  scharf  getrennte  Vegetationsgürtel  be- 
zeichnet. Eine  genauere  Beschreibung  der  diese 
Gürtel  zusammensetzenden  Pflanzengemeinschaften 
zu  geben,  ist  mir  unmöglich,  so  wünschenswert 
sie  auch  wäre,  da  ich  dazu  zu  wenig  Botaniker 
bin.  Die  gesammelten  Pflanzen  mußten  in  Afrika 
zurückbleiben.  Auffällig  war  es,  daß  sich  nirgends 
Moose  und  Flechten  fanden. 

An  seiner  Grenze  wird  nun  dieser  Grassumpf 
—  ein  typisches  Tropen  flach  moor,  mit  ver- 
landenden Pflanzen  im  Innern,  Fortsetzern  der 
Torfbildung  im  bereits  landfest  gewordenen  Moor 
nach  außen  hin  —  von  einem  zweiten  Moortypus 
umzogen,  den  man  als  Gehängemoor  be- 
zeichnen könnte.  Dieses  Gehängemoor  zieht  sich 
über  dem  Sumpfmoor  an  den  Böschungen  des 
Tales  aufwärts  und  endet  da,  wo  die  oben  be- 
schriebene Strandlinie  eines  älteren,  höheren 
Standes  desTanganjikadasGehänge durchschneidet. 
Der  Pflanzenwuchs  auf  ihm  ist  vielgestaltiger  als 
im  äußersten  Sumpfmoorgürtel,  vor  allem  finden 
sich  viele  blühende  Kräuter,  so  Leguminosen.  Als 
auffallendstes  Unterscheidungsmerkmal  zum  Sumpf- 
moor, dem  ein  solcher  völlig  fehlt,  zeigt  das  Ge- 
hängemoor einen  sehr  lückenhaften  Baum-  oder 
besser  Buschwuchs  von  recht  kümmerlichem  Aus- 
sehen, was  wieder  als  Analogie  zu  unseren  Mooren 
gelten  könnte.  Das  Gehängemoor  endet  mit 
scharfer  Grenze  an  den  in  der  Umgebung  von 
Kigoma  verbreiteten  Pflanzenbeständen. 

Am    nördlichen    Rande    des   Sumpfmoores,    in 


der  Übergangszone  zum  Gehängemoor  ansetzend, 
finden  sich  üppige  Bestände  tropischer  Kulturen, 
so  schöne  Ölpalmen,  die  in  dieser  niedrigen  Ufer- 
region des  Tanganjikasees  als  Vorposten  ihres 
Hauptverbreitungsgebietes  inWestafrika  in  einzelnen 
Exemplaren  vorkommen,  Bananenhaine  und  Pa- 
payen. Sogar  zu  einzelnen  P'eldkulturen  ist  der 
trockene  Humusboden  hier  früher  benutzt  worden, 
der  dann  eine  lockere  krümelige  Struktur  durch 
das  Auflockern   mit  der  Hacke  angenommen  hat. 

Über  die  Untergrundsbeschaffenheit 
des  Kibirizisumpfmoores  wurde  folgendes  festge- 
stellt: Im  Innern  des  Moores,  unter  der  offenen, 
tiefbraun  gefärbten  Wasserfläche,  fand  sich  ein 
breiiger,  brauner  P'aulschlamm,  dessen  Mächtig- 
keit nicht  ermittelt  werden  konnte.  Am  Ent- 
wässerungsgraben dagegen,  der  ungefähr  l^/g  m 
an  seiner  tiefsten  Stelle  in  der  Landbarre  einschnitt, 
wurde  ein  Profil  erschlossen,  das  oben  Torf,  unter 
diesem  Sande  und  Kiese  mit  gelegentlichen 
Tonschmitzchen  zeigte ,  diese  ganz  ähnlich  den 
Ablagerungen  des  Buchtrandes,  jedoch  im  Gegen- 
satz zu  deren  kräftiger  Färbung  deutlich  ausge- 
bleicht und  hier  und  da  mit  beginnender  ort- 
steinartiger  Verfestigung.  Die  größte  Mächtig- 
keit des  Torfes  betrug  im  Graben  über  i  m; 
doch  ist  die  wahre  Mächtigkeit  nach  der  Lage- 
rung sicher  größer.  Die  Farbe  des  nassen  Torfes 
ist  braunschwarz  bis  schwarz,  getrocknet  dunkel- 
braun. Der  getrocknete  Torf  zeigt  ein  innig  ver- 
filztes  Pflanzengewebe,  in  dem  sich  vor  allem 
Wurzelfasern,  seltener  Reste  von  Stengeln  und 
Blattstücken  unterscheiden  lassen.  Der  im  Ge- 
hängemoor vorkommende  Torf  zeigt  eine  viel  ge- 
ringere Mächtigkeit,  die  20  cm  erreicht.  Er  ist 
sehr  viel  lockerer  als  der  vorbeschriebene.  Seine 
Farbe  ist  heller.  Unter  seinen  Bestandteilen  über- 
wiegen Wurzelteile,  während  eine  homogene,  diese 
einbettende  Grundmasse  zurücktritt. 

Außer  dem  Kibirizimoor  dehnt  sich  vielleicht 
zwischen  Kigoma  und  dem  Luitschetal  ein  anderes 
großes  Moor  aus.  Nach  seiner  Lage  und  seinem 
Pflanzenbestand  wäre  es  nicht  ausgeschlossen,  daß 
hier  ein  Tropen  hoch  moor  vorliegt.  Da  es 
nicht  besucht  werden  konnte,  mag  die  bloße  Er- 
wähnung der  Möglichkeit  eines  solchen  Vorkom- 
mens genügen. 

Zu  streifen  wären  noch  die  klimatischen 
Verhältnisse  am  nördlichen  Ostufer  des  Tanganjika- 
sees. Dieses  gehört  dem  äquatorialen  Klimatypus 
mit  zwei  Niederschlagsmaxima  an;  die  kleine 
Trockenzeit  ist  nur  schwach  entwickelt.  Udjidji, 
in  der  Nähe  Kigomas,  erhielt,  um  nur  eine  Be- 
obachtungsstation zu  nennen,  im  Jahre  191 1  eine 
Regenmenge  von  1092  mm;  das  Temperatur- 
maximum betrug  34,  das  Minimum   12,5°  C. 

Wie  gegenwärtig  die  Bedingungen  zur  Moor- 
bildung am  See  gegeben  sind ,  so  bestanden  sie 
auch  zur  Karruzeit  an  beiden  Ufern  des  noch 
nicht  gebildeten  Sees.  Karrukohlen  sind  sowohl 
im  Hinterlande  von  Karema  wie  im  Lukugagraben 
gefunden  worden. 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


H 


Nach  meinen  übrigen  Beobachtungen  und  Er- 
kundigungen dürften  Flachmoore  auch  in  ande- 
ren Teilen  Deutsch- Ostafrikas  vorkommen.  So 
wurde  mir,  um  Beispiele  aus  verschiedenen  Land- 
schaften zu  nennen,  aus  dem  „Zwischenseen- 
gebiet" berichtet,  daß  in  den  oft  versumpften, 
dicht  mit  Papyrus  bestandenen  Talsohlen  Urundis 
und  Ruandas  Torflagen  festgestellt  wurden.  Ich 
habe  ferner  im  Innern  Deutsch  -  Ostafrikas  im 
Nordugogo  in  einem  Steppenbecken  der  Land- 
schaft Mletsche  über  grauschwarzeni,  fettem  Steppen- 
beckenton eine  Torflage  von  etwa  20  cm  Dicke 
gefunden.  Es  handelt  sich  um  ein  kleines  Flach- 
moor, dessen  Bau  nicht  weiter  untersucht  wurde. 
Vorkommen  ähnlicher  Art  werden  sich  wohl  noch 
öfter  ermitteln  lassen.  Die  Moore  Ugogos  sind 
beachtenswert  deshalb,  weil  das  Klima  dieses 
Landes  starke  Extreme  zeigt:  so  eine  lange, 
scharf  ausgeprägte  Trockenzeit  mit  völliger  Regen- 
freiheit während  vieler  Monate  und  eine  kurze 
Regenzeit  mit  allerhöchstens  700  mm  Regen  in 
günstigen  Jahren,    dazu   sehr  hohe  Temperaturen. 

Zwischen  Daressalam  und  Bagamojo  habe  ich 
weiter  an  der  Küste  des  Indischen  Ozeans  mehr- 
fach dünne  Lagen  von  braunem  Torf  über  fossil- 
führenden marinen  Sanden  oder  in  diese  einge- 
lagert gesehen.  Besonders  diese  Vorkommnisse 
der  Küstenmoore  (Mangrovenmoore?)  von 
paralischem  Typus,  die  rezenten  Beispiele  für 
eine  unserer  wichtigsten  Erscheinungsformen  der 
fossilen  Kohlenlager,  erscheinen  mir  aus  vielen 
Gründen  einer  näheren  Untersuchung  wert,  so 
auch  wegen  der  sich  in  ihrer  Lagerungsweise  ab- 
spiegelnden jungen  Bewegungen  des  Küstenlandes. 

Aus  allen  diesen  Angaben  ergibt  sich  —  zu- 
sammen mit  der  Schilderung  der  Moore  aus  dem 
südlichen  Küstengebiet  Deutsch- Ostafrikas,  die 
Janensch  und  v.  St  äff  im  Hinterlande  von 
Lindi  und  Kilwa  aufgefunden  und  ausführlich  ge- 
schildert haben  —  daß  Moorbildungen  in  den 
verschiedensten  Teilen  dieses  großen  Gebietes  auf- 
treten. So  an  der  mäßig  feuchten  ozeanischen 
Küste  mit  ihren  geringen  Temperaturschwankun- 
gen, im  trockeneren  Küstenhinterland,  im  regen- 
armen heißen  Innern  mit  großen  Temperatur- 
gegensätzen, an  der  inneren,  dem  regenreichen 
Kongobecken  schon  angenäherten  Seengrenze  am 
Tanganjika,  und  in  den  kühleren,  regen-  und 
nebelreichen  Hochländern  des  Nordwestens.  Zwei- 
fellos werden  sich  noch  viele  andere  Vorkomm- 
nisse finden. 

Unter  den  ostafrikanischen  Mooren  ließen  sich 
schon  heute  nach  bestimmten  Merkmalen  ver- 
schiedene Typen  aufstellen.  Da  aber  gerade 
ihr  Pflanzenbestand,  als  eins  ihrer  wichtigsten 
Merkmale,  noch  nicht  genügend  erforscht  ist  und 
fast  nur  lücken-  und  laienhafte  Angaben  über  ihn 
vorliegen,  müßte  eine  solche  Aufstellung  als  ver- 
früht unterbleiben,  solange  nicht  der  Botaniker 
sein  Urteil  gesprochen  hat.  Trotzdem  mag  der 
Versuch  einer  nur  orientierenden  Übersicht  der 
zu  scheidenden  Typen  gewagt  werden.     Ihr  sind 


die  bisher  bekannt  gewordenen  außerafrikanischen 
Vorkommen  beigefügt.  Die  Moore  Ostafrikas 
werden  in  ihrer  Mehrzahl  den  tropischen  Flach- 
mooren angehören;  es  ist  aber  kaum  daran  zu 
zweifeln,  daß  es  auch  hier  tropische  Hochmoore 
gibt. 

Zu  unterscheiden  wären : 

I.  Tropische  Moore. 
A.   Rezente    Tropenmoore. 

1.  Tropenflachmoore 

a)  mit  tropischem  Regenhochwald,  der  deut- 
liche Anzeichen  eines  Sumpfwaldes  trägt, 
so  Pneumatophoren,  Besen-  und  Brettwurzeln ; 
Unterholz  in  verschiedenem  Grade,  oft  nur 
gering  entwickelt.  Unter  der  Wurzeldecke 
dunkler  schlammiger  Humus.  Offenen  Wasser- 
stellen nicht  selten. 

Vorkommen:  im  Kongobecken  am  Ruki; 
außerhalb  Afrikas:  Osiküste  von  und  mitt- 
leres Sumatra,  Ceylon? 

b)  mit  üppiger  Baum-  und  Buschvegetation, 
z.  T.  in  reinen,  z.  T.  in  gemischten  Bestän- 
den;  Kraut-   und  Graswuchs   zurücktretend. 

Vorkommen :  Großes  und  kleines  Narunyo- 
moor  am  Lukuledi,  Mto  Nyangi  am  Mbem- 
kuru 

c)  mit  Sumpfgräsern :  Grasmoor  (mit  Gramineen, 
Cyperaceen ,  Nymphaceen ,  Leguminosen). 
Durchsetzt  von  wenig  dichtem,  mäßig  hohem 
Busch  und  niedrigen,  nur  vereinzelt  höheren 
Bäumen. 

Vorkommen :  (3.)  Narunyomoor,  Matumbica- 
tal.  Außerhalb  Afrikas:  südliche  Westküste 
von  Ceylon 

d)  mit  reinem  oder  überwiegendem  Sumpf- 
gräserwuchs im  Innern  („Papyrusmoor"), 
meist  mit  offenen  Wasserstellen ;  ohne  Baum- 
und Buschwuchs. 

Vorkommen:  Bucht  von  Kigoma,  Hoch- 
länder des  Zwischenseengebieies,  (kleine) 
Steppenmoore,  Katanga; 

e)  paralische  (Mangroven-)  Moore:  Pflanzenbe- 
stand  noch  unbekannt. 

Vorkommen:  an  der  Küste  Deutsch-Ost- 
afrikas zwischen  Bagamojo  und  Daressalam, 
z.  T.  wohl  subrezent. 

2.  Ubergangsbildung:Gehängemoor  von 
geringer  Ausdehnung  mit  verkümmerter  Baum- 
und Buschvegetation. 

Vorkommen :  Bucht  von  Kigoma. 

3.  Tropenhochmoore,  mit  niedrigen  Gräsern, 
Farnkräutern  und  vereinzelten  Baum-  und  Busch- 
gruppen ;  Vegetation  kümmerlich. 

Vorkommen:  am  Pindirobach  im  Mbemkuru- 
tale  (Süden  von  Deutsch- Ostafrika),  zwischen 
Kigoma  und  Luitsche? 

B.   Subrezente  Tropenmoore. 
Schwammige  Torflager  zwischen  jungen  Sedi- 
menten,   mit  Resten    von  Baumstämmen  und  an- 
deren Pflanzen. 

Vorkommen :   am  Kongo  zwischen  Buma  und 
Lisala,     eingelagert     in    junge    Kongoalluvionen, 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


darunter  Bleichsand;  in  Katanga.  —  Außerhalb 
Afrikas :  in  mehreren,  durch  Bleichsande  getrennten 
Lagen  übereinander  auf  der  Malayischen  Halb- 
insel bei  Ipoh  und  Tronoh. 

IL   Subtropische  Moore 
(mit  Gebirgsklima  im  tropischen  Gebiet). 

1.  Flachmoore:  Grasmoor  ohne  Bäume  und 
Sträucher:  die  Flora  zeigt  viele  Anklänge  an 
unsere  heimischen  Moorpflanzen  (mit  Apono- 
geton,  Juncus,  Scirpus,  Eriocaulon  u.  a.). 

Vorkommen:  Nurelia,  am  Talagalla  (2250  m) 
auf  Ceylon.  Hierher  gehören  wohl  am  besten 
die  Papyrusmoore  in  den  Hochländern  des 
Zwischenseengebietes  in  Deutsch-Ostafrika. 

2.  Hochmoore:  Grasmoor  mit  verkümmertem 
Baumwuchs  und  wenig  Staudenwuchs ;  ohne 
Moose. 

Vorkommen:  Nurelia  auf  Ceylon  (weitgehende 
Übereinstimmung  in  den  Familien  und  selbst 
in  den  Gattungen  zu  der  Flora  in  den  nord- 
deutschen Mooren). 

Daß  auch  außerhalb  des  eben  besprochenen 
Gebietes  Bedingungen  zur  Moorbildung  im  tropi- 
schen Afrika  vorhanden  sind,  habe  ich  durch 
vielerlei  Angaben  bestätigt  gefunden,  die  mir 
während  meiner  Reise  durch  die  Kongokolonie 
gemacht  worden  sind.  Von  diesen  mag  nur  eine 
erwähnt  werden,  die  gut  beobachtet  erscheint. 
Es  handelt  sich  nach  der  Beschreibung  um  ein 
großes  mit  Hochwald  bestandenes  Sumpfflach - 
moor.  Es  dehnt  sich  am  Unterlaufe  des  Ruki 
aus,  eines  linken  Nebenflusses  des  Kongo,  der 
sich  bei  Coquilhatville  unter  dem  Äquator  in  den 
Riesenstrom  ergießt  und  die  Urwälder  der  Mitte 
des  Kongobeckens  entwässert.  Was  mir  die 
Schilderung  dieses  Moores  als  gut  beobachtet  er- 
weist, ist  die  Erwähnung  von  „kurzen  dicken  Ge- 
bilden, die  zugespitzten  Baumstümpfen  gleichen 
und  in  großer  Anzahl  den  sumpfigen  Boden  be- 
decken". Es  kann  sich  hiernach  nur  um  die 
kegelförmigen  Atemwurzeln  sumpfständiger  Laub- 
bäume handeln,  deren  Lebensweise  also  eine 
große  Übereinstimmung  verrät  zu  der  Sumpfwald- 
vegetation, wie  sie  uns  Koorders  und  nach 
ihm  Potonie  aus  dem  ebenen  Flachlande  des 
östhchen  Sumatra  zwischen  den  Flüssen  Siak  und 
Kampar  beschrieben  haben. 

Auch  subrezente  Tropenmoore  sind 
im  Kongobecken  vorhanden.  So  sah  ich  auf  der 
Dampferfahrt  kongoabwärts  zwischen  den  an  der 
äußersten  nördlichen  Biegung  des  Kongoknies 
gelegenen  Stationen  Buma  und  Lisala  an  einer 
durch  eine  der  jüngsten  Hochfluten  mit  ihren 
riesigen  Wassermassen  frisch  abgebrochenen  Ufer- 
wand ein  wichtiges  Profil  junger  Ablagerungen 
entblößt.  Bis  zum  Wasserspiegel  lagen  Flußsande 
von  heller  Färbung,  darüber,  allmählich  aus  diesen 
hervorgehend,  eine  schwarzbraune,  etwa  I  bis  1  ^4  ni 
mächtige,  lockere  torfige  Schicht,  in  der 
noch  schwärzliches  Astwerk  zu  erkennen  war, 
und  über  dieser  als  Abschluß,  aber  nun  mit 
scharfer    Abwaschungsgrenze    ansetzend,   jüngste. 


gelb  und  braun  gefärbte  Flußablagerungen  des 
Kongo. 

Dieses  Profil  zeigt  deutlich,  wie  sich  in  einer, 
wohl  nur  wenig  zurückliegenden  Zeit  über  jungen 
Flußsedimenten  in  einer  Üferniederung  ein  Sumpf- 
flachmoor, wohl  ein  Waldmoor,  gebildet  hat.  Es 
wuchs,  nach  Analogie  des  gegenwärtigen  Wachs- 
tums der  Flora  im  tropischen,  feuchtigkeitschwan- 
geren Kongourwald  zu  urteilen,  das  in  kürzester 
Zeit  enorme  Pflanzenmassen  hervorbringt,  rasch 
heran,  wurde  dann  wieder  zerstört  und  abgetragen 
und  schließlich  von  einer  neuen  Lage  von  Sedi- 
menten eingedeckt.  Ein  Einschneiden  des  Kongo 
in  seine  Ablagerungen  brachte  das  werdende 
Kohlenflöz  wieder  ans  Tageslicht. 

Damit  ist  der  Beweis  erbracht,  daß  im  tro- 
pischen Urwald  des  Kongobeckens  Moore  in  junger 
geologischer  Zeit  entstanden  sind,  ebenso  wie  sie 
noch  heute  in  ihm  gedeihen. 

Dem  vorbesprochenen  ähnliche  subrezente  Torf- 
lager hat  C.  Guillemain  aus  der  Südprovinz 
der  Kongokolonie,  aus  Katanga,  beschrieben. 
Nur  im  Aufbaumaterial  mögen  sie  sich  unter- 
scheiden, indem  es  sich  bei  ihnen  um  die  Residuen 
ausgedehnter  Papyrussümpfe  handelt.  In  erheb- 
licher Ausdehnung  finden  sich  diese  jugendlichen 
Kohlenflözbildungen  im  unteren  Lufiratale  und  an 
anderen  Kongoquellflüssen. 

Gleichartige  subrezente  Bildungen  hat  R.  Lang, 
der  im  östlichen  Sumatra  wachsende  Waldmoore 
über  weiten  Gebieten  fand,  ähnlich  denen  am 
Ruki,  von  der  Halbinsel  Malakka  bekannt  ge- 
geben, wo  sich  in  den  Tagebauten  der  Zinngruben 
ausgezeichnete  Profile  von  vertorften  Waldsümpfen 
und  ihrer  Gesteinsunterlage  finden. 

Daß  im  Gebiete  des  feuchten  tropischen  Kongo- 
urwaldes Ansammlung  von  Rohhumus  keine  Aus- 
nahme, sondern  sogar  eine  Regel  ist,  deuten  auch 
die  Schwarzwasserflüsse  des  inneren  Kongo- 
beckens an.  Der  tropische  Urwald  bedeckt  in 
Zentralafrika  ein  ausgedehntes,  wenn  auch  nicht 
geschlossenes  Gebiet,  das  sich  zwischen  dem 
5.  Grade  nördlicher  und  dem  5.  Grade  südlicher 
Breite  zonenartig  zu  beiden  Seiten  des  Äquators 
ausstreckt,  mit  einzelnen  Ausläufern  südwärts.  Die 
das  Urwaldland  durchziehenden  zahlreichen  Ge- 
wässer sind  echte  Schwarzwasserflüsse.  Sie 
führen  von  gelöstem  Humus  tiefschwarz  bis  bräun- 
lich in  verschiedenen  Tönen  gefärbtes  Wasser. 
Obwohl  es  durch  seine  Farbe  den  Eindruck  starker 
Trübung  erweckt,  lassen  sich  eingetauchte  Gegen- 
stände viele  Meter  tief  verfolgen.  Dieses  dunkle 
Schwarzwasser  führen  die  Ströme  des  Kongo- 
beckens allein  innerhalb  des  Urwaldbereichs,  nicht 
aber  außerhalb  desselben,  ein  deutlicher  Hinweis 
darauf,  daß  die  dunkle  Färbung  mit  der  Erzeugung 
von  Rohhumus  zusammenhängt. 

Im  großen  ganzen  ist  das  Urwaldland  des 
Kongobeckens  weniger  regenreich,  als  meist  an- 
genommen wird.  Die  hier  fallenden  Regen  sind 
beträchtlich   geringer  als   auf  Sumatra   und  Java, 


I 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


8S 


wo  Regenmengen  von  weit  über  3000  mm  durch- 
aus die  Regel  sind.  Im  Kongobecken  bewirkt 
jedoch  die  Form  der  gewaltigen  geologischen  wie 
orographischen  Mulde  eine  intensive  Sammlung 
der  Niederschläge  in  der  Rinne  des  Kongo.  Dazu 
ist  die  Verdunstung  durch  die  üppige,  den  Boden 
vor  Austrocknung  bewahrende  Pflanzendecke  und 
die  meist  starke  Wolkenbildung  gehemmt.  Diese 
Momente  steigern  die  Wirksamkeit  der  kaum  je- 
mals 2000  mm  übersteigenden  Regenfälle  —  solche 
Niederschläge  finden  sich  z.  B.  als  in  einem  der 
regenreichsten  Gebiete  des  Landes  zwischen  Co- 
quilhatville  und  Lukolela  am  Kongo  —  für  die 
Urwaldstrecken  um  das  Mehrfache. 


Die  aus  dem  tropischen  Afrika  bisher  be- 
schriebenen Moore  sind  nicht  eben  zahlreich.  Sie 
werden  sich  jedoch  als  verbreitet  sehr  rasch 
herausstellen,  sobald  aufmerksam  auf  ihr  Vor- 
kommen geachtet  werden  wird. 

Ohne  hier  weiter  auf  spezielle,  mit  der  Moor- 
bildung in  den  Tropen  zusammenhängende  Fragen 
eingehen  zu  wollen,  die  geologischer  und  klima- 
tologischer  Natur  sind,  soviel  jedenfalls  ist  sicher, 
daß  die  wichtigsten  Perioden  weit  ausgedehnter 
und  langandauernder  Moorbildung  auf  der  Erde 
unter  der  Herrschaft  eines  tropisch- feuchten  Klimas 
standen  mit  allen  seinen,  einen  üppigen  Wuchs 
der  Flora  fördernden  Eigenschaften. 


Spekulatives  über  die  Endlichkeit  der  Welt. 

[N»chdjuck  verboten,]  Von  E.  J.  Gumbel  (Berlin). 

Die  folgenden  Zeilen  sollen  plausibel  machen,     Sonne   aufgehen   zu   sehen 


warum  ein  experimenteller  Nachweis  der  Endlich- 
keit der  Welt  auf  optischem  Weg  heute  und  ver- 
mutlich immer  unmöglich  ist. 

Die  Astronomen  vermuten,  daß  die  Welt  end- 
lich, aber  unbegrenzt  ist.  Die  allgemeine  Rela- 
tivitätstheorie hat  sich  dieser  Vermutung  ange- 
schlossen. Man  veranschaulicht  sich  dies,  indem 
man  zweidimensionale  Geschöpfe  betrachtet,  die 
auf  der  Oberfläche  einer  Kugel  leben.  Deren 
Welt  hat  nämlich  beide  Eigenschaften. 

Unsere  Welt  verhält  sich  geometrisch,  als  wenn 
wir  auf  der  dreidimensionalen  Oberfläche  einer 
Kugel  von  vier  Dimensionen  lebten.  (Die  Begriffe 
Welt  und  Vierdimensionalität  sind  dabei  nicht  im 
Sinn  des  raum-zeitlichen  Kontinuums  gebraucht.) 

Da  nur  das  Licht  uns  die  Erkenntnis  der  uns 
umgebenden  Sternenwelt  bringt,  so  drängt  sich 
zum  experimentellen  Nachweis  der  Endlichkeit  der 
Welt  folgender  Gedankengang  auf:  Das  Licht 
schreitet  von  einer  Lichtquelle  in  Kugelwellen  fort. 
Das  Licht  muß  also,  nachdem  es  die  ganze  Welt 
durchlaufen,  wenn  man  von  der  Absorption  ab- 
sieht, von  der  „entgegengesetzten"  Seite  wieder 
zurückkehren.  Anders  gesprochen:  Es  muß  für 
jeden  auf  der  dreidimensionalen  Oberfläche  der 
vierdimensionalen  Kugel  gelegenen  Stern  ein  Bild 
existieren ,  wo  die  Kugelwellen  zusammenlaufen 
und  wieder  auseinander  gehen.  Dieses  Bild  wird 
an  unserem  Firmament  als  Stern  erscheinen,  den 
wir  an  und  für  sich  von  den  „wirklichen"  Sternen 
nicht  unterscheiden  können. 

Nach  der  allgemeinen  Relativitätstheorie  wird 
das  Licht  beim  Durchgang  durch  Gravitations- 
felder abgelenkt.  Wir  setzen  bei  der  Überlegung 
also  voraus,  daß  die  Gravitationsfelder  das  Zu- 
standekommen des  Bildes  nicht  verhindern. 

Die  Frage  des  Nachweises  der  Endlichkeit  der 
Welt  konzentriert  sich  demnach  auf  die  Auffindung 
des  Bildsternes.  Hierzu  stehen  uns  eine  Reihe 
von  Methoden  zur  Verfügung.  Zunächst  könnte 
man  sich  auf  einen  geeigneten  Punkt  der  Erde 
stellen  und  versuchen  das  Bild  der  untergehenden 


Oder  allgemein  ge- 
sprochen, es  ist  zu  versuchen,  zu  bestimmten 
Sternen  der  einen  Himmelshalbkugel  die  zuge- 
hörigen Bildsterne  als  Sterne  der  anderen  Halb- 
kugel aufzufinden.  Die  beiden  Sterne  müssen  be- 
zogen auf  die  Ekliptik  an  der  Himmelskugel  ieinen 
Längenunterschied  von  180  Grad  und  die  gleiche, 
aber  entgegengesetzte  Breite  haben. 

Der  Nachweis  der  Zusammengehörigkeit  zweier 
Sterne  als  Stern  und  Bild  läßt  sich  auf  zwei 
Weisen  durchführen:  mit  Hilfe  der  Dopplerver- 
schiebung und  mit  Hilfe  der  Parallaxenwerte.  Wir 
betrachten  zunächst  die  Dopplerverschiebung. 
Wenn  der  eine  Stern  sich  in  einer  bestimmten 
Richtung  zur  Erde  bewegt,  so  müßte  sein  Bild 
sich  in  entgegengesetzter  Richtung  bewegen.  Also 
müßten  die  beiden  Dopplerverschiebungen  den 
gleichen  Betrag,  aber  entgegengesetzte  Richtung 
haben.  Man  müßte  demnach  die  Sterne  der  nörd- 
lichen und  südlichen  Halbkugel  einzeln  darauf 
durchsehen,  ob  sich  zwei  Sterne  mit  diesen  Eigen- 
schaften finden. 

Da  aber  zu  jedem  Stern  ein  Bildstern  gehört, 
so  könnte  man  auch  untersuchen,  ob  wenigstens 
entsprechende  Sterngebiete  der  nördlichen  und 
südlichen  Halbkugel  im  Mittel  die  gleiche,  aber 
entgegengesetzte  Dopplerverschiebung  aufweisen. 
Dem  liegt  die  Annahme  zugrunde,  daß  die  ge- 
samte durch  die  Schwerkraft  herbeigeführte  Ab- 
lenkung des  Lichtes  zwar  nicht  verschwinde,  aber 
verhältnismäßig  klein  sei.  In  Erweiterung  dieses 
Gedankens  wäre  zu  untersuchen,  ob  nicht  für  die 
nördliche  und  südliche  Halbkugel  im  ganzen  die 
gleiche,  aber  entgegengesetzte  Dopplerverschiebung 
herauskommt. 

Tatsächlich  werden  aber  im  Mittel  ebensoviele 
Sterne  sich  auf  die  Erde  zu,  als  von  ihr  weg  be- 
wegen. Daher  wird  sich  für  dieses  Mittel  in 
beiden  Fällen  Null  ergeben,  was  für  unsere  Theorie 
nichts  aussagt.  Dies  ist  nur  einer  der  Einwände, 
die  die  Unausführbarkeit  unseres  Gedankenexperi- 
ments und  damit  überhaupt  des  Nachweises  der 
Endlichkeit  der  Welt  auf  optischem  Weg  zeigen. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


Es  ist  nämlich  überhaupt  unwahrscheinlich,  daß 
das  Licht  seinen  Umlauf  um  die  Welt  vollendet. 
Denn  es  ist  zu  befürchten,  daß  es  von  den  schwarzen 
Massen  aufgeschluckt  wird.  Endlich  haben  wir 
bei  unserem  Vergleich  stillschweigend  vorausge- 
setzt, daß  der  Stern  seine  Geschwindigkeit  in  der 
kolossalen  Zeit,  die  das  Licht  vom  Stern  zum 
Bild  braucht,  nicht  wesentlich  verändert  hat.  (Eine 
an  sich  schon  sehr  unwahrscheinliche  Hypothese.) 
Entscheidend  aber  ist,  daß  stets  einer  der 
beiden  zusammengehörigen  Sterne  so  weit  von 
uns  entfernt  sein  muß,  daß  die  genauen  spektro- 
skopischen Untersuchungen,  die  die  Feststellung 
der  Dopplerverschiebung  verlangt,  überhaupt  nicht 
vorgenommen  werden  können.  Dies  läßt  sich 
einfach  zeigen.  Die  Entfernung  eines  Sternes  wird 
mit  Hilfe  seiner  Parallaxe  gemessen. 

Dies  gibt  uns  scheinbar  ein  zweites  Mittel  um 
die  Zuordnung  von  Stern  und  Bild  durchzuführen. 
Die  Entfernung  des  Sternes  von  der  Erde  und  die 
Entfernung  des  Bildes  von  der  Erde  müßte  näm- 
lich zusammengerechnet  den  halben  Umfang  eines 
größten  Kreises  der  vierdimensionalen  Kugel 
geben. 

Aber  eine  einfache  Überlegung  zeigt,  daß  die 
Parallaxe  des  Bildes  tatsächlich  immer  dann  un- 
meßbar ist,  wenn  die  Parallaxe  des  Sternes  meß- 
bar ist  und  umgekehrt.  Nehmen  wir  den  gün- 
stigsten Fall  für  die  gleichzeitige  Messung  von 
Bild  und  Stern,  so  müssen  beide  gleichweit  von 
der  Erde  entfernt  sein.  Dann  beträgt  ihre  Ent- 
fernung je  einen  Quadranten  eines  größten  Kreises 
der  vierdimensionalen  Kugel.  Aber  nach  einem 
Satz  der  Geometrie  ist  der  Umfang  eines  größten 
Kreises  auf  einer  n  dimensionalen  Kugel  wie  bei 
der  gewöhnlichen  Kugel  2R7T.  Wir  brauchen 
also  zur  Bestimmung  der  Parallaxe  den  Radius 
der  vierdimensionalen  Kugel.  Dieser  ist  natürlich 
nicht  exakt  bestimmbar.  Nach  den  Schätzungen 
de  Sitters  ergibt  er  sich  als  das  10*^-  bis  10'*- 
fache  des  Erdbahnradius.  Rechnen  wir  mit  der 
ersten  Zahl,  so  gibt  eine  elementare  Rechnung 
eine  Parallaxe  von  höchstens  einhunderttausendstel 
Bogensekunde.  Eine  solche  ist  aber  durch  unsere 
astronomischen  Messungen  nicht  nachweisbar.  Also 
selbst  im  günstigsten  Fall  kann  man  die  Beziehung 
für  die  Parallaxen,  die  sich  daraus  ergibt,  daß  die 
Entfernung  von  Stern  und  Bild  gleich  einen  halben 
Weltumfang  ist,  nicht  nachweisen. 

Wenn  der  Stern  sichtbar  ist,   so   ist  also  sein 
Bild  nicht  sichtbar  und  umgekehrt.    In  dem  oben 


erwähnten  günstigsten  Fall  ist,  da  der  Erdbahn- 
radius 150  MiH.  Kilometer  beträgt  und  das  Licht 
300000  km  in  der  Sekunde  macht,  die  Entfernung 
von  der  Erde  zum  Stern  ungefähr  10  Mill.  Licht- 
jahre. Der  Arcturus  ist  aber  z.  B.  nur  lOO  Licht- 
jahre entfernt.  Bei  quadratischer  Abnahme  der 
Intensität  mit  der  Entfernung  wäre  also  ein  Stern 
von  gleicher  Größe  10  milliardenmal  schwächer 
als  der  Arcturus,  also  ein  Stern  von  der  40.  Größen- 
klasse. Stern  und  Bild  können  also  nicht  gleich- 
zeitig gesehen  werden. 

Jetzt  sehen  wir  auch,  wie  unberechtigt  unsere 
frühere  Annahme  war,  daß  Stern  und  Bild  sym- 
metrisch gelegen  sein  müßten.  Denn  aus  einer 
bestimmten  Lage  eines  Bildes  zu  einer  gewissen 
Zeit  kann  nur  gefolgert  werden,  daß  der  zuge- 
hörige Stern  vor  20  Mill.  Jahren  die  dazu  sym- 
metrische Lage  eingenommen  hat. 

Da  es  unmöglich  ist,  zu  einem  Stern  das  zu- 
gehörige Bild  zu  finden,  ist  es  unmöglich  die  End- 
lichkeit der  Welt  auf  diesem  optischen  Weg  ex- 
perimentell zu  beweisen.  Dies  könnte  nur  ge- 
schehen, wenn  man  ein  Verfahren  finden  könnte, 
um  den  Bildcharakter  eines  Sternes  nachzuweisen. 
Durch  optische  Eigenschaften  ist  dies  sicher  nicht 
möglich.  Denn,  da  das  Bild  über  seine  Geschichte 
nichts  aussagt,  so  sind  für  die  Optik  Stern  und 
Bild  völlig  gleichberechtigt. 

In  mechanischer  Hinsicht  dagegen  werden 
Sterne  und  Bilder  einander  nicht  äquivalent  sein. 
Zwei  Bilder  werden  sich  ungefähr  verhalten  wie 
zwei  Sterne,  da  nahe  gelegene  Bilder  nahe  gelegenen 
Sternen  entsprechen.  Dagegen  wird  das  gegen- 
seitige Verhalten  eines  Sternes  und  eines  Bild- 
sternes gegenüber  dem  Verhalten  zweier  wirk- 
licher Sterne  bemerkenswerte  Abweichungen  zeigen. 
Denn  nur  das  vom  Bild  ausgestrahlte  Licht  wird 
durch  den  Stern  eine  Gravitationswirkung  erfahren, 
nicht  aber  das  vom  Stern  ausgestrahlte.  Eine 
Gravitationswirkung,  die  von  der  Masse  des  Bildes 
herrührt,  wird  nicht  vorhanden  sein.  Hat  man 
nun  von  zwei  Sternen,  die  wir  als  sehr  benach- 
bart sehen,  die  Parallaxen  so  genau  gemessen,  daß 
man  entscheiden  kann,  daß  sie  nicht  etwa  nur 
zufällig  auf  derselben  Gesichtslinie  stehen,  sondern 
„wirklich"  benachbart  sind,  so  ist  es  vielleicht 
einmal  möglich,  durch  den  Unterschied  in  der 
Größenordnung  der  Gravitationswirkung  des 
Lichtes  und  der  Gravitationswirkung  der  Masse 
den  Nachweis  für  den  Bildcharakter  eines  Sternes 
und  damit  der  Endlichkeit  der  Welt  zu  erbringen. 


[Nachdruck  verboten.] 


Zum  Kreislaufprozeß  des  Wassers, 

Von  Prof.  W.  Halbfaß,  Jena. 


Daß  der  Kreislaufprozeß  des  Wassers  auf  der 
Erde  nicht  in  mathematisch  genauem  Sinne  ge- 
nommen werden  darf,  bedarf  wohl  kaum  einer 
besonderen  Erwähnung.  Dennoch  geht  aus  dem 
meiner  Ansicht  nach  wohlbegründeten  Beweis- 
verfahren von  G  n  i  r  s  *)   hervor ,    daß  wenigstens 


in  den  zwei  letzten  vergangenen  Jahrtausenden 
eine  meßbare  Erniedrigung  des  Niveaus  der 
Ozeane,  die  gegenüber  der  Gesamtmasse  der 
Erde  eine  nur  verschwindend  dünne  Oberflächen- 


')  MiU.  Geogr.  Ges.  Wien  1908. 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


87 


Schicht  darstellen,  nicht  stattgefunden  hat.  Es 
hat  sich  ferner  herausgestellt,  daß  alle  Behaup- 
tungen von  einer  dauernden  Abnahme  des 
Wasserstandes  der  Flüsse  und  der  Binnenseen 
nicht  zu  erweisen  sind  und  daß  endlich  von  einer 
gleichmäßigen,  die  ganze  Erde  umspannenden, 
Abnahme  der  Niederschläge  nicht  die  Rede  sein 
kann,  daß  vielmehr  ein  vielleicht  periodisches  An- 
und  Abschwellen  im  Wasserstand  der  Flüsse  und 
Seen  und  der  Niederschlagsmengen  erfolgt. 

Auf  der  anderen  Seite  aber  läßt  sich  nicht 
bestreiten,  daß  die  Erde  beständig  von  ihrem 
Wasservorrat  einbüßen  muß.  Von  den  Ober- 
flächenschichten der  Erde  sickert  Wasser  unauf- 
hörlich in  tiefere  Schichten  der  Erdkruste,  aus 
denen  es  nur  zum  Teil  in  Gestalt  von  Quellen 
und  in  Dampfform  wieder  an  die  Oberfläche  zu- 
rückkehrt. Die  ,, Bergfeuchtigkeit"  des  Gesteins 
auch  in  den  größten  Tiefen  beweist,  daß  das 
Wasser  in  Tiefen  sinken  kann,  aus  denen  es  frei- 
willig nicht  wieder  emporsteigt.  Am  Meeres- 
boden herrscht  ein  Druck,  der  in  einer  Tiefe  von 
9000  m  mit  900  kg  auf  I  qcm  entspricht,  d.  h. 
ein  Druck,  dem  selbst  die  Wände  des  stärksten 
Dampfkessels  nicht  standhalten  könnten,  ge- 
schweige denn  der  viel  weichere  Boden  der  Welt- 
meere. Es  muß  also  in  die  unter  dem  Meeres- 
boden liegenden  Erdschichten  fortwährend  Wasser 
abfließen,  an  dessen  Wiederemporsteigen  natürlich 
nicht  zu  denken  ist.  Weiter  binden  die  unaus- 
gesetzt sich  vollziehenden  Kristallisationsvorgänge 
in  der  Natur  chemisch  Wasser  und  halten  es  fest, 
lassen  es  also  in  den  atmosphärischen  Kreislauf 
nicht  wieder  zurückgehen.  Endlich  aber  erfolgt 
in  Vulkanen,  sobald  das  durch  Erdspalten  ver- 
sinkende Wasser  mit  dem  heißen  Magma  der 
tieferen  Schichten  in  Berührung  kommt,  sofort 
eine  Zersetzung  in  seine  Bestandteile:  Wasserstoff 
und  Sauerstoff,  wobei  ersterer  wegen  seiner 
Leichtigkeit  explosionsartig  in  die  Höhe  schießt 
und  in  den  oberen  Schichten  des  gasförmigen 
Erdgürtels  der  sog.  Wasserstoffschicht  dauernd 
verbleibt. 

Es  muß  also  irgendeine  andere  Quelle  der 
Erneuerung  und  Vermehrung  des  Wassers  auf 
der  Erdoberfläche  vorhandens  sein,  welche  imstande 
ist,  alle  die  geschilderten  Verluste  zu  decken.  Da 
an  eine  irdische  Quelle  nicht  zu  denken  ist,  so 
kann  sie  nur  kosmischen  Ursprungs  sein,  auf 
welche  Tatsache  bereits  namhafte  Physiker  hin- 
gewiesen haben.  Nur  von  den  eigentlichen  Geo- 
graphen und  Hydrographen  scheint  die  Lücke, 
die  hier  in  unsere  Kenntnisse  von  einer  der  wich- 
tigsten Vorgänge  in  der  Natur  klafft,  noch  nicht 
genügend  beachtet  zu  sein. 

Eine  höchst  originelle  Erklärung  versuchten 
in  einer  sehr  umfangreichen  Schrift  —  sie  umfaßt 
nicht  weniger  als  772  Seiten  Text  im  Lexikon- 
format mit  312  Abbildungen  —  der  Ingenieur 
Hörbiger  und  der  Astronom  Fauth,*)  welche 
wohl  deswegen  bisher  so  wenig  Beachtung  ge- 
funden hat,  weil  sie   unmittelbar   vor   dem  Welt- 


krieg erschien  und  weil  sie  z.  T.  in  einem  wenig 
lesbaren  Stil  geschrieben  wurde.  Ohne  Zweifel 
gehört  dieses  Werk  zu  den  bedeutendsten  und 
gedankentiefsten  Leistungen  menschlichen  Geistes 
und  wir  Deutsche  können  stolz  darauf  sein,  daß 
es  ein  Werk  deutscher  Forscher  ist.  Vor  kurzem 
ist  von  einem  begeisterten  Anhänger  dieser  Lehre, 
dem  Ingenieur  Dr.  ing.  Voigt,")  ein  Buch  er- 
schienen, das  eine  gemeinfaßliche  Einführung  in 
Hörbiger- Fauths  Glazialkosmogonie  sein 
will,  sehr  faßlich  geschrieben  und  durch  bildliche 
und  graphische  Darstellungen  vortrefflich  unter- 
stützt, sehr  geeignet  erscheint,  solche  Leser  in  die 
Hörbigerschen  Ideenwelt  einzuführen,  denen  es 
an  Zeit  und  Geduld  gebricht,  das  umfangreiche 
Hauptwerk  selbst  zu  studieren.  Wir  können  uns 
hier  auf  die  Begründung  der  Hörbigerschen 
Glazialkosmogonie  im  einzelnen  und  auf  die 
Folgerungen,  die  aus  ihr  auf  die  Entstehung  der 
Sedimentgebirge,  Kohlen-,  Erdöl-  und  Salzlager- 
stätten gezogen  werden,  nicht  einlassen,  sondern 
wollen  nur  diejenigen  Gedankengänge  hervorheben, 
die  ein  Hineinspielen  kosmischer  Einflüsse  auf  den 
Kreislaufprozeß  des  Wassers  an  der  Erdoberfläche 
wahrscheinlich  machen  sollen  und  es  m.  E.  auch 
wirklich  tun. 

Hörbiger  weist  zunächst  auf  die  Schwierig- 
keiten hin,  welche  sich  der  Erklärung  so  gewalti- 
ger Hagelwetter  entgegenstellen,  wie  dasjenige 
vom  13.  Juli  1788,  das  durch  ganz  Frankreich 
vom  Süden  des  Landes  über  Belgien  bis  nach 
Holland  hinein  sich  erstreckte,  eine  Gesamtbreite 
von  150  km,  eine  Länge  von  über  lOOO  km  er- 
reichte oder  dasjenige  vom  24.  Mai  1830,  welches 
Rußland  vom  baltischen  bis  zum  schwarzen  Meer 
von  einer  Ausdehnung  von  15  Längegraden  und 
10  Breit egraden  verwüstete  und  eine  durch- 
schnittliche Geschwindigkeit  von  94  km  in  der 
Stunde  besaß,  oder  endlich  dasjenige,  welches  am 
7.  Juni  1894  Wien  heimsuchte,  wobei  im  Durch- 
schnitt auf  I  qm  Bodenfläche  nahezu  i  Zentner 
Eis  fiel !  Die  kurze  Dauer  des  Zerstörungswerkes, 
der  lange  schmale  Weg,  den  das  Unheil  nimmt 
und  die  schnelle  Aufklärung  nach  dem  Rasen 
und  Toben  der  Elemente  führen  eigentlich  von 
selbst  zu  den  Gedanken,  daß  hier  außerirdische 
Kraftäußerungen  vorliegen  müssen.  Sie  gehen 
weit  über  alles  hinaus,  was  man  etwa  als  Wirkung 
einer  Störung  im  atmosphärischen  Gleichgewicht 
ansehen  könnte,  welche  die  Temperatur-,  Feuchtig- 
keit- und  Schwereunterschiede  der  atmosphärischen 
Schichten  begleiten. 

Dasselbe  gilt  von  den  tropischen  Regen,  die 
mit  fast  absoluter  Pünktlichkeit  eintreffen  und 
durch  ihre  Anschmiegung  an  den  Sonnenhoch- 
stand nach  geographischer  Breite  und  Tageszeit 
auf  kosmischen  Ursprung  hinweisen.     Nach  einer 


')  Hörbiger-Fauth,  Eine  neue  Entwicklungsgeschichte 
des  Weltalls  und  des  Sonnensystems.     Kaiserslautern   1913. 

-)  Dr.  ing.  Voigt,  Eis  ein  Weltenbaustoff.  Berlin- 
Wilmersdorf,  Hermann  Paetel.  312  S.  in  8"  nebst  Atlas  in 
15   Taf.  u.  4".     24  M. 


as 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


vollkommen  klaren  Nacht,  nach  einem  klaren 
Sonnenaufgang  gegen  lo  Uhr  morgens,  bewölkt 
sich  derHimmel,  und  Regen  setzt  mit  großartiger  Ge- 
nauigkeit gegen  4  Uhr  nachmittags  ein,  der  dann 
bis  gegen  Abend  anhält,  um  dann  wieder  eine 
klare  Nacht  folgen  zu  lassen.  Wären  diese  enor- 
men Niederschläge  einfach  eine  Folge  der  Kon- 
densation von  Wasserdämpfen,  die  der  Erdboden 
verdunstet,  so  ist  absolut  nicht  abzusehen,  warum 
die  tagsüber  verdampften  Wassermengen  nicht  in 
der  kühleren  Nacht  als  Regen  niederfielen!  Von 
der  physikalischen  Erklärung  der  Hagelstürme 
und  tropischen  Regen  zu  derjenigen  der  tropischen 
Wärme  ist  nur  ein  Schritt,  den  Hör  biger  auch 
tut.  Diese  Stürme  bestehen  in  einem  stoßweisen 
Herabsteigen  rasch  bewegter  Luftschichten  in  die 
unterste  am  Erdboden  zurückgehaltene  Schicht, 
welches  selten  länger  als  i  Minute  dauert,  aber 
gewaltige  Wirkungen  hervorruft.  Der  jüngst  ver- 
storbene Mathematiker  Reye  hat  berechnet,  daß 
zur  Bewegung  der  einströmenden  Luft,  welche 
auf  Kuba  im  Jahre  1844  einen  furchtbaren  Zyklon 
hervorrief,  eine  halbe  Milliarde  PS.  3  volle  Tage 
lang  aufgewendet  worden  ist.  Solche  in  kürzester 
Zeit  sich  austobenden  Gewalten  können  unmög- 
lich Einregelungsversuche  sein,  welche  die  Atmo- 
sphäre macht,  um  das  durch  Sonnenbestrahlung 
gestörte  Gleichgewicht  wieder  herzustellen,  sie 
können  vielmehr  nur  kosmischen  Ursprungs  sein. 
Hörbiger  weist  nun  auf  die  Tatsache  hin, 
daß  schon  wiederholt  in  sehr  großen  Höhen 
Wolken  in  einer  Höhe  bis  zu  150  km  am  völlig 
klaren  Himmel  beobachtet  wurden,  welche  nur 
aus  Cirruseis  bestehen  können,  ihren  optischen 
Eigenschaften  entsprechend.  Wie  kommen  Eis- 
kristalle und  Eisblöcke  von  solchem  Umfange  in 
so  unfaßbare  Höhen,  wo  bereits  die  atmosphäri- 
sche Luft    begonnen    hat    sich   in   ihre   Elemente 


aufzulösen.?  Da  sie  sich  nur  abwärts  senken 
können,  so  müssen  sie  zumal  als  Gebilde,  die  gar 
nicht  an  die  Erdrotation  gebunden  sind ,  vom 
Weltenraume  her  hereingekommen  sein.  Sie  bil- 
den einen  quantitativen  Zuwachs  von  Wasser  zur 
Erde,  welcher  jenseits  des  irdischen  Kreislauf- 
prozesses des  Wassers  steht.  Es  gibt  also  einen 
Wasserzufluß  zur  Frde,  der  aus  dem  Weltenraum 
quillt  und  seinen  Ursprung  aus  dem  ungeheuren 
Strom  von  Flüssigkeiten  nimmt,  der  von  der 
Sonnenkorona  ausgeht  und  im  kalten  Weltenraume 
erstarrt. 

Die  sonstigen  Konsequenzen ,  welche  Hör- 
biger aus  seiner  Annahme,  daß  namentlich  die 
äußeren,  unsere  Sonne  umkreisenden  Planeten, 
aus  Eis  bestehen,  worauf  schon  ihr  spezifisches 
Gewicht  hinweist,  und  daß  unser  Mond  ursprüng- 
lich als  Planet  die  Sonne  umkreist  habe,  können 
wir  hier  beiseite  lassen,  da  sie  mit  seiner  Theorie 
des  kosmischen  Anteils  am  Kreislauf  des  Wassers 
auf  der  Erde  nur  in  einem  losen  Zusammenhang  zu 
stehen  scheinen,  wollen  aber  die  Fachmänner  nach- 
drücklichst auf  die  Lektüre  des  Originalwerkes  oder 
wenigstens  des  Voigt  sehen  Auszuges  hinweisen. 
In  der  Geschichte  der  Theorien  vom  Kreislauf- 
prozeß des  Wassers  müssen  jedenfalls  Hörbiger 
und  sein  Schüler  Fauth  mit  Achtung  genannt 
und  die  von  ihnen  beigebrachten  Tatsachen  sorg- 
fältig auf  ihre  Richtigkeit  geprüft  werden.  Dar- 
aus, daß  die  „Wissenschaft"  sie  bisher  durch- 
gehends  abgelehnt  hat,  folgt  noch  lange  nicht 
ihre  Unrichtigkeit.  Die  Geschichte  der  Wünschel- 
rute bietet  ein  glänzendes  und  schwerwiegendes 
Beispiel  dafür,  daß  Tatsachen  und  Theorien,  wel- 
che anfangs  Männer  der  Wissenschaft  mit  einer 
verächtlichen  Handbewegung  glaubten  abtun  zu 
können,  später  doch  allgemeinste  Beachtung  ge- 
funden haben. 


Einzelberichte. 


Petrographie  des  älteren  Paläozoikums 
zwischen  Albuugen  und  Witzhausen. ^) 

In  dem  behandelten  Gebiet  nehmen  nach  M  o  - 
esta  Grauwacken  den  weitaus  größten  Teil  der 
Oberfläche  ein,  am  Südrande  erscheinen  aber  in 
den  tiefsten  Geländeteilen  auch  Tonschiefer  mit 
Einlagerungen  von  Quarziten,  Kieselschiefern, 
Hornsteinen,  Kalken  und  Diabasen.  Eine  sichere 
Alterbestimmung  ist  mangels  sicher  bestimmbarer 
Versteinerungen  nicht  möglich.  Mo  esta  ver- 
gleicht die  Grauwacken  mit  den  Tanner  Grau- 
wacken und  die  Schiefer  mit  den  Wieder  Schiefern 
des  Harzes. 

Die  Schiefer  sind  namentlich  an  den  Hängen 
des  Hölltals  aufgeschlossen.  Sie  sind  reich  an 
Quarz,  ziemlich  serizitisch,  etwas  eisen-  und  kohle- 


')  O.  Mügge  in  den  Nachr.  v.  d.  Ges.  d.  Wissenschaften 
zu  GöUingen.     Math,  naturw.  Klasse.     1919. 


haltig  und  oft  sehr  zierlich  gefältelt.  Ihre  Kalk- 
einlagerungen sind  dicht  bis  marmorartig.  Die 
Kieselschiefer  sind  voll  von  meist  elliptisch  defor- 
mierten Radiolarien ;  sie  erscheinen  auch  im  Kon- 
takt mit  den  unten  besprochenen  Diabasen.  Die 
von  Moesta  als  älter  angesprochenen  Grau- 
wacken sind  sandig,  im  großen  bankig,  im  Hand- 
stück fast  kompakt.  Auf  Grund  der  Mineralge- 
mengteile und  der  z.  T.  nur  wenig  abgerollten 
Gesteinsbruchstücke  und  weil  im  Gelstertale  die 
Grauwacke,  nicht  der  Schiefer,  vom  Zechstein 
überlagert  wird,  weil  ferner  nur  die  Schiefer,  nicht 
auch  die  Grauwacken,  Diabase  eingeschaltet  ent- 
halten, endlich  auch  weil  Lagerungsverhältnisse, 
die  auf  jüngeres  Alter  der  Schiefer  hinwegweisen, 
ihm  nicht  bekannt  geworden  sind,  hält  Mügge 
die  Grauwacken  im  Gegensatz  zu  Moesta 
für  jünger  als  die  Schiefer.  Die  Grauwacken 
könnten  etwa,  wie  es  B  e  y  s  c  h  1  a  g  für  die  petro- 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


89 


graphisch  durchaus  ähnlichen  Grauwacken  von 
Oberellenbach  tut,  zum  Culm  gestellt  werden, 
wenn  die  Parallelisierung  der  Schiefer  mit  den 
Wieder  Schiefern  zu  Recht  besteht. 

Die  Diabase,  die  in  den  Schiefern  sehr  häufig 
auftreten,  sind  alle  sehr  zersetzt.  An  der  Grenze 
zu  den  Schiefern  werden  sie  zuerst  feinkörnig, 
schließlich  völlig  dicht.  In  den  dichten  Gesteinen 
ist  Olivin  reichlich  ausgeschieden,  z.  T.  als  größere 
Einsprengunge,  z.  T.  als  sehr  kleine  Einspreng- 
unge, die  im  Längsschnitt  als  zweizinkige  Doppel- 
gabeln, im  Querschnitt  als  abgestumpfte  Rhomben 
mit  großem  Grundmasseeinschluß  erscheinen.  Sie 
sind  völlig  zersetzt. 

Die  von  M  o est a  erwähnte  variolitische 
Varietät  ganz  nahe  am  Bahnhof Albungen  wurde 
vonMügge  wieder  aufgefunden.  Ihre  Variolen  haben 
dieselbe  Zusammensetzung  wie  die  dichten  Diabase, 
die  Zwischenmasse  der  Variolen  dagegen  scheint 
Glas  nur  mit  Ausscheidungen  zahlreicher  kleiner 
Olivine  gewesen  zu  sein.  Sie  ist  jetzt  vollständig 
zersetzt.  Im  Gegensatz  zu  den  Sphärolithen  der 
sauren  Ergußgesteine  lassen  sie  keinen  Kristalli- 
sationsmittelpunkt erkennen.  Warum  sie  sich 
trotzdem  längs  Kugeloberflächen  von  der  um- 
gebenden Glasmasse  abgrenzen,  dürfte  nach  des 
Verf.  Ansicht  in  folgendem  begründet  sein :  Vom 
jetzigen  Mittelpunkte  der  Variolen,  in  dem  zuerst 
Feldspatkeime  auftauchten,  wuchsen  diese  anfangs 
strahlig  nach  allen  Richtungen,  wurden  aber  als- 
bald durch  die  schon  ausgeschiedenen  zahlreichen 
kleinen  Olivineinsprenglinge,  sehr  bald  auch  durch 
die  fast  gleichzeitig  einsetzende  Kristallisation  des 
Schrnelzrestes  zu  Augit  fortwährend  unterbrochen. 
An  jeder  Unterbrechungsstelle  entstand  ein  neues 
Wachstumszentrum  und  nur,  weil  diese  Unter- 
brechungen wegen  der  großen  Zahl,  Kleinheit  und 
regellosen  Verteilung  der  Olivine  auf  allen  Seiten 
gleichmäßig  erfolgte,  blieb  die  Grenze  zwischen 
dem  durch  die  Ausscheidung  von  Plagioklas  und 
Augit  völlig  kristallin  werdenden  Teile  des  Mag- 
mas und  jenem,  der  nur  aus  Glas  mit  mikro- 
skopischen Olivineinsprenglingen  bestand,  zu  jeder 
Zeit  annähernd  eine  Kugelfläche.  Diese  „Variolen" 
stehen  also  den  „Spärolithen"  der  sauren  Erguß- 
gesteine, deren  regelmäßig  radialstrahliges  Wachs- 
tum nicht  durch  das  Vorhandensein  zahlreicher 
kleiner  älterer  Einsprengunge  behindert  wurde, 
als  kugelige  Wachstumsformen  von 
Faseraggregaten  ohne  regelmäßigen 
Bau  gegenüber. 

Aus  verschiedenen  Gründen  nimmt  der  Verf. 
an,  daß  die  Diabaseinlagerungen  als  Ergüsse  unter 
hohen  Wasserdruck  entstanden  sind.  Exogene 
Kontakterscheinungen  erheblicher  Art  fehlen.  In 
chemischer  Hinsicht  zeigen  die  Analysen  der 
Variolen  und  ihrer  Zwischenmasse  größere  Unter- 
schiede, als  nach  der  mikroskopischen  Untersuchung 
erwartet  wurde.  Die  Variolen  weisen  einen  et- 
was höheren  Gehalt  an  Alkalien  auf,  die  Zwischen- 
masse eine  starke  Anreicherung  des  Magnesia- 
eisengehaltes. F.  H. 


Asphaltgäuge  im  Fischflußsandstein  im  Süden 
von  Südwestafrika. 

In  Südwestafrika  war  schon  seit  längerer  Zeit 
das  Gerücht  verbreitet,  in  den  Sandsteinen  des 
Fischflusses  kämen  Kohlen  vor.  Im  Februar  191 5 
erhielt  H.  Schneiderhöhn  („Senkenbergiana", 
Bd.  I,  Nr.  S,  191 9)  vom  Kommando  der  Schutz- 
truppe den  Auftrag,  diese  Vorkommen  zu  unter- 
suchen. Leider  sind  später  seine  Sammlungen, 
Photographien  und  Skizzen  über  diese  Gegend 
verloren  gegangen,  indem  nach  dem  Friedensschluß 
in  Südwest  seine  Koffer  von  englischen  Offizieren 
in  Windhuk  gestohlen  worden  sind.  Es  konnte 
daher  nur  eine  kurze  Beschreibung  der  Vorkommen 
gegeben  werden. 

Die  geologischen  Verhältnisse  stellen  sich  in 
ihren  Grundzügen  nach  P.  Range')  wie  folgt 
dar :  Auf  einem  kristallinen  Sockel  der  afrikanischen 
Primärformation  liegt  eine  mächtige  Folge  kon- 
kordanter  Sedimente,  die  folgendermaßen  gegliedert 
werden : 

Karrooformation 


Fischflußschichten 
Schwarzrandschichten 

Obere 

Nama- 

Schwarzkalk 

Kuibisschichten 

Basisschichten 

Untere 

formation 

Alle  diese  Schichten  liegen  heute  so  gut  wie 
horizontal  mit  einem  kaum  merklichen  Einfallen 
nach  Südosten.  Der  Fischfluß  hat  sich  in  seinem 
Mittellauf  in  die  nach  ihm  benannten  Schichten 
eingeschnitten.  Infolge  des  ganz  schwachen  süd- 
östlichen Einfallens  kommt  man  nach  Süden  zu 
in  immer  höhere  Horizonte,  wobei  sich  deutlich 
ein  Faziesübergang  von  Flachsee-  bis  zum  reinen 
Litoralgestein  beobachten  läßt. 

Von  Bedeutung  sind  zwei  Absonderungs-  oder 
Kluftsysteme.  Sie  setzen  senkrecht  durch  die 
horizontalen  Gesteinsbänke  hindurch  und  durch- 
kreuzen sich  unter  60".  Die  eine  Kluftrichtung 
streicht  ost  —  westlich,  die  andere  südsüdwestlich 
—  nordnordöstlich.  Beide  Kluftsysteme  sind  meist 
reine  Zerrungs-  bzw.  Druckklüfte.  Die  Ost-West- 
klüfte bilden  die  Lagerstätte  des  als  Kohle  ange- 
sehenen Asphaltes. 

Eine  sehr  eigenartige  Erscheinung  ist  an  dem 
Ausstrich  dieser  Klüfte  zu  sehen.  Längs  der 
Klüfte  ist  oft  die  oberste  Gesteinslage  dachförmig 
aufgebuckelt.  Die  Aufwölbung  erreicht  manch- 
mal 50—70  cm  Höhe  und  ist  fast  nur  längs  der 
Ost- Westklüfte  entwickelt.  Sie  ziehen  sich  oft 
viele  hunderte  von  Metern  hin.  Die  Entstehung 
dieser  Aufbuckelungen  ist  auf  Kosten  der  hohen 
Erwärmung  zu  setzen,  welche  die  oberste,  durch 
keinerlei  Schutt  oder  Vegetation  geschützte  Sand- 
Steinlage  durch  die  Sonnenbestrahlung  erfährt. 
Nach  unten  setzen  sich  diese  Aufwölbungen  nicht 
fort. 


')    P.   Range:    Geologie    d.    d.    Namalandes.      Beitr.    z. 
geol.  Erforsch,  d.  d.  Schutzgebiete.     1912,  H.  2. 


90 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


Die  Asphaltgänge  sind  bis  jetzt  nur  in  dem 
tiefeingeschnittenen  Fischflußtal  und  in  einigen 
Seitenschluchten  beobachtet  worden,  und  zwar  an 
folgenden  drei  Stellen : 

1.  Etwa  4  km  südlich  vom  Übergang  Unis 
gaos,  der  etwa  13  km  südöstlich  Berseba  liegt. 
Dort  sind  an  der  östlichen  Steilwand  des  Fisch- 
flußtales 2  größere  und  etwa  20— 25  kleinere  Gänge 
aufgeschlossen. 

2.  In  einer  2  km  nördlich  dieser  Stelle  von 
Westen  einmündenden  Seitenschlucht  6  kleinere 
Gänge. 

3.  Am  Übergang  Rukadomes,  50  km  südlich 
Unis  gaos  am  westlichen  Talhang  3  kleinere  Gänge. 

Sämtliche  Gänge  sind  mit  einer  brekziösen 
Gangmasse  erfüllt.  Ihre  Mächtigkeit  schwankt 
zwischen  0,75  m  bis  zu  1  mm.  Sämtlich  asphalt- 
führende Gänge  sind  dadurch  ausgezeichnet,  daß 
in  ihrer  Umgebung  das  rote  Gestein  auf  einige 
Zentimeter  fahlgrün  ausgebleicht  ist. 

Die  Gangfüllung  besteht  aus  tonig-sandigen 
Zerreibsei,  Kalkspat  und  Asphalt.  Letzterer  bildet 
stets  die  innerste,  jüngste  Gangausfüllung,  zu  beiden 
Seiten  ist  er  von  Kalkspat  umsäumt,  und  den 
äußersten  Saum  bildet  das  Zerreibsei.  Der  As- 
phalt ist  eine  geruchlose,  glänzende,  tiefschwarze 
Masse  von  der  Härte  2 — 3  und  mit  muschligem 
Bruch.  Er  läßt  sich  leicht  schon  mit  einem  Streich- 
holz zum  Entflammen  bringen  und  brennt  dann 
mit  heller,  starker,  wenig  rußender  Flamme,  die 
leicht  bituminös  riecht.  Nachdem  der  asphaltartige 
Anteil  verbrannt  ist,  bleibt  ein  erheblicher  Rest 
von  porösem,  anthrazitähnlichem  Kohlenstoff  übrig, 
der,  einmal  entzündet,  lang  nachglüht,  eine  starke 
Hitze  dabei  entwickelt  und  zum  Schluß  wenig 
Aschenbestandteile  übrig  läßt.  In  dem  breitesten 
beobachteten  Gang,  an  der  Fundstelle  i  betrug 
die  Asphaltmächtigkeit  0,25  m.  In  anderen  Gängen 
ist  sie  bedeutend  geringer  und  sinkt  bis  auf  1  mm 
herab.  Auf  dem  Plateau  konnten  einige  Gänge 
bis  zu  I  km  weit  verfolgt  werden,  dann  hinderten 
Schuttmassen  einer  Senke  daran.  Aus  den  Mächtig- 
keiten ergibt  sich,  daß  trotz  der  guten  Qualität 
an  eine  bergmännische  Gewinnung  des  Materials 
nicht  zu  denken  ist,  wenn  nicht  noch  mehr  und 
größere  Vorkommen  gefunden  werden.  Doch  ist 
das  nicht  anzunehmen,  da  die  Hottentotten  schon 
laOge  dieses  Material  zum  Feueranzünden  benützen 
und  in  dem  dortigen  gut  aufgeschlossenen  Gebiet 
andere  Gänge  sicher  schon  längst  aufgefunden  hätten. 

Der  Verf.  nimmt  für  den  Asphalt  am  Fisch- 
fluß die  anorganische  Entstehung  an  und  denkt 
an  hydrothermale  Exhalationen,  die  vielleicht  im 
Gefolge  der  Entstehung  des  Explosionstrichters 
des  Großen  Brukaros  auftraten,  der  20  km  nörd- 
lich von  Berseba  liegt.  Es  erscheint  ihm  sehr 
wahrscheinlich,  daß  im  Gefolge  dieser,  wohl  der 
Postkarroozeit  angehörigen  Explosion  auch  die 
Asphaltsubstanz  in  Form  von  Kohlenwasserstoffen 
empordrang  und  zusammen  mit  Schwerspat,  Quarz, 
Chalcedon,  Kalkspat  und  Kupferkies  der  hydro- 
thermalen Phase  angehört.  F.  H. 


Entfernung  des  großen  Orionnebels. 

Bergstrand  glaubt  durch  eine  indirekte  Er- 
mittlung der  Parallaxe  der  mit  dem  Orionnebel 
in  nahem  Zusammenhang  stehenden,  die  Helium- 
linien zeigenden  Sterne  ß,  y,  ö,  e,  C,  x  usw.  Orionis 
Aufschluß  über  die  Entfernung  des  Nebels  ge- 
wonnen zu  haben  (Astron.  Nachrichten  Nr.  5038). 
Bei  diesen  Sternen  sind  nämlich  die  Geschwindig- 
keiten im  Visionsradius  aus  den  Linienverschie- 
bungen im  Spektrum  auf  Grund  des  Doppl er- 
sehen Prinzips  ziemlich  genau  in  Kilometern  be- 
stimmt. Vergleicht  man  nun  die  durchschnittliche 
Bewegung  im  Visionsradius,  die  bei  diesen  Sternen 
von  der  Sonne  fort  gerichtet  ist,  mit  den  aus  ge- 
nauen Positionsmessungen  von  verschiedenen  Daten 
zu  ermittelnden  relativen  Eigenbewegungen,  die 
eine  langsame  perspektivische  Zusammenziehung 
der  ganzen  Gruppe  hervorbringen,  so  läßt  sich 
unter  der  Voraussetzung,  daß  die  wirklichen  Be- 
wegungen der  einzelnen  Sterne  unregelmäßig  nach 
dem  Gesetz  des  Zufalls  verteilt  sind  (daß  also 
auch  die  Bewegungen  senkrecht  zum  Visionsradius 
die  gleiche  durchschnittliche  Geschwindigkeit  haben, 
wie  diejenigen  im  Visionsradius),  die  mittlere  Ent- 
fernung dieser  Sterne  und  damit  auch  des  von 
ihnen  umgebenen  Orionnebels  abschätzen.  Berg- 
strand  findet  eine  Parallaxe  von  0,008",  d.  h. 
der  Erdbahnhalbmesser  würde  vom  Orionnebel 
aus  unter  diesem  Sehwinkel  erscheinen,  was  einer 
Entfernung   von    etwa  400  Lichtjahren  entspricht. 

Kbr. 


Die  Geschlechtsbestimmnng  bei  den  Motten- 
läusen. 

Der  sog.  Hymenopterentypus  der  Geschlechts- 
bestimmung gilt,  soweit  wir  heute  wissen,  für  alle 
Hymenopteren.  Bei  allen  Hautflüglern  entstehen 
die  Männchen  aus  unbefruchteten  Eiern,  die  zwei 
Richtungskörper  abgeschnürt  und  eine  Reduktion 
ihrer  Chromosomenzahl  erfahren  haben.  Die 
Hymenopterenmännchen  sind  infolgedessen  haplo- 
ide Organismen,  bei  deren  Samenreifung  die  Re- 
duktionsteilung ausfallen  muß.  Im  Gegensatz  zu 
ihnen  sind  alle  Weibchen  diploid.  Sie  gehen  aus 
befruchteten  Eiern  hervor  oder  aber  aus  solchen, 
die  zwar  unbefruchtet  geblieben  sind,  ihre  Chro- 
mosomenzahl aber  nicht  reduziert  haben.  Den- 
selben Modus  der  Geschlechtsbestimmung  be- 
sitzen offenbar  auch  die  heterogenen  Rädertiere, 
doch  sind  bei  diesen  die  Unsersuchungen  noch 
nicht  so  genau  durchgeführt  wie  bei  den  Hymeno- 
pteren. Nach  kürzlich  veröffentlichten  Unter- 
suchungen von  Schrader*)  gehören  auch  die 
Mottenläuse,  die  Aleurodinen,  hierher,  oder  wenig- 
stens gewisse  Formen  von  ihnen. 

Die    Mottenläuse,    kleine    zarte   Tierchen    von 


')  Schrader,  F.,  Sex  determination  in  Ihe  white  fly 
(Trialevrodes  vaporariorum).  Journ.  of  Morphology,  vol.  34, 
1920. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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I — i'/q  mm  Größe  mit  vier  mehlig  bestaubten 
Flügeln,  die  man  früher  zu  den  Schildläusen  rechnete, 
sind  eine  nicht  sehr  artenreiche  Gruppe  der  Schnabel- 
kerfe. Viele  von  ihnen  leben  als  Schädlinge  auf 
Kulturpflanzen,  so  Aleurodes  citri,  die  „weiße 
Fliege"  oder  Orangenfliege,  die  in  Orangen-  und 
Zitronenkulturen  südlicher  Länder  oft  in  derartiger 
Masse  auftritt,  daß  die  ganzen  Blätter  wie  mit 
Mehl  bestäubt  erscheinen.  Solche  Pflanzen  er- 
kranken und  liefern  nur  kümmerliche  Früchte.  In 
unseren  Breiten  finden  sich  auf  Kulturpflanzen  die 
Kohlmottenlaus  und  die  Erdbeermottenlaus,  die 
aber  in  der  Regel  nicht  in  so  großer  Zahl  auf- 
treten, daß  sie  schädlich  werden.  Außerdem  gibt 
es  viele  harmlose  Mottenläuse  auf  anderen  Pflanzen, 
so  Aleurodes  aceris  auf  dem  Ahorn ,  Aleurodes 
proletella,  wie  schon  der  Name  andeuten  soll,  eine 
der  gemeinsten  Formen,  auf  dem  Schöllkraut.  Die 
Spezies,  die  Seh  rader  zu  seinen  Untersuchungen 
gedient  hat,  ist  Trialeurodes  vaporariorum,  eine 
auf  verschiedenen  Nachtschattengewächsen  lebende 
Mottenlaus.  Bei  einer  in  Amerika  lebenden  Rasse 
dieser  Form  kommen  Männchen  und  Weibchen 
in  mehr  oder  weniger  gleichem  Verhältnis  vor. 
In  England  scheint  neben  dieser  Rcisse  eine  andere 
zu  existieren,  die  lediglich  aus  Weibchen  besteht. 
Die  Weibchen  pflanzen  sich  offenbar  partheno- 
genetisch  fort  und  erzeugen  immer  wieder  Weib- 
chen. Auch  bei  der  amerikanischen  Rasse  gibt 
es  eine  parthenogenetische  Entwicklung,  aber 
hier  gehen  aus  den  unbefruchteten  Eiern  nur 
Männchen  hervor.  Der  Modus  der  Geschlechts- 
bestimmung bei  dieser  Rasse  wurde  durch  die 
zytologische  Untersuchung  ermittelt. 

Trialeurodes  vaporariorum  besitzt  im  weib- 
lichen Geschlecht  22  Chromosomen.  Vor  der 
Reifung  der  Eizellen  findet  eine  paarweise  Ver- 
einigung der  homologen  Chromosomen  statt,  die 
Doppelchromosomen  werden  zu  Tetraden,  und  so 
treten  11  Tetraden  in  die  erste  Reifungsteilung 
ein.  Da  die  einzelnen  Komponenten  der  Tetraden 
vor  der  Reifung  miteinander  verschmelzen,  er- 
scheinen allerdings  die  Doppelchromosomen  in 
der  Äquatorialplatte  der  ersten  Reifungsspindel 
als  einfache  Gebilde.  Auf  dem  Stadium  der 
Äquatorialplatte  verharrt  die  Reifungsspindel,  bis 
das  Ei  abgelegt  ist.  Nur  wenn  die  Ablage  des 
Eies  verzögert  wird,  kann  die  erste  Reifungsteilung 
noch  etwas  weiter  ablaufen.  Die  1 1  Tetraden 
werden  geteilt,  so  daß  1 1  Dyaden  in  den  ersten 
Richtungskörper  kommen ,  11  im  Ei  verbleiben. 
Der  Richtungskörper  bleibt  unter  der  Oberfläche 
des  Eies  liegen  und  trifft  ebenso  wie  der  Eikern 
sogleich  die  Vorbereitungen  zu  einer  neuen  Tei- 
lung. Der  Richtungskörper  ist  meist  in  der  Tei- 
lung hinter  dem  Eikern  etwas  zurück,  führt  die 
Teilung  aber  auch  immer  vollständig  durch.  So 
erhalten  wir  vier  Chromosomengruppen,  jede  aus 
1 1  einfachen  Chromosomen  bestehend.  Die 
Richtungskörper  bleiben  alle  drei  im  Eiplasma 
unter  der  Oberfläche  liegen  und  gehen  nach 
einiger  Zeit  zugrunde.    Die  innerste  Chromosomen- 


gruppe stellt  den  gereiften  Eikern  dar,  oder  viel- 
mehr, sie  wandelt  sich  in  diesen  um  und  wandert 
ins  Zentrum  des  Eies. 

Ist  das  Ei  unbesamt  geblieben,  so  liefert  der 
Eikern  im  Zentrum  des  Eies  allein  die  erste 
Furchungsspindel  mit  1 1  Chromosomen,  der  haplo- 
iden Zahl.  Diese  Zahl  wird  während  der  ganzen 
Entwicklung  und  auch  beim  ausgebildeten  Indi- 
viduum beibehalten,  wie  eine  Untersuchung  der 
verschiedensten  Somazellen  zeigt.  Immer  ist  es 
ein  Männchen,  das  aus  einem  solchen  unbefruch- 
teten Ei  mit  haploider  Chromosomenzahl  hervor- 
geht. 

Ist  aber  das  Ei  besamt  worden,  so  trifft  der 
gereifte  Eikern  auf  seiner  Wanderung  ins  Eiinnere 
auf  den  Samenkern,  der  inzwischen  aus  dem  Kopf 
des  Spermatozoons  hervorgegangen  ist,  und  ver- 
schmilzt mit  diesem  zu  einem  einheitlichen  Fur- 
chungskern.  So  wird  hier  die  diploide  Chromo- 
somenzahl wieder  hergestellt,  und  in  die  erste 
Furchungsspindel  treten  22  Chromosomen  ein. 
Aus  dem  befruchteten  Ei  entsteht  ein  Weibchen. 

Wie  läuft  nun  bei  den  Männchen  dieser 
Mottenlaus  die  Samenreifung  ab  ?  Da  die  Männ- 
chen haploide  Organismen  sind,  müssen  wir  er- 
warten, daß  bei  ihnen,  ähnlich  wie  bei  den  Männ- 
chen der  Hymenopteren,  die  Reduktionsteilung 
ausfällt.  Das  ist  in  der  Tat  der  Fall.  Bei  den 
Hymenopteren  macht  die  Spermatozyte  —  man 
möchte  sagen  —  wenigstens  noch  den  Versuch  zu 
der  Reifungsteilung.  Hier  fällt  sie  vollständig  aus. 
Die  einzige  Spermatozytenteilung,  die  zur  Bildung 
der  Spermatiden  führt,  ist  eine  Äquationsteilung 
und  unterscheidet  sich  in  nichts  von  den  voraus- 
gehenden Spermatogonienteilungen.  Da  auch  im 
übrigen  die  „Spermatozyte"  nicht  die  geringsten 
Unterschiede  gegenüber  einer  Spermatogonie  auf- 
weist —  eine  Wachstumsperiode  fehlt  vollkom- 
men — ,  so  ließe  sich  darüber  streiten,  ob  über- 
haupt von  einer  Spermatozyten-  oder  Reifungs- 
teilung die  Rede  sein  kann.  Aus  allen  Sperma- 
tiden gehen  funktionsfähige  Samenfäden  hervor 
— ■  weibchenbestimmende  Spermatozoen  mit  II 
Chromosomen. 

Bleibt  ein  Weibchen  unbegattet,  so  vermag  es 
nur  Männchen  hervorzubringen,  ähnlich  wie  die 
drohnenbrütige  Bienenkönigin.  Das  regelrecht  be- 
gattete Weibchen  erzeugt  weibliche  und  männ- 
liche Nachkommen,  doch  ist  das  Geschlechtsver- 
hältnis sehr  variabel;  es  ist  wahrscheinlich  von 
äußeren  Faktoren  abhängig.  Wie  die  Hymeno- 
pterenweibchen  den  Charakter  des  abzulegenden 
Eies  bis  zu  einem  gewissen  Grade  willkürlich  zu 
bestimmen  vermögen,  so  scheint  es  auch  bei  der 
untersuchten  Mottenlaus  zu  sein. 

Es  wäre  von  besonderem  Interesse,  die  eng- 
lische Rasse  von  Trialeurodes  vaporariorum,  die  an- 
scheinend aus  rein  parthenogenetisch  sich  vermeh- 
renden Weibchen  besteht,  *)  auf  ihre  zytologischen 


')  Es  wäre  aber  auch  denkbar,  dafi  es  sich  um  eine  Form 
mit  Heterogonie   handelt. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Verhältnisse  hin  zu  untersuchen.  Ist  der  Modus 
der  Geschlechtsbestimmung  bei  dieser  Form  ganz 
ebenso  wie  bei  den  Hymenopteren,  so  sollte  man 
erwarten,  daß  die  parthenogenetisch  entstandenen 
Weibchen  diploid  sind,  daß  sie  aus  Eiern  ihren 
Ursprung  nehmen,  in  denen  die  Reduktionsteilung 
unterbleibt. 

Was  uns  aber  den  hier  beschriebenen  Fall  als 
besonders  wertvoll  erscheinen  läßt,  daß  sind  die 
so  außerordentlich  klaren  Chromosomenverhält- 
nisse, die  er  bietet.  Es  ist  kürzlich  die  Ansicht 
geäußert  worden,  haploide  Organismen  seien  nicht 
lebensfähig,  die  haploide  Natur  der  Hymenopteren- 
männchen  wurde  angezweifelt.  Läßt  sich  auch 
die  Haltlosigkeit  einer  solchen  Auffassung  ohne 
Schwierigkeit  darlegen,  so  muß  doch  zugegeben 
werden,  daß  die  Chromosomenverhältnisse  bei  den 
Hymenopteren  sehr  ungünstig  sind;  nicht  nur 
sind  die  Chromosomen  sehr  klein  und  sehr  zahl- 
reich, die  Chromosomen  der  Reifungsteilungen 
sind  Sammelchromosomen,  die  in  den  somatischen 
Zellen  wieder  in  geringerwertige  Elemente  zer- 
fallen, und  das  erschwert  weiterhin  die  Unter- 
suchungen. Alle  diese  Schwierigkeiten  bestehen 
bei  Trialeurodes  nicht,  hier  tritt  es  klar  zutage, 
daß  auch  eine  (die  mütterliche)  Chromosomen- 
garnitur vollauf  genügen  kann,  einen  lebensfähigen 
Organismus  zu  produzieren.  In  diesem  Falle  wie 
in  den  anderen  uns  bisher  bekannten  Fällen  ist 
es  immer  ein  Männchen,  das  auf  diese  Weise  ent- 
steht. Zwar  lassen  sich  bei  Trialeurodes  ebenso- 
wenig wie  bei  den  Hymenopteren  morphologisch 
dififerente  Geschlechtschromosomen  nachweisen, 
aber  wir  haben  guten  Grund  zu  der  Annahme, 
daß  wie  bei  vielen  Tieren  so  auch  hier  zwei  Ge- 
schlechtschromosomen oder  zwei  X  das  weibliche, 
ein  X  das  männliche  Geschlecht  bestimmen. 

Nachtsheim. 


(London)  mitgeteilten  Strukturen  von  abnormen 
Liesegan gschen  Schichtungen  dürften  die  Er- 
klärung noch  erschweren.^) 

Um  den  im  Organismus  auftretenden  Bestand- 
teilen möglichst  nahe  zu  bleiben,  verwendete  H  a  t  - 
schek  zum  Studium  die  Bildung  von  Kalzium- 
phosphaten in  Gelatine -Gelen.  Zu  diesem 
Zweck  wurden  Lösungen  von  Kalziumsalzen  auf 
mit  Trinatriumphosphatlösung  imprägnierte  Gela- 
tineschichten in  Probiergläsern  aufgefüllt,  so  daß 
allmähliche  Diffusion  eintrat.  Es  zeigte  sich  ein 
Unterschied  im  Reaktionsverlauf  je  nach  der  Her- 
kunft der  Gelatine.  Übereinstimmend  aber  wurde 
festgestellt,  daß  die  Schichtenbildung  von  Kalzium- 
phosphat von  sehr  großer  Schärfe  und  Regel - 
m  ä  ß  i  g  k  e  i  t  war,  vollkommen  frei  von  Umsetzungs- 
produkt in  den  Räumen  zwischen  den  Nieder- 
schlagsschichten. Aber  daneben  zeigten  sich  einige 
sonderbare  Anomalien. 

So  waren  in  einigen  Fällen  die  Schichten  g  e  - 
krümmt,  und  zwar  merkwürdigerweise  mit  der 
konkaven  Seite  nach  unten.  In  anderen 
Fällen  waren  die  Schichtungen  durch  2—3  mm 
breite  Brücken  miteinander  verbunden.  Endlich 
aber  zeigte  sich  in  einigen  Fällen,  daß  die  Schich- 
tungen weit  voneinander  entfernt  lagen,  und  daß 
gleichzeitig  zwischen  zwei  Schichten  von  mikro- 
skopischenKristallen  drei  Schichtungen 
von  makroskopischen  Aggregaten  gelegen 
waren.  Derartiges  ist  bisher  nie  beobachtet  worden. 
Eine  Deutung  mit  heutigen  Mitteln  ist  zunächst 
unmöglich. 

Es  dürfte  für  Biologen  wie  Geologen  von 
hohem  Belang  sein,  zu  erkennen,  daß,  wie  be- 
schrieben, sehr  viel  verwickeltere  Strukturen  als 
die  bisher  bekannten  durch  einfache,  von  außen 
unbeeinflußte  Diffusion   sich   zu  bilden  vermögen. 

H.  Heller. 


Abnorme  Liesegangsche  Schichtniigeu. 

Man  versteht  unter  Liesegangschen  Ringen ') 
im  allgemeinen  bekanntlich  rhythmische  Fällungen 
der  verschiedensten  Salze,  wie  sie  bei  der  Diffusion 
der  ihnen  zugrundeliegenden  Lösungen  in  Gelatine 
entstehen.  Läßt  man  beispielsweise  eine  mit 
Natriumchromat  versetzte  Gelatinelösung  erstarren, 
und  bringt  nachher  einen  Tropfen  Silbernitratlösung 
darauf,  so  diffundiert  er  in  die  Gelatine  hinein  und 
fällt  dabei  naturgemäß  das  sehr  schwerlösliche 
rote  Silberchromat  aus,  aber  merkwürdigerweise 
nicht  gleichmäßig,  sondern  in  zahlreichen 
deutlich  voneinander  abgehobenen 
Ringen.  Diese  oft  untersuchte  Erscheinung  ist 
von  hervorragender  Wichtigkeit  für  biologische 
und  geologische  Schichtungen,  beispielsweise  wer- 
den die  Achatbänderungen  darauf  zurückgeführt. 
Eine  restlos  einwandfreie  Theorie  darüber  aber 
besteht  noch  nicht.     Die  von  Emil  Hatschek 


Die  Polychromie  des  kolloidalen  Schwefels. 

Unter  geeigneten  Versuchsbedingungen  durch- 
läuft ein  System  kolloidalen  Schwefels  nahezu  alle 
Farben  der  Farbenskala.  Diese  Erscheinungen 
sind  deshalb  besonders  interessant,  weil  die  zu 
beobachtenden  Farberscheinungen  lediglich  auf 
dem  Grade  der  Verteilung  des  Dispersoids 
ohne  weitere  chemische  Veränderungen  beruhen. 
Im  Gegensatz  zu  den  Metallsolen,  bei  denen  be- 
kanntlich ebenfalls  lebhafte  Farberscheinungen 
wahrgenommen  werden,  ist  das  Dispersoid  hier 
ein  Dielektrikum.  Die  Versuche  bilden  ein 
besonders  schönes  Beispiel  für  die  Beziehungen 
zwischen  Farbe  und  Dispersitätsgrad,  ein  Thema, 
das  heute  besonders  lebhaft  erörtert  wird;  u.  a. 
werden  von  Wo.  Ostwald  auch  die  Farbum- 
schläge bei  den  gebräuchlichen  Indikatoren  auf 
kolloidale  Phänomene,  d.  h.  solche  der  Teilchen- 
größe des  Indikators  zurückgeführt,  worüber  er  in 
eine    Kontroverse    mit   Hantzsch,    dem    erfolg- 


')    Vgl.    hierzu:    ,, Liesegangsche    Ringe"    vom  Verfasser; 
Prometheus  30,  S.  409  (Nr.  1561  (1919)). 


')  KoUoid-Zeitschr.  27,  S.  225  (1920). 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


9i 


reichen  Erforscher  der  chemischen  Natur  der  In- 
dikatoren geraten  ist. 

Rudolf   Auerbach^)    geht    von    einer  ~  - 

20 
Lösung  von  Natriumthiosulfat  NaoSgOg  aus.  Wer- 
den 10  ccm  hiervon  mit  9,9  com  Wasser  und 
hierauf  0,1  ccm  Phosphorsäurelösung  (HgPOJ 
von  der  Dichte  1,70  versetzt,  so  bemerkt  man, 
wie  bei  jedem  Säurezusatz  zu  dem  genannten  Salz 
zunächst  eine  schwache  Trübung,  dann  gelbblaue 
Opaleszenz  eintritt,  und  hierauf  verschiebt  sich  die 
Durchsichtsfarbe  allmählich  von  gelb  über  kreß,  rot, 
veil  nach  blau.  Alsdann  fällt  der  abgeschiedene 
Schwefel  aus  und  setzt  sich  als  Niederschlag  zu 
Boden.  Ein  Versuch,  der  sich  im  Probierglas  an- 
stellen läßt  und  innerhalb  etwa  20  Minuten  be- 
endet ist. 

Quantitativ  ließ  sich  die  Farbenskala  nun  mes- 
sen mittels  der  Farbnormen  von  Wi.  Ostwald-) 
derart,  daß  das  Bild  der  in  einer  Küvette  befind- 
lichen Lösung  auf  einen  Schirm  von  Normalweiß 
geworfen  und  daselbst  mit  den  Ostwaldschen 
Normalaufstrichen  verglichen  wurde.  Gegen  Ende 
der  Umsetzung  wird  die  Messung  ungenau  infolge 
wachsenden  Weißgehaltes.  Der  Verlauf  der 
Trübung  des  Gesichtsfeldes  ist  nun  sehr  inter- 
essant. Man  erkennt  bei  Kreß  10  einen  Knick 
im  Weißgehalt  und  der  Schwarzgehalt  der  Farb- 
töne nimmt  plötzlich  stark  zu.  Dieser  Punkt  ist 
als  Beginn  der  Flockung  zu  betrachten.  Er 
ist  nach  etwa  3  Sekunden  erreicht.  Von  da  an 
werden  die  Farben  wachsend  trüber,  bis  nach 
Eintritt  des  Blau  der  bunte  Farbton  verschwindet 
und  man  in  die  Grau  reihe  hineinkommt.  Hier 
beginnt  der  Schwefel  sich  abzusetzen,  und  man 
kommt  durch  die  verschiedenen  Grau  nach  dem 
reinen  Weiß  zurück.  Die  Messung  ergab  einen 
hohen  Gehalt  an  Vollfarben  in  den  bunten  Sta- 
dien. Da  das  Beersche  Gesetz  als  gültig  be- 
funden wurde,  so  sind  die  Farbänderungen  nicht 
als  Folge  der  wachsenden  Schwefelkonzentration 
aufzufassen. 

Aus  Vorstehendem  ergibt  sich  eine  neue  Be- 
stätigung des  Satzes  von  Wo.  Ostwald,  nach 
dem  sich  das  Maximum  der  Absorption  disperser 
Systeme  mit  abnehmendem  Grade  der  Dis- 
persion nach  dem  langwelligen  Ende  des 
Spektrums  zu  verschieben  pflegt. 

H.  Heller. 


Die  Herkunft  des  Benzols  bei  der  Leuchtgas- 
gewinnung. 

Hierüber  liegt  eine  neue  Arbeit  von  Franz 
Fischer  und    H.  Schrader  vor.'')      Benzol  ist 

M  Kolloid-Zeitschrift  27,  S.  223   (1920). 

^)  Vgl.  „Ostwalds  Forschungen  2ur  Farbenlehre"  vom 
Verfasser,  Naturw.  Wochenschr.  N.  F.  19,  Heft  9,  S.  129 
(1920).  Darin  auch  Erklärung  der  hier  gebrauchten  Farb- 
benennungen. 

')  Franz  Fischer  und  H.  Schrader,  Brennstoff- 
Chemie  I.  Bd.,  S.  4  (1920). 


das  wichtigste  Ausgangsmaterial  für  die  Darstellung 
aromatischer  Verbindungen.  Es  wird  der  Haupt- 
menge nach  als  „Nebenerzeugnis"  der  Gasanstalten 
und  Kokereien  gewonnen,  also  aus  rohen  Kohlen 
bei  hohen  Temperaturen.  Die  Frage,  auf  welche 
Weise  es  hieraus  entstehe,  hat  offenbar  ein  hohes 
theoretisches,  in  gleichem  Maße  aber  auch  prak- 
tisches Interesse.  Kann  man  doch  hoffen  durch 
Kenntnis  der  Entstehung  die  dazu  führenden  Um- 
setzungen und  Bedingungen  derart  willkürlich  zu 
beeinflussen,  daß  der  wertvolle  Stoff  in  der  theo- 
retisch höchstmöglichen  Menge  gewonnen  wird. 
Für  die  Theorie  war  die  Frage  in  mehrfacher  Hin- 
sicht von  Belang. 

B  u  1 1  e  r  o  w  zuerst  gelang  es,  beim  Leiten  von 
Azetylen  durch  glühende  Röhren  Benzol  synthe- 
tisch zu  erzeugen.  Man  nahm  früher  auf  Grund 
dieser  Reaktion  an,  daß  das  Kokereibenzol  in  ähn- 
licher Weise  entstehe,  etwa  so,  daß  normale  Kohlen- 
wasserstoffe durch  thermische  Zersetzung  unter 
Ringschluß  zusammentreten.  Für  z.  B.  Hexan 
ergäbe  sich  etwa  das  Schema 


CH.2 — CHj 


CH., 


CH 


CHa, 

chJ 


CHy 

CH, 


^,CH, 
CH, 


CH, 


,CH 


chI       Jch 

CHj— CH3  CHj  CH 

1896  aber  zeigte  Haber,  daß  Hexan  bei  der 
thermischen  Zersetzung  nur  ganz  geringe  Mengen 
von  Benzol  liefert.  Dieser  Weg  konnte  also 
nicht  der  sein,  der  in  der  Kokerei  vorliegt.  Man 
dachte  dann  daran,  daß  aus  Paraffinen,  Naphtenen 
ungesättigte  Verbindungen  entstehen  könnten, 
die  sich  dem  Azetylen  ähnlich  verhielten. 
Auch  dagegen  sprach  der  Versuch,  der,  während 
des  Krieges  in  Amerika  durchgeführt,  klägliche 
Benzolausbeuten  ergab.  Endlich  meinte  man  auch, 
daß  in  den  Kokereigasen  Azetylen  selbst  entstehe 
und  sich  zum  Benzol  kondensiere.  Über  die  Her- 
kunft des  Azetylens  aber  wußte  man  nichts  aus- 
zusagen. 

Nun  ist  durch  die  Arbeiten  der  letzten  Jahre, 
an  denen  die  beiden  Forscher  hervorragenden  An- 
teil haben,  festgestellt  worden,  daß  bei  vermindertem 
Druck  und  tiefen  Temperaturen  aus  der  Kohle 
der  sog.  U  r  t  e  e  r  entsteht,  der  beim  gewöhnlichen 
Kokereiverfahren  natürlich  ebenfalls  primär  auf- 
treten muß.  Der  Urteer  also  muß  diejenigen 
Stoffe  enthalten,  aus  denen  infolge  weitergehender 
Zerlegung  das  Benzol  hervorgeht.  Urteer  besteht 
im  wesentlichen  aus  zwei  großen  Stoffklassen, 
aus  dem  Erdöl  ähnlichen  Kohlenwasserstoffen  und 
aus  Phenolen,  d.  h.  also  ringförmigen  Verbindungen. 
Aus  welchem  Anteil  kommt  das  Benzol? 

Die  Anwort  ist  nach  Obigem  naheliegend :  da 
aus  aliphatischen  Verbindungen  nicht  oder  wenig 
Benzol  entsteht,  so  müssen  die  Urteerphenole  da- 
für verantwortlich  gemacht  werden.  Ein  einfacher 
Reduktionsvorgang  würde  zur  Entstehung  hin- 
reichend sein.  Die  Untersuchung  bestätigte  den 
Schluß  in  vollem  Umfange.   Wurde  z.  B.  o-Kresol 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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mit  Wasserstoff  bei  700 — 800  Grad  durch  ein 
Porzellanrohr  geschickt,  so  trat  die  Bildung  von 
benzolartigen  Flüssigkeiten  ein.  Daneben  fand 
sich  stets  Methan.  Es  muß  mithin  eine  vollstän- 
dige Reduktion  aller  Seitenketten  stattfinden: 


CH3 

CHs 

/\0H 

+ 

H^    =     f            1    +  H 

Kresol 

Toluol 

CH3 

^^ 

H, 

=   1             1  +  CH^. 

\y 

Benzol        Methan 

Bei  dieser  in  thermochemischer  Beziehung 
wichtigen  Umsetzung  ergab  sich  nun  ein  be- 
merkenswerter Einfluß  der  Gefäßwandungen  auf 
den  glatten  Verlauf  des  Prozesses.  In  Eisenröhren 
nämlich  trat  starke  Rußabscheidung  und  Verminde- 
rung der  Benzolausbeuten  ein.  Erst  ein  ver- 
zinntes Rohr  lieferte  Benzolkohlenwasserstoffe 
bis  zu  78  "/o  ohne  jegliche  Kohlenstoffabscheidung, 
vermutlich  deshalb,  weil  Zinn  nicht  imstande  ist, 
Karbide  zu  bilden. 

Durch  diese  Versuche  ist  die  Entstehung  des 
Benzols  in  den  Kokereien  und  in  der  Gasretorte 
aufgeklärt  Daneben  ist  das  allgemein  wichtige 
Ergebnis  gezeitigt  worden,  daß  Benzolhomologe 
durch  Reduktion  quantitativ  ihre  Seitenketten 
verlieren  und  in  Benzol  übergehen  können.  Dies 
ist  ein  für  die  präparative  Chemie  zweifellos 
wichtiger  Befund.  Für  die  Technik  ist  ein 
gangbarer  Weg  gewiesen,  die  bei  der  Urteerge- 
winnung  in  großen  Mengen  anfallenden  Phenole 
in  kostbares  Benzol  überzuführen,  und  zwar  auf 
eine  Weise,  die  den  Anforderungen  wissenschaft- 
licher Betriebsweise  entspricht,  dabei  aber  nicht 
mit  Unkosten  verknüpft  ist.  H.  H. 

Bleiwasserstotf  zum  ersten  Male  dargestellt. 

Nachdem  vor  kurzem  die  Entdeckung  zweier 
neuer  gasförmiger  Hydride ,  des  Wismut-  und 
des  Zinnwasserstoffs,  gelungen  war,  lag  es 
nahe,  nach  dem  Analogen  dieser  Stoffe,  dem 
Blei  Wasserstoff,  zu  forschen.  Diese  Arbeiten  sind 
nach  vielen  vergeblichen  und  äußerst  mühevollen 
Versuchen  nunmehr  von  Erfolg  gekrönt  worden. 
Zwar  gelang  es  Fritz  Paneth  (Hamburg)  und 
O.  Nörring")  einstweilen  nicht,  wie  bei  den 
beiden  anderen  Metallen,  den  gesuchten  Bleiwasser- 
stoff aus  Blei-Magnesiumlegierungen  darzustellen, 
dagegen  führte  eine  andere  nicht  minder  inter- 
essante Methode  zum  Ziel.  Tellur  und  Arsen 
lassen    sich    durch   Gleichstromelektrolyse    in   die 

')  In  der  Urabbandlung  durch  grobe  Druckfehler  ent- 
stellt! 

')  I:  Berichte  d.  deutsch.  Chem.  Geselisch.  53,  S.  1693 
(1920).     II:  Zeitschr.  f.  Elektrochemie  26,  S.  452  (1920). 


Hydride  überführen ;  andererseits  gelingt  es  durch 
elektrische  Zerstäubung  mittels  Induktionsfunken 
in  Wasserstoffatmosphäre  oder  durch  kolloidale 
Zerteilungen ')  Hydride  herzustellen.  Beide  Wege 
versagten  beim  Blei,  führten  aber  zu  dem  ge- 
suchten Hydrid,  wenn  sie  auf  eine  ebenso  einfache 
wie  sinnreiche  Weise  miteinander  gekoppelt 
wurden. 

Eine  Schwefelsäurelösung  wurde  bei  220  Volt 
mit  einer  in  besonderer  Weise  konstruierten 
B 1  e  i  kathode  elektrolysiert.  Hierdurch  trat  augen- 
blicklich in  der  bekannten  Weise  kathodische 
Wasserstoffentwicklung  auf.  Infolge  der  besonde- 
ren Form  der  Kathode  (deren  Herstellung  im 
Original  I  nachzulesen  ist)  bildet  der  Wasserstoff 
eine  Hülle  um  das  Blei,  so  daß  momentan  Strom- 
unterbrechung eintritt.  Alsbald  hört  die  Gasent- 
wicklung auf,  die  Säure  gelangt  wieder  an  die 
Kathode,  es  tritt  neue  Wasserstoffentwicklung  auf 
usw.  Nun  ist  jede  dieser  Stromunterbrechungen 
mit  kräftigen  Funken  an  der  Kathode  verbun- 
den. Sie  bewirken  ein  teilweises  Verdampfen  des 
Metalls,  das  mit  dem  ja  unmittelbar  vorher  ent- 
standenen Wasserstoff  nunmehr  zum  Bleiwasser- 
stoff zusammentritt.  Unter  geeigneten  Versuchs- 
bedingungen ist  das  Funken  sehr  regelmäßig  und 
lebhaft  und  damit  die  Bildung  des  Hydrids  stetig 
gewährleistet. 

Mit  dem  Strom  des  molekular  entweichenden 
Wasserstoffs  geht  der  gasförmige  Bleiwasserstoff 
hinweg.  Sein  Nachweis  gestaltet  sich  nicht  eben  ein- 
fach, gelang  jedoch  schließlich  auf  folgende  Weise. 
Durch  die  Zerstäubung  entstandenes  Blei  wurde 
natürlich  im  Gasstrom  mitgerissen.  Es  wurde 
durch  dichte  Wattefilter  zurückgehalten.  Das 
gebildete  Hydrid  wurde  in  einem  mit  flüssi- 
ger Luft  gekühlten  Gefäß  kondensiert.  Wurde 
die  Kühlung  alsdann  aufgehoben,  so  verdampfte 
der  Bleiwasserstoff  wieder  und  konnte  in  einer 
angeschlossenen  Marsh  sehen  Röhre  durch  Bildung 
eines  Bleispiegels  nachgewiesen  werden.  Da- 
mit ist  einwandfrei  erwiesen,  daß  in  der  Tat  ein 
gasförmiger  Beiwasserstoff  entsteht  und  es  sich 
nicht  nur  um  eine  Suspension  von  Bleiteilchen 
kleinster  Ausmessung  in  Wasserstoff  handelt.  Die 
Identifizierung  des  Bleispiegels,  der  den  bekannten 
Arsen-  bzw.  Antimonspiegeln  ganz  analog  ist,  ge- 
schah u.  a.  durch  Zufügen  eines  Körnchen  Jods, 
wodurch  der  graue  Bleibeschlag  beim  Erwärmen 
plötzlich  in  das  gelbe  Jodid  überging. 

Nun  ließ  sich  ein  Bleispiegel  solcher  Art  dar- 
stellen gleichgültig,  ob  man  Schwefelsäure  oder 
Kaliumhydroxydlösung  elektrolysierte.  Es  kann 
mithin  nur  eine  Umsetzung  zwischen  Blei  und 
dem  beiden  Elektrolyten  gemeinsamen  Wasser 
stattgefunden  haben.  Da  ferner  gasförmige  Oxyde 
oder  Hydroxyde  des  Bleis  nicht  wahrscheinlich 
sind,  so  muß  als  sichergestellt  gelten,  daß  sich 
der  kathodisch  entwickelte  Wasserstoff  mit  dem 
Blei  zu    dem   erwarteten   Hydrid   vereinigt  hat. 


Vgl.  Naturw.  Wochenschr.  N.  F.   18,   S.  427  (1919)- 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


55 


allerdings ,  so  ist  hinzuzufügen,  erst  nachdem 
Funken  durchschlag  stattgefunden  hat.  Ohne 
diese  fand  keine  nachweisbare  Hydridbildung  statt. 
Es  ist  mithin  weiter  anzunehmen,  daß  entweder 
durch  die  F"unken  entstehender  atomarer  Wasser- 
stoff in  statu  nascendi  sich  mit  dem  fein  zer- 
stäubten Blei  verbindet,  oder  aber,  daß  aktiver 
Wasserstoff  Hg  ')  für  die  Hydrierung  verantwort- 
lich gemacht  werden  muß,  was  deshalb  wahr- 
scheinlich ist,  weil  er  mit  Schwefel,  Arsen  usw. 
unmittelbar  Hydride  ergibt. 

Im  Anschluß  an  diese  Untersuchungen  erörtert 
P a n e t h  die  Frage ,  welche  Elemente  gas- 
förmige Hydride  zu  bilden  imstande 
sind?  Meist  nimmt  man  an,  daß  solche  Hydride 
nur  von  Nichtmetallen  gebildet  werden,  so 
daß  man  im  allgemeinen  sie  geradezu  als  ein 
Kennzeichen  dieser  betrachtet,  während  die  Hy- 
dride von  Metallen  entweder  fest  -)  oder  nicht 
unzersetzt  vergasbar  seien.  Mit  der  Entdeckung 
des  Zinn-,  vor  allem  aber  des  Bleiwasserstoffs  ist 
jedoch  dieser  Satz  nicht  mehr  aufrecht  zu  erhalten. 
Zu  einer  überraschenden  Gruppierung  der  Ele- 
mente mit  gasförmigen  Wasserstoffverbindungen 
gelangt  man  nun,  wenn  das  periodische  Sy- 
stem in  der  Anordnung  von  Staigmüller^) 
betrachtet  wird.  Man  ersieht  daraus  sofort,  daß 
eine  scharfe  Trennungslinie  zwischen  den  genannten 
und  anderen  Elementen  mit  gasförmigen  Hydriden 
(insgesamt  sind  es  20)  und  denjenigen  Grundstoffen 
ohne  dieses  Kennzeichen  möglich  ist.  Nur  das 
Bor  steht  außerhalb  dieser  Gruppe.  Diese  Schar 
von  Elementen  aber  umfaßt  alle  die,  die  I — 4 
Stellen  vor  einem  Edelgas  stehen.  Diese 
Eigenart  steht  mit  dem  elektronen  Atombau  natur- 
gemäß in  engsten  Beziehungen,  die  hier  jedoch 
noch  nicht  berührt  werden  sollen.  Im  übrigen 
beweist  die  Entdeckung  des  Bleiwasserstoffs,  daß 
die  Stellung  des  Bleis  im  Periodischen  System 
neben  Silicium  und  Zinn  in  der  gleichen  Gruppe 
auch  valenzchemisch  gerechtfertigt  ist. 

Der  Berichterstatter  möchte  nicht  unterlassen 
hinzuzufügen,  daß  die  Arbeit  Pan  eths  ein  Muster 
chemischer  Methodik  und  bester  Experimeniier- 
kunst  ist,  und  eine  schlechthin  klassische  Leistung 
genannt  zu  werden  verdient.  H.  Heller. 

Die  Ursache  der  Unterschreitung  des 
Eienientarquantunis. 

Hierüber  macht  E.  Regener  eine  wichtige 
Mitteilung.^)  In  einem  Aufsatz  in  dieser  Zeit- 
schrift ')  hatte  der  Unterzeichnete  beiläufig  er- 
wähnt, daß  neuere  Messungen  von  F.  Ehren- 
haft*")   ergeben    haben,     daß    die    Ladung    des 


')  Vg'-  iiOzonform  des  Wasserstoffs",  Ref.  in  Naturw. 
Wochenschr.  N.  F.   19,  S.   527  (1920). 

')  ^g'-  i.Wasseritoff,  die  schwächste  Säure",  Ref.  in  Na- 
turw. Wochenschr.  N.  F.   19,  S.  782  (1920). 

')  Zeitschr.  f.  physik.  Chemie  39,  S.  245   (1902). 

*)  Königl.  PreuS.  Akad.  d.  Wissensch.,  Berlin  1920,  S.  632. 

*j  Naturw.  Wochenschr.  N.  F.  XVIII,  Nr.  20,  S.  275. 

»)  Annalen  d.  Physik  56,   I9l8ff. 


Elektrons,  des  kleinst  möglichen  elektrischen  Quan- 
tums, Werte  annehmen  könne,  die  weit  unter- 
halb dessen  liegen,  der  bisher  auf  verschiedene 
Weise  als  die  absolut  kleinste  existenzfähige  Menge 
angenommen  werden  mußte.  Daraus  war  ohne 
nähere  Kritik  der  erwähnten  Untersuchungser- 
gebnisse gefolgert  worden,  daß  „die  Atomistik 
der  Elektrizität  sehr  in  Frage  gestellt"  sei.  Die 
Bedeutung  einer  solchen  Möglichkeit  bedarf  nicht 
der  Erörterung.  Es  ist  darum  von  Wichtigkeit, 
daß  Regener  zu  einer  ganz  anderen  Deutung 
der  an  sich  einwandfreien  Messungen  Ehren- 
hafts kommt.  Er  macht  nämlich  sehr  wahr- 
scheinhch,  daß  die  Unterschreitung  des  Elementar- 
quantums in  den  genannten  Arbeiten  nur  schein- 
bar sei. 

Die  Begründung  dieser  Auffassung  wird  ge- 
wonnen aus  Versuchen,  die  im  Auftrage  Rege- 
ners von  E.  Radel  gemacht  wurden.  Dieser 
stellte  Ladungsmessungen  an  Teilchen  an,  deren 
Größe  in  dem  weiten  Intervall  von  2,8 -lO^^  bis 
8-io~*  cm  Radius  gelegen  war.  Wurde  an  diesen 
nach  der  ursprünglichen  Methode  (Beobachtung 
der  Steig-  und  Fallgeschwindigkeit  im  elektrischen 
und  Gravitationsfeld)  gemessen,  so  ergab  sich  bei 
Anwendung  des  Widerstandsgesetzes  von  Stokes- 
Cunningham  immer  dann  der  bekannte  Wert 
der  Elementarladung  von  ca.  4,8- lo^^*^,  wenn  die 
Radien  der  Teilchen  größer  waren  als  etwa 
2,7  •  10^^  cm.  Dabei  war  es  ganz  gleichgültig,  ob 
an  Teilchen  aus  Kolophonium,  Paraffinöl,  Queck- 
silber, Gold  oder  anderen  Stoffen  gemessen  wurde. 
Bei  sehr  kleinen  Teilchen  aber  ergaben  sich 
in  der  Tat  die  von  Ehrenhaft  mitgeteilten 
großen  Unterschreitungen  des  Ladungs- 
wertes. Sie  müssen  jedoch  als  nur  scheinbar 
reell  gewertet  werden.  Denn  wenn  der  Ladungs- 
wert bei  diesen  aus  der  Brownschen  Be- 
wegung berechnet  wurde,  so  ergab  sich  eben- 
falls ein  Mhtelwert  nahe  dem  bekannten  von 
4,8-10""'*'!  Nun  kommt  bei  der  letztgenannten 
Art  der  Berechnung  ein  Faktor  nicht  vor,  der 
in  der  ersten  Rechnung  enthalten  ist:  der  Radius 
der  Teilchen.  Er  also  muß  für  den  Widerspruch 
verant wertlich  gemacht  werden. 

R  e  g  e  n  e  r  macht  über  den  Einfluß  des  Radius 
nun  folgende  Erörterungen.  Jedes  Teilchen  ver- 
dichtet auf  sich  eine  Gasschicht.  Diese  ver- 
größert die  Reibung  der  Teilchen  am  umgeben- 
den Gas.  Im  allgemeinen  ohne  Belang  wird  der 
Wert  dieser  Reibungseinflüsse  nun  von  Bedeutung, 
wenn  es  sich  um  sehr  kleine  Teilchen  handelt. 
Alsdann  nämlich  läßt  er  die  Beweglichkeit 
geringer  erscheinen.  Man  findet  infolgedessen 
rechnerisch  eine  bewegende  Kraft  der  Teilchen, 
die  ohne  den  Reibungseinfluß  größer  gefunden 
würde.  Aus  der  Bewegungskraft  aber  ermittelt 
man  die  Ladung,  und  so  wird  auch  sie  unter 
den  angegebenen  Umständen  zu  klein  ge- 
funden. 

Radel  hat  sogar  die  Grenze,  bei  der  die  hier 
geschilderten    Einflüsse    wirksam    zu   werden    be- 


96 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


N.  F.  XX.  Nr.  6 


ginnen,  genau  bestimmen  können.  Goldteilchen 
von  2,7  •  io~^  cm  Radius  zeigen  noch  das  richtige 
Quantum ,  aber  bereits  Teilchen  von  1,5  bis 
2,o.  10^^  cm  zeigen  nur  mehr  die  halbe  Ladung. 
Der  Radius  ist  in  erster  Linie  von  der  Dichte  der 
Substanz    abhängig.      Daraus    folgert    Regen  er 


weiter,  daß  die  Teilchen  mit  einer  gegen  die  Ober- 
fläche hin  zunehmenden  Gasschicht  umhüllt  sind. 
Diese  Ausführungen  sind  so  überzeugend,  daß 
sich  die  aufsehenerregenden  Versuchsergebnisse 
Ehrenhafts  damit  erledigt  haben  dürften. 

Hans  Heller. 


Bücherbesprechungen. 


Eilers ,     Georg ,     Am    Schattenstab,     eine 
Himmelskunde  in  geschichtlicher  An- 
ordnung.   192  S.    Braunschweig  1920,  Georg 
Westermann.     Geb.  16  M. 
Scheiner,  J.,  DerBau  desWeltalls.     5.  Aufl. 
Von  Prof.  Dr.  Guthnick.    120  S.    Leipzig  1920, 
Teubner. 
Peter,    B. ,   Die  Planeten.     2.  Aug.     Von  Dr. 
Hans  Naumann.    125  S.    Leipzig   1920,  Teubner. 
Voigt,   Dr.  Ing.  e.  h..    Eis,    ein  Weltenbau- 
stoff, gemeinfaßliche  Einführung  in  Hörbigers 
Glazialkosmogonie  (Welteislehre).     312  S.    mit 
Atlas,  15  Tafeln  in  Quart.     Berlin  1920,    Her- 
mann Paetel.     Geh.  24  M.,  geb.  32  M. 
Das   erste  Werk,    mit   hübschen   Bildern   und 
Zeichnungen,   wendet    sich   an   solche,    die  ohne 
Vorkenntnisse     in     die     Astronomie      eindringen 
wollen,   es  ist  sehr  anschaulich  und   mit  großem 
pädagogischen   Geschick  geschrieben,    und   stellt 
den  Werdegang   der  Astronomie   von   der   Urzeit 
her  dar,  wo   man  die   ersten  Messungen  der  Zeit 
am  Schattenstab  vornahm.    Als  Geschenk  vorzüg- 
lich geeignet,  wird  es  jedem  Anfänger  eine  reine 
Freude    bereiten.      Die    beiden    nächsten   Bücher 
sind  aus  der  Sammlung  „Natur  und  Geisteswelt", 
und   beide   durch   ihre   neuen   Verfasser   auf  den 
gegenwärtigen  Stand  der  Forschung  gebracht.    Bei 
der  Beschreibung   der   Planeten   ist   leider   die  so 
sehr  ausführliche    und    brauchbare   Erklärung    der 
Marserscheinungen  von  Bau  mann  nicht  benutzt, 
die   doch    vieles    von  dem  Rätselhaften   sehr  be- 
friedigend erklärt.    Sonst  ist  das  gegebene  Material 
gut   und    reichhaltig.     Ganz   ausgezeichnet  ist  die 
Darstellung  Guthnicks  über  den  Bau  des  Welt- 
alls.    Man   stellt   auf  jeder  Seite   den  erfahrenen 
Beobachter  und  Forscher  fest,  der  hier  aus  Eige- 
nem berichtet.  Die  Ergebnisse  der  Sonnenforschung, 
die    der  Spektralanalyse   auf  allen  Gebieten   sind 
so  eingehend  dargestellt,   als   es   der  beschränkte 
Raum    gestattet.       Mit    besonderer    Befriedigung 
wird    man    aber    die    beiden    letzten    Abschnitte 


studieren  über  die  Fixsterne  und  die  Nebelflecken 
und  über  den  äußeren  Bau  des  Weltalls.  Gerade 
hier  wird  gegenwärtig  ungeheuer  viel  gearbeitet, 
und  es  ist  schwer,  die  Ergebnisse  zu  finden,  die 
hier  in  übersichtlicher  Weise  zusammengestellt 
werden,  unter  stetem  Hinweis  auf  das  Proble- 
matische, das  vielen  Ergebnissen  noch  anhaftet. 
Über  die  Hör  biger  sehe  Glazialkosmogonie 
ist  hier  Bd.  191 3,  S.  561  ausführlich  die  Rede 
gewesen.  Wegen  des  allzu  großen  Umfanges  des 
Originalwerkes  hat  hier  Voigt  die  wichtigsten 
Gedankengänge  klar  dargestellt,  der  Atlas  stellt 
die  Vorgänge  bildlich  dar,  und  gibt  Abbildungen 
aus  der  Sternenwelt.  Soviel  man  auch  kritisch 
zu  dieser  Kosmogonie  sagen  kann,  sie  ist  jeden- 
falls eine  schöpferische  Idee  und  jeder,  der  sich 
mit  kosmologischen  Problemen  befaßt,  kann  hier 
die  Vielseitigkeit  bewundern,  mit  der  der  an  sich 
einfache  Grundgedanke  vom  Welteneis  auf  Pro- 
bleme der  verschiedensten  Art  vom  Fixstern  bis 
zur  Eiszeit  und  dem  Hagelwettern  angewendet 
worden  ist.  Der  Preis  ist  für  das  Gebotene  billig 
zu  nennen.  Riem. 

Förster,  Wilhelm  Die  Freude  an  derAstro- 
nomie.  2.  Aufl.  32  S.  Berlin  1920,  Ferd. 
Dümmler.  Brosch.  2,50  M. 
An  einen  sehr  interessanten  kulturgeschicht- 
lichen Rückblick,  in  dem  eine  Szene  aus  dem  jetzt 
kaum  bekannten  Kindermärchen  von  Tieck,  „Der 
gestiefelte  Kater"  eine  Rolle  spielt,  in  der  König, 
Gelehrter  und  Hofnarr  sich  über  die  großen  Zahlen 
der  Astronomie  unterhalten,  an  Erinnerungen  an 
Alexander  v.  Humboldt  und  dessen  Kosmos 
knüpft  der  Verfasser  Betrachtungen,  wie  auch  der 
Laie  von  der  bloßen  Freude  an  der  Schönheit 
des  Sternhimmels  fortschreiten  kann  zur  tätigen 
Mitarbeit  auf  vielen  Gebieten,  auf  denen  schon 
mit  geringen  Mitteln,  aber  mit  Sorgfalt  und  Aus- 
dauer etwas  geleistet  werden  kann,  was  wissen- 
schaftlichen Wert  haben  kann.  Riem. 


Inhalt:  E.  Krenkel,  Über  Moorbildungen  im  tropischen  Afrika.  S.  81.  E.  J.  Gumbel,  Spekulatives  über  die  Endlich- 
keit der  Welt.  S.  85.  W.  Halbfaß,  Zum  Kreislaufprozefi  des  Wassers.  S.  86.  —  Einzelberichte:  O.  Mügge,  Petro- 
graphie  des  älteren  Paläozoikums  zwischen  Albungen  und  Witzhausen.  S.  86.  H.  Schneiderhöhn,  Asphaltgänge 
im  Fiscbflußsandstein  im  Süden  von  Siidwestafrika.  S.  89.  Bergstrand,  Entfernung  des  großen  Orionnebels.  S.  90. 
Schrader,  Die  Geschlechtsbestimmung  bei  den  Mottenläusen.  S.  90.  E.  Hatschek,  Abnorme  Liesegangsche  Schich- 
tungen. S.  92.  R.  Auerbach,  Die  Polychromie  des  kolloidalen  Schwefels.  S.  92.  Fr.  Fischer  und  H.  Schrader, 
Die  Herkunft  des  Benzols  bei  der  Leuchtgasgewinnung.  S.  93.  F.  Paneth,  Bleiwasserstoff  zum  ersten  Male  darge- 
stellt. S.  94.  E.  Regener,  Die  Ursache  der  Unterschreitung  des  Elementarquantums.  S.  95.  —  Bücherbesprechun- 
gen: G.  Eilers,  Am  Schattenstab.  J.  Scheiner,  Der  Bau  des  Weltalls.  B.  Peter,  Die  Planeten.  Voigt,  Eis, 
ein  Weltbaustoff.  S.  96.     W.  Förster,  Die  Freude  an  der  Astronomie.  S.  96. 

Manuskripte  und  Zuschriften  werden  an  Prof.  Dr.  H.  Mi  ehe,  Berlin  N  4,  Invalidenstraße  42,  erbeten. 

Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  der  G.  Pätz'schen  Buchdr.  Lippert  &  Co.  G.  m.  b.  H.,  Naumburg  a.  d.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Folge  so.  Band; 
der  ganien  Reibe  j6.  Band. 


Sonntag,  den  13.  Februar  1921. 


Nummer  7. 


Wind  und  Wetter  als  Feldwirkiingen  der  Schwerkraft. 


[Nachdiuck  verboten.] 


Von  Dr.  phil.  H.  Fricke. 
Mit  5  Abbildungen  im  Text. 


Die  Ergebnisse  der  britisciien  Expeditionen 
zur  Beobachtung  der  Sonnenfinsternis  vom  30.  Mai 
1919  scheinen  die  Auffassung  zu  bestätigen,  daß 
das  Gravitationsfeld  die  Lichtstrahlen  ablenkt.  Man 
hat  darin  bekanntlich  einen  Beweis  für  die  Ein- 
steinsche  Relativitätstheorie  erblicken  wollen, 
doch  läßt  sich  die  Erscheinung  wohl  natürlicher 
mit  der  Äthervorstellung  in  Zusammenhang 
bringen.  ')  Die  neu  entdeckte  Erscheinung 
zeigt  im  Grunde  ja  weiter  nichts,  als  daß  der 
Äther  im  Schwerkraftfelde  seine  Struktur  geändert 
haben  muß,  derart,  daß  das  Licht  nicht  nach  allen 
Seiten  sich  mit  der  gleichen  Geschwindigkeit  fort- 
pflanzt. Damit  wäre  jedoch  eine  Erscheinung  ent- 
deckt, die  über  das  Wesen  der  bisher  so  geheim- 
nisvollen Schwerkraft  etwas  Wichtiges  aussagt.  Sie 
zeigt,  daß  die  Gravitation,  die  seit  Newton  durch 
ihre  Zeit-  und  Widerstandslosigkeit  eine  Sonder- 
stellung unter  den  Naturkräften  einzunehmen  schien, 
Ähnlichkeit  mit  dem  elektromagnetischen  Kraft 
felde  besitzt,  und  dieses  stellt  man  sich  seit  Fa- 
raday  bekanntlich  als  einen  elastischen  Zwangs- 
zustand im  Äther  vor.  Es  wäre  damit  eine  Un- 
vollständigkeit  in  der  von  Newton  gegebenen 
Darstellung  der  Schwerkraft  nachgewiesen.  Aller- 
dings hatte  man  diese  Lückenhaftigkeit  bereits 
lange  vor  Einstein  erkannt,  wie  die  Arbeiten  von 
Riemann,  W.  Weber,  Tisserand,  Gerber, 
Levy^)  u.  a.  beweisen.  Bei  allen  bisher  unter- 
suchten Abweichungen  von  der  Newtonschen 
Theorie  handelt  es  sich  jedoch  um  Störungen 
höherer  Ordnung,  die  eben  an  der  Grenze  der 
Nachweisbarkeit  liegen. 

Demgegenüber  soll  hier  die  Aufmerksamkeit 
auf  Wirkungen  gelenkt  werden,  die  ganz  unmittel- 
bar in  bisher  unerklärter  Weise  mit  der  Schwer- 
kraft zusammenzuhängen  scheinen  und  die  zu  den 
gewaltigsten  und  auffallendsten  Naturerscheinungen 
auf  der  Erdoberfläche  gehören.  Gemeint  ist  vor 
allem  die  unten  genauer  beschriebene  tägliche 
Doppelschwingung  des  Barometers,  die 
Ebbe  und  Flut  im  Luftmeer  der  Erde.  Es  ist 
jedoch  nicht  ausgeschlossen,  daß  der  größte  Teil 
der   geophysikalischen    Erscheinungen    überhaupt 

')  Vgl.  hierzu  die  Arbeit  E.  Wiecherls;  „Die  Gravi- 
tation als  elektrodynamische  Erscheinung"  in  den  Annalen  der 
Physik,  1920,  Bd.  63,  S.  301  ;  ferner  die  Darstellung  der 
Arbeilen  L.  Silbersteins,  Physikal.  Berichte,  1920, 
S.  1514— 16. 

')  Vgl.  die  Darstellung  von  Zenneck  über  die  Gravi- 
tation in  der  Enzyclopädie  der  math.  Wissenschaften.  Leipzig, 
Teubners  Verlag,  1903.  Bd.  V,  I,  bes.  S.  35— ?3;  f"°"  <"*= 
oben  angeführte  Arbeit  von  Wjechert. 


—  Wetterstürme,  Erdbeben,  Vulkane  und  gebirgs- 
bildende  Kräfte,  für  die  eine  allgemein  anerkannte 
Erklärung  bisher  merkwürdigerweise  nicht  ge- 
funden ist  —  sich  einheitlich  als  Feld  wirkungen 
bisher  unbekannter  Art  der  sich  fortwährend  in- 
einander verdrehenden  kosmischen  Schwerkraft- 
felder darstellen  lassen.  Die  Newton  sehe  Theorie 
kann  zu  einer  solchen  Erklärung  nicht  führen,  da 
sie  Widerstände  bei  den  Bewegungen  der  Schwer- 
kraftfelder nicht  kennt.  Doch  ist  Newtons  Auf- 
fassung logisch  kaum  haltbar,  da  eine  Kraft  nur 
da  wirken  kann,  wo  sie  auf  Widerstände  stößt. 
Die  Mängel  der  Newtonschen  Theorie  scheinen 
also  viel  offener  zutage  zu  liegen,  als  man  bis- 
her ahnte. 

Es  soll  hier  nun  an  der  Hand  von  Abbil- 
dungen gezeigt  werden,  daß  die  tägliche  Doppel- 
schwingung des  Barometers  genau  mit  Struktur- 
änderungen des  Schwerkraftfeldes  parallel  läuft. 
Nur  der  Umstand,  daß  die  mehr  als  200  Jahre 
alte  Newtonsche  Theorie  Feldwirkungen  dieser 
Art  nicht  kannte,  scheint  die  klare  Einsicht  in  die 
einfachen  Zusammenhänge  bisher  verhindert  zu 
haben. 

Die  erste  Abbildung  erklärt  zunächst  einmal 
den  merkwürdigen  Umstand,  daß  wir  auf  der  Erde 
von  einer  Anziehungskraft  der  Sonne  nichts  merken. 
Man  sollte  meinen,  daß  die  Gravitation  auf  der 
Erde  einen  höheren  Wert  besitzen  müßte,  wenn 
die  Sonne  in  Richtung  des  Erdmittelpunktes  steht, 
und  ihre  Wirkung  zu  der  der  Erde  sich  addiert, 
als  wenn  sie  senkrecht  über  uns  steht  und  der 
Erde  entgegenwirkt.  Nach  der  Newtonschen 
Theorie  wird  die  Soiinenanziehung  jedoch  durch 
die  Trägheitsbewegung  der  Erde  ausgeglichen. 
Man  kann  die  Erdbahn  mit  genügender  Annähe- 
rung als  einen  Kreis  betrachten;  die  Sonnenan- 
ziehung wird  dann  durch  die  Zentrifugalkraft  der 
Erdbewegung  aufgehoben,  die  scheinbar  relativ  zu 
einer  ruhend  gedachten  Erde  entsteht.  Die  Erde 
steht  im  Schwerkraftfelde  der  Sonne  also  dauernd 
unter  der  Wirkung  zweier  entgegengesetzt  gleicher 
Kräfte,  der  Sonnenanziehung  und  der  Fliehkraft 
ihrer  Bahn.  Nach  der  Newtonschen  Auffassung, 
die  Widerstände  im  Schwerkraftfelde  nicht  kennt, 
heben  sich  diese  Kräfte  in  allen  Teilen  der  Erde 
vollständig  auf.  Viel  wahrscheinlicher  ist  jedoch, 
daß  das  Gleichgewicht  zwischen  den  beiden  gleich 
starken  Gegenkräften  erst  eintritt,  wenn  der  Erd- 
körper seine  Struktur  geändert  hat  und  in  einen 
inneren  Spannungszustand  versetzt  ist.  Schon  die 
einfache  Logik  fordert  eine  solche  Annahme ;  denn 


98 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


wenn  die  Newton  sehe  Auffassung  richtig  wäre, 
so  würde  sich  die  Erde  in  einem  vollkommen 
kräftefreien  Räume  genau  so  wie  in  dem  Schwer- 
kraft-Trägheitsfelde der  Sonne  verhalten,  in  dem 
zweifellos  in  verschiedenen  Richtungen  verschiedene 
Kräfte  wirksam  sind,  das  also  relativ  zur  Sonne 
„polarisiert"  ist.  An  elastische  Feldwirkungen  dieser 
Art,  die  bei  den  elektromagnetischen 
Kräften  stets  auftreten,  scheint  man  bei  der 
Schwerkraft   bisher   gar   nicht   gedacht  zu  haben. 


," 


^ 


Abb. 


Abb.  2  soll  nun  ganz  schematisch  die  zunächst 
als  starr  betrachtete  Erde  und  ihr  elastisches  Luft- 
meer veranschaulichen,  wie  es 


Abb.  2. 

ohne  ein  fremdes  Kraftfeld  aussehen  wird.  Abb.  3 
dagegen  soll  die  Wirkung  des  als  relativ  zur  Erde 
ruhend  gedachten  Sonnenfeldes  zeigen,  wie  es  sich 
als  Folge  der  in  Abb.  i  veranschaulichten  Kräfte 
darstellen  muß.  Die  aus  den  Schwerkraft-  und 
Trägheitswirkungen  sich  zusammensetzenden  Kraft- 
linien entsprechen  ganz  den  Kraftröhren  Fara- 
days,  in  deren  Längsrichtung  ein  Zug,  in  deren 
Querrichtung  ein  Druck  herrscht.  Der  Mechanis- 
mus der  Äiherbewegungen,  der  einen  solchen 
Spannungszustand  erklärt,  kann  vorläufig  unerörtert 
bleiben.  Doch  mag  erwähnt  werden,  daß  mög- 
licherweise infolge  einer  Schirmwirkung  des  ge- 
waltigen Erdkörpers  auf  der  der  Sonne  zuge- 
kehrten Seite  die  Sonnenanziehung,  auf  der  ent- 
gegengesetzten Seite   die  Fliehkraft   stärker  wirk- 


sam ist.  Auf  den  dadurch  elastisch  gespannten 
Erdkörper  würde  dann  noch  seitlich  die  Quer- 
kontraktion wirken  (Abb.  3). 


AA^i^^A^AtA 


Y  Y  t  t  y  V  y  t  y  V  V 


Abb.  3. 

Nun  verhält  sich  nach  Lord  Kelvin  der  Erd- 
körper kosmischen  Kräften  gegenüber  wie  der 
beste  Stahl,  aus  dem  sein  Inneres  vermutlich  auch 
besteht.  Nicht  wie  Stahl  können  sich  jedoch  die 
weicheren  Oberflächenschichten,  vor  allem  aber 
nicht  die  Lufthülle  verhalten.  Da  diese  keine 
Gestaltselastizität  besitzt,  muß  sie  den  inneren 
Kraft  wirkungen  nachgeben,  es  tritt  ein  F 1  i  e  ß  e  n  , 
eine  Strömung  ein.  Es  muß  also  auf  den  der 
Sonne  zugewendeten  und  den  ihr  gerade  gegen- 
überliegenden Teilen  der  Erde  eine  aufsteigende, 
auflockernde  Luftströmung,  auf  den  seitlich  dazu 
liegenden  Erdteilen  dagegen  eine  absteigende, 
verdichtende  Luftströmung  entstehen. 

Nun  ruht  die  Erde  jedoch  nicht  im  Schwere- 
felde, sondern  dreht  sich  fortgesetzt  darin.  Je 
nach  dem  Stande  der  Sonne  muß  die  Erscheinung 
sich  daher  im  steten  Wechselspiele  wiederholen. 
Abb.  4  stellt  einen  Querschnitt  durch  die  Äqua- 
torialebene der  Erde  dar  und  veranschaulicht  die 
Verhältnisse  zur  Zeit  der  Nachtgleichen.  Man 
kann  das  Kraftfeld  der  Sonne  in  vier  Quadranten 
teilen;  in  je  zwei  gegenüberliegenden  herrschen 
die  gleichen  Zustände.  In  dem  der  Sonne  zuge- 
kehrten und  dem  gegenüberliegenden  Quadranten 
überwiegt  die  auflockernde  Komponente,  in  den 
rechtwinklig  zur  Sonne  stehenden  die  nieder- 
drückende. Also  von  3  Uhr  morgens  bis  9  Uhr 
vormittags  erzeugt  die  Sonnengravitation  einen 
absteigenden  Luftstrom,  so  daß  um  9  Uhr  vor- 
mittags ein  Druckmaximum  eintreten  muß;  von 
da  ab   beginnt  allmählich  die  Auflockerung,   die 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


99 


bis  3  Uhr  nachmittags  dauert,  so  daß  um  diese 
Zeit  das  Minimum  eintritt.  Von  da  an  tritt  wie- 
der bis  9  Uhr  abends  Verdichtung,  weiterhin  bis 
3  Uhr  nachts  Verdünnung  ein.  -Die  Zeiten  der 
Luftverdichtung  sind  in  der  Abb.  4  durch  schraf- 
fierte Flächen  angedeutet.  Daß  die  Maxima  und 
IVIinima  in  Wirklichkeit  erst  eine  Stunde  später 
eintreten  —  morgens  um  10  Uhr  ist  ja  eine  be- 
kannte Wetterkrisis  —  erklärt  sich  zwanglos  aus 
der  Trägheit  der  Luft. 

Dieser  Verlauf  der  täglichen  Barometer- 
schwankung wird  nun  durch  die  Naturbeobachtung 
in  der  allergroßartigsten  Weise  bestätigt.  Abb.  5 
stellt  die  täghche  Doppeloszillation  für  verschiedene 
Breitengrade  dar.  Ich  entnehme  einer  Darstellung 
von  Hann')  (in  Himmel  und  Erde,  VI,  S.  345) 
das  folgende: 


9^Jtm. 


6^3Un. 


if^Tlm. 


tiefsten  Stände.  Die  Luftdruckunterschiede  er- 
reichen und  überschreiten  selbst  3  mm,  sind  also 
sehr  in  die  Augen  fallend.  Die  jetzt  schon  viel- 
fach in  Anwendung  gebrachten,  kontinuierlich  die 
Luftdruckänderungen  aufzeichnenden  Barographen 
liefern  Tag  für  Tag  die  gleichen  schönen  Doppel- 
wellen, so  daß  es  manchem  fast  langweilig  und 
unnötig  erscheinen  möchte,  in  solchen  Gegenden 
den  Luftdruck  regelmäßig  aufzuzeichnen,  der  sich 
ja  vom  Wetter  ganz  unabhängig  gemacht  hat 
und  keine  Warnung  mehr  vor  Witterungsände- 
rungen zu  geben  vermag.  In  der  Tat  finden  wir 
bei  einem  sorgfältigen  Beobachter  in  Gambia 
(Westafrika,  13^2"  nördlicher  Breite)  die  von  diesem 
Standpunkte  aus  erklärliche,  sonst  aber  doch 
kuriose  Bemerkung,  „daß  daselbst  die  Luftdruck- 
beobachtungen wohl  kein  wissenschaftliches  Inter- 
esse haben,  weil  die  Barometerschwankungen  bei 
jeder  Witterung  ganz  gleichmäßig  vor  sich  gehen 
und  der  heftigste  Tornado  nicht  den  geringsten 
Effekt  darauf  habe". 

Trotzdem  der  kosmische  Charakter  der  ganzen 
Erscheinung  eigenthch  unverkennbar  ist,   hat  die 


Abb.  4. 


bo'j\f: 


„Die  Regelmäßigkeit  der  stündlichen  Schwan- 
kungen des  Barometers  unter  den  Tropen",  sagt 
A.  V.  Humboldt,  „ist  so  groß,  daß  man  be- 
sonders in  den  Tagesstunden  die  Zeit  nach  der 
Höhe  der  Quecksilbersäule  bestimmen  kann,  ohne 
sich  im  Durchschnitte  um  15 — 17  Minuten  zu 
irren.  In  der  heißen  Zone  des  Neuen  Kontinentes, 
an  den  Küsten  wie  auf  Höhen  von  mehr  als 
12000  Fuß  (3900  m),  wo  die  mittlere  Temperatur 
auf  7 "  herabsinkt,  habe  ich  die  Regelmäßigkeit 
der  Ebbe  und  Flut  des  Luftmeeres  weder  durch 
Sturm,  noch  durch  Gewitter,  Regen  und  Erd- 
beben gestört  gefunden"  (Kosmos,  I,  S.  336).  Tag 
für  Tag  erreicht  das  Barometer  zwischen  9  und 
10 Uhr  vormittags  und  abends  seine  beiden  höchsten 
und  um  4  Uhr  morgens  und  abends  seine  beiden 

')  Vgl.  auch  Hann,  Lehrbuch  der  Meteorologie,  Leipzig 
1906,  bes.  S.  138  flf. 


meteorologische  Wissenschaft  bisher  jeden  Ver- 
such einer  solchen  Erklärung  mit  Gründen  abge- 
wiesen, deren  Unrichtigkeit  ohne  weiteres  ersicht- 
lich ist.  So  schreibt  Hann  in  dem  erwähnten 
Aufsatze  (S.  361):  „Die  tägliche  Barometerschwan- 
kung mit  ihren  zwei  Maximis  und  Minimis  hat 
auf  den  ersten  Blick  die  größte  Ähnlichkeit  mit 
der  Ebbe  und  Flut  des  Meeres.  Man  nennt  sie 
deshalb  oft  kurzweg  „eine  atmosphärische  Ebbe 
und  Flut".  So  bezeichnend  diese  Ausdrucksweise 
für  die  Art  des  Auftretens  der  täglichen  Luft- 
druckschwankung ist,  so  verfehlt  wäre  es,  dabei 
auch  an  eine  ähnliche  Ursache  zu  denken.  Die 
atmosphärischen  Gezeiten  können  keine  Gra- 
vitationserscheinung sein,  denn  sonst 
müßten  sie  vor  allem  dem  Mondtag  folgen  und 
nicht  dem  Sonnentag.  Der  Mond  hat  eine  2,2  mal 
größere  fluterzeugende  Kraft  als  die  Sonne,  was 
auch  für  die  Atmosphäre  gültig   ist.     Die  Gravi- 


100 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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tationsfluten ,  die  der  Mond  in  der  Atmosphäre 
erzeugt,  sind  aber  sowohl  nach  der  Theorie,  als 
auch  nach  dem  Ergebnis  der  Beobachtungen  un- 
merklich klein  (o,o6  mm)  und  lassen  sich  gar 
nicht  vergleichen  mit  der  geschilderten  Barometer- 
schwankung, die  in  nicht  mißzuverstehender  Weise 
vom  täglichen  Laufe  der  Sonne  abhängt." 

Der  Trugschluß  in  dieser  Argumentation  liegt 
klar  auf  der  Hand.  Die  Begriffe  „Gravitations- 
wirkungen" und  „Ebbe  und  Flut  erzeugende  Kräfte" 
sind  miteinander  verwechselt  worden.  Die  Schwer- 
kraftwirkungen    entsprechen    nach    Newton    der 

Funktion    -5  ,    worin  m  die  Masse  und  r  die  Ent- 

fernung  bedeutet.  Während  die  Schwerkraft  der 
Sonne  auf  der  Erdoberfläche  noch  0,6  Promille 
der  Erdschwere  beträgt,  ist  die  des  Mondes  nur 
0,0000033  (ein  Dreihunderttausendstel)  der  Erd- 
schwere, also  200  mal  schwächer  als  die  der 
Sonne.  Wenn  es  also  unmittelbare  Wirkungen 
des  Schwerkraftfeldes  gibt,  wie  es  hier  angenom- 
men wird,  so  müssen  diese  der  Sonne  und 
nicht  dem  Monde  folgen!  Eine  Überschlags- 
rechnung zeigt  auch,  daß  die  in  den  Tropen  be- 
obachtete Barometerschwankung  der  Größe  nach 
mit  den  Änderungen  im  Gravitationsfelde  genau 
übereinstimmt.  Bei  der  Ebbe  und  Flut  des  Meeres 
handelt  es  sich  überhaupt  nicht  um  eine  solche 
unmittelbare  Schwerkraftwirkung,  sondern  um 
eine  Störung  zweiter  Ordnung  (Differentialfunk- 
tion), bei  der  Entfernungsänderungen  infolge  der 
Erddrehung  die  Hauptrolle  spielen ;  diese  Erschei- 
nung, bei  der  der  Mond  wegen  seiner  großen 
Nähe  allerdings  einen  bedeutenderen  Einfluß  als 
die  Sonne  ausübt,  ist  von  einer  viel  geringeren 
Größenordnung  als  das  hier  betrachtete  I'hänomen. 

Da  in  der  Newtonschen  Formulierung  Feld- 
wirkungen nicht  vorkommen,  glaubte  man,  die 
der  Sonnenbewegung  genau  folgende  Luftdruck- 
änderung könne  nur  durch  die  Wirkung  der 
Sonnenstrahlung  verursacht  worden  sein.  Nun 
paßt  der  Gang  der  Temperatur  mit  seinem  nur 
einmal  täglich  eintretenden  Maximum  und  Mini- 
mum und  seinen  starken  örtlichen  Unterschieden 
zu  der  so  unverkennbar  als  Gravitationswirkung 
verlaufenden  Erscheinung  wie  die  Faust  aufs 
Auge.  Man  fand  aber  doch  einen  Ausweg;  man 
sagte  einfach,  die  tägliche  Doppeloszillation  sei 
die  erste  Oberschwingung  der  durch  rätselhafte 
Widerstände  unterdrückten  Hauptschwingung  — 
eine  Erklärung,  die  man  wohl  nur  so  lange  bei- 
behalten wird,  als  man  absolut  keine  andere  findet. 

Die  Abhängigkeit  der  täglichen  Barometer- 
schwankung von  der  geographischen  Breite,  wie 
sie  in  Abb.  5  ersichtlich  ist,  ist  nach  der  hier  ge- 
gebenen Erklärung  ohne  weiteres  verständlich, 
denn  am  Pol  ändert  die  Sonne  im  Laufe  des 
Tages  ihre  Höhe  nicht  mehr,  eine  Schwingung 
kann  daher  nicht  eintreten.  Dagegen  müßte  eine 
Drehung  des  Windes  eintreten,  und  man  hat  solche 
täglichen  Drehungen  des  Windes  mit  der  Sonne 
tatsächlich  vielfach  beobachtet. 


Die  Sonnenschwerkraft  wirkt  also  täglich  zwei- 
mal wie  die  Hübe  einer  gewaltigen  Saug- 
und  Druckpumpe  auf  die  Erde.  Dadurch  werden 
vom  Äquator  ausgehend  gewaltige  auf-  und  ab- 
steigende Luftströmungen  erzeugt,  die  die  Haupt- 
ursache der  irdischen  Luftbewegungen  und  der 
Winde  darstellen.  Indem  sich  die  periodischen 
Wirkungen  in  bestimmter  Richtung  aufsummen, 
werden  auch  Bewegungen  der  Luft,  des  Meeres, 
und  der  Erdschichten  von  längerer  Dauer  und 
bestimmter  Richtung  erzeugt  werden.  Es  ist  also 
hier  ein  ganz  neuer  Weg  zum  Verständnis  der 
das  Leben  unseres  Planeten  erhaltenden  Natur- 
kräfte aufgefunden,  lediglich  dadurch,  daß  wir  die 
leeren  Räume,  durch  die  Newton  seine  Schwer- 
kraft zeit-  und  widerstandslos  hindurchwirken  Heß, 
mit  anschaulichen  Vorstellungen  ausgefüllt  haben 
und  kontinuierlich  wirkende  Kräfte  darin  vermuten, 
wie  sie  uns  seit  Faraday  im  elektromagnetischen 
Felde  längst  geläufig  sind. 

Es  mag  zunächst  überraschend  und  befremdend 
erscheinen,  wenn  der  Gravitation,  deren  Gesetze 
man  längst  nach  jeder  Richtung  hin  für  erforscht 
und  aufgeklärt  hält,  hier  ganz  neue  Eigenschaften 
beigelegt  werden.  Man  muß  jedoch  bedenken, 
daß  wir  auf  der  Erde  mit  Schwerkraftfeldern 
wegen  deren  Kleinheit  eigentlich  gar  keine  Ex- 
perimente anstellen  können.  Wir  sind  daher  auf 
das  kosmische  Gedankenexperiment  und  die  dar- 
aus abgeleiteten  astronomischen  Berechnungen 
angewiesen,  und  diese  kann  man  meist  gar  nicht 
nachprüfen.  Die  vom  Verf.  seit  langer  Zeit  ver- 
tretene Ansicht,  daß  die  Gravitationsfelder  in 
Wirklichkeit  viel  mehr  unmittelbar  wahrnehmbare 
Eigenschaften  besitzen,  als  die  dürre  Newton- 
sche  Theorie  ahnen  läßt,  ist  daher  nicht  zu  wider- 
legen. Die  neueren  Bestrebungen  vieler  Theo- 
retiker (u.a.  Wiecherts,  s.o.),  das  Schwerkraft- 
feld als  einen  Teil  des  elektromagnetischen  Kraft- 
feldes aufzufassen,  würden  dadurch  eine  ganz  neue 
Unterstützung  erhalten.  Daß  Newtons  Formu- 
lierung sich  in  der  Astronomie  bisher  leidlich 
bewährt  hat,  liegt  vielleicht  nur  daran,  daß  die 
Schwerkraft-  und  Trägheitserscheinungen,  wie  wir 
am  Beispiel  der  Erde  in  Abb.  i  sahen,  mit  ent- 
gegengesetzt gleichem  Betrage  in  die  Formeln 
eingehen.  Man  braucht  nur  anzunehmen,  daß 
der  Einfluß  der  Zeit  und  der  räumlichen  Wider- 
stände sich  nicht  nur  bei  der  Schwerkraft,  son- 
dern in  genau  derselben  Weise  auch  bei  den 
Trägheitsbewegungen  der  Massen  geltend  macht 
—  eine  Symmetrie,  wie  sie  bei  den  Strönnungen 
einer  inkompressiblen  Flüssigkeit,  hier  des  Äthers, 
stets  zu  erwarten  ist  —  so  erklärt  es  sich  sofort, 
wie  die  Täuschung  eines  von  Zeit  und  räumlichen 
Widerständen  unabhängigen  Kraftfeldes  zustande 
kommen  mußte.  Nur  diesen  eigenartigen  Verhält- 
nissen verdankt  Newtons  seltsame,  aller  Logik 
widersprechende  Lehre  von  der  zeitlosen  Fern- 
kraft ihre  Erfolge,  wenigstens  für  eine  erste  An- 
näherung. Die  oben  erwähnten  neueren  Theorien 
von    Riemann     bis    Einstein    lassen    jedoch 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


loi 


schon  deutlich  erkennen,  daß  bei  genaueren  Be- 
rechnungen Glieder  zu  berücksichtigen  sind,  die 
vom  Quadrat  der  Lichtgeschwindigkeit  abhängen, 
und  die  die  Gravitation  somit  als  Ätherwirkung 
kennzeichnen.  Abgesehen  von  diesen  geringen, 
bisher  allein  beachteten  Unstimmigkeiten  lassen 
sich  aber,  wie  unsere  Ausführungen  zeigten,  viel 
schwerere  Bedenken  gegen  Newtons  Theorie 
geltend  machen.  Es  mag  in  diesem  Zusammen- 
hange noch  darauf  hingewiesen  werden,  daß  die 
auf  Grund  der  herrschenden  Ansichten  aus  den 
Bahnen  der  Gestirne  abgeleiteten  Berechnungen 
der  „schweren  Massen"  bei  den  meisten  Weltkörpern 
so  geringe  Werte  geliefert  haben,  daß  die  Richtig- 
keit der  Voraussetzungen  recht  zweifelhaft  er- 
scheint. So  hat  man  beispielsweise  für  den  Jupiter 
eine  mittlere  Dichte  von  1,4  (auf  Wasser  als  Ein- 
heit bezogen),  für  den  Saturn  sogar  nur  eine 
solche  von  0,7  herausgerechnet,  obgleich  man  auf 
diesen  Planeten  deutlich  vulkanische  Ausbrüche 
erkennen  zu  können  glaubt.  Auch  die  aus  den 
Bahnelementen  der  Finsternisveränderlichen  vom 
Algoltypus  errechneten  Massen  haben  ganz  un- 
wahrscheinlich geringe  Werte  ergeben.  In  allen 
diesen  Fällen  wird  die  Newton  sehe  Theorie  wohl 
gar  nicht  anwendbar  sein,  denn  es  können  offen- 
bar neben  der  Schwerkraft  noch  ganz  andere  Kräfte 
die  Bahnen  der  Gestirne  bestimmen.  Man  mag 
dabei  zunächst  an  elektromagnetische  Kräfte 
denken,  die  in  dem  Bohrschen  Atommodell  be- 
kanntlich auch  zur  Berechnung  von  Planetenbahnen 
führen.  Es  können  bei  der  ungemein  schnellen 
Rotation  der  äußeren  Planeten  jedoch  auch  Flieh- 
kräfte im.  Äther  wirksam  werden,  die  eine  schein- 
bare Verminderung  der  Schwerkraft  und  damit 
der  Massen  bewirken  würden.  Das  unbedingte 
Vertrauen,  das  namentlich  die  Astronomen  seit 
200  Jahren  der  Ne  wtonschen  Theorie  entgegen- 
bringen, dürfte  vor  einer  schärferen  Kritik  wohl 
kaum  noch  bestehen  können.  Man  mag  über  die 
dunklen  Prinzipien  Einsteins  denken  wie  man 
will,  man  wird  ihm  jedoch  das  Verdienst  zuer- 
kennen müssen,  daß  er  endlich  einmal  zu  einer 
gründlichen  Prüfung  der  Gravitationstheorie  ange- 
regt hat.  Eine  solche  Kritik  darf  jedoch  nicht  bei 
einigen  praktisch  wertlosen  kleinen  Störungen  höhe- 
rer Ordnung  Halt  machen ;  man  muß  vielmehr  die 
Möglichkeit  erwägen,  daß  die  herrschende  Schwer- 
kraftlehre ganz  große ,  unmittelbar  wahrnehm- 
bare Mängel  enthält,  und  daß  es  die  höchste  Zeit 
ist,  sie  durch  eine  rationelle  Feldwirkungslheorie 
nach  Art  der  elektromagnetischen  oder  noch  besser 
durch  eine  alle  Kraftfelder  umfassende  Äther- 
strömungstheorie zu  ersetzen.')    Dann  erst  können 

')  Die  weitere  Ausgeslallung  des  hier  entwickelten  Ge- 
dankenganges findet  sich  in  meinem,  in  Nr.  10  des  Jahrg.  1920 
dieser  Zeitschrift  besprochenen  Buche  „Eine  neue  und  ein- 
fache Deutung  der  Schwerkraft",  Wolfenbüttel,  Heckners  Ver- 
lag, 1919,  weiter  in  den  1920  cbendort  erschienenen  Schriften 
„Der  Fehler  in  Einsteins  Relativitätstheorie"  und  „Die  neue 
Erklärung  der  Schwerkraft".  Eine  kurze  Darstellung  meiner 
Äthertheorie  habe  ich  in  „Glasers  Annalen  für  Gewerbe  und 
Bauwesen",   1920,  Bd.  86,  Nr.  1032,  S.  95 — 96,  gegeben. 


wir  dem  pulsierenden  Leben  und  Atmen  unseres 
Erdballs  wirkliches  Verständnis  entgegenbringen. 
Es  erscheint  auch  keineswegs  ausgeschlossen,  daß 
die  Kenntnis  der  Vorgänge  im  Schwerkraftfelde 
uns  ganz  neue  Methoden  zur  Energiegewin- 
nung zur  Verfügung  stellen  wird. 

Es  mag  noch  zum  Schluß  darauf  hingewiesen 
werden,  daß  der  Gedanke,  ein  Pulsieren  der 
Schwerkraft  sei  die  Ursache  der  Barometerschwan- 
kungen, von  keinem  Geringeren  als  von  Goethe 
herrührt.  Er  hat  ihn  nicht  nur  in  seinen  umfang- 
reichen meteorologischen  Arbeiten,  sondern  auch 
in  seinen  Dichtungen  („Zahme  Xenien")  mehrfach 
behandelt.  So  schreibt  er  am  Anfang  seiner 
„Italienischen  Reise"  während  einer  Wetterbe- 
obachtung auf  dem  Brenner :  „Ich  glaube  nämlich, 
daß  die  Masse  der  Erde  überhaupt,  und  folglich 
auch  besonders  ihre  hervorragenden  Grundfesten 
nicht  eine  beständige,  immer  gleiche  Anziehungs- 
kraft ausüben,  sondern  daß  diese  Anziehungskraft 
sich  in  einem  gewissen  Pulsieren  äußert,  so  daß 
sie  sich  durch  innere  notwendige,  vielleicht  auch 
äußere  zufällige  Ursachen,  bald  vermehrt,  bald 
vermindert.  Mögen  alle  anderen  Versuche,  diese 
Oszillation  darzustellen,  zu  beschränkt  und  roh 
sein,  die  Atmosphäre  ist  zart  und  weit  genug, 
um  uns  von  jenen  stillen  Wirkungen  zu  unter- 
richten." Goethe  verband  offenbar  mit  dem  Begriff 
der  Schwerkraft  weit  anschaulichere,  lebendigere  und 
wohl  auch  richtigere  Vorstellungen  als  der  von  ihm 
bekämpfte  Newton.  Leider  vermochte  er  nicht 
wie  dieser  durch  exakte  Formulierung  seinen  Ideen 
in  den  Augen  der  Fachphysiker  das  nötige  Gewicht 
zu  verleihen,  so  daß  seine  bedeutsamen  Anregungen 
bisher  unbeachtet  und  unverstanden  geblieben 
sind.  Wenn  die  Ausführungen  dieses  Artikels 
nun  atich  noch  keine  abgeschlossene  Theorie  ent- 
halten, so  lassen  sie  den  Weg  zu  einer  solchen 
doch  bereits  klar  erkennen;  sie  lassen  auch  die 
Fragen,  die  heute  durch  den  Kampf  um  Ein- 
stein das  allgemeine  Interesse  erregen,  in  einem 
ganz     neuen     Lichte     erscheinen.')       Newtons 

')  Einstein  geht  bekanntlich  von  dem  Widerspruche 
aus,  der  zwischen  den  Versuchen  von  Fizeau  und  Michel- 
son  bestehen  soll.  In  beiden  Fällen  bleiben  die  optischen 
Gesetze  realativ  zu  dem  auf  der  Erde  ruhenden  und  mit  ihr 
bewegten  Beobachter  konstant.  Einstein  schlofl  daraus 
etwas  voreilig  auf  eine  geheimnisvolle  Bedeutung  des  „Be- 
obachterstandpunktes" für  die  Optik,  eine  gänzlich  un- 
physikalische Idee.  Er  leitete  daraus  das  logisch  un- 
haltbare ,, Prinzip  von  der  Konstanz  der  Vakuumlicht- 
geschwindigkeit relativ  zu  beliebig  bewegten  Beobachtern" 
ab,  das  bereits  durch  die  Versuche  von  Sagnac  mit 
bewegten  Beobachtern  widerlegt  erscheint.  Denn  selbst- 
verständlich kann  ein  Beobachter  die  optischen  Erscheinungen 
nur  insoweit  beeinflussen,  als  er  mit  einem  Kraftfelde  ver- 
bunden ist.  Natürlicher  ist  wohl  die  Idee,  in  den  Versuchen 
von  Fizeau  und  Michelson  sei  nicht  dem  Beobachter, 
sondern  dem  genau  wie  dieser  bewegten  Schwerkraft felde 
der  Erde  der  entscheidende  Einfluß  zuzuschreiben,  wie  ich  in 
der  Schrift:  ,,Der  Fehler  in  Einsteins  Relativitätstheorie" 
(Wolfenbüttcl  1920)  näher  ausgeführt  habe.  Die  Physiker 
konnten  auf  diese  einfache  Lösung  bisher  nicht  kommen,  da 
optische  Feldwirkungcn  der  Schwerkraft  unbekannt  waren; 
erst  die  Ergebnisse  der  Sonnenünsternisexpedition  haben  hier 
Wandel  geschaffen.     Der  Gedanke  von  Stokes,    das  Ergeb- 


102 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Theorie  der  Schwerkraft  scheint  so  unvollständig 
zu  sein,  daß  sie  nicht  nur  den  Störungen  höherer 
Ordnung,  sondern  bereits  den  nächstliegenden, 
uns   unmittelbar  berührenden  Erscheinungen  und 


nis  des  Mich  eis onschen  Versuchs  durch  eine  Mitführung 
des  Äthers  durch  die  Erde  zu  erklären,  läßt  sich  zwanglos  mit 
tneiner  Auffassung  verbinden,  da  das  hier  behandelte„Schwer- 
kraft-Trägheitsfeld"  offenbar  nichts  anderes  als  der  „Äther"  ist. 


Kräften  gegenüber  versagt.  Der  Ersatz  der  alten 
unhaltbaren  Lehre  von  der  Fernwirkung  der 
Schwerkraft  durch  eine  moderne  Feldwirkungs- 
und Äthertheorie  dürfte  daher  zu  den  dringend- 
sten Aufgaben  der  physikalischen  Wissenschaft 
gehören.  Ihre  Lösung  wird  uns  einen  ganz  un- 
erwarteten und  überraschenden  Einblick  in  den 
Zusammenhang  der  Naturkräfte  gewähren. 


[Nachdruck  verboten.] 

Über  das  Vorkommen  des  Ziesels  in  Sachsen 
verdanken  wir  die  ersten  ausführlicheren  Mit- 
teilungen J.  Thaliwitz,  der  1895  (10)  die  Frage 
aufwarf;  „Ist  das  Ziesel  ein  Bewohner  unserer 
sächsischen  Schweiz?",  um  danach  1898  (11)  des 
Tieres  Vorkommen  im  äußersten  östlichen  Erz- 
gebirge um  Lauenstein  sowie  in  der  Gegend  der 
Orte  Olsen,  Ölsengrund,  Breitenau,  Liebenau  und 
Hellendorf  festzustellen.  Jacobi  (4)  führt  diese 
zusammenhängenden,  auf  ein  Gebiet  von  nur 
gegen  lO  qkm  Fläche  sich  erstreckenden  Vor- 
kommen unter  Berufung  auf  Thaliwitz  dann 
ebenfalls  an  und  bezweifelt  eine  ältere,aufR  eichen - 
bach  und  E.  Besser  sich  stützende  Angabe 
Reibis  ch's  (8)  von  einem  Vorkommen  des  Tieres 
auch  in  der  Lausitz.  Ihm  sowohl  wie  auch  Thall- 
witz  ist  dabei  entgangen,  daß  Citellus  citellus 
aus  Sachsen  aber  noch  früher  erwähnt  wird. 
Chrst.  Frdr.  Ludwig  (6),  dem  wir  die  erste 
umfassendere  Zusammenstellung  auch  der  sächsi- 
schen Säuger  verdanken,  führt  das  Tier  bereits 
1810  allerdings  ohne  alle  weiteren,  in  diesem  Falle 
aber  ganz  besonders  wünschenswerten  näheren 
Angaben  auf,  und  Schumann  (9)  schreibt  dann 
1822  in  seinem  Lexikon  von  Sachsen:„Der  russische 
Balk  aber,  welcher  mit  russischem  Getreide  mit- 
gekommen und  im  mittleren  Sachsen  sehr  zahl- 
reich geworden  war,  ist  glücklich  wieder  aus- 
gerottet". Endlich  bezeichnet  Fechner  (3)  unsere 
Art  1851  als  „sehr  selten  in  der  Zittauer  Gegend, 
bei  Bjnzlau  (Schlesien)  häufiger".  Nach  einer 
späteren  Angabe  in  den  Meyer  und  Helm  sehen 
Jahresberichten  der  ornithologischen  Beobachtungs- 
stationen im  Königreich  Sachsen  (7)  wurde  schließ- 
lich im  Jahre  1891  ein  Ziesel  auch  im  Vogtlande, 
und  zwar  auf  Feldern  bei  Chrieschwitz  (bei  Plauen) 
erschlagen,  wobei  gesagt  wird,  daß  „er  bisher  noch 
nicht  beobachtet,  seitdem  aber  auch  nicht  wieder 
gesehen  worden  ist".  Jacobi  (4)  äußert  hierzu 
den  Verdacht,  daß  es  sich  in  diesem  Falle  um 
ein  aus  der  Gefangenschaft  entwischtes  Tier  ge- 
handelt haben  könne. 

Aus  den  vorliegenden,  ja  nur  bescheidenen 
Angaben  ein  sicheres  Urteil  über  das  sächsische 
Vorkommen  des  Ziesels  zu  fällen,  ist  nicht  ganz 
leicht.  Das  eine  aber  steht  jedenfalls  fest,  daß 
das  Tier   in  Sachsen   ältere  Bürgerrechte   besitzt, 


Über  das  Vorkommen  des  Ziesels  in  Sachsen. 

Von  Rud.  Zimmermann,  Dresden. 
Mit  einer  Kartenskizze. 


als  man  bisher  im  allgemeinen  anzunehmen  ge- 
neigt war,  und  daß  es  bei  uns  einmal  auch  schon 
weiter  verbreitet  gewesen  zu  sein  scheint,  als  sein 
heutiges  nur  beschränktes  Vorkommen  schließen 
läßt.  Nun  sagt  ja  schon  Blasius  (i):  „Man  hat 
eine  Zeitlang  geglaubt,  daß  das  Ziesel  von  Osten 
her  in  Deutschland  eingewandert  sei;  man  kann 
aber  eher  umgekehrt  behaupten,  daß  es  allmählich 
immer  weiter  nach  Osten  zurückgedrängt  worden 
ist."  Doch  scheint  es,  daß  er  sich  bei  dieser 
Behauptung,  wie  ihm  ja  auch  entgegengehalten 
worden  ist,  lediglich  auf  eine  mißverständliche 
Auslegung  eines  alten  Schriftstellers  (Albertus 
Magnus),  nicht  aber  auf  wirkliche  beglaubigte 
Funde  gestützt  hat.  Heck  (2)  dagegen  läßt  auf 
Grund  einer  noch  zu  erwähnenden  Beobachtut  g 
Liebes  die  Möglichkeit  bestehen,  daß  Citellus 
citellus  „vor  gut  loo  Jahren  schon  einmal  viel 
weiter  westlich  gewesen  zu  sein  scheint".  —  Ist 
es  nun  schon  auffallend  genug,  daß  das  Tier  be- 
reits in  unserem  ältesten  umfassenden  Verzeichnis 
der  sächsischen  Säugetiere  genannt  wird,  so  gewinnt 
die  Möglichkeit  seiner  ehemals  größeren  Ver- 
breitung in  Sachsen  vor  allem  durch  die  Angabe 
Schumanns,  den  ich  zwar  nicht  immer  als  emen 
in  zoologischen  Dingen  absolut  zuverlässigen  Ge- 
währsmann halte,  dessen  Mitteilungen  in  diesem 
Falle  aber  doch  so  bestimmt  gehalten  sind,  daß 
man  nicht  achtlos  an  ihnen  vorübergehen  kann, 
sofort  eine  fast  zwingende  Wahrscheinlichkeit.  *) 
Inwieweit  dabei  die  Behauptung  von  einer  Ein- 
schleppung des  Ziesels  mit  russischem  Getreide 
zu  Recht  besteht,  muß  zunächst  in  Ermangelung 
aller  weiteren  Unterlagen  noch  unerörtert  gelassen 
werden.  Vielleicht  glückt  uns  noch  einmal  ein 
literarischer  Fund  —  bisher  war  allerdings  das 
Fahnden  nach  weiteren  Belegen  im  älteren  Schrift- 


')  Man  könnte  sich  höchstens  an  die  für  den  Ziesel  sonst 
nicht  gebrauchte  Bezeichnung  „Balk"  stoßen.  Mir  ist  die 
Herkunft  dieses  Ausdruckes,  den  aber  schon  der  verstorbene, 
bekannte  sächsische  Faunist  Robert  Berge  unserer  Art  zu- 
schreibt, nicht  bekannt;  doch  entsinne  ich  mich,  ihn  früher 
schon  einmal  für  den  Ziesel  gebraucht  gefunden  zu  haben, 
ohne  aber  heute  der  Quelle  nachkommen  zu  können.  Aber 
abgesehen  davon,  läßt  die  Angabe  Schumanns  schon  im 
Zusammenhang  mit  seinen  übrigen  Mitteilungen  kaum  auf  eine 
andere  Art  als  Citellus  schließen. 


N,  F.  XX.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


103 


tum  ein  vergebliches  ^)  — ,  der  eine  weitere  Klärung 
in  die  Angelegenheit  bringt.  Steht  die  ehemalige 
Weiterverbreitung  des  Tieres  in  Sachsen  aber  sicher, 
so  gewänne  damit  auch  die  diese  Weiterverbreitung 
bereits  stützende  Mitteilung  Liebes  (5),  nach  der 
dieser  Mitte  der  siebziger  Jahre  des  verflossenen 
Jahrhunderts  auf  dem  Wolgen  bei  Leubsdorf  in 
Ostthüringen  (unweit  der  sächsischen  Grenze)  zahl- 
reiche, von  ihm  auf  gegen  80  Jahre  alt  geschätzte 
Tierbauten  fand,  die  er  als  solche  des  Ziesels 
deutete,  ein  viel  bestimmteres  Aussehen.  Für  die 
Beurteilung  des  mittelsächsischen  Vorkommens 
des  Ziesels  ist  vielleicht  auch  die  Tatsache  nicht 
unwichtig,  daß  des  Tieres  Verschwinden  —  wenn 
seine  Einschleppung  nicht  etwa  erst  um  oder  nach 
1813,  zu  welcher  Zeit  russisches  Getreide  aller- 
dings in  ungewöhnlich  großen  Mengen  in  Sachsen 
eingeführt  wurde,  geschehen  und  einer  ungewöhn- 
lich raschen  Ausbreitung  des  Tieres  ein  ebenso 
schnelles  Wiederverschwinden  (die  Schumann- 
sche  Mitteilung  stammt  ja  schon  aus  dem  Jahre 
1822)  nachgefolgt  sein  sollte")  —  zeitlich  mit 
jenen  durchgreifenden  Veränderungen  in  der  land- 
wirtschaftlichen Ausnutzung  des  Bodens  zusammen- 
fallen würde,  die  gegen  Ausgang  des  18.  Jahr- 
hunderts begannen  und  sich  ins  19.  hinein  fort- 
setzten und  die  sich  in  dem  damals  schon  am 
intensivsten  genutzten  Nordwest-  und  Mittelsachsen 
am  auffallendsten  fühlbar  machten.  Die  bis  dahin 
übliche  Dreifelderwirtschaft  nämlich,  die  immer 
ein  Drittel  des  genutzten  Bodens  brach  liegen  ließ, 
ging  in  die  heute  noch  übliche  Reihenwirtschaft 
über,  wodurch  für  das  Tier,  das  jeder  regelmäßigen 
Bodenbearbeitung  abhold  ist,  die  Lebensbedingungen 
natürlich  zu  viel  ungünstigeren  wurden. 

Unabhängig  von  dem  mittelsächsischen  Vor- 
kommen des  Ziesels  müssen  wir  das  heute  noch 
bestehende  osterzgebirgische  betrachten,  das  m.  E. 
zu  jenem  in  keinerlei  Beziehung  steht  oder  jemals 
gestanden  hat  und  das  man  allgemein  als  eine 
Einwanderung  des  Tieres  aus  Böhmen  deutet. 
Ich  vermag  mich  dieser  Ansicht  heute  aber  nicht 
mehr  anzuschließen,  sondern  halte  das  Vorkommen, 
das  mit  dem  böhmischen  in  unmittelbarstem  Zu- 
sammenhang steht  und  sich  nur  wenige  Kilometer 
über    die    Grenze    erstreckt,    für    die    von    jeher 

')  Dieser  Mangel  an  älteren  Angaben  trifft  allerdings 
nicht  nur  für  den  Ziesel  zu,  sondern  gilt  gerade  für  Sachsen 
auch  noch  für  viele  andere,  zum  Teil  sogar  viel  auffallendere 
Tierarten.  Beispielsweise  läßt  sich  das  bis  um  die  Mitte  des 
19.  Jahrhunderts  bestandene  Vorkommen  des  sich  der  Be- 
obachtung sicherlich  kaum  entziehenden  Bibers  in  Sachsen  in- 
folge eines  derartigen  Mangels  jeglicher  älterer  Fundorts- 
bezeichnungen heute  nicht  mehr  mit  völliger  Sicherheit  um- 
grenzen; besäßen  wir  hierüber  als  einzige  nicht  auch  wieder 
eine  Angabe  Schumanns  und  drei  zufällig  erhalten  ge- 
bliebene Belegstücke,  so  wüßten  wir  heute  kaum  etwas  von 
dem  einem  erst  nach  der  Mitte  der  vierziger  Jahre  des  ver- 
flossenen Jahrhunderts  erloschenen  Vorkommen  des  Tieres  an 
der  Mulde  bei  Würzen. 

'')  Die  rasche  Ausbreitung  des  Tieres  besäße  dann  in  der 
Gegenwart  ein  Analogen  in  der  Ausbreitung  der  Bisamratte, 
sein  schnelles  Verschwinden  würde  sich  aus  den  wenig  gün- 
stigeren Lebensbedingungen  infolge  einer  intensiveren  Bear- 
beitung des  Bodens  erklären. 


bestandene  äußerste  nördliche  Ausstrahlung  des 
letzteren.  Für  ein  Vorrücken  des  Tieres  nach 
Norden  besitzen  wir  aus  Böhmen  auch  keinerlei 
Anhalt :  die  Tatsache  etwa,  daß  sein  Vorkommen 
hier  erst  in  verhältnismäßig  jüngster  Zeit  sicherer 
festgelegt  worden  ist,  berechtigt  uns  noch  nicht 
zu  dieser  Annahme.  Jeder  Faunist  weiß  es  ja 
auch,  wie  spät  die  sorgfältigere  Erforschung  der 
Kleinsäugerfauna  überall  erst  eingesetzt  hat  und 
wie  spärlich  nicht  nur  in  der  Vergangenheit, 
sondern  selbst  in  der  Gegenwart  noch  vielfach 
die  Nachrichten  über  die  meisten  unserer  Klein- 
säuger fließen  und  wie  lange  manches  alte  Vor- 
kommen sich  der  allgemeinen  Kenntnis  entzogen 
hat.  Übrigens  erwähnt  auch  schon  ein  sächsischer 
Schriftsteller  des  17.  Jahrhunderts  das  Tier  aus 
Böhmen;  Chr.  Lehmann  (f  1688)  schreibt  in 
seinem,  erst  nach  seinem  Tode  1699  erschienenen 
„Historischen  Schauplatz  derer  natürlichen  Merck- 
würdigkeiten  in  dem  Meißnischen  Ober-Ertzgebirge" 
über  unser  Tier:  „In  Böhmen  ist  eine  Hamster- 
Art  /  die  sie  Zeisele  oder  Tritschele  nennen  /  fahl 
und  grünlicht  an  der  Farbe  /  und  streiffigt  wie  die 
ramigten  Katzen  /  so  groß  als  Eichhörnchen  und 
fast  eine  Art  wie  die  Meerschweingen.  Hingegen 
sind  die  Hamster  größer  /  braun  und  weiß- 
gilbicht  .  .  .".    Daß  unser  Gewährsmann  das  sächsi- 


,     Breitenau/^Oelseri, 
Lauensleln  '»[ö£lsen'gr''"i> 
-^■,  ";*;Bieni;of,  . 

Liebenau  v*peierswäl() 
V.-.-;   ;■•  ;  -.  •..-•,■.-. 


BÖHMEN 
Vorkommen  das  Ziesels  in  Sa 


sehe  Vorkommen  nicht  kennt,  ist  aber  noch  kein 
Grund  etwa  zu  der  Annahme,  daß  es  zu  seiner 
Zeit  noch  nicht  bestanden  hätte.  Denn  einmal 
ist  dasselbe  ja  ein  räumlich  nur  ganz  beschränktes 
und  außerdem  auch  kein  besonders  häufiges,  und 
zum  anderen  bestand  zwischen  dem  Wohn-  und 
Wirkungsort  Lehmanns  (Scheibenberg)  ein  viel 
lebhafterer  Verkehr  mit  Böhmen  als  mit  dem  auch 
bedeutend  weiter  entfernteren  Osterzgebirge.  — 
Für  das  Bestehen  des  osterzgebirgischen  Vor- 
kommens von  jeher  spricht  vor  allem  auch  der 
landschaftliche  Charakter  des  Gebietes,  das  in 
reichlich  vorhandenen  und  vielfach  dürftigen  Wiesen 
noch  große  steppenartige  Anklänge  zeigt  und  in 
dem,  soweit  sich  dies  zurückverfolgen  läßt,  auch 
schon  von  jeher  mehr  als  in  anderen  sächsischen 
Landesteilen  der  Wald  zugunsten  von  Wiesen- 
und  Weideflächen  zurückgetreten  ist. 

M.  E.  besitzt    unser  Tier    auch    gar   keine    so 
große     Fähigkeit,    sein    Verbreitungsgebiet    aus- 


I04 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


zudehnen  und  sich  etwa  wie  der  Hamster  dem 
Feldbau  anzupassen.  Viel  eher  kann  man  von 
ihm  behaupten,  daß  sein  Vorkommen  immer  mehr 
an  Umfang  einbüßt  und  besonders  durch  die 
Zunahme  des  Feldbaues  stark  eingeengt  wird. 
Als  ich  191 1  die  rumänische  Dobrudscha,  in  der 
das  Tier  noch  eine  ganz  gewöhnliche  Erscheinung 
ist  und  wo  ich  in  reichstem  Maße  Gelegenheit 
hatte,  es  zu  beobachten,  bereiste,  wurde  mir  mehr- 
fach mitgeteilt,  daß  es  überall  dort,  wo  der  Feld- 
bau an  Ausdehnung  gewinnt,  in  seinem  Bestände 
zurückgeht  und  ich  selbst  traf  es  in  den  Weide- 
und  Steppengebieten  auch  immer  viel  häufiger 
an  als  in  solchen  mit  überwiegendem  Feldbau. 
Im  Einklang  damit  steht  ja  auch  die  von  H  e  c  k  (2) 
mitgeteilte  Erfahrung  von  Falz -Fein,  daß  auch 
in  Südrußland  die  rasch  zunehmende  Kultivierung 
der  Steppe  das  Vorkommen  des  Tieres  immer 
mehr  beschränkt.  Die  Vergrößerung  des  Ver- 
breitungsgebietes des  Tieres  in  Gebieten,  in  denen 
der  Landbau  noch  eine  ganz  andere  Rolle  spielt 
und  der  Boden  dabei  auch  viel  gründlicher  und 
tiefer  umgearbeitet  wird,  als  etwa  in  der  Dobrudscha 
und  in  Südrußland,  will  daher  auch  wenig  wahr- 
scheinlich erscheinen. 

Nun  scheint  aber  aus  der  seinerzeit  von 
Jacobi  (4)  veranstalteten  Umfrage  eine  Zunahme 
des  Ziesels  und  die  Ausdehnung  seines  Ver- 
breitungsgebietes wenigstens  in  Schlesien  festzu- 
stehen. Ich  will  mich  hier  auch,  da  ich  die 
schlesischen  Verhältnisse  zu  wenig  kenne,  jedes 
Urteils  enthalten,  möchte  aber  betonen,  daß  ich 
heute  im  allgemeinen  allen  derartigen,  auf  Rund- 
fragen sich  stützenden  und  nicht  durch  völlig 
einwandfreie  Beobachter  bekräftigten  Angaben 
sehr  skeptisch  gegenüber  stehe.  Wer  sich  mit 
faunistischen  Arbeiten  beschäftigt  und  sein  Material 
dabei  auch  auf  eigenen  Nachforschungen  im 
Lande  gesammelt  hat,  weiß,  wie  unendlich  schwer 
oft  sichere  Angaben  selbst  von  bekannteren 
Tierarten  zu  erlangen  sind  und  wie  wenig  manches 
Tier  auch  an  den  Orten  häufigeren  Vorkommens 
sogar  solchen  Personen  bekannt  ist,  von  denen 
man  die  Kenntnis  desselben  wohl  erwarten  dürfte. 
Wenn  auf  ein  derartiges  Vorkommen  aber  erst 
einmal  die  Aufmerksamkeit  der  Menge  gelenkt 
worden  ist,  wird  schärfer  auf  dasselbe  geachtet 
und  es   mehren  sich  damit  auch  die  Mitteilungen 


über  dasselbe  und  unter  ihnen  sind  sicherlich  dann 
auch  solche  wenig  geschulter  Beobachter,  die 
infolge  ihrer  erhöhten  Aufmerksamkeit  auf  ein  von 
ihnen  vorher  nicht  gekanntes  und  nicht  beachtetes 
Tier  und  der  dadurch  bewirkten  häufigeren  Be- 
obachtung desselben  ein  von  Jahr  zu  Jahr  zahl- 
reicheres Vorkommen  behaupten,  ohne  sich  bewußt 
zu  sein,  daß  sie  sich  lediglich  einer  Selbsttäuschung 
hingeben.  Meine  Schlafmausforschungen  in  Sachsen 
sind  ein  ganz  besonders  redendes  Beispiel  dafür! 
Wie  manchesmal  ist  mir  nun  nicht  schon  von 
einem  Häufigerwerden  des  Siebenschläfers  an  Orten 
berichtet  worden,  von  denen  ich  das  Vorkommen 
länger  als  meine  Gewährsmänner  kenne  und  an 
denen  sich  eine  solche  Zunahme  durchaus  nicht 
behaupten  läßt,  wie  manchesmal  mir  ein  Fundort 
nicht  als  zweifellos  neu  geschildert  worden,  an 
dem  dann  sorgfältige  persönliche  Nachforschungen 
ergaben,  daß  uralte  Leute  das  Vorkommen  schon 
aus  ihrer  Kindheit  kannten  I  Und  könnte  es  daher 
mit  dem  Ziesel  nicht  ganz  ähnhch  sein  ? 

Literatur. 

1)  Blasius.J.H.,  Naturgeschichte  der  Säugetiere  Deutsch- 
lands und  der  angrenzenden  Länder  von  Mitteleuropa.  Braun- 
schweig  1S57  (S.  276 — 278). 

2)  Breiims  Tierleben.  IV.  Auflage.  Säugetiere ,  2.  Bd. 
Leipzig  1914  (S.  498—503). 

3)  Fechner,  K.  A.,  Versuch  einer  Naturgeschichte  der 
Umgegend  von  Görlitz.  Zweiter,  zoologischer  Teil :  Wirbeltier- 
fauna. 14.  Jahresbericht  über  die  höhere  Bürgerschule  zu 
Görlitz.     Görlitz  1857. 

4)  Jacobi,  Arnold,  Der  Ziesel  in  Deutschland  nach 
Verbreitung  und  Lebensweise.  Arch.  f.  Naturgeschichte,  Jahrg. 
1902,  Bd.    I,  Heft  3,  S.   199 — 238. 

5)  Liebe,  K.  Th.  im  Zoologischen  Garten,  17.  Jahrg. 
1876,  S.   106—108. 

6)  Ludwig,  Chr.  Fried r.,  Initia  Faunae  Saxonicae. 
Fase.   I.     Leipzig   1810. 

7)  Meyer,  A.B.  und  Helm,  F.,  VII.-X.  Jahresbericht 
der  ornithologischen  Beobachtnngsstationen  im  Kgr.  Sachsen. 
Anbang:  Die  sonstige  Landesfauna  betreffende  Beobachtungen. 
Dresden  und  Berlin   1896. 

8)  Reibisch,  Th.,  Verzeichnis  der  Säugetiere  Sachsens. 
Sitzungsber.  d.  naturw.  Ges.  Isis  in  Dresden.  Jahrg.  1869, 
S.  86—89. 

9)  Schumanns  Lexikon  von  Sachsen.  9.  Bd.  Zwickau 
1822  (Säugetiere  S.  714 — 715). 

10)  Thallwitz,  J.,  Ist  das  Ziesel  (Spermophilus  citillus 
L.)  ein  Bewohner  unser  sächsischen  Schweiz?  Über  Berg  und 
Tal,   18,   1S95,  S.  139—140. 

11)  Thaliwitz,  J. ,  Über  das  Vorkommen  des  Ziesels 
in  Sachsen.  Sitzungsber.  d.  naturw.  Ges.  Isis  in  Dresden. 
Jahrg.   1898,  S.  95 — 96. 


Einzelberichte. 


Zinkblende  iiu  Basalt  des  Bühls  bei  Kassel. 

So  häufig  die  Blende  als  Gangmaterial  auftritt, 
so  selten  hat  man  sie  in  Effusivgesteinen  be- 
obachtet, und  deshalb  sind  die  Einschlüsse  einer 
schwarzen  Zinkblende,  die  sich  unter  den  zahl- 
reichen wissenschafthch  wertvollen  Einschlüssen 
in  dem  Basalte  des  Bühls  bei  Weimar  in  der  Nähe 
von   Kassel   finden,    besonders    merkwürdig.     W. 


EiteP)  konnte  an  der  Hand  eines  vorzüglichen 
Materials  aus  der  Sammlung  des  verstorbenen 
Prof.  Hornstein  die  paragenetischen  Verhält- 
nisse der  Blendevorkommnisse  klären  und  daraus 
ihre  Vorgeschichte  ableiten. 

Makroskopisch  erscheinen  die  Blendeeinschlüsse 
in    der  Regel  als    unregelmäßige,  manchmal  auch 


')  Centralbl.  f.  Min.  usw.   1920,    Nr.   17/18,  S.  273—285, 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


105 


fast  platten-  oder  linsenförmige  Einlagerungen  in 
den  normalen  Bühlbasalt.  In  den  meisten  Fällen 
ist  die  Blende  ganz  schwarz  gefärbt,  verrät  also 
sofort  ihren  hohen  Gehalt  an  beigemengtem  Eisen- 
sulfid. In  wenigen  Handstücken  aber  bemerkt 
man  eine  fast  farblose,  nur  schwach  gelbliche  oder 
honiggelbe  Zinkblende,  die  nach  dem  umgeben- 
den Basalte  zu  in  eine  Zone  von  gelblichroter 
Farbe  übergeht,  um  schließlich  am  Kontakt  in 
der  gewöhnlichen  tiefschwarzen  F'arbe  zu  er- 
scheinen. „Es  machen  derartige  Einschlüsse  ganz 
den  Eindruck,  als  hätte  eine  ursprünglich  sehr 
schwach  eisenhaltige  Zinkblende  aus  dem  Basalt 
oder  aus  anderen  Substanzen  der  unmittelbaren 
Umgebung  randlich  Eisensulfid  aufgenommen,  als 
sei  aber  die  isomorphe  Mischung  nur  an  den 
Randpartien  der  Blende  zustandegekommen, 
während  die  Zeit  nicht  ausreichte,  um  in  den 
anisotropen  Medium  durch  Diffusion  den  ungleich- 
mäßigen Sulfidgehalt  überall  auszugleichen." 

Häufig  findet  sich  eine  oft  innige  durch- 
wachsung mit  wasserklarem  Quarz  und  braunem 
Gesteinsglas.  Sehr  bemerkenswert  ist  das  Auf- 
treten von  Magnetkies,  der  sich  zuweilen  mit  der 
Blende  und  dem  Quarz  zusammen,  teils  in  den 
Basalt  direkt  eingelagert  findet,  dann  jedoch  im- 
mer in  der  nächsten  Umgebung  der  anderen 
Mineralien.  Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  daß  auch 
der  Magnetkies  mit  der  Zinkblende  und  dem  Quarz 
paragenetisch  verknüpft  ist  und  nicht  etwa  in 
Basalt  eine  primäre  Ausscheidung  darstellt.  Ein 
Dünnschliff,  der  Zinkblende,  Magnetkies  und  Quarz 
nebeneinander  zeigt,  läßt  darauf  schließen,  daß 
die  drei  Mineralien  gleichaltrig  sind.  Es  fragt 
sich  nur,  ob  der  Magnetkies  eine  primäre  Bildung 
oder  etwa  aus  Pyrit  durch  thermische  Dissoziation 
entstanden  ist.  Bemerkenswert  ist,  daß  man  keine 
Magnetkiesreste  in  der  Nachbarschaft  der  oben 
erwähnten  zonaren  Zinkblendeeinschlüsse  mehr 
findet.  An  sonstigen  Akzessorien  treten  noch  auf 
Cordierit  und  in  einem  Einschluß  auch  Zirkon, 
den  der  Verf.  für  ein  zufällig  in  die  Nähe  des 
Einschlusses  geratenes  Begleitmineral  des  Basaltes 
selbst  hält. 

Untersuchungen  im  auffallenden  Licht  zeigten, 
daß  von  einer  Abschmelzung  der  Blende  im  Ba- 
salt nicht  die  Rede  sein  kann,  sie  hat  stets  zackige, 
scharfe  Ränder.  Beim  gelinden  Anätzen  mit 
kaltem  Bromdampf  treten  mitunter  die  charakte- 
ristischen Zwillingslamellen  nach  (in)  auf.  Die 
erwähnte  Glasmasse  muß  ziemlich  leichtflüssig  ge- 
wesen sein,  denn  sie  dringt  in  äußerst  feinen 
Äderchen  in  die  aufgeblätterte  Blende  ein.  Im 
innigen  Zusammenhang  mit  dem  Glas  stehen  die 
zahlreichen  gerundeten  Quarzkörner,  die  von  un- 
regelmäßigen Sprüngen  durchsetzt  sind  und  zahl- 
reiche Interpositionen  von  Glas  enthalten.  Sehr 
wichtig  ist  das  in  einem  Schliff  festgestellte  Vor- 
kommen von  Pyrit  in  Paragenesis  mit  Quarz  und 
Zinkblende.  Dies  Mineral  war  völlig  in  die  Blende, 
einige  kleinere  Körner  z.  T.  auch  in  Quarz  ein- 
gewachsen.    Der  Verf.  kommt    zu    der  Annahme, 


daß  es  sich  in  dem  vorliegenden  Falle  nur  um 
ein  zufällig  erhalten  gebliebenes  Relikt  der  pri- 
mären Blende— Pyrit— Quarz — Paragenesis  handeln 
könne.  Nach  dem  Gesamtbild  zu  urteilen,  liegt 
in  den  Blendeeinschlüssen  jedenfalls  ein  primäres 
Gangvorkommnis  vor,  das  von  dem  Basall  aus 
der  Tiefe  nach  oben  befördert  wurde.  Irgendein 
Anhaltspunkt  für  das  geologische  Alter  dieser  Gang- 
bildungen sind  jedoch  nicht  vorhanden.  Es  ist 
immerhin  nicht  ausgeschlossen,  daß  die  primären 
Quarzgänge  mit  Blende  und  Pyrit  ähnlich  wie  in 
dem  Vorkommen  des  Finkenberges  in  paläozoischen 
Horizonten,  also  in  beträchtlicher  Tiefe  gesucht 
werden  müssen. 

„Wo  ist  nun  aber  der  Pyrit,  der  zweifellos  doch 
einmal  in  größerer  Menge  in  dem  Gange  vor- 
handen war,  neben  der  Blende  verblieben?"  Bei 
Atmosphärendruck  ist  das  Eisendisulfid  von  575  " 
ab  nicht  mehr  beständig,  sondern  geht,  besonders 
rasch  bei  höheren  Temperaturen,  im  Sinne  des 
Dissoziationsgleichgewichts 

FeS.,  :<=>:  FeS  +  S 
in  Magnetkies  über.  Dieser  thermischen  Um- 
wandlung wurde  der  ursprünglich  vorhandene  Pyrit 
unterworfen.  Infolgedessen  findet  man  jetzt  reine 
Magnetkieskonkretionen  als  unmittelbare  sulfidische 
Einschlüsse  des  Bühlbasaltes  sehr  häufig,  höchst 
selten  jedoch  (erst  neuerdings  vom  Verf.  festge- 
stellt) reliktische  Pyritaggregate. 

Die  Vorgeschichte  der  Blendeeinschlüsse  ist 
nach  dem  Verf.  also  kurz  folgende:  Ein  in  unbe- 
kannter Tiefe  das  Gebirge  durchsetzender  Gang 
von  Blende  mit  wenig  Pyrit  und  viel  Quarz  wurde 
von  dem  Basalt  durchbrochen.  Mitgerissene  Bruch- 
stücke des  Ganges  erlitten  dabei  eine  weitgehende 
thermische  Umbildung,  indem  der  Pyrit  in  Magnet- 
kies und  Schwefeldampf  dissoziierte.  Bei  der 
hohen  Temperatur  konnte  der  Magnetkies  mit  der 
Blende  jedenfalls  in  isomorphe  Mischung  eingehen. 
Es  stimmt  damit  aufs  beste  überein,  daß  man 
höchstens  reliktischen  Magnetkies  in  der  nächsten 
Umgebung  eines  völlig  schwarzen,  offenbar  an 
Schwefeleisen  gesättigten  Blendekristalls  trifft, 
ferner  auch  der  Umstand,  daß  die  oben  erwähnte 
honiggelbe  Blende  randlich  dunkelbraun  bis  tief- 
schwarz gefärbt  erscheint.  Dabei  braucht  der 
Schmelzpunkt  des  Schwefeleisens  (1183"  in  H.,S- 
Atmosphäre  gemessen)  nicht  erreicht  worden  zu 
sein,  so  daß  dieses  in  flüssigem  Zustand  die  Blende 
umspült  hätte.  Es  genügt  völlig  die  Annahme, 
daß  die  festen  Phasen  P'eS  und  ZnS  bei  den  Zu- 
standsbedingungen  lebhafter  atomistischer  Beweg- 
lichkeit im  Mischkristall  koexistierten  und  demzu- 
folge ineinander  diffundierten.  Während  dieses 
Diffusionsprozesses  unterbrach  die  Erstarrung  des 
Basaltes  und  die  fortschreitende  relativ  rasche 
Abkühlung  des  Gesteinskörpers  bald  den  Aus- 
gleich der  Konzentrationsunterschiede,  und  im  ge- 
wissermaßen halbfertigen  Zustande  sind  die  Ein- 
schlüsse auf  uns  überkommen. 

Die  chemische  Untersuchung  ergab  außer  Zink, 
Eisen    und    Schwefel    Spuren    von    Mangan    und 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Kadmium.  In  einer  von  M.  D  i  1 1  r  i  c  h  analysierten 
Probe  ist  das  Verhältnis  von  FeS :  ZnS  ca.  =  i :  4, 
also  beinahe  dem  Marmatit  (1:3)  entsprechend. 
In  einem  vom  Verf.  analysierten  Stück  vom  spez. 
Gew.  4,033  +  0,005  ist  das  Verhältnis  FeS: ZnS 
etwa  wie  1:3,  also  einem  normalen  Marmatit 
ungefähr  entsprechend.  F.  H. 


Limulus,  ein  zum  Wasserleben  übergegangener 
Arachnide  ? 

Sollen,  wie  die  Lankest ersehe  Limulus- 
theorie  1881  es  will,  die  Spinnen  von  Limulus 
oder,  allgemeiner  gesagt,  die  Land  -  Arachniden 
von  den  Limuliden  abstammen,  so  müßten  die 
Tracheenlungen  der  ersteren  aus  den  Kiemen  der 
Merostomen  hervorgegangen  sein.  Der  Unter- 
schied in  der  Lage  der  Organe  —  bei  Limulus 
frei  an  der  Hinterseite  der  Blattfüße,  bei  Spinnen 
eingesenkt  und  nur  durch  ein  enges  Stigma  Luft- 
zutritt gewährend  —  läßt  sich  aus  der  verschie- 
denen Lebensweise  —  dort  Wasser-,'  hier  Land- 
leben —  erklären.  Nach  Metschnikoff  1871 
und  anderen  Untersuchern  entstehen  bei  Arachni- 
den und  zwar  bei  Skorpioniden  sowie  Araneen 
die  Tracheenlungen  als  Einstülpungen  dicht  an 
der  Hinterseite  der  Gliedmaßenanlagen  des  Ab- 
domens, die  zur  Embryonalzeit  vorhanden  sind, 
was  allgemein  mitKingsley  1885  im  Sinne  der 
Lankest  ersehen  Hypothese  aufgefaßt  wird. 
Ähnlich  Mac  Leod   1884. 

Im  Sinne  einer  entgegengesetzten  Auffassung, 
nämlich  der,  daß  die  Limuliden  —  mit  Sim- 
roth,  Jarowski,  Bütschli,  Montgomery, 
B.  Hall  er  —  von  landbewohnenden  Tieren  ab- 
stammen und  ihre  Kiemen  aus  den  Tracheen- 
lungen der  Arachniden  hervorgegangen  sind,  führt 
Versluys  etwa  folgendes  aus.  ^)  i.  Die  Ablei- 
tung der  Tracheenlungen  aus  Kiemen  bei  Deutung 
der  Limulusblattfüße  als  echte  Gliedmaßen  würde 
uns  mit  Fu  reell  1909  zur  Annahme  eines  diphy- 
letischen  Ursprungs  der  Skorpioniden  und  der 
übrigen  Arachniden  zwingen,  denn  bei  den  Skor- 
pionen erscheint  das  2.  Paar  jener  Gliedmaßen 
als  die  sog.  „Kämme"  der  Skorpione,  ohne 
Atmungsfunktion,  und  man  könnte  sich  nicht 
denken,  daß  Kämme  sich  später,  im  Araneen- 
stadium,  wieder  hätten  zu  Tracheenlungen 
umbilden  können.  Zu  einer  diphyletischen 
Ableitung  der  Arachniden  aber  kann  sich  Vers- 
luys offenbar  nicht  verstehen.  2.  Sehr  schwie- 
rig würde  auch  eine  Ableitung  der  Spinnwarzen 
der  Araneae  sein.  Die  Spinnwarzen  sollen  ja 
nach  Montgomery  1909  und  Kautsch  1910 
aus  rudimentären  Gliedmaßen  des  3.  und  4.  Ab- 
dominalsegments hervorgegangen  sein.  Dies  im 
Verein  mit  der  Limulustheorie  würde  heißen,  daß 
kiementragende  Blattfüße  zunächst,    im    Skorpio- 

')  J.  Versluys,  Die  Kiemen  von  Limulus  und  die 
Lungen  der  Arachniden.  In:  Bijdragen  tot  de  Dierkunde. 
XXI.  Feestnummer.     Leiden   1919.      15  Seiten. 


nidenstadium  der  Phylogenese,  zu  Tracheenlungen 
und  schließlich,  bei  Arachniden,  zu  Spinnwarzen 
wurden!  3.  Ferner  haben  bekanntlich  viele 
Spinnen  und  Milben,  die  Pseudoskorpione  und 
die  Phalangiden  statt  der  Tracheenlungen,  wie  sie 
den  übrigen  Arachniden  eigen  sind,  Röhren- 
tracheen. Es  würden  demnach  vielmals  Röhren- 
tracheen aus  Tracheenlungen  entstanden  sein 
müssen,  und  „dieser  Vorgang  wird  um  so  un- 
wahrscheinlicher, je  öfter  er  angenommen  werden 
muß".  4.  Ferner  treten  bei  Solifugen  und  Aka- 
riden  auch  Tracheen  auf,  deren  Stigmata  am 
Zephalothorax  liegen,  und  die  sich  somit  nicht 
von  den  abdominalen  Blattfußkiemen  des  Limulus 
ableiten  lassen.  —  Heymons  1905  war  schon 
geneigt,  Limulus  und  die  Arachniden  auf  gemein- 
same, an  feuchten  Orten  als  Ufertiere  lebende 
Vorfahren  zurückzuführen.  Es  liegen  aber,  meint 
nun  Versluys,  die  Kiemen  der  Gigantostraken 
un^i  des  Limulus  überhaupt  nicht  an  dem  Hinter- 
leib von  Gliedmaßen,  sondern  von  Sterniten, 
denn,  wie  besonders  der  Vergleich  eines  Giganto- 
straken mit  einem  Skorpion  auf  den  ersten  Blick 
lehre,  die  abdominalen  Blattfüße  von  jenen  seien 
—  mit  Sarle  1903,  Clarke  und  Ruedemann 
191 2  —  keine  echten  Gliedmaßen,  sondern  eben 
Sternite,  wie  solche  auch  die  Bauchseite  des  Prä- 
abdomens der  Skorpioniden  und  anderer  Arach- 
niden bedecken.  „Zugunsten  dieses  Vergleiches 
fällt  schwer  ins  Gewicht,  daß  neben  den  Blatt- 
füßen an  den  entsprechenden  Segmenten  keine 
Sternite  vorhanden  sind,  wohl  aber  ein  typischer 
Sternit  am  ersten  darauffolgenden  Segmente,  wo 
kein  Blattfuß  auftritt."  Die  Ähnlichkeit  der  Ab- 
dominalfüße von  Limulus  mit  den  Spaltfüßen  der 
Crustaceen  sei  eine  sehr  oberflächliche.  Höch- 
stens: „in  diesen  modifizierten  Sterniten  sind  die 
Reste  abdominaler  Gliedmaßen  mit  enthalten  und 
mögen  vielleicht  etwas  zur  Kompliziertheit  des 
Baues  der  Blattfüße  beitragen".  Die  Blattfüße  der 
Merostomen  als  bewegliche  Sternite  müssen  nun 
den  abgeleiteten  Zustand  darstellen  gegenüber  den 
unbeweglichen  Sterniten  der  Skorpione;  mithin 
seien  auch  die  Kiemen  von  Limulus  von  den 
Tracheenlungen  abzuleiten  als  Anpassungen  an 
das  Wasserleben.  V.  Franz  (Jena). 

Beobachtungen    der    „Vogelwarte   Noordwijk 

aan  Zee".') 

Die  bisher  nur  primitive  holländische  „Trek- 
station",  „eigentlich  das  Studierzimmer  der  Villa 
nova",  also  bisher  ein  privates,  aber  von  Freunden 
der  Sache  unterstütztes  wissenschaftliches  Unter- 
nehmen, fand  in  der  angesehenen  holländischen  orni- 
thologischen  Zeitschrift  „Ardea"  Aufnahme  für  ihren 
ersten  umfangreichen  Bericht  über  Beobachtungen 
von  Juni  1 9 1 8  bis  Februar  1 9 1 9,  angestellt  von  den  Ver- 

')  G.  A.  Brower  en  Jan  Verwey;  Waarnemingen 
van  het  ,,Trekstalion  Noordwijk  aan  Zee".  In;  Ardea,  Tijd- 
schrift  der  Nederlandsche  Ornithologische  Vereeniging.  Jahr- 
gang VlII,  Afl.  1,  Wageningen   1919,  S.   1 — 96. 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


107 


fassern  und  einigen  Helfern  auf  zwei  hochgelegenen 
Punkten    —    Wasserturm    und    Hoteldach    —  am 
Innen-  und  Außenrand  des  Dünengürtels  bei  Tag 
und  Nacht.    Die  tagebuchmäßige  Wiedergabe  der 
Einzelbeobachtungen   nimmt,    wie    nicht   selten  in 
ornithologischen    Arbeiten,    ziemlich    bedeutenden 
Raum  ein.     Von  allgemeineren  Feststellungen    sei 
folgendes  erwähnt:    Die  kleinen  Singvögel,  Stein- 
schmätzer, Braunkehlchen,   Fliegenfänger,  Würger 
usw.  halten  sich    auf  dem  Zuge  tags  über  an  ge- 
eigneten Funkten  längs  dem  Binnenrand  des  Dünen- 
gürtels  auf,    ziehen   dagegen   abends   und   nachts 
längs  der  Küste.      Die  Beobachter   kamen  zu  der 
Überzeugung,  daß  an  den  geeigneten  Rastplätzen 
die  Vögel   meist  3  bis  6  Tage   verweilen.  —  Als 
Zugstraßen    an    der  holländischen  Küste    sind    für 
den  Herbstzug   drei   verschiedene  zu  verzeichnen: 
I.   ONO»«WZW,    längs  der  Küste,    2.   O^-'W, 
also  vom  Land    seewärts,    3.    umgekehrt:  W«->0 
(ZO).    Die  unter  i  genannte  Straße  ist  die  haupt- 
sächlichste, die  weitaus  meisten  Vögel  folgen  dem 
Küsten-  oder  Dünenstreifen,  obschon  bei  geeignetem 
Wetter  mehr  oder  minder  zahlreiche  auch  über  das 
ganze  holländische  Land  fliegen.  Die  zweite  Straße 
schlagen  Vögel  aus  Zentral-  und  Westeuropa  nach 
England  ein,    sei    es    um    dort    oder   in  Irland  zu 
überwintern,  sei  es  um   über  Großbritannien  süd- 
wärts zu  ziehen :  Saatkrähen,  Kiebitze,  wohl  auch 
Dohlen   schlagen  diesen  Weg  ein  und  ziehen  da- 
bei sehr  hoch.     Die    dritte  Zugrichtung   ist    eine 
neu  festgestellte  (während  über  die  zweite  bereits 
Eagle  Clarke   berichtet  hat):   Drosseln,   Klein- 
vögel   und  Krähen   verschiedenster  Art   sah    man 
in  der  Abenddämmerung  oder  des  Morgens  vom 
Meere  her  landwärts  fliegen,  und  gelegentlich  an- 
gespülte Vogelleichen  zeigen,  daß  der  Flug  übers 
Meer     nicht    gefahrlos    ist.    —    Hinsichtlich    der 
Schnelligkeit    des  Vogelzugs   treten    die  Verfasser 
besonders  den  übertriebenen  Vermutungen  Gät- 
kes  entgegen    und    stellen    ausführliche  Tabellen 
auf,    beruhend    auf    Beobachtung    des    Vogelzugs 
durch  zwei  um  i  km  voneinander  entfernte  Posten 
und     genaue      nachträgliche    Vergleichung     aller 
sicher  vergleichbaren  Beobachtungen.     So  fand 
sich,    daß  für  Stare  eine  Geschwindigkeit  von  30 
bis  68  km  in  der  Stunde  anzunehmen  ist,  ähnlich 
kleinere    Vögel,    unter    denen    die  Sperlinge    die 
schnellsten  sind,    worauf  Finken,    Bachstelzen  und 
Wiesenpieper    folgen.      Nebelkrähen    ziehen    ver- 
hältnismäßig am  langsamsten. 

Den  Schluß  des  Berichts  bildet  eine  Aufzählung 
sämtlicher  beobachteter  Vogelarten  mit  kurzer 
Charakterisierung  einer  jeden  hinsichtlich  ihrer 
Zugverhältnisse  im  Beobachlungsgebiet.  Besonders 
erwähnenswerte  Arten  darunter  sind  der  Kolkrabe 
und  dieGabelschwanzmöve.Xemasabinii;  vielleicht 
ist  nicht  minder  erwähnenswert,  daß  von  Meisen 
nur  zwei  Arten,  Kohl-  und  Blaumeise,  zur  Be- 
obachtung gelangten. 

Man  wird  sich  dem  Wunsche  der  Redaktion 
der    „Ardea"    anschließen,    daß    die    holländische 


„Trekstation"   fortbestehen    und    weitere   Berichte 
liefern  möge.  V.  Franz  (Jena). 

Das  Eude  des  Wiseuts. 

Von  den  beiden  europäischen  Wildrindern  hat 
sich  nur  der  Wisent  bis  in  unsere  Tage  zu  halten 
vermocht.      Neben    einem    kleinen    Bestand,    den 
der  Fürst   von   Pleß   auf  seinen   schlesischen   Be- 
sitzungen   unterhielt    und   der  aus  vier,   1865   von 
Bialowies  bezogenen  Tieren  hervorgegangen  war, 
kam    die  Art    in    freier    Wildbahn    nur    noch    an 
zwei  Stellen  vor :  einmal  in  dem  russischen  Kron- 
forst Bialowies,  wo  sich  das  Tier  des  weitgehend- 
sten Schutzes  und  einer,  im  einzelnen  freilich  stark 
übertriebenen   Pflege    erfreute,   und   zum  anderen 
an  einer  räumlich  kleinen  Stelle  im  Kaukasus.    An 
dem  einen   dieser  beiden  Vorkommen,  im  Wald- 
gebiet  von   Bialowies,   das  ja  bereits  im  August 
191 5  in  deutsche  Hände  fiel  und  bis  zum  Kriegs- 
ende   auch    unter    deutscher   Verwaltung    stand, 
lernten   wir   während   des  Krieges  das  Tier  auch 
selbst    noch    kennen.      Allerdings    hatte    es,    als 
deutsche    Truppen    in    das  Waldgebiet    einzogen, 
bereits  stark  unter  den  Kriegshandlungen  gelitten; 
der  Bestand,  der  bei  Ausbruch  des  Krieges   noch 
fast  750  Stück  betragen  hatte,  umfaßte  nur  noch 
150- 160  Stück.      Infolge    der    unmittelbar    nach 
der  Besetzung    des    Gebietes    von    der    deutschen 
Verwaltung    ergriffenen    Schutzmaßnahmen    aber 
erholte  er  sich  in   einer   recht  erfreulichen  Weise, 
und    konnte,    nachdem    das  Frühjahr  191 8    emen 
Zuwachs    von    nicht   weniger   als  23  Kälbern  ge- 
bracht hatte,  bei  einer  im  Herbst  desselben  Jahres 
vorgenommenen   Zählung  auf  wieder   gegen  200 
beziffert   werden.      Was    wir   aber   dann    bei   der 
Räumung  des  Gebietes  als    unabwendbar  hinneh- 
men mußten,   hat  sich  inzwischen  leider  auch  er- 
füllt:   der   Bialowieser   Wisent   gehört    heute  nur 
noch  der  Geschichte  an ;  er,  der  sich  ja  so  leidlich 
noch  durch  die  Kriegswirren  selbst  hindurch  ge- 
rettet hatte,  wurde  ein  Opfer  dieser  elenden  nach- 
kriegszeitlichen   Verhältnisse.      Russische    Bauern 
haben  ihm,  so  schreibt  mir  Konrad  Löns,  der 
gleichfalls  den  Bialowieser  Besatzungstruppen  an- 
gehört hatte  und  der  dann,  als  nach  jenen  trüben 
Novembertagen   1918  Offiziere    und  Mannschaften 
nur  noch  daran  dachten,  auf  raschestem  Wege  die 
Heimat  zu  erreichen,    freiwillig    mit    nur  noch  25 
Mann  in  dem  Gebiet  ausharrte,  um  den  Rückzugs- 
weg unserer  Ukrainetruppen  zu  sichern,  ein  Ende 
bereitet    und  ein  paar    der    letzten    mußte    dann 
schließlich  auch  das  kleine,  pflichttreu  ausharrende 
Häuflein    dieser    letzten    Besatzungsmannschaften 
unter  dem  eisernen  Zwange  der  Verhältnisse    für 
die    eigene  Verpflegung    abschießen.      „So   ist  er 
dahingegangen",    schließt    Löns    seinen    Bericht, 
„unrühmlich,  wie  es  das  Ende  dieses  entsetzlichen 
Völkermordens  ja  auch  war!"  — 

Zur  Geschichte  auch  des  Bialowieser  Wisents 
gibt  Szalay,  der  dabei  das  gesamte  ältere 
Schrifttum    benutzt    und   kritisch  verarbeUet   hat. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


in  seiner  fleißigen  Arbeit  „Wisente  im  Zwinger" 
im  Zoologischen  Beobachter,  57. — 59.  Jahrgang, 
1916— 1918,  interessante  und  wertvolle  Daten; 
neueres  Material  enthält  das  von  der  Militärforst 
Verwaltung  Bialowies  herausgegebene  Lieferungs- 
werk „Bialowies  in  deutscher  Verwaltung",  aus 
dem  hier  besonders 

Gent  he,    F.,   Die  Geschichte   des  Wisents  in 

Europa;  3.  Heft,  Berlin  1918,  S.  119— 140, 
Rörig,  G.,   Die  Säugetiere    [des   Waldgebiets 
von  BialowiesJ,    ebenda,    S.   141  — 171     (Der 
Wisent,  S.  142 — 150)  sowie 
E  s  c  h  e  r  i  c  h ,  G.,  In  den  Jagdgründen  des  Zaren, 
ebenda,  S.  192 — 204 
hervorgehoben  seien.     Einige    eigene  Beobachtun- 
gen und   die  Mitteilung  über  des  Tieres  Ausrottung 
habe  auch  ich  selbst  in 

Europas  letzte  Wisente,  Zeitschrift  für  Vogel- 
schutz und  andere  Gebiete  des  Naturschutzes, 
2.  Jahrg.,  Berlin  1921  (im  Druck), 
niedergelegt.  Photographische  und  kinematogra- 
phische  Aufnahmen  des  Tieres,  die  im  Januar 
19  iS  erfolgten  und  mit  deren  Leitung  ich 
betraut  worden  war,  ließ  der  Bund  für  Vogel- 
schutz in  Stuttgart  vornehmen,  das  dabei  ge- 
wonnene Material  befindet  sich  im  Besitze  des 
Bundes. 

Über  das  Vorkommen  im  Kaukasus  besitzen 
wir  keinerlei  neuere  Nachrichten.  Der  russische 
Zoologe  D.Filatow,  der  in  den  Jahren  1908 — 191 1 
drei  Reisen  in  den  Kaukasus  zur  Erforschung  des 
Tieres,  das  K.  A.  Satunin  übrigens  als  eine 
eigene  Spezies  Bos  (Bison)  bonasus  caucasicus  Sat. 
beschrieben  hat,  unternommen  und  über  die  Er- 
gebnisse seiner  Forschungen  in  einer  längeren 
Arbeit  in  den  „Memoires  de  l'Academie  Imperiale 
des  Sciences  de  St.  Petersbourg,  VIII.  Serie,  Classe 
PhysicoMathematique,  Vol.  XXX,  Nr.  8,  St.  Peters- 
burg 191 2"  berichtet  hat,  gibt  die  Ausdehnung 
des  im  Kaukasus  vom  Wisent  bewohnten  Gebietes 
mit  50  Werst  in  West-Ost-  und  20  Werst  in  Nord- 
Süd-Richtung  an  (und  das  an  Größe  damit  noch 
um  ein  Merkliches  hinter  dem  Waldgebiet  von 
Bialowies  zurückbleibt).  Über  die  Größe  des 
Bestandes  sagt  er,  daß  die  Zahl  der  Tiere  „schwer- 
lich weniger  als  100  betragen,  andererseits  aber 
wohl  kaum  an  1000  heranreichen"  wird.  Es  soll 
hier  nicht  weiter  auf  die  Filatowschen  Mit- 
teilungen, die  Hermann  Grote  in  deutscher 
Übersetzung  im  Zoologischen  Beobachter  (55,  1914, 
S.  TJ — 85)  auszugsweise  mitgeteilt  hat,  eingegangen 
werden.  Nur  das  eine  sei  noch  hervorgehoben, 
daß  schon  damals  F  i  1  a  t  o  w  den  Bestand  als  stark 
gefährdet  bezeichnete  und  vorschlug,  die  Reste 
desselben  durch  die  ungesäumte  Schaffung  günsti- 
gerer Lebensbedingungen  für  die  bedrohten  Tiere 
zu  erhalten  zu  versuchen,  vor  allem  den  Wald- 
abtrieb in  den  vom  Wisent  bewohnten  Tälern 
einzustellen  und  den  Weidebetrieb,  in  dem  Filatow 
infolge  der  damit  verknüpften  Beunruhigung  der 
Tiere  und  ihrer  Verdrängung  von  den  freien 
Weideflächen  in.  den  dumpfen  Urwald  des  Gebirges 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


eine  besonders  ernste  Gefahr  für  den  Wisent  er- 
blickte, wesentlich  einzuschränken.  Da  die  von 
ihm  vorgeschlagenen  Schutzmaßnahmen  während 
des  Krieges  aber  wohl  kaum  haben  ergriffen 
werden  können  und  zu  ihrer  Unterlassung  dann 
vor  allem  auch  noch  die  Wirkungen  dieses  letzleren 
selbst  besonders  mit  dem  Überhandnehmen  des 
Wilddiebstahls  gekommen  sind,  dürfte  nach 
menschlichem  Ermessen  auch  dem  Kaukasus- 
Bestand  das  gleiche  Schicksal  geworden  sein,  das 
den  Bialowieser  Bestand  betroften  hat.  Meine 
noch  während  des  Krieges  entstandenen  Be- 
fürchtungen teilte  auch  der  inzwischen  verstorbene 
Herr  von  Falz- Fein,  der  die  Vernichtung  auch 
des  Kaukasus- Wisentes  während  bzw.  nach  dem 
Kriege  für  eine  kaum  noch  anzuzweifelnde  Tat- 
sache hielt. 

Um  die  Tragik  des  Wisents  zu  einer  er- 
schöpfenden zu  gestalten,  machte  Prof.  P  a x  -Breslau 
auf  der  neunten  Jahreskonferenz  für  Naturdenkmal- 
pflege in  Berlin  (5.  und  6.  Dezember  1919)  die 
Mitteilung,  daß  auch  der  Pleßsche  Wisentbestand, 
der  m.  W.  zuletzt  gegen  30  Stück  umfaßte,  durch 
den  schlesischen  Grenzschutz  völlig  zusammen- 
gewildert und  (wenn  sich  nicht  inzwischen  schon 
sein  Schicksal  erfüllt  haben  sollte)  an  den  Rand 
des  Abgrundes  gebracht  worden  ist.  —  Wir  werden 
daher  den  Wisent,  wenn  nicht  schon  heute,  so 
doch  zum  mindesten  in  allernächster  Zeit,  in  die 
Annalen  der  Geschichte  einreihen  müssen. 

Rud.  Zimmermann,  Dresden. 

Das  Problem  der  Zyauophjzeenzelle. 

Seit  Ferdinand  Cohn,  1875,  ist  es  Brauch 
geworden,  die  Zyanophyzeen  und  Bakterien  mit- 
einander zu  den  Schizophyten  zu  vereinigen. 
Wesentliche  Unterschiede  zwischen  beiden  in  der 
äußeren  Morphologie  wohl  einander  ähnlichen  Grup- 
pen, den  Zyanophyzeen  und  den  eigentlichen  oder 
Eubakterien,  hat  neuerdings  namentlich  Arthur 
Meyer  hervorgehoben,  der  den  Bakterien,  wie 
191 8  auch  Paravazini,  Zellkerne  und  wegen 
der  Endosporen  —  während  die  Zyanophyzeen 
Chlamydosporen  bilden  —  Askomyzetenverwandt- 
schaft  nachsagt.  Demnach  bleiben  die  Zyano- 
phyzeen als  ganz  isoliert  stehende  Gruppe  übrig, 
zumal  sie,  sei  es  infolge  primitiver  oder  regres- 
siver Organisation,  keinen  unzweifelhaften  Zellkern 
besitzen.  Diese  Sachlage  und  der  Wunsch,  eine 
definitive  Neuorientierung  der  Blaualgen ,  Rot- 
algen und  Spaltpilze  in  der  botanischen  Stammes- 
geschichte vorzubereiten,  veranlaßte  O.  Baum- 
gärt eis  Studie  (Das  Problem  der  Zyanophyzeen- 
zelle, Archiv  für  Protistenkunde,  Bd.  41,  1920,  H.  i, 
S.  50 — 148,  I  Tafel).  Der  Arbeit  ist  eine  vor- 
zügliche Zusammenfassung  beigefügt,  deren  gekürzte 
Wiedergabe  am  besten  über  ihren  Inhalt  Auskunft 
geben  wird. 

Der  Protoplast  der  Zyanophyzeen  besteht  aus 
dem  peripheren  Chromatoplasma,  welches 
als  Assimilationspigment  ein  Gemisch  von  Chloro- 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


109 


phyll,  Phykozyan  und  Karotin  in  diffuser  Ver- 
teilung enthält,  wobei  es  zu  winzigen  Ansamm- 
lungen in  Form  Meyerscher  Granula  sich  an- 
sammeln kann,  und  dem  hyalinen  Zentro- 
plasma;  letzteres  hat  lakunösenBau  und  in  seinen 
Alveolen  „Plasten";  zunächst  die  Endop lasten, 
flüssige  bis  steifgelige  Gebilde,  die  wohl  aus 
Glyko-  und  P-Proteiden  bestehen,  und  deren  Sub- 
stanz die  Matrix  für  die  beiden  anderen  Plasten- 
arten ist :  an  der  Peripherie  der  Endoplasten  ent- 
stehen bei  optimaler  Assimilation  die  Epiplasten; 
sie  bestehen  aus  einer  sehr  resistenten  Hülle  von 
hochkondensiertenNukleoglykoproteiden  und  einem 
weniger  resistenten  Kern,  der  mehr  Proteincharakter 
zeigt.  Ektoplasten,  vorwiegend  aus  Protein- 
substanzen, entstehen  an  der  Peripherie  des  Zen- 
troplasmas,  wenn,  bei  minimalem  Lichtgenuß  und 
überwiegend  saprobiontischer  Ernährung,  die  Ei- 
weißproduktion über  die  Kohlehydralassimilation 
überwiegt. 

f  Zentroplasma  und  Plasten  stellen 
einen  offenen  Zellkern  dar,  der  außerdem 
noch  die  Rolle  von  Kohlehydratplasten  hat,  einen 
„Karyoplasten",  der  „phylogenetisch  jene  Stufe  be- 
deutet, wo  die  Arbeitsteilung  zwischen  Karyo- 
plasma  und  den  Kohlehydratplasten  noch  nicht 
durchgeführt  erscheint".  Der  Kernsaft  höherer 
Pflanzenkerne  entspricht  den  Endoplasten,  die 
Chromiolen  den  Epiplasten  und  die  proteinhaltigen 
Xukleolen  den  Ektoplasten. 

Dem  Karyoplasten  fehlt  eine  typische  mito- 
tische Verlagerung  von  chromatischen  Individuali- 
täten mittels  eines  komplizierten  Spindelfaser- 
apparates; die  vorhandenen  Plasten  werden  bei 
der  Zerschneidung  des  Zentroplasmas  ohne  be- 
sondere Gruppierungsvorgänge  auf  die  Tochter- 
zellen verteilt,  wobei  steifgelige  Plastenaggregate 
chromosomähnliche  Gebilde    vortäuschen  können. 

V.  Franz,  Jena. 

Die  Nahrung  der  am  Wasser  lebenden  Yögel. 

Folgende  drei  graphischen  Tabellen  gibt  der 
Ornithologe  Wilhelm  Schuster  in  der  Allge- 
meinen Fischereizeitung  1920: 


Tabelle! 
Fischnahrung 


1 
2 
3 
4 
5 
6 
7 
8 
9 
10 
It 

Die  Länge  der  Rechtecke    bezeichnet    die    Meoge    der  von  je 
einem  Vogel  erbeuteten  und  verzehrten  Nahrung. 

Diese  Tabellen  erscheinen  recht  anschaulich  und 
einleuchtend  und  wohl  nicht  zu  gewagt,  obwohl 
sie    der  Verf.    selbst    als    „gewagt"    hinstellt.     In 


anderen  Punkten  ist  der  Verkünder  der  „Wieder- 
kehrenden Tertiärzeit"  auch  hier  recht  hypothe- 
tisch, so  in  der  durch  Beobachtung  nicht  erhärte- 
ten Vermutung,  die  herabfallenden  flüssigen  Ex- 
kremente des  Graureihers  möchten  Plsche  anlocken, 


Tabelle2. 

Sonstige  Nahrung 


Weiß: 
Wertlose  Fische  (kleine,  kranke) 

Schwarz: 
Nutzfische  mit  Küchenwert. 

1  Grauer  oder  Fischreiher,  Ardea  cinerea. 

2  Fischadler,  Pandion  haliai-tos. 

3  Großer  und  Mittlerer  Säger. 

4  Große  Rohrdommel,  Botaurus  stellaris. 

5  Taucher  und  Möwen,   Podiceps  und   Larus. 

6  Kleiner  Säger,  Zvv-ergrohrdommel. 

7  Seeschwalben,   Sterna. 

8  Schwarzbrauner  Milan. 

9  Eisvogel  und   Wasseramsel. 

10  Enten,     Kiebitz,     Rotschenkel,     Wasser-, 
Tüpfelhuhn,   Rohrweihe. 

11  Weißer  Storch,   Ciconia  alba. 


Teich-, 


zumal  sie  —  nach  Adolf  Müllers  bisher  nicht 
bestätigter  Angabe  —  bei  Nacht  leuchten  sollen 
wie  Phosphor.  Erwähnt  wird,  daß  der  Graureiher 
auch  Wassersalamander,  Molche  und  Muscheln 
frißt.  1)  V.  Franz  (Jena). 

Die  Bedeutung  einer  anthropologisclien 
üutersucliung  der  Jugend. 

Rudolf  Martin  spricht  sich  in  einem  Vor- 
trag, der  in  einer  Versammlung  des  Münchener 
Lehrerverbandes  gehalten  wurde  (abgedruckt  im 
„Volksschulwart",  8.  Jahrg.  Heft  10)  darüber 
folgendermaßen  aus.  In  der  Vergangenheit  war 
die  Erziehungstendenz  ganz  auf  die  Entfaltung 
der  geistigen  Fähigkeiten  gerichtet.  Man  war  sich 
nicht  bewußt,  daß  alle  geistige  Entwicklung  nur 
dann  von  Dauer  sein  kann,  wenn  sie  von  einer 
adäquaten  körperlichen  begleitet  wird,  und  daß 
der  Körper  um  so  kräftiger  sein  muß,  je  größer 
die  Anforderungen  sind,  die  an  Gehirn  und  Nerven 
gestellt  werden.  Der  Begriff  der  Körperkultur 
mußte  von  unserer  Zeit  erst  neu  geschaffen  werden 
und    es   gilt    nun,    die  Geister   aufzurütteln,  damit 

')  Ich  fand  außer  Mäusen  und  Aalen  einmal  auch  den 
dreistachligen  Stichling  in  Reihermägen. 


HO 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


uns  nicht  der  Vorwurf  gemacht  werden  kann, 
wir  hätten  der  Jugend  gegenüber  unsere  Pflicht 
versäumt  und  unsere  Aufgabe  verkannt. 

Um  die  körperliche  Ertüchtigung  der  Jugend 
zweckmäßig  einleiten  und  durchführen  zu  können, 
ist  vorerst  Klarheit  über  ihre  Leibesbeschaffenheit 
erforderlich.  Wir  brauchen  einen  Gradmesser  für 
die  körperliche  Beschaffenheit  des  Einzelnen,  eine 
Methode,  die  es  uns  ermöglicht,  den  physischen 
Habitus  eines  Menschen  in  meß-  und  wägbaren 
und  damit  in  vergleichbaren  Größen  auszudrücken. 
Diese  weicht  von  Person  zu  Person  stark  ab, 
erstens  wegen  der  Verschiedenheiten  der  elterlichen 
Erbanlagen,  dann  infoige  der  mannigfachen  Ein- 
wirkungen der  Umwelt,  die  schon  vor  der  Geburt 
beginnen,  jedoch  besonders  nachher  die  Entwick- 
lung weitgehend  beeinflussen. 

Bei  der  Frage  der  Berufseignung  spielt  bereits 
die  Kenntnis  der  Körperkonstitution  eine  wichtige 
Rolle,  „hängt  doch  der  Erfolg  in  den  meisten 
Berufen,  weit  mehr  als  offen  zutage  liegt,  nicht 
nur  von  dem  erworbenen  Wissen,  sondern  auch  von 
der  körperlichen  Beschaffenheit  des  Einzelnen  ab". 
Martin  macht  sich  anheischig,  „durch  ein  genaues 
Studium  der  Körperproportionen  eines  Menschen 
ein  sicheres  Urteil  abgeben  zu  können  über  die 
Funktionstüchtigkeit  seiner  einzelnen  Körperteile 
und  damit  über  seine  spezielle  Leistungsfähigkeit 
und  Eignung  zu  gewissen  Berufen". 

Da  aber  der  Körper  ein  äußerst  verwickelter 
Merkmalkomplex  ist,  gilt  es,  die  wesentlichen 
Eigenschaften  auszuwählen  und  festzustellen. 
Martin  empfiehlt  zwölf  meßbare  und  vier  nur 
zu  beschreibende  Merkmale  bei  Schulunter- 
suchungen zu  berücksichtigen.  Die  Beteiligung 
an  der  Erhebung  ist  von  selten  der  Eltern  und 
Kinder  als  eine  freiwillige  gedacht.  Erforderlich 
ist  u.  a.  die  Vornahme  aller  Messungen  nach  einer 
einheitlichen  genau  vorgeschriebenen  Technik.  Es 
handelt  sich  dabei  zwar  um  Handhabung  recht 
einfacher  Instrumente,  aber  eine  Vertrautheit  mit 
ihnen  ist  dennoch  unerläßlich;  jeder  Lehrer  kann 
sie  leicht  erwerben.  Beachtenswert  sind  Martins 
Ausführungen  über  die  Zeit  der  Beobachtung.  Die 
in  dieser  Hinsicht  bestehenden  Schwierigkeiten 
sind  am  besten  zu  beheben,  wenn  in  jeder  Schule 
am  Anfang  des  Jahres  die  Schüler  nach  ihrem 
Geburtsdatum  in  Monatslisten  zusammengestellt 
werden.  Ungefähr  zwischen  dem  lO.  und  20.  eines 
jeden  Monats  werden  dann  die  in  diesem  Monat 
geborenen  Kinder  gemessen.  Unter  Umständen 
könnte  man  sich  auch  damit  begnügen,  die  Kinder 
in  Vierteljahrsgruppen  zusammenzufassen.  Ein 
solches  Verfahren  ist  wegen  der  Wachstums- 
periodizität  der  Kinder  erforderlich.  Das  Längen- 
wachstum des  Körpers  ist  „in  der  Zeit  von  April 
bis  Ende  Juli  am  intensivsten,  in  der  Zeit  vom 
August  bis  Dezember  aber  am  geringsten.  Um- 
gekehrt fällt  die  stärkste  Gewichtszunahme  in  die 
Sommer-  und  Herbstmonate,  während  im  Winter 
und  Frühjahr  das  Körpergewicht  wenig  oder  gar 
nicht  zunimmt.     Gewicht-    und  Längenwachstum 


verhalten  sich  also  alternativ.  Die  Zeit  der  größten 
Längenzunahme  ist  für  das  Kind  in  körperlicher 
und  geistiger  Hinsicht  die  ungünstigste;  hier  besitzt 
es  die  geringste  Widerstandskraft  und  Leistungs- 
fähigkeit, während  in  der  Periode  der  größten 
Gewichtszunahme  seine  gesundheitliche  und  geistige 
Verfassung  am  besten  zu  sein  pflegt." 

Das  bei  anthropologischen  Schuluntersuchungen 
gewonnene  Material  ist  vielseitig  verwendbar.  Es 
läßt  sich  daraus  z.  B.  der  Einfluß  der  sozialen 
Umwelt  auf  das  Wachstum  und  das  Körpergewicht, 
die  Wirkung  der  geographischen  Faktoren  auf  den 
Körperbau,  die  Rassenzusammensetzung  der  Be- 
völkerung usw.  ermitteln. 

Die  geplanten  Untersuchungen  sollen  unsere 
Einsicht  in  die  physiologischen  Prozesse  vertiefen 
und  beitragen,  einer  rationellen  Körperkultur  die 
Wege  zu  ebnen.  Dabei  ist  es  besonders  wichtig, 
auch  die  Zweckmäßigkeit  der  einzelnen  körper- 
lichen Übungen  festzustellen,  denn  jede  derselben, 
das  Turnen,  der  Sport  und  die  rhythmische 
Gymnastik,  hat  ihre  spezielle  Bedeutung,  und  sie 
alle  sollen  zur  Ertüchtigung  der  Jugend  heran- 
gezogen werden. 

Leibesübungen  finden  in  der  körperlichen  Ent- 
wicklung deutlich  Ausdruck.  Es  wurden  junge 
Männer  gemessen,  die  Turnvereinen  angehören, 
wobei  sich  ergab,  daß  „die  Leute  mit  einer 
mittleren  Turnzeit  von  2^/^  Jahren  in  sämtlichen 
Köpermerkmalen  diejenigen  übertrafen,  die  nur 
eine  4^/2 -monatliche  Turnzeit  hinter  sich  hatten. 
Der  Unterschied  zugunsten  der  erstgenannten 
Gruppe  betrug  für  die  Körpergröße  13  mm,  für 
das  Gewicht  4700  g,  für  den  Brustumfang  87  mm, 
den  Oberschenkelumfang  23  mm,  den  Oberarm- 
umfang 15  mm  und  den  Unterschenkelumfang 
17  mm."  Es  zeigte  sich  auch,  daß  das  Turnen 
kein  Auslese faktor  ist,  d.  h.  daß  die  länger 
Turnenden  nicht  schon  von  vornherein  die  besser 
Entwickelten  waren,  denn  die  erst  kurze  Zeit 
Turnenden  haben  sich  in  der  F"o]gezeit  in  gleicher 
Weise  entwickelt,  wie  die  länger  Turnenden.  Die 
Kräftigung  der  Muskulatur  durch  Leibesübung 
trägt  zur  Ausbildung  normaler  Wirbelsäulen- 
krümmungen bei,  und  ein  erweiteter  Brustkorb 
dehnt  die  Lunge  und  macht  sie  widerstandsfähig 
gegen  Tuberkulose.  Namentlich  in  den  Perioden 
raschen  Wachstums  erhöhen  Leibesübungen  die 
Widerstandskraft  der  Kinder  und  verhüten  oft, 
daß  krankmachende  Einflüsse  zur  Geltung  kommen 
können.  H.  Fehlinger. 


Weshalb  ist  die  Hirnrinde  gefaltet? 

Es  steht  längst  fest,  daß  die  Faltung  der  grauen 
Hirnrinde  nur  zum  allerkleinsten  Teil  ein  Aus- 
druck der  Intelligenzhöhe  des  Tieres  sein  kann, 
da  fast  ausnahmslos  kleinere  Tiere  eine  viel 
weniger  gefaltete  Hirnrinde  haben  als  ihnen  nahe 
verwandte  größere,  ja  es  ist  zum  Beispiel  bei 
kleinen  Nagern  die  Hirnrinde  einfach  glatt,  während 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


III 


sie  bei  größeren  mehr  oder  weniger  gefaltet  ist. 
Mit  anderen  Worten :  die  Natur  scheint  es  zu  ver- 
meiden, der  Hirnrinde  eine  größere  Dicke  zu 
geben  als  bis  zu  einem  bestimmten  Maß;  wird 
das  Tier  größer,  so  wird  die  Rinde  nicht  mehr 
dicker,  sondern  stattdessen  ausgebreiteter  und  da- 
her gefaltet.  So  ist  die  Rinde  der  Walgehirne 
sehr  stark  gefaltet.  Warum  dieses  Verhältnis  be- 
steht, darauf  gab  man  bisher  die  ziemlich  ein- 
leuchtend erschienene,  obwohl  nicht  ganz  ein- 
wanddichte Antwort,  dies  diene  der  besseren  Er- 
nährung, wobei  man  sowohl  an  die  erleichterte 
Blutzufuhr  wie  auch  an  den  erleichterten  Lymph- 
abfluß dachte  und  die  Furchen  des  Gehirns  ge- 
geradezu  Nährschlitze  genannt  hat.  Seitz  1887, 
Kükenthal  und  Ziehen   1889. 

C.  U.  Ariens-Kappers  greift  neuerdings 
dieses  Problem  in  anziehender  Weise  auf.^)  Ob 
man  seinem  Gedankengang  in  allen  Stücken  folgen 
wird,  ist  wohl  die  Frage,  und  es  sei  daher,  da 
ich  nicht  alle  seine  Betrachtungen  in  seinem  Sinne 
werde  wiedergeben  können,  außer  auf  das  folgende 
Referat  auch  nachdrücklich  auf  die  Originalarbeit 
hingewiesen.  Jedenfalls  zeigt  der  Verfasser  ein- 
leuchtend, daß  die  obige  Erklärung  nicht  genügen, 
ja  wohl  kaum  irgendwie  zutreffen  kann.  Denn 
das  von  ihm  beigebrachte  Tatsachenmaterial  be- 
steht in  dem  Hinweis  auf  zahlreiche  im  Innern 
des  Gehirns  gelegene,  also  zu  den  Ernährungs- 
wegen keine  bestimmte  Beziehung  innehaltende, 
gleichwohl  aber  sich  faltende  „Kerne",  d.  h. 
Ganglienzeil-  oder  kurz  „Grau"-Massen.  Ein  solcher 
Kern  ist  zum  Beispiel  die  Oliva  inforior  in  der 
unteren  Oblongata  des  Säugetiergehirns.  Ähnlich 
erweist  sich  die  dem  weißen  Hinterhorn  im  Rücken- 
mark auflagernde  graue  Substantia  gelatinosa 
Rolandi  ihrem  gefältelten  Querschnitt  nach  als 
„Oberflächenorgan",  ähnlich  sehr  deutlich  der 
Nucleus  dentatus  im  Kleinhirn  der  Säuger,  nicht 
minder  ist  der  Gollsche  Kern  bei  Cebus,  wo  er 
sehr  groß  ist,  rindenähnlich  lamelliert,  ferner  das 
Grau  der  absteigendenTrigeminuswurzel  beim  Pferd, 
der  Nucleus  laminaris  im  Acusticuskern  ver- 
schiedener Wirbeltiere  und  andere  mehr;  bei 
Fischen  mit  starker  Funktion  des  Sehorgans  faltet 
sich  das  Mittelhirndach  ein,  ebenso  das  Corpus 
geniculatum  externum  (Franz).  —  Auch  den 
der  Länge  nach  gefalteten  Sehnerven  von  Pleu- 
ronectes  zieht  der  Verfasser  als  Beispiel  kurz 
heran,  obwohl  er  doch  kein  Grau,  sondern  eine 
weiße  Fasermasse  ist,  also  kaum  hierher  passen 
kann.  Als  roten  Faden  durch  alle  diese  Angaben 
hindurchziehend  findet  Kappers,  daß  es  sämt- 
lich „Organe  der  Sensibilität  oder  Bestandteile 
aufsteigender  Bahnen  sind",  die  bei  stärkerer  Aus- 
dehnungOberflächenausdehnung  gewinnen.  Schließ- 

')  C.  U.  Ariens-Kappers:  Über  das  Rindenproblem 
und  die  Tendenz  innerer  Hirnteile,  sich  durch  Oberflächen- 
yermehrung  statt  Volumzunahme  zu  vergrößern.  In :  Folia 
neuro-biologica,    Band    VUI,    Nr.  5,    :9I4.  Seite  507  bis  531. 


lieh  ist  die  Großhirnrinde  selber  ein  Beispiel,  das 
um  so  mehr  auffällt,  weil  gerade  in  den  olfak- 
torischen, visuellen  und  sensiblen  Regionen  die 
Rinde  am  dünnsten  bleibt,  also  ihre  Vergrößerung 
am  meisten  durch  Flächenausdehnung  stattfindet. 
Diese  Erscheinungen  im  zentralen  Nervensystem, 
meint  Verfasser  weiter,  laufen  parallel  mit  Er- 
scheinungen in  der  Peripherie.  Die  Sensibilität  der 
Haut  ist  eine  Oberflächenausdehnung,  die  Akustik 
zeigt  in  der  gewundenen  Fläche  der  Scala  tym- 
pani  ein  Oberflächenbild,  die  Retina  zeigt  eine 
exquisite  Oberflächenausdehnung  von  wenigen 
Zellschichten,  und  der  Geruch  ist  bei  vielen  Tieren, 
bei  denen  diese  Qualität  mächtig  ist,  in  einer 
stark  lamellierten  Schleimhaut  der  Nase  lokalisiert. 
Diese  Tatsachen  dienen  teils  der  vermehrten 
Exposition  gegenüber  den  Reizen,  teils  deren 
besseren  Lokalisation.  „Wäre  es  angesichts  dieser 
Tatsachen  befremdend,  wenn  dasselbe  Prinzip  im  Ge- 
hirn wiederholt  würde  ?"  Verf.  meint  in  der  Tat,  daß 
„die  Zweckmäßigkeit  für  die  vermehrte  Reizauf- 
nahme und  die  leichtere  Erhaltung  des  lokalisatori- 
schen  Stigmas  durch  Flächenausdehnung  exquisit 
rezeptorischer  Teile  klar  ist"  und  sucht  nun  ferner- 
hin —  was  ja  stets  berechtigt  ist  ■ —  auch  nach 
einer  entwicklungsmechanischen  Erklärung  für  die 
Erscheinung,  denn  „die  Zweckmäßigkeit  erklärt 
eben  nicht  den  biologischen  Prozeß,  wodurch  diese 
Flächenausdehnung  zustande  kommt".  Für  diese 
Erklärung  zieht  er  vielmehr  die  Neigung  zur 
flächenartigen  Ausbreitung  des  Dendritengezweigs 
der  in  Frage  kommenden  Zellen  heran,  und  so 
erwähnt  er  aus  der  Retina  besonders  die  Hori- 
zontalzellen, aus  dem  Kleinhirn  die  Purkinje- 
schen  Zellen,  die  Dendriten  im  Rückenmark  von 
Ammocoetes.  Diese  Flächenausdehnung  der  Den- 
driten soll  nun  ihrerseits  auf  dem  Kappers  sehen 
Gesetz  der  Neurobiotaxis  beruhen,  nach  welchem 
die    Zellausläufer    der    maximalen    Reizentladung 

entgegenwachsen. Ganz  schön,    meine  ich, 

aber  ist  diese  Neurobiotaxis  wirklich  eine  „Taxis", 
etwas  irgendwie  physikochemisch  Erklärtes? 
Kappers  meint  es,  doch  könnte  ich  dazu  nur 
meine  Auffassung  wiederholen, ')  daß  die  Neuro- 
biotaxis bisher  nur  vergleichend-anatomisch  fest- 
steht und  nur  aus  Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten 
„erklärt"  werden  kann.  —  Wie  dem  nun  auch 
sein  mag,  es  scheint  vom  Verf.  treffend  darge- 
legt, daß  die  Oberflächenausbildung  jener  grauen 
Hirnmassen  eine  „inhärente"  ist.  „So  wird 
doch  auch  kein  Mensch  annehmen,  daß  ein  Knochen, 
ein  Muskel,  ein  Sinnesorgan  sich  nur  so  und  so 
gebaut  hat  wegen  einer  bestimmten  Blutzufuhr. 
Dazu  kommt,  daß  man  Organe  findet,  wie  die 
Leber,  wo  jede  Zelle  in  der  sorgsamsten  Weise 
von  Kapillaren  umgeben  ist,  und  doch  von  einer 
Flächenausdehnung  des  Organs   keine   Rede  ist." 

V.  Franz  (Jena). 


')  Naturw.  Wochenschr.   1919.  Nr.  29,  S.  414. 


112 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  7 


Goldschmidt,  Prof.  Dr.,  Rieh.,  Einführung  in 
die  Vererbungswissenschaft.      3.  neu- 
bearbeitete Auflage  mit  178  Abb.    Leipzig  1920, 
Wilh.  Engelmann. 
Kurz    nach    dem    Erscheinen    von    E.    Baurs 
„Vererbungslehre"  ist  nun  auch  Goldschmidts 
bekannte    „Einführung   in    die    Vererbungswissen- 
schaft"   neu  herausgekommen.      Das  Buch    weist 
in  der  Anordnung  und  Auswahl    des  Stoffes  eine 
große  Anzahl    von  Änderungen  auf,    die    teils  aus 
den    auch    während    der    Kriegsjahre    gemachten 
Fortschritten    auf  dem    Gebiet    der    Vererbungs- 
forschung  resultieren,    vor    allem    aber    auf  einer 
weher    vertieften    kritischen    Durcharbeitung    des 
bekannten  Tatsachenmaterials    wie    auf  einer  teil- 
weisen Umgruppierung    des  gesamten  Stoffes  be- 
ruhen. 

Schon  der  Abschnitt  über  die  Variabilität  zeigt 
derartige  Veränderungen.  Eine  größere  Einheit- 
lichkeit ist  hier  dadurch  erzielt,  daß  in  der  ersten 
Vorlesung  die  elementaren  Tatsachen  über  die 
Zellteilung  und  die  Chromosomen  in  Reifung  und 
Befruchtung  fortgelassen  sind  und  dafür  in  einer 
besonderen  Vorlesung  Platz  gefunden  haben,  die 
im  Anschluß  an  die  Besprechung  der  Spaltungs- 
gesetze den  gesamten  Chromosomenmechanismus 
bei  der  Mendelspaltung  behandelt.  —  Auch  die 
übrigen  Vorlesungen  über  die  Variabilität  weisen 
wesentliche  Änderungen  auf  Die  jetzt  am  Schluß 
des  ganzen  Abschnittes  stehende  Vorlesung  über 
die  IVIodifikabilität  hat  eine  merkliche  Verkürzung 
erfahren. 

Es  folgt  dann  wie  früher  am  Anfang  des  Haupt- 
teiles über  den  IVIendelismus  die  Besprechung  der 
Dominanz-  und  der  einfachen  Spaltungserschei- 
nungen. Alle  schwierigeren  Fälle,  wie  das  Auf- 
treten von  Neuheiten,  die  durch  ihre  Häufigkeit 
immer  mehr  an  Bedeutung  gewinnenden  Poly- 
merien, ferner  die  Koppelungen,  die  Lethalfak- 
toren  u.  a.  sind  dagegen  in  einem  Abschnht  über 
„höheren  Mendelismus"  zusammengestellt.  Hier 
finden  sich  auch  im  Anschluß  an  die  Besprechung 
der  Tatsachen  über  Geschlechtschromosomen,  ge- 
schlechtsbegrenzte Vererbung  und  ähnliches  die 
neuen  Forschungsergebnisse  von  Morgan  und 
seinen  Schülern  (an  der  Taufliege  Drosophila).  Die 
aus  ihnen  abgeleiteten  theoretischen  Folgerungen 
Morgans,  die  den  Mechanismus  der  Mendel- 
spaltung bis  in  seine  feinsten  Einzelheiten  aufzu- 
hellen scheinen,  wie  z.  B.  über  die  Lagerung  der 


Bticherbesprechungen. 


Faktoren  im  Chromosom,  über  den  P"aktorenaus- 
tausch  zwischen  benachbarten  Chromosomen  u.  a. 
erfahren  dabei  eine  durchdringende  Erörterung. 

Das  eigentliche  Problem  der  Geschlechtsbe- 
stimmung ist  von  den  übrigen  Tatsachen  über 
Vererbung  des  Geschlechts  abgetrennt  und  in 
verkürzter  Form  in  der  vorletzten  Voriesung  dar- 
gestellt. Auch  die  früher  nur  kurz  im  Anschluß 
an  die  geschlechtsbegrenzte  Vererbung  diskutierte 
Frage  der  Intersexualität  wird  in  einer  besonderen 
Vorlesung  auf  Grund  der  neuen  Untersuchungen 
des  Verf.  und  seiner  Mitarbeiter  sehr  eingehend 
behandelt. 

In  der  Voriesung  über  die  Mutationstheorie 
hat  der  über  die  Oenotherafrage  handelnde  Teil 
eine  wesentliche  Umarbeitung  erfahren  im  Hin- 
blick auf  die  weitgehende  Klärung,  welche  dies 
Problem  inzwischen  durch  die  neu  hierzu  erschiene- 
nen Untersuchungen  insbesondere  durch  Renners 
Ergebnisse  und  ihre  Interpretation  gefunden  hat. 
Auch  der  Vorlesung  über  die  Vererbung  erwor- 
bener Eigenschaften  ist  die  kritische  Durcharbeitung 
besonders  anzumerken.  Hier  sind  Guthries 
jetzt  wohl  endgültig  widerlegte  Transplantations- 
versuche ausgemerzt.  Auch  fehlen  Kamm  er ers 
Versuche  über  die  Farbenvariationen  beim  Feuer- 
salamander und  andere  nicht  eindeutige  früher  oft 
zitierte  Befunde.  Denn  wie  der  Verf  selbst  ein- 
leitend betont,  ist  hier  „die  Interpretation  der  im 
Vordergrund  des  Diskussion  stehenden  Unter- 
suchungen in  letzter  Zeit  schwankend"  geworden. 
So  ist  in  fast  jedem  Kapitel  die  kritisch  sich- 
tende Hand  des  Verf.  zu  spüren.  Nur  einige  Un- 
genauigkeiten  auf  botanischem  Gebiet  bedürfen 
noch  der  Korrektur.  Die  Neuauflage  ist,  darin 
müssen  wir  dem  Verf.  recht  geben,  ein  fast  neues 
Buch  geworden,  das  seine  Aufgabe,  in  die  Ver- 
erbungswissenschaft einzuführen,  voll  und  ganz 
erfüllen  wird.  Um  so  mehr  ist  es  deshalb  zu  be- 
dauern, daß  es  dem  Verleger  trotz  der  Verwendung 
eines  überaus  dürftigen  Papiers  nicht  möglich  war, 
den  Preis  des  Buches  niedriger  anzusetzen.  Da- 
durch werden  naturgemäß  der  Verbreitung  dieses 
empfehlenswerten  Buches  in  den  Kreisen  der 
Studierenden  unserer  Hochschulen  leider  sehr  enge 
Grenzen  gezogen.  S.  V.  Simon-Göttingen. 

Literatur. 

Spitta,     Prof.    Dr.    O.,    Grundrifl    der    Hygiene.      Mit 
197  Textabb.     Berlin  '20,  J.  Springer.     36  M. 


Inhalt:  H.  Fncke,  Wind  und  WeUer  als  Feldwirkungen  der  Schwerkraft,  (s  Abb.)  S.  97.  Rud.  Zimmermann,  Über 
das  Vorkommen  des  Ziesels  in  Sachsen,  (i  Abb.)  S.  :o2.  —  Einzelberichte:  W.  Eitel,  Zinkblende  im  Basalt  des 
Buhls  bei  Kassel.  S.  104.  J.  Versluys,  Limulus,  ein  zum  Wasserleben  übergegangener  Arachnide?  S.  106.  G  A 
Brower  und  Jan  Verwey,  Beobachtungen  der  „Vogelwarte  Noordwijk  aan  Zee".  S.  I06.  R.  Zimmermann  Das 
Ende  des  Wisents.  S.  107.  O.  Bau  mgärtel,  Das  Problem  der  Zyanophyzeenzelle.  S.  108.  W.  Schuster'  Die 
Nahrung  der  am  Wasser  lebenden  Vögel.  (3  Abb.)  S.  109.  R.  Martin,  Die  Bedeutung  einer  anthropologischen  Unter- 
suchung der  Jugend.  S.  109.  C.  U.  Ariens -Kapp  ers,  Weshalb  ist  die  Hirnrinde  gefaltet?  S.  iio.  —  Bücher- 
besprechungen :  Rieh.  Goldschmidt,  Einführung  in  die  Vererbungswissenschaft.  S.  112.  —  Literatur:  Liste.  S.  112. 

Manuskripte  und  Zuschriften  werden  an  Prof.  Dr.  H.  Miehe,  BerUn  N  4,  luTalidenstrafie  42,  erbeten. 

Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  der  G.  Pätz'schen  Buchdr.  Lippert  &  Co.  G.  m.  b.  H.,  Naumburg  a.  d.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Folge  20.  Band ; 
der  ganzen  Reihe  36.  Band. 


Sonntag,  den  20.  Februar  1921. 


Nummer  8. 


Das  Problem  der  Wirtswahl  bei  den  parasitischen  Pilzen/) 


[Nachdruck  verboten.] 


Von  Dr.  Fritz 


I. 


Wenn  wir  von  parasitischen  Pilzen  sprechen, 
müssen  wir  zuerst  vorausschicken,  was  wir  unter 
diesem  Begriff  verstehen;  denn  von  den  Pilzen, 
die  nur  auf  totem  Substrat  exjstieren  können 
(Saprophyten),  gibt  es  mancherlei  Übergänge  (z.  B. 
Wundparasiten)  bis  zu  den  Formen,  die  unbedingt 
auf  lebendes  Gewebe  angewiesen  sind.  In  diesem. 
Aufsatz  werden  nur  die  letztgenannten  Typen, 
die  strengen  Parasiten,  berücksichtigt. 

Das  Problem  der  Wirtswahl  bildet  einen  guten 
Ausgangspunkt  zur  Diskussion  über  Neubildung 
biologischer  und  morphologischer 
Arten.  Doch  werde  ich  diese  Fragen  im  vor- 
liegenden Aufsatz  nicht  in  die  Besprechung  ein- 
beziehen, indem  ich  auf  einen  Vortrag  von  Ed. 
Fischer  verweise  (Fischer  1916).  Im  folgen- 
den wird  also  die  Wirtswahl  der  Parasiten  als 
gegebene  Tatsache  angenommen  und  nur  den 
Gründen  nachgegangen ,  die  sie  so  und  nicht 
anders  gestalten,  wie  sie  eben  ist. 

Daß  zwischen  den  strengen  Parasiten  und 
ihren  Wirten  innige  Beziehungen  existieren  müssen, 
ist  von  vornherein  anzunehmen;  denn  der  Pilz 
benutzt  die  Pflanze  nicht  nur  als  Wohnplatz,  son- 
dern auch  in  bezug  auf  seine  Nahrung  ist  er  voll- 
ständig auf  sie  angewiesen,  vermag  er  doch  nicht 
die  geringste  Spur  von  Baustoffen  selbst  zu  pro- 
duzieren. Dieser  tiefen  Abhängigkeit  wegen 
können  die  Gründe  von  Immunität  oder  Empfäng- 
lichkeit nicht  nur  durch  das  eine  der  beiden  Lebe- 
wesen bedingt  sein.  Pilz  und  Wirt  müssen  viel- 
mehr in  sehr  feiner  Weise  aufeinander  abgestimmt, 
aneinander  angepaßt  sein. 

Betrachten  wir  vorerst  die  Tatsachen  dieser 
Anpassung  und  der  dadurch  bedingten  Speziali- 
sation ohne  uns  über  ihre  Gründe  irgendwelche 
Vorstellung  zu  machen,  so  fällt  uns  die  außer- 
ordentliche Kompliziertheit  der  Verhältnisse  auf. 
Diese  möge  einleitend  an  Hand  einiger  Beispiele 
gezeigt  werden. 

Zuerst  möchte  ich  auf  die  bekannte  Erschei- 
nung hinweisen,  daß  die  Spezialisation  der  ein- 
zelnen Pilze  in  sehr  weiten  Grenzen  schwankt. 
So  ist  beispielsweise  der  sehr  häufige  „weiße  Rost" 
des  Hirtenläschchens  (Cystopus  candidus) 
nach  den  Untersuchungen  von  Eberhardt 
(Eberhardt  1904)  in  ein  und  derselben  biologischen 
Form  sowohl  auf  Capsella  als  auch  noch  auf 
mancher  anderen  Cruciferengattung  verbreitet. 
Für  Peronospora  parasitica  dagegen,  einer 
anderen    Kreuzblütler- bewohnenden  Peronosporee, 


Kobel  (Bern). 

hat  Gäumann  erwiesen  (Gäumann  1918),  daß 
sie  so  weitgehend  spezialisiert  ist,  daß  kaum  ein 
und  dieselbe  Form  Vertreter  verschiedener  Gattun- 
gen zu  befallen  vermag.  Ähnliche  Beispiele  ließen 
sich  aus  den  Versuchen  von  Stäger  (1905  — 10) 
mit  dem  Mutterkorn  der  Gräser  (Claviceps 
purpure a)  und  denjenigen  von  Bürens  mit 
Protomyces  (v.  Büren  191 5)  und  noch  aus 
anderen  Pilzgruppen  erwähnen.  Doch  möchte  ich 
nur  noch  anführen,  daß  man  in  den  sehr  zahl- 
reichen Untersuchungen  der  Rostpilze  fast  durch- 
weg weitgehende  Spezialisierung  gefunden  hat. 
Aber  gerade  hier  gibt  es  einige  interessante  Aus- 
nahmen, auf  die  ich  noch  zurückkommen  werde. 
Neben  Coleosporium-  Arten ,  P  u  c  c  i  n  i  a 
Isiacae  und  P.  subnitens  handelt  es  sich 
hauptsächlich  um  das  vielbesprochene  Cronar- 
tiumasclepiadeum.  Es  ist  dies  eine  Uredineen- 
Art,  die  ihre  Aezidiosporen,  d.  h.  ihre  geschlecht- 
lich entstehenden  Fortpflanzungsprodukte,  auf  der 
Kiefer  ausbildet.  Ihre  Uredo-  und  Teleutosporen- 
generation  lebt  für  gewöhnlich  auf  Vince  toxi - 
cumofficinale.  Ed.  Fischer  konnte  dann 
aber  einwandfrei  dartun  —  nachdem  schon 
Geneau  de  Liamarliere  dies  wahrscheinlich 
gemacht  hatte  — ,  daß  auch  Paeonia  befallen 
wird.  Seither  hat  besonders  Kle  bah  n  noch  eine 
ganze  Anzahl  anderer  Wirte  experimentell  aufge- 
funden und  zwar  aus  den  verschiedensten  Familien, 
wie  die  nachstehende  Zusammenstellung  zeigt: 
(Tabelle  siehe  nächste  Seite.) 

Es  ist  aber  ausdrücklich  hervorzuheben ,  daß 
dieser  Pilz  nicht  etwa  omnivor  ist ,  d.  h.,  daß  er 
nicht  auf  jede  beliebige  Pflanzenart  überzugehen 
vermag   (vgl.  hinterste  Kolonne    der   Tabelle). 

Betrachten  wir  nun  die  Wirtswahl  vom  Ge- 
sichtspunkt der  systematischen  Verwandtschaft 
der  Pilze  unter  sich  aus.  Da  sind  denn  auch 
wieder  alle  möglichen  Fälle  realisiert: 

Es  ist  allgemein  bekannt,  daß  morphologisch 
nicht  unterscheidbare  Formen  in  ihrer  Wirlswahl 
verschieden  sein  können.  Solche  biologische 
Arten  oder  Spezial  formen  hat  die  Forschung 
sehr  viele  bekannt  gemacht.  So  fand  ich,  um  nur 
ein  Beispiel  anzugeben  (Kobel  1920),  daß  Uro- 
myces  Trifolii  in  zwei  morphologisch  nicht 
verschiedene  Formen  zerfällt.  Davon  hat  die 
eine  als  Hauptwirt  Trifolium  pratense,  geht 
daneben    auch    auf  andere    Trifolien    über,    nicht 


')  Dieser  Aufsatz  wurde  als  Vortrag  im  Winter  1919/20 
in  der  ,, Bernischen  botanischen  Gesellschaft"  gehalten  und  für 
die  „Naturwissenschaftliche  Wochenschrift"  etwas  umgeändert. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Familien 
Asclepiadaceae: 

Ranunculaceae: 

Solanaceae: 
Scrophulariaceae: 

Verben  aceae: 


Balsaminaceae: 

Rosaceae: 
Tropaeolaceae: 


Wirte 

Vincetoxicum  officinale 
„  fuscatum 

Paeonia  officinalis 
„  peregrina 
„        tenuifolia 

Schizanthus  Graham! 

Fedicularis  palustris 
Nemesia  versicolor 

Verbena  teucrioides 
erinoides 


Immun 


Impatiens  balsaminea 


Grammatocarpus  volubilis 

Tropaeolum  minus 
„  majus 

„  Lobblanum 

,,  canariense 


P.  silvatica 


V.  officinalis 
„  Aublietia 
„  biseriata 
„  bonariensis 
„  bracteosa 
„  urticifolia 
„  venosa 

J.  nolitangere 
„  glandulosa 
„    parviflora 


aber  auf  T.  ochroleucum.  Die  andere  wird 
auf  T.  ochroleucum  gefunden,  ging  in  den 
Versuchen  auf  weitere  Arten  über,  nie  dagegen 
auf  T.  pratense.  Von  Interesse  für  unsere 
Frage  ist  dabei,  daß  trotz  dieser  offenbaren  bio- 
logischen Verschiedenheit  einige  gemeinsame 
Wirte  aufgefunden  wurden  (T.  alpinum,  ar- 
vense,  pannonicum,  squarrosu m). 

Angesichts  dieser  verschiedenen  Wirtswahl  von 
morphologisch  nicht  unterscheidbaren  Formen 
verwundern  wir  uns  durchaus  nicht,  daß  Pilze  aus 
Gruppen,  die  im  System  weit  auseinander  liegen, 
auf  demselben  Wirtspflanzenkreis  nicht  die  gleiche 
Auswahl  treffen.  Ich  verweise  auf  die  Umbelli- 
feren  bewohnenden  Puccinia-  und  Protomyces- 
Arten  und  auf  die  Gramineen-Bewohner  unter  den 
Rostpilz-  und  Claviceps- Arten. 

Dagegen  wurde  auch  beobachtet,  daß  mor- 
phologisch verschiedene  Arten  fast  durchweg  die- 
selben Wirte  befallen.  Dies  gilt  z.  B.  für  Pucci- 
nia Jaceae  und  P.  Centaureae  f.  spec. 
Transalpinae,  wie  Hasler  (1918)  nachge- 
wiesen hat. 

Einen  interessanten  Fall  fand  ich  auch  unter 
meinen  Versuchsobjekten  (Kobel  1.  c).  Uro- 
myces  Trifolii-hybridi,  U.  Trifolii-re- 
pentis  und  U.  flectens  sind  offenbar  einander 
nahe  verwandte  Spezies.  Denn  weder  in  ihren 
Aezidien  oder  Uredosporen  (wo  solche  vorkommen), 


noch  in  ihren  Teleutosporen  zeigen  sie  greifbare 
Unterschiede.  Auch  die  Wirtswahl  ist  in  weit- 
gehendem Maße  identisch.  Dagegen  weichen  die 
3  Arten  im  Entwicklungsgang  sehr  deutlich  von- 
einander ab. 

Von  großem  Interesse  für  die  Frage  der  Wirts- 
wahl ist  die  Erscheinung  des  Wirtswechsels, 
wie  sie  sich  am  ausgesprochensten  bei  den  Rost- 
pilzen findet.  Es  zeigt  sich,  daß  die  Wirte  der 
beiden  Entwicklungsabschnitte  aus  systematisch 
meist  weit  entfernten  Gruppen  stammen:  Cupres- 
saceen  —  Rosaceen  (Gymnosporangien),  Abieiaceen 
—  verschiedene  Dikotylenfamilien  (Coleosporien 
nnd  Cronartien),  Papilionaceen  —  Euphorbiaceen 
(verschiedene  Uromyces-Arten)  usw.  Auch  der 
Grad  der  Spezialisation  ist  oft  in  beiden  Ab- 
schnitten sehr  verschieden.  Während  z.  B.  für 
Cronartium  asclepiadeum  und  einige 
Coleosporien  die  Aezidien  -  Generation  sehr 
spezialisiert  und  die  Uredo  -  Teleuto  -  Generation 
multivor  ist,  wurde  für  Puccinia  Isiacae  und 
P.  subnitens  das  Gegenteil  erwiesen. 

Als  Komplikation  für  die  Frage  der  Wirtswahl 
tritt  hinzu,  daß  man  nicht  zwischen  Anfälligkeit 
und  Immunität  schlechtweg  unterscheiden  kann. 
Es  kommen  vielmehr  alle  möglichen  graduellen 
Abstufungen  vor  zwischen  vollkommener  Wider- 
standsfähigkeit und  leichtestem  Befall.  So  findet 
man  z.  B.  häufig  —  um  nur  einen  solchen  Emp- 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


HS 


fänglichkeitsgrad  zu  kennzeichnen  — ,  daß  auf  be- 
stimmten Pflanzen  eine  Uredinee  wohl  Pykniden, 
nicht  aber  Aezidien  zu  bilden  vermag.  Doch  ist 
noch  eines  anderen  Punktes  zu  gedenken.  Der 
Amerikaner  Siakman  (1915)  hat  nämlich  er- 
wiesen, nachdem  schon  Ward,  Klebahn  u.  a. 
darauf  aufmerksam  gemacht  hatten,  daß  der  Nicht- 
befall  einer  Pflanze  auf  zwei  diametral  entgegen- 
gesetzten Gründen  beruhen  kann :  auf  der  Immu- 
nität im  eigentlichen  Sinne  und  auf  „Überempfäng- 
lichkeit". Stak  man  konnte  nämlich  beobach- 
ten, daß  oft  die  Keimschläuche  der  Uredineen- 
sporen  in  normaler  Weise  in  eine  Wirtspflanze 
eindringen  und  sich  dort  einige  Zeit  entwickeln. 
Dann  aber  töten  sie  die  Wirtszellen  in  ihrer  Um- 
gebung ab.  Da  nun  die  Rostpilze  strenge  Para- 
siten sind,  können  sie  in  diesem  abgestoibenen 
Gewebe  nicht  weiter  gedeihen  und  schaffen  sich 
so  durch  zu  intensives  Einwirken  selbst  ein  zu 
ihrem  Fortkommen  unbrauchbares  Substrat. 

II. 

Nachdem  wir  uns  die  Haupttatsachen  der 
Spezialisation  vergegenwärtigt  haben,  wollen  wir 
ihre  Ursachen  diskutieren. 

Wir  wollen  zuerst  die  Frage  berücksichtigen, 
ob  vielleicht  rein  pflanzengeographische 
Gründe  für  die  Wirtswahl  maßgebend  seien, 
so,  daß  ein  Pilz  sich  an  die  Pflanzen  angepaßt 
hätte,  die  an  seinem  ursprünglichen  Entstehungs- 
ort gerade  wuchsen.  Es  sind  wirklich  einige 
Beispiele  bekannt  geworden,  die  für  diese  Annahme 
sprechen.  So  hat  Stäger  (1905)  vom  Mutter- 
korn der  Gräser  eine  Spezialform  gefunden,  die, 
soweit  die  Versuche  reichen,  nur  die  beiden  wald- 
bewohnenden Gramineen  Brachypodium  sil- 
vaticum  und  Milium  effusum  befiel,  nicht 
aber  ihre  verwandten  Wiesenbewohner.  Ein 
anderes  schönes  Beispiel  hat  Ed.  Fischer  be- 
kanntgegeben. Es  handelt  sich  um  Uromyces- 
caryophyUinus,  einen  Rostpilz,  der  seine 
Aezidien  auf  Euphorbia  Seguieriana  (^  E. 
Gerardiana)  bildet.  Fischer  konnte  nun  dartun, 
daß  dessen  Teleutosporengeneration  im  Wallis 
(Schweiz)  in  gleicher  Weise  sowohl  Saponaria 
ocymoidesals  auch  Tunica  prolifera  befällt. 
Mit  Infektionsmaterial  aus  dem  Großherzogtum 
Baden  konnte  er  die  Tunica  sehr  stark,  die  Silene 
aber  nur  äußerst  schwach  infizieren.  Da  die  letzte 
in  Baden  nicht  vorkommt,  liegt  hier  eine  sehr 
schöne  Kongruenz  zwischen  Pflanzengeographie 
und  Wirtswahl  vor.  Es  scheinen  dies  aber  Aus- 
nahmefälle zu  sein,  denn  in  weitaus  den  meisten 
Untersuchungen  zeigt  sich,  daß  die  Spezialisation 
mit  der  Verbreitung  der  Wirtspflanzen  nicht 
parallel  geht.  Ich  verweise  nur  auf  das  Cronartium 
asclepiadeum  (vgl.  die  Tabelle),  das  eine  Menge 
Pflanzen  zu  befallen  vermag,  die  in  seinem  natür- 
lichen Verbreitungsgebiet  —  und  dieses  ist  durch 
die  Kiefer  bedingt  —  nicht  vorkommen. 

Lange  hat  man  geglaubt,  die  Immunität  mit 
gewissen  morphologischen  Eigentümlichkeiten 


der  betreffenden  Pflanzen  erklären  zu  können. 
Es  liegt  ja  nahe,  etwa  eine  dicke  Cuticula  oder 
Epidermis  oder  einen  dichten  Haarbesatz  als  Schutz- 
mittel anzunehmen.  Dies  mag  in  einigen  Fällen 
berechtigt  sein,  ist  aber  sicher  nicht  von  großer 
oder  gar  allgemeiner  Bedeutung. 

Dann  hat  man  vielfach  versucht,  die  Empfäng- 
lichkeit mit  der  systematischenVerwandt- 
schaft  zu  parallelisieren.  Man  hat  dafür  wirklich 
einige  schöne  Beispiele  gefunden,  wovon  ich  be- 
sonders die  Puccinia  Hieracii  anführen  will. 
Diese  Sammelart  zerfallt  zuerst  in  zwei  Unterarten; 
sie  weisen  geringe  morphologische  Unterschiede 
auf;  davon  lebt  die  eine  nur  auf  Euhieracien,  die 
andere  ausschließlich  auf  der  Untergattung  der 
Piloselloiden.  Jede  von  ihnen  zerfällt  dann  weiter 
in  eine  Anzahl  Spezialformen,  die  auch  in  recht 
weitgehendem  Maße  der  weiteren  Aufteilung  der 
Gattung  Hieracium  folgen.  Als  ferneres  Beispiel 
dieser  Art  möchte  ich  die  Resultate  anführen,  die 
Schweizer  (1919)  mit  einer  Compositen  -  be- 
wohnenden Peronosporee,  dem  Verursacher  der 
unter  dem  Namen  „Salatschimmel"  bekannten 
Krankheit  des  Salates  und  vieler  anderer  Compo- 
siten, erhielt.  Diese  BremiaLactucae  zerfällt 
in  eine  Anzahl  Spezialformen,  wovon  jede  nur 
Vertreter  von  einer  Gattung  befällt,  nicht  aber 
auch  —  soweit  wenigstens  die  eingehenden  Ver- 
suche reichen  —  auf  Vertreter  anderer  Gattungen 
übergeht. 

Meist  liegen  die  Verhältnisse  aber  so,  daß  eine 
Art,  bzw.  Spezialform  vorzugsweise  Ver- 
treter einer  bestimmten  systematischen 
Gruppe  befällt,  daneben  aber  auch  auf  einzelne 
Vertreter  aus  verwandten  Gruppen  übergeht.  Je 
nach  dir  Infektionsweite  des  Pilzes  sind  diese 
Gruppen  bald  Gattungen,  bald  Untereinheiten  von 
solchen.  Daß  dem  so  ist,  zeigen  fast  alle  mit  einer 
genügend  großen  Anzahl  Pflanzen  ausgeführten 
Versuche,  so  z.  B.  die  von  mir  mit  Trifolien  ■  be- 
wohnenden Uromyces -Arten  eingeleiteten  und  die 
von  Steiner  mit  den  Alchemillen-bewohnenden 
Formen  der  SphaerothecaHumuli  gemachten 
Experimente  (Steiner  1908).  Wichtig  für  unsere 
Frage  ist  die  Tatsache,  daß  auch  innerhalb 
der  Hauptnährpflanzengruppe  einzelne 
Arten  unempfänglich  sein  können.  Bei 
den  sehr  eingehend  studierten  Getreiderosten  hat 
man  sogar  gefunden,  daß  es  innerhalb  einer 
empfänglichen  Art,  ja,  innerhalb  einer  empfang- 
lichen Varietät,  Rassen  geben  kann,  die  praktisch 
immun  sind.  Es  ist  dies  ein  Resultat,  das  für 
die  Züchtung  widerstandsfähiger  Sorten  von  Kultur- 
pflanzen von  größter  praktischer  Bedeutung  ist. 

Sehen  wir  also  schon  in  diesen  Beispielen,  daß 
die  Empfänglichkeit  nur  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  mit  der  systematischen  Verwandtschaft 
Hand  in  Hand  geht,  so  zeigt  das  mehrfach  erwähnte 
Cronartium  asclepiadeum  ein  Verhalten, 
das  gleichsam  jeden  derartigen  Parallelisierungs- 
versuch  verhöhnt.  Dieser  oft  großen  Willkür  und 
Unregelmäßigkeit    halber    ist    es    durchaus    nicht 


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ratsam,  umgekehrt  für  Pflanzen,  die  von  denselben 
Parasiten  befallen  werden,  eine  systematische  Ver- 
wandtschaft geltend  zu  machen,  wenn  nicht  zugleich 
auch  andere  Verhältnisse  (morphologische,  genetiche 
usw.)  im  gleichen  Sinne  sprechen. 

Wenn  wir  von  der  systematischen  im  Stich 
gelassen  werden,  so  haben  manche  Forscher  auf 
die  chemischeVerwandtschaft  hingewiesen 
und  dies  sicher  mit  viel  größerer  Berechtigung. 
Der  Pilz  ist  ja  in  höchstem  Maße  von  den  Stoffen 
der  Wirtspflanze  abhängig,  da  sie  seine  einzige 
Nahrungsquelle  darstellen. 

Wir  müssen  aber  diese  Verwandtschaft  näher 
zu  definieren  trachten,  indem  wir  das  Wesentliche 
im  komplizierten  Chemismus  der  Pflanze  heraus- 
suchen. Dies  sind  nun  unzweifelhaft  die  Ei  weiß - 
Stoffe,  die  ja  als  die  eigentlichen  Träger  der 
Lebenserscheinungen  anzusehen  sind.  Obschon 
man  chemisch  von  ihnen  leider  wenig  weiß,  ist 
doch  sicher,  daß  sie  große  und  komplizierte 
Moleküle  darstellen,  und  daß  infolge  der  Isomerie 
—  worauf  für  unsere  Frage  besonders  Heske 
hinweist  —  eine  unübersehbare  Anzahl  unter  sich 
wenig  verschiedener  Eiweiße  existieren  kann. 
Daß  sie  faktisch  existiert,  hat  die  Serodiagnostik 
erwiesen,  indem  sie  verschiedene  Methoden  zur 
biologischen  Eiweißdifferenzierung  gefunden  hat. 
Diese  sind  bereits  so  verfeinert,  daß  man  sogar 
Varietäten  einer  Art  in  ihren  Eiweißen  auseinander 
halten  kann.  Daneben  existieren  aber  auch 
Methoden,  die  dazu  taugen,  große  Unterschiede, 
wie  sie  z.  B.  zwischen  Familie  und  Familie  vor- 
kommen, nachzuweisen. 

Auf  den  ersten  Blick  scheinen  die  Ergebnisse 
der  Serodiagnostik  für  unsere  Frage  keine  Be- 
deutung haben  zu  können,  denn  sie  zeigen,  daß 
die  Eiweißverwandtschaft  mit  der  systematischen 
parallel  zu  gehen  scheint,  und  diese  haben  wir 
ja  als  nicht  durchaus  maßgebend  für  die  parasitäre 
Wirtswahl  erkannt.  Aber  die  Verhältnisse  liegen 
bei  weitem  nicht  so  einfach.  Vor  allem  ist  zu 
bedenken,  daß  die  Eiweißähnhchkeit  nicht  immer 
durch  die  stammesgeschichtliche  —  was  soviel 
heißt,  wie  systematische  —  Verwandtschaft  bedingt 
sein  muß.  Es  können  vielmehr  auch  Konvergenzen 
in  den  Eiweißstoffen  systematisch  weit  auseinander 
Stehender  Lebewesen  möglich  sein,  ein  Punkt,  der 
auch  von  den  Serodiagnostikern  zugegeben  wird. 
So  müßten  denn  Vincetoxicum  officinale, 
Nemesiaversicolor,Tropaeolum  und  alle 
die  anderenWirtedesCronartium  asclepiadeum 
unabhängig  von  ihrer  Stammesgeschichte  gewisse 
Eiweißähnlichkeiten  erworben  haben.  Diese  fürs 
erste  fast  unmöglich  anmutende  Forderung  gewinnt 
durch  die  Untersuchungen  von  Thöni  und 
Thaysen  (1915)  bedeutend  an  Wahrscheinlich- 
keit. Sie  konnten  nämlich  dartun,  daß  ein  und 
dieselbe  Pflanzenart  mehrere  Eiweiße  besitzt.  Es 
gelang  ihnen  bei  Weizen,  Roggen  und  Gerste  eine 
ganze  Anzahl  durch  fraktionierte  Ausfällung  mit 
Ammoniumsulfat  zu  isolieren  und  ihre  Verschie- 
denheit  dann  auf  serodiagnostischem  Wege  dar- 


zutun. Diese  Forscher  weisen  selbst  darauf  hin, 
daß  man  das  Problem  der  parasitischen  Pilzwahl 
damit  in  Zusammenhang  bringen  könne,  sind  sich 
aber  bewußt,  daß  Einwände  dagegen  zu  gewär- 
tigen seien.  Diese  verlieren  aber  bedeutend  an 
Kraft,  wenn  man  auch  den  Einfluß  anderer  Fak- 
toren, auf  die  ich  noch  zurückkommen  werde, 
nicht  vergißt. 

Daß  unter  der  Zahl  der  Eiweißstoffe  in  den 
verschiedenen  Wirten  des  Cronartiums  asclepiadeum 
nun  auch  gewisse  gemeinsame  Typen  vorkommen 
können,  erscheint  uns  schon  viel  wahrscheinlicher. 
In  diesem  Zusammenhang  betrachtet,  erscheint  es 
interessant ,  daß  dieser  Rostpilz  zwei  Wirte  mit 
einigen  ebenfalls  mullivoren  Coleosporien  gemein- 
sam hat  (Schizanthus  Grahami  und  Tropaeolum 
minus).  Ferner  wird  Tropaeolum  majus  zugleich 
von  Cronartium  und  der  vielleicht  in  ihrer  Wirts- 
wahl noch  extremeren  Puccinia  Isiacae  befallen. 
Diese  hat  wiederum  sechs  Gattungen  mit  der 
vierten  multivoren  Uredinee,  mit  Puccinia  sub- 
nitens,  gemeinsam;  davon  stimmen  drei  sogar 
in  den  Arten  überein  (dies  nach  den  Unter- 
suchungen von  Klebahn,  Tranzschel, 
Arthur  und  Bethel  zusammengestellt).  Es 
ist  möglich,  daß  in  weiteren  Untersuchungen 
eine  noch  größere  Übereinstimmung  gefunden 
wird.  Es  scheinen  demnach  nicht  nur  die  ge- 
nannten Pilze  sehr  multivor,  sondern  ebenso  die 
betreffenden  Pflanzen  sehr  empfänglich.  Dies  kann 
seinen  Grund  darin  haben,  daß  gewisse,  von 
mehreren  Pilzen  ausnutzbare  Eiweißstoffe,  immer 
wieder  auftreten,  ohne  daß  in  den  befallenen 
Pflanzen  andere  chemische  Verbindungen  vorkom- 
men, die  einen  Befall  durch  den  Parasiten  ver- 
hindern. Es  wäre  höchst  wünschenswert  —  und 
Ed.  Fischer  hat  diesen  Gedanken  schon  1916 
(1.  c.)  geäußert  — ,  daß  Serodiagnostik  und  Myko- 
logie zusammenarbeiten ,  um  diese  interessante 
Frage  abzuklären.  Dabei  dürfte  man  allerdings 
vor  den  feinsten  Methoden,  und  besonders  vor 
einem  Isolierungsversuch  der  verschiedenen  Ei- 
weiße, nicht  zurückschrecken. 

Aus  den  bisher  gemachten  serodiagnostischen 
Versuchen  ist  für  unsere  Frage  noch  nicht  viel  abzu- 
leiten. Doch  muß  ich  eine  Angabe  vonWendelstadt 
undFellner(i9ii)erwähnen.  Sie  konnten  nämlich 
konstatieren,  daß  ImpatiensBalsaminea  mit 
Tropaeolum  minus  —  wenn  auch  nur  schwach 
—  positiv  reagierte.  Und  sie  erklären  es  als  auf- 
fallend, daß  hier  zwei  Pflanzen  aus  verschiedenen 
Familien  in  ihren  Eiweißen  so  nahe  übereinstim- 
men, daß  sie  (in  ihrer  Versuchsdisposition  1)  eine 
Verwandtschaft  anzeigen.  Für  uns  hat  dieser 
Punkt  aber  besondere  Bedeutung  dadurch,  daß 
die  beiden  Pflanzen  zugleich  Wirte  des  Cronar- 
tium asclepiadeum  sind. 

Wir  müssen  aber  noch  auf  andere  Faktoren 
hinweisen,  die  die  Verhältnisse  noch  unübersicht- 
licher gestalten  können.  Vorerst"  haben  wir  zu 
berücksichtigen,  daß  in  der  Wirtspflanze  noch 
sehr    viele    andere   Stoffe    als    nur  Eiweiße    vor- 


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banden  sind,  Verbindungen,  die  unter  Umständen 
auch    von    Bedeutung    für    den  Pilz  sein    können. 
So    hat   V.   Kirchner    gefunden,    daß    zwei    für 
Gelbrost    empfängliche    Weizensorten    einen    ge- 
ringeren Säure-,    dafür   aber  einen    bedeutenderen 
Dextrosegehalt  aufwiesen  als  zwei  wenig  empfäng- 
liche.      Ähnliches    hat    er    für    den    Befall    durch 
Steinbrand  dargetan  und  war  schon  vor  ihm  für  den 
Rebenschädling    Peronospora    viticola     be- 
kannt.     Er   ist  geneigt,    diesen  Verschiedenheiten 
die  Schuld  am  Befall  oder  Nichtbefall  zuzuschreiben. 
Dabei  darf  man  nicht  vergessen,    daß    solche  Re- 
servestoffe   (und    Stofifwechselprodukte) ,    von    Art 
zu  Art  bekanntHch,  im  Gegensatz  zu  den  Eiweißen, 
sowohl    in  quantitativer    als    auch    in    qualitativer 
Hinsicht,  sehr  variabel  sein  können.    Es  ist  daher 
sehr  virohl  möglich,  daß  ihnen  manche  Art  inner- 
halb der  oben  erwähnten  Hauptnährpflanzengruppe 
die  Immunität  gegenüber  einem  bestimmten  Para- 
siten verdankt.    Da  diese  Stoffe  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grad    auch    von    äußeren  Einflüssen,    z.  B. 
der  Düngung,  abhängig  sind,  könnten  indirekt  auch 
die  Infektionsmöglichkeiten  der  Pilze  einigermaßen 
beeinflußt    werden.      Doch    hebt    v.    Kirchner 
nachdrücklich   hervor,   daß    die  Anfälligkeit    (bzw. 
Widerstandsfähigkeit)  durchaus  erbliches  IMerkmal 
sei.     Dies    ist    natürlich    für   die   Beurteilung   der 
ganzen  Frage  von  fundamentaler  Bedeutung,  speziell 
auch    für   die  Züchtung  widerstandsfähiger  Sorten 
unserer  Kulturpflanzen. 

Ein  interessantes  Beispiel,  das  auch  in  diesen 
Zusammenhang  gehören  dürfte,  führt  Lang  an. 
Er  experimentierte  nämlich  unter  anderen  mit 
einer  für  den  Gelbrost  (Puccinia  gluniarum) 
nicht  empfänglichen  Weizensorte.  Infizierte  er 
aber  die  betreffenden  Pflanzen  vorher  mit  dem 
Brandpilze  Tilletia  Tritici,  so  verloren  sie 
ihre  Immunität  gegenüber  dem  Rostpilz.  Lang 
nimmt  wohl  mit  Recht  an,  daß  durch  das  Auf- 
lösen des  Tilletiamyzels  der  Chemismus  der  Weizen- 
sorte verändert  wurde. 

III. 

Suchen  wir  uns  zum  Schluß  noch  eine  Vor- 
stellung über  die  Vorgänge  bei  derNahrungs- 
aufnahme  der  parasitischen  Pilze  zu  machen; 
denn  das  Wie  der  Aufnahme  könnte  geeignet 
sein,  auch  einige  Anhaltspunkte  über  die  Wirts- 
wahl selbst  zu  liefern. 

Wir  dürfen  von  vornherein  nicht  annehmen, 
daß  die  Eiweißsubstanzen  der  Wirtspflanzen  als 
solche  aufgenommen  werden.  Wir  müssen  viel- 
mehr annehmen,  daß  die  Pilze  Fermente  aus- 
scheiden, die  fähig  sind,  die  komplexen  Moleküle 
zu  zerlegen.  Auf  diese  Fermentwirkung  hat  neben 
anderen  Forschern  besonders  Heske  hingewiesen. 
Die  Teilstücke  des  Eiweißes  müssen  jedenfalls  so 
klein  sein,  daß  sie  durch  die  Haustorienwand  des 
Parasiten  hindurchzutreten  vermögen.  Erst  dann 
kann  der  Pilz  sie  aufnehmen  und  in  Teile  von 
sich  selbst  umwandeln. 

Ehrlich^ denkt   sich   das  Eiweißmolekul   zu- 


sammengesetzt aus  einem  „Kern"  von  unbekannter 
chemischer  Zusammensetzung,  an  den  die  sog. 
„Seitenketten"  gebunden  sind.  Er  stellt  sich 
darunter  gewisse  chemische  Gruppierungen  vor, 
die  fähig  sind,  sich  mit  bestimmten  chemischen 
Stoffen  zu  vereinigen.  Ist  diese  Bindung  geschehen, 
so  entstehen  im  Eiweißmolekül  drin  Umlage- 
rungen,  die  die  aufgenommene  Substanz  in  Teile 
des  aufnehmenden  Organismus  selbst  umwandeln. 
Diese  Gedankengänge  bilden  die  Grundlage  zu 
E h r  1  i c h s  berühmter  „Seitenkettentheori e", 
die  in  der  Immunitätslehre  eine  so  bedeutende 
Rolle  spielt.  Die  weiteren  Punkte  dieser  Theorie 
können  wir  für  unsere  Frage  entbehren.  Für  uns 
ist  wichtig,  daß  die  Seitenketten  des  Pilzeiweißes 
—  gleichsam  als  Fangarme  wirkend  —  sich  mit 
den  durch  die  Fermente  gebildeten  Teilprodukten 
des  Pflanzeneiweißes,  unfd  mit  anderen  geeigneten 
Produkten  der  Pflanzenzelle,  verbinden  können. 
Ja,  es  erscheint  möglich,  daß  sie  diese  sogar  in- 
folge der  chemischen  Valenz  durch  die  Haustorien- 
membran  hindurchzuziehen  vermögen.  Nun  sind 
drei  Fälle  denkbar: 

1.  Die  aufgenommene  Substanz  kann  so  an 
eine  Seitenkette  gebunden  werden,  daß  sie  nach- 
her durch  intramolekulare  Umwandlungen  ver- 
arbeitbar ist. 

2.  Sie  kann  mit  einer  Seitenkette  eine  so  feste 
Bindung  eingehen,  daß  sich  dieser  intramolekulare 
Umbau  nicht  mehr  zu  vollziehen  vermag.  Abge- 
sehen davon,  daß  der  aufgenommene  Teil  so  für 
den  Pilz  nutzlos  wird,  ist  für  ihn  auch  ein  „Fang- 
arm" verloren,  da  die  Seitenkette  durch  die  feste 
Bindung  gleichsam  lahmgelegt  wird. 

3.  Und  schließlich  ist  auch  der  Fall  denkbar, 
daß  ein  aufgenommener  Stoff  zu  den  Seitenketten 
des  Pilzeiweißes  gar  keine  Affinität  besitzt  (wenn 
in  diesem  Fall  überhaupt  eine  Aufnahme  erfolgt). 

Weil  nun  sowohl  bei  den  Eiweißstoffen  der 
Wirtspflanzen  als  auch  bei  denjenigen  der  Pilze 
eine  große  Mannigfaltigkeit  möglich  ist,  und  weil 
auch  eine  große  Anzahl  von  Fermenten  in  Be- 
tracht kommen  kann,  verwundert  uns  die  große 
Vielgestahigkeit  in  der  Wirtswahl  durchaus  nicht. 
Daß  die.«e  aber  in  den  weitaus  meisten  Fällen  mit 
der  systematischen  Verwandtschaft  der  Wirte 
Hand  in  Hand  geht,  wird  verständlich  durch  die 
damit  mehr  oder  weniger  parallel  gehende  Ei- 
weißverwandtschaft. 

Die  Unempfänglichkeit  könnte  nach  dieser 
Hypothese  ihren  Grund  in  einer  Lahmlegung  der 
Seitenketten  haben,  wenn  nicht  schon  die  Fer- 
mente des  Pilzes  ungeeignet  waren  zum  Auflösen 
des  betreffenden  pflanzlichen  Eiweißes.  Die  Uber- 
empfänglichkeit  dagegen  ist  wohl  am  einfachsten 
als  zu  heftiges  Einwirken  der  Fermente  erklärbar, 
da  man  ja  ein  Absterben  der  Wirtspflanzenzellen 
konstatiert. 

Eine  geringe  Änderung  im  Chemismus  des 
Pilzes  —  sei  sie  nun  durch  Mutation  oder 
sonstwie  entstanden  —  hätte  sogleich  eine  Ände- 
rung in  der  Wirtswahl  zur  Folge,  also  die  Bildung 


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einer  neuen  Spezialform.  Von  dieser  aus  ist  der 
Schritt  zu  einer  neuen  morphologischen  Art  kein 
großer  und  kaum  mehr  prinzipieller  Natur.  Man 
weiß  im  Grund  nie,  ob  bei  den  „biologischen 
Arten"  nicht  doch  geringe,  mit  den  derzeitigen 
Hilfsmitteln  nicht  beobachtbare  morphologische 
Unterschiede  vorhanden  sind,  und  die  Übergänge 
zu  „guten  Arten"  sind  ja  allmähliche. 

Überblicken  wir  noch  einmal  unser  Problem, 
so  erscheint  es  uns  als  sehr  wahrscheinlich, 
daß  die  Wirtswahl  in  erster  Linie  ab- 
hängig ist  von  den  Eiweißsubstanzen 
der  Wirtspflanzen.  Da  aber  ein  und 
dasselbe  Lebewesen  verschiedene  Ei- 
weißkörper besitzt,  und  da  ebenfalls 
Stoffwechselprodukte  und  Reserve- 
stoffe, sowie  morphologische  Eigen- 
tümlichkeiten von  Einfluß  sein  können 
und  indem  auch  verschiedene  Fermente 
entscheidend  einwirken  werden,  treten 
in  der  Wirtswahl  eines  Parasiten  viele 
Unregelmäßigkeiten  auf,  so  daß  sie 
nicht  durchaus  mit  der  systematischen 
Verwandtschaft  der  Wirtspflanzen  par- 
allel  geht.  Mit  H.lfe  der  Ehrlichschen 
Seitenkettentheorie  kann  man  sich  einigermaßen 
eine  Vorstellung  von  den  komplizierten  Wechsel- 
beziehungen machen.  Möge  bald  die  Eiweiß- 
chemie die  Hindernisse,  die  einen  tieferen  Einblick 
in  diese  Fragen  verwehren,  überwinden.  Dann 
wird  man  für  unser  Problem,  und  auch  für  die  sich 
eng  anschließende  Frage  der  Bildung  neuer  Formen 
im  Pflanzenreich,   auf  besserer   Grundlage  stehen. 


Literatur. 
Für  die  Literatur  über  die  Rostpilze  verweise  ich  auf  die 
alljährlichen  Zusammenstellungen  von  Ed.  Fischer  (Fischer, 
Ed.,  Publikationen  über  die  Biologie  der  Uridineen,  Zeitscbr. 
f.  Botanik). 

1.  V.  Büren,  G. ,  Die  schweizerischen  Protomycetaceen 
mit  besonderer  Berücksichtigung  ihrer  Entwicklungsgeschichte 
und  Biologie.  (Beilr.  zur  Kryplogamenflora  d.  Schweiz  V,  I, 
1915)- 

2.  Eberhardt,  R.,  Contiibutions  a  l'etude  de  Cystopus 
candidus  (Centralblatt  f.  Bakteriologie  usw.  2.  Abt  XII 
1904.) 

3.  Fischer,  Ed.,  Der  Speziesbegrifif  und  die  Frage  der 
Speziesentstehung  bei  parasitischen  Pilzen.  (Verhandl.  Schweiz. 
Naturf.  Ges.  98.  Jahresvers.  Schuls   1916,  II.  Teil). 

4.  Gäumann,  E.,  Über  die  Formen  der  Peronospora 
parasitica.      (Beih.    z.    Bot.  Centralbl.  XXXV,    Abt.   I,   1918.) 

5.  Hasler,  R.,  Beitr.  z.  Kenntn.  d.  Crepis- u.  Centaurea- 
Puccmien  vom  Typus  d.  P.  Hieracii.  (Centralbl.  f.  Bakterio- 
logie usw.  Abt.  11,  48,   191S). 

6.  Kobel,  F.,  Zur  Biologie  der  Trifolien-bewohnenden 
Uromyces-Arten.     (Ibidem  52,   1920). 

7  Schweizer,  J.,  Untersuchungen  am  Salatschimmel, 
Bremia  Lactucae  Regel.  (Verh.  d.  thurgauisch.  naturf.  Ges. 
Hefl  23,   1919). 

8.  S  tag  er,  R.,  Verschiedene  Publikationen  in  Bot.  Zei- 
tung 51,  1003,  Centralbl.  f.  Bakteriologie  II.  Abt.  14,  190?: 
17,  1907;  20,   1908;  27,  1910. 

9.  S  t  a  k  m  a  n ,  E.  C,  Relation  between  Puccinia  graminis 
and  plants  highly  resistant  to  its  attack.  (Journ.  of  Agric. 
Res.  Vol.  44,   1915). 

10.  Steiner,  R. ,  Die  Spezialisation  der  Alchimillen- 
bewohnenden  Sphaerotheca  Humuli.  (Centralbl.  f.  Bakterio- 
logie usw.  21,   J908). 

11.  Thöni  und  Thaysen,  Zeitschr.  f.  Immunitätsf.  I, 
23,   1915,  S.  82—107,  vgl.  besonders  S.  106. 

12.  Wendelstadt  undFellmer,  ibidem  8,  1911. 
S-  43—57- 


Die  Birotationstheorie. 


[Nachdruck  verboten.]  Von  Hans  Passarge 

Die  neue  Theorie  der  Schwerkraft,  deren 
Grundzüge  hier  kurz  entwickelt  werden  sollen, 
hat  ihren  Ursprung  in  erkenntniskritischen  Er- 
wägungen zur  theoretischen  Mechanik.  Sie  stellt 
im  Sinne  der  Mechanik  von  Heinrich  Hertz 
einen  Versuch  dar,  die  unter  dem  Einfluß  der 
Gravitation  verlaufenden  gleichförmig  beschleu- 
nigten Bewegungen  auf  rein  gleichförmige,  nur 
dem  Trägheitsprinzig  unterliegende  Bewegungen 
zurückzuführen  oder  mit  anderen  Worten,  eine 
mechanische  Erklärung  für  Ursprung  und  Wesen 
der  Gravitation  zu  liefern.  ^) 

Nach  der  klassischen  Mechanik  Newtons  ist 
jede  Masse  Ursache  einer  Beschleunigung,  ohne 
daß  aber  der  Begriff  „Masse"  über  seine  mathe- 
matische Richtigkeit  und  Anwendbarkeit  hinaus 
definiert  wird.  In  dieser  Gestalt  erfordert  der  auf  die 
Mechanik  der  Himmelskörper  angewandte  Begriff 
„Masse"  eindeutig  die  Annahme,  daß  den  Himmels- 
körpern  eine   verschiedene  mittlere  Dichte  eigen- 

')  Heinrich  Hertz,  Die  Prinzipien  der  Mechanik,  in 
neuem  Zusammenhang  dargestellt.     Leipzig  1894. 


(Königsberg  i.  Pr.). 

tümlich  ist,  eine  Annahme,  die  sich  nicht  ohne 
weiteres  mit  sehr  bestimmten  Ergebnissen  der 
Astrophy.sik  in  Übereinstimmung  bringen  läßt. 
Eine  unbefangene  Überlegung,  d.  h.  eine  solche, 
der  der  Begriff  „Masse"  im  Sinne  Newtons  nicht 
vertraut  ist,  würde  viel  eher  auf  die  Annahme 
verfallen,  daß  die  mittlere  Dichte  aller  Himmels- 
körper die  gleiche  ist,  und  eine  Theorie  der 
Gravitation,  die  zu  einem  solchen  Ergebnis  führen 
würde,  würde  den  geschulten  Astronomen  und 
Physiker  zwar  befremden,  eine  Überlegung  aber 
befriedigen,  die  sich  ohne  Kenntnis  des  Gravitations- 
gesetzes, aber  mit  Kenntnis  der  Ergebnisse  der 
Spekt^o^kopie  zum  ersten  Mal  der  Frage  gegenüber- 
sähe, welche  Dichte  den  einzelnen  Himmelskörpern 
eigentümlich  ist.  Der  Begriff  einer  unterschied- 
lichen Dichte  ist  uns  nur  von  den  irdischen  Stoffen 
her  unmittelbar  geläufig,  denn  ohne  weiteres  und 
logisch  widerspruchslos  führen  wir  bei  zwei  ihrem 
Volumen  nach  gleichen,  ihrem  Gewicht  nach  aber 
verschiedenen  Körpern  den  Gewichtsunterschied 
auf  die  verschiedene  Dichte  zurück.  Die  Frage 
läßt  sich  aber  nicht  abweisen:   ob  es  logisch  zu- 


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lässig  ist,  den  Himmelskörpern  einen  Dichteunter- 
schied im  gleichen  Sinne  beizulegen,  wie  den 
irdischen  Körpern,  die  wir  greifen  und  wägen 
können.  Der  Zweifel  gründet  sich  vornehmlich 
darauf,  daß  die  Ergebnisse  der  Spektralanalyse 
selbstleuchtender  Himmelskörper  eine  sehr  weit- 
gehende Übereinstimmung  der  sie  zusammen- 
setzenden Stoffe  ausweisen.  Läßt  man  daraufhin 
die  heuristische  Hypothese  zu,  daß  alle  Himmels- 
körper, von  denen  eine  Attraktionswirkung  ausgeht, 
von  gleicher  mittlerer  Dichte  sind,  so  gerät  man 
sofort  mit  dem  Gravitationsgesetz  in  Widerspruch, 
von  dem  nur  die  weitere  Hypothese  befreien  kann, 
daß  zwar  ein  gewisser  Teil  des  Himmelskörpers 
inbezug  auf  seine  Dichtigkeit  dem  Zustand  ent- 
spricht, der  aus  dem  Gravitationsgesetz  abgeleitet 
werden  muß,  daß  aber  seine  weitaus  größere  Masse 
von  gleicher  Dichte  wie  die  mittlere  Dichte  der 
Erde  ist.  Eine  solche  Hypothese  ist  deshalb  logisch 
zulässig,  weil  es  sich  bei  den  Werten,  die  wir  für 
die  Masse  und  Dichte  der  einzelnen  Himmels- 
körper kennen,  immer  nur  um  relative  Werte 
handelt. 

Auf  dieser  Hypothese  also  fußt  die  Birotations- 
theorie,  indem  sie,  zunächst  nur  in  Anwendung 
auf  die  zum  Sonnensystem  gehörigen  Himmels- 
körper, voraussetzt,  daß  nur  die  äußeren  Erstar- 
rungs-  oder  Abkühlungsrinden  der  Planeten  und 
der  Sonne  in  ihrem  Dichtigkeitsverhältnis  den  aus 
dem  Gravitationsgesetz  abgeleiteten  verschiedenen 
Werten  entsprechen,  daß  aber  der  ganze  innere 
Kern  bei  allen  von  gleicher  mittlerer  Dichte  ist. 
Unter  solcher  Voraussetzung  würde  sich  wegen 
des  unterschiedlichen  Trägheitsmoments  von  Rinde 
und  Kern  die  Rotation  eines  Planeten  unter  ver- 
schiedenen Bedingungen  vollziehen,  und  es  wäre 
die  weitere  Annahme  zulässig,  daß  die  Rotation, 
die  wirklich  beobachtet  wird,  nicht  die  ursprüng- 
liche Rotation,  des  Planeten  ist,  sondern  —  im 
Rahmen  der  über  unbegrenzte  Zeitfristen  sich 
erstreckenden  kosmischen  Entwicklung  —  ein 
posthumer  Bewegungszustand  nur  der  Planeten- 
rinde, während  das  ganze  Innere  um  eine  anders 
gerichtete  innere  Achse  in  entgegengesetzter 
Richtung  rotiert.  Einen  äußeren  Anhalt  für  eine 
solche  Annahme  bieten  die  Eigenbewegungen  der 
Gebilde  auf  der  Oberfläche  von  Saturn,  Jupiter  und 
Sonne,  aber  es  bietet  sich  eine  schwache  Analogie 
auch  auf  der  Erde  selbst,  wenn  man  sich  der  Ent- 
stehung der  äquatorialen  Meeresströmungen  und 
der  Passatwinde  erinnert.  Beschränken  wir  zu- 
nächst die  Betrachtung  allein  auf  den  Planeten 
^  Erde,  so  gewinnen  wir  folgendes  Bild:  Die 
ganze  Erdrinde,  Lithosphäre  und  Atmosphäre 
als  eine  Einheit  genommen,  rotiert  von  Westen 
nach  Osten  im  Ablauf  eines  Sterntages  einmal 
um  die  Hauptträgheitsachse;  diese  Rotation  ist  ein 
Folgevorgang  der  hypothetischen  Rotation  des 
ganzen  Erdinnern  von  Osten  nach  Westen,  die  in 
kosmischer  Vorzeit  die  einzige  und  ursprüngliche 
Rotation  der  Urerde  war,  heute  aber  noch  als 
Innenrotation  fortdauert.     Aus  beiden  Rotationen 


resultieren  „Fliehkräfte",  und  aus  Gründen,  die 
wohl  in  der  atomistischen  Struktur  der  Materie  zu 
suchen  sind,  stehen  alle  der  Erde  zugehörigen 
Körper  unter  der  Einwirkung  beider  „Fliehkräfte", 
die  wir  uns  aber  nicht  als  Fliehkräfte  im  gewöhn- 
lichen Gebrauch  des  Wortes  vorzustellen  haben, 
sondern  als  Lageverrückungen  unter  dem  Ein- 
fluß gleichförmiger  Bewegungen.  Die  so  beein- 
flußten Körper  nehmen  dann  den  Weg,  der  sich 
als  Resultierende  eines  Wegeparallelogramms  ergibt, 
und  die  Resultierende  selbst  ist  nach  Richtung 
und  Strecke  der  freie  Fall.  Ist  dies  alles  richtig, 
dann  muß  sich  nachweisen  lassen,  daß  die  von 
einem  freifallenden  Körper  in  einer  Sekunde,  unter 
der  Annahme,  seine  Bewegung  erfolge  mit  gleich- 
förmiger Geschwindigkeit,  zurückgelegte  Strecke 
abzuleiten  ist  aus  den  gleichförmigen  Bewegungen, 
die  die  beiden  Rotationen,  weil  allein  dem  Trägheits- 
prinzip gemäß  verlaufend,  darstellen.  Man  kann 
aber  die  Fallstrecke  als  mit  der  halben  End- 
geschwindigkeit in  gleichförmiger  Bewegung 
zurückgelegt  ansehen  und  also  schreiben: 
I  2  ?r  (r  —  e) 

I)  -y- — T — 

wenn  /  in  m/sec'^  die  Schwerebeschleunigung,  r  den 
ganzen  Radius  der  Erde,  q  den  Radius  der  inneren 
Erdkugel  und  T  in  Sekunden  die  Frist  eines 
Sterntages  bezeichnen.  Die  Gleichung  ist  rein 
geometrisch  und  homogen,  weil  auf  beiden  Seiten 
beschleunigungslose  Bewegung  ausgedrückt  ist, 
nachdem  man  den  Wert  für  die  beobachtete 
Schwerebeschleunigung  g  so  auf  y  reduziert  hat, 
daß  er  der  Länge  eines  Sternzeit  Sekundenpendels 
entspricht.  Indem  wir  so  verfahren,  schalten  wir, 
ganz  im  Sinne  der  Hertz  sehen  Mechanik,  den 
Begriff  „Kraft"  aus  der  Überlegung  aus  und  führen 
jede  Bewegung,  die  man  sich  gewöhnlich  als  unter 
dem  Einfluß  von  Kräften  verlaufend  vorstellt,  auf 
eine  Bewegung  zurück,  die  nur  unter  dem  Träg- 
heitsprinzip verläuft.  Das  berechtigt  oder  vielmehr 
zwingt  zu  einer  geometrischen  Behandlung  des 
Problems.  Dann  entspricht,  wenn  man  dem  Radius 
der  Erde  r  den  Wert  i  gibt,  die  Länge  des  In- 
nenradius q  bezogen  auf  die  Erdoberfläche,  der 
Länge  eines  Sternzeit- Sekundenpendels  L,  und 
es  ist: 


—  =  —  oder  o  =  rL. 
r        I  ^ 


2) 

Setzt  man  diesen  Wert  für  q  in  Gleichung  i)  ein, 
so  erhält  man,  da  y  =  sr-L,  als  Wert  für  die  Länge 
des  mittleren  Erdradius: 


1)  r  =  —  TT  T j- 

•"  4  I  —  L 

Die  Ausrechnung  ergibt  in  Übereinstimmung 
mit  den  geodätischen  Messungen  für  r^^  den  Wert 
6  367  331m.  Für  q  ergibt  sich  der  Wert  6  300  370  m, 
und  der  Abstand  x—q,  also  die  Mächtigkeit  der 
Lithosphäre,  ist  dann  66961  m,  in  Übereinstim- 
mung mit  der  Rechnung  nach  geothermischen 
Tiefenstufen,    denen    zufolge   in    einer  Tiefe  von 


120 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


rund  6;  km  unter  der  Erdoberfläche  alle  auf  ihr 
bekannten  Stoffe  schmelzflüssig  sein  müssen.  Die 
Masse  der  Erde  muß  nun  nach  der  Birotations- 
theorie  definiert  werden  nicht  als  Masse  des  ganzen 
Erdballes,  sondern  als  Produkt  des  Rauminhalts 
der  Lithosphäre  in  die  mittlere  Dichtigkeit  der 
die  Lithospäre  zusammensetzenden  Stoffe.  Diese 
Dichtigkeit  hat  nach  den  Ergebnissen  der  Geo- 
logie und  der  Geophysik  den  runden  Wert  2,6; 
dem  Rauminhalt  der  Lithosphäre  entspricht  der 
Ausdruck  (i  — L)".  Das  Resultat  muß,  wenn  die 
Birotationstheorie  richtig  ist,  das  gleiche  sein  wie 
das  aus  der  allgemeinen  Gravitation  abgeleitete 
Ergebnis  für  die  Masse  der  ganzen  Erde.  In  der 
Tat  ist  (i— L)3  ■  2,6—1  :  330593.  Wir  dürfen 
also  sagen:  Der  aus  der  Birotationstheorie  abge- 
leitete Wert  für  die  Masse  der  Lithosphäre  ist, 
bei  nicht  ganz  sicherem  Wert  für  ihre  mittlere 
Dichte,  identisch  mit  dem  auf  Grund  der  allge- 
meinen Gravitation  abgeleiteten  Wert  für  die  Masse 
der  ganzen  Erde.  Der  Wert  für  L  ist  0.9894836  m, 
Log  (i—L)  =  0,0218671 —2.  Auf  welche  geo- 
graphische Breite  bei  vorstehenden  Ausrechnungen 
die  Länge  des  Sekundenpendels  zu  beziehen  ist, 
muß  zunächst  außer  Betracht  bleiben,  um  die 
weitere  Darstellung  der  Theorie  nicht  zu  ver- 
zögern und  zu  Beweisen  zu  gelangen,  die  noch 
eindringlicher  für  sich  selbst  sprechen. 

Wir  übertragen  die  Birotationstheorie  auf  die 
Bewegung  des  Systems  Erde -Mond.  Da  beide 
Himmelskörper  gemäß  unserer  Hypothese  von 
gleicher  Dichte  sein  sollen,  berechnet  sich  die 
Lage  des  Schwerpunktes  des  Systems  nicht  aus 
den  „Massen",  sondern  aus  den  Volumina.  Be- 
deutet R  den  Abstand  des  Mondes  vom  Schwer- 
punkt des  Systems,  und  P  den  Abstand  des  Erd- 
mittelpunktes vom  Schwerpunkt  des  Systems,  ist 
also  R  -f  P  der  aus  der  Mondparallaxe  berechnete 
Abstand  Erde  Mond,  und  V:  i  das  Volumenver- 
hältnis Erde  :  Mond,  dann  liegt  der  Schwerpunkt 
des  Systems  außerhalb  der  Erde,  1317000  m  von 
der  Oberfläche  entfernt,  und  es  muß,  wenn  die 
Theorie  richtig  ist,  der  Wert  für  die  Schwerkraft 
des  Mondes  sich  aus  seiner  Bewegung  um  den 
Schwerpunkt  des  Systems  ableiten  lassen.  Wir 
können  aber  auch  einfacher  verfahren,  indem  wir 
Erde  und  Mond  als  nur  einen  Himmelskörper 
auffassen  und  auf  eine  solche  fiktive  räumliche 
Einheit  die  Birotationstheorie  unmittelbar  wie  auf 
die  Erde  allein  anwenden.  Dann  haben  wir  in 
Gleichung  2)  r  durch  R  zu  ersetzen,  und  es  ist 
der  Quotient  q:R  gleich  der  Länge  des  Sekunden- 
pendels für  den  Mond,  ein  Wert,  der  mit  tt- 
multipliziert,  die  Schwerkraft  des  Mondes  im  Ver- 
hältnis zur  Schwerkraft  der  Erde  ergeben  muß. 
Ist  also  die  mittlere  Entfernung  Erde  Mond  aus 
der  Parallaxe  zu  38442OGOO  m  bestimmt,  so 
findet  man,  wenn  V:  1=49,504  das  Volumen- 
verhältnis ausdrückt,  nach  den  obigen  Angaben 
R  =  376 808  300  m  und  P  =761 1673  m.  Dann 
ist  ?7:2j5  R-i  =  0,165  S  die  Schwerkraft  des  Mondes, 
ein  Resultat,   das   mit   den   besten  Bestimmungen 


der  „Masse"  des  Mondes,  insbesondere  mit  der 
Bestimmung  von  Hinks  aus  Störungen  in  der 
Bahn  des  kleinen  Planeten  Eros,  vollkommen  über- 
einstimmt. Die  gleiche  Auffassung,  nämlich  die 
Auffassung  des  Systems  Erde-Mond  als  einer  Ein- 
heit, führt  aber  auch  zu  den  Relationen 

4) 


„       2  TT  R  dm 

g  T    t 


5) 


2   TT  P  V^ 


vi7orin  g  in  mjsec'^  die  Schwerebeschleunigung  der 
Erde,  R,  P  und  V  wie  oben  angegeben,  dm  ein 
unendlich  kleines  Massenteilchen,  T  einen  mittleren 
Sonnentag  in  Sekunden  und  t  die  Frist  einer 
synodischen  Lunation  in  mittleren  Sonnentagen 
bedeuten. 

In  Wahrheit  sind  Erde  und  Mond  ein  Doppel- 
stern. Die  Zusammenordnung  zweier  oder  mehrerer 
Himmelskörper  zu  Systemen  von  Doppelsternen 
oder  mehrfachen  Sternen  sind  wir  vielleicht  be- 
rechtigt, als  eine  allgemeine  Regel  im  Aufbau  des 
Kosmos  zu  verstehen,  i)  Das  Verhältnis  zweier 
gleich  schwerer,  durch  eine  gewichtslose  Stange 
verbundener  Körper  a  und  b  und  ihre  gleichförmige 
Bewegung  um  den  in  der  Mitte  ihres  Abstandes 
gelegenen  gemeinsamen  Schwerpunkt  können  wir 
uns  in  der  Weise  veränderlich  denken,  daß  a  an 
Größe  stetig  bis  zur  Größe  A  zunimmt  und  b 
stetig  bis  zur  verschwindend  kleinen  Größe  ß  ab- 
nimmt; dann  rückt  der  Schwerpunkt  immer  mehr 
nach  der  Seite  des  zunehmenden  Körpers,  während 
auf  beiden  Seiten  die  Bewegungsenergie  gleich 
bleibt.  Setzen  wir  dann  die  Veränderung  soweit 
fort,  daß  b  zu  /J  und  a  zu  A,  d.  h.  daß  die  Größe 
b  verschwindend  klein  gegen  A  und  demgemäß 
der  Abstand  des  Körperchens  ß  vom  Schwerpunkt 
des  Systems  unendlich  groß  wird  gegen  den  Ab- 
stand des  Körpers  A  vom  Schwerpunkt  des  Systems, 
so  daß  wir  also  keinen  Fehler  mehr  machen,  wenn 
wir  den  Schwerpunkt  des  Systems  mit  dem 
Schwer-  und  Mittelpunkt  des  Körpers  A  zusammen- 
fallen lassen,  dann  ist  ein  so  entstanden  gedachtes 
und  bewegt  vorgestelltes  System  mit  der  Zentral- 
bewegung eines  Körpers  von  kleinstem  Gewicht 
um  einen  festen  Punkt  identisch,  und  wir  stehen 
ganz  unter  dem  Emdruck,  als  ob  von  dem  festen 
Punkt  eine  „Kraft"  ausgeht,  die  das  Körperchen  ß 
nach  einem  Zentrum,  nämlich  nach  A  hinzieht. 
Übertragen  wir  nun  diese  Betrachtungsweise  auf 
ein  fingiertes  isoliertes  System  Sonne  Erde,  so 
dürfen  wir  nach  Analogie  mit  den  Relationen  4) 
und  5)  schreiben : 

4)'  r3^27tRfi 


r«  = 


T  t 

2  TT  ff  V 

T  t 


Hierin  bedeutet /'die  zunächst  nachStrecke/sec- 


')    W.    Trabert,    Kosmische    Physik.       Leipzig    191 1, 
S.  196. 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


121 


noch  unbekannte  Anziehungskraft  der  Sonne  an 
ihrer  Oberfläche,  R  den  Abstand  der  Erde  vom 
Schwerpunkt  des  Systems  Sonne-Erde,  /<  die  Masse 
der  Erde,  a  den  verschwindend  kleinen  Abstand 
des  Sonnenmittelpunktes  vom  Schwerpunkt  des 
Systems ,  V  =  i  ^  das  Volumen  der  Sonne, 
T  in  Sekunden  einen  mittleren  Sonnentag,  t  in 
mittleren  Sonnentagen  die  Frist  eines  Jahres- 
umlaufes der  Erde.  Multipliziert  man  4)'  und  5)' 
miteinander  und  gibt  zugleich  der  verschwindend 
kleinen  Strecke  0  den  Wert  i  m,  dann  muß  auch 
auf  der  linken  Seite  F  in  Metern  ausgedrückt 
werden  und  man  erhält,  wenn  G  diese  in  m/sec" 
ausgedrückte  Schwerkraft  der  Sonne  ist: 

6)  G«=^f;^. 


Die  Ausrechnung  mit  den  Zahlenwerten  der 
einzelnen  Größen  bestätigt  die  Richtigkeit,  und 
die  Auflösung  der  Gleichung  nach  R  ergibt  für 
die  Berechnung  die  astronomische  Einheit: 

worin  k  die  Gaus  sehe  Sonnenkonstante  ist.    Die 

Gleichung  enthält  aber  auch  das  dritte  Keplersche 

Gesetz : 

R« 
,,  =  const. 

und  sie  bestätigt  damit  die  Richtigkeit  der  Biro- 
tationstheorie,  deren  Voraussetzung  es  eben  war, 
daß  alle  Himmelskörper,  von  denen  eine  Attraktions- 
wirkung im  Sinne  des  Newton  sehen  Gravitations- 
gesetzes ausgeht,  von  gleicher  Dichte  sind. 


Einzelberichte. 


Der  positive  Spitzenstrom. 


Die  elektrische  Entladung  zwischen  einer  Spitze 
und  einer  Platte  als  Elektroden  erfolgt  in  Gasen 
in  Form  des  sogenannten  Spitzenstroms.  Ist  die 
Spitze  Kathode,  d.  h.  negative  Elektrode,  so  ist 
selbst  bei  Atmosphärendruck  die  selbständige  Ent- 
ladung ein  Glimmstrom  mit  den  charakteristischen 
Kathodenlichtschichten.  Auch  bei  positiver  Spitze 
kann  sich  ein  Glimmstrom  ausbilden;  nur  zeigen 
sich  dann  die  leuchtenden  Kathodenschichten  an 
der  negativen  Plattenelektrode.  Unter  besonderen 
Bedingungen  (großer  Elektrodenabstand,  geringe 
Stromstärke  und  nicht  zu  niedriger  Gasdruck)  kann 
aber  bei  einer  Spitzenanode  eine  ganz  andere 
Entladungsform  auftreten,  wobei  die  Plattenkathode 
ganz  dunkel  bleibt  und  sich  nur  an  der  positiven 
Spitze  ein  Lichtbündel  zeigt.  Diese  ganz  andere 
Art  der  Entladung  wurde  von  Johannes  Stark  der 
, .positive  Spitzenstrom"  genannt.  Durch  Erhöhung 
der  Stromstärke  geht  der  positive  Spitzenstrom 
leicht  in  die  gewöhnliche  Glimmstromentladung 
über;  an  der  vorher  dunklen  Kathodenplatte  treten 
dann  die  Glimmstromkathodenschichten  auf  und 
gleichzeitig  sinkt  der  Spannungsabfall  an  der 
Spitzenanode  von  einigen  hundert  Volt  auf  den 
kleinen  Wert  des  Glimmstromanodenabfalls. 

Auf  Veranlassung  von  J.  Stark  untersuchte 
MaxWeth')  die  Leuchterscheinungen  des  posi- 
tiven Spitzenstromes  spektrographisch.  Um  ein 
helles  großes  Anodenlichtbüschel  zu  erzielen, 
erzeugte  Weth  den  positiven  Spitzenstrom  in 
Wasserstoff  von  nur  einigen  Millimetern  Gasdruck. 
Er  fand,  daß  bei  geringem  Druck  die  Anode 
durchaus  nicht  eine  scharfe  Spitze  zu  sein  braucht. 
Weth  benützte  zur  Erzielung  großer  Lichtstärke 
als  Anode  einen  Messingstift  von  1,5  bis  5  mm 
Durchmesser,  der  bis  an  sein  Ende  in  eine  Glas- 


')  Ann.  d.  Phys.  Bd.  62,  S.  58g — 602,  1920. 


röhre  eingeschmolzen  und  mit  dieser  zusammen 
glatt  abgeschliffen  war.  Trotzdem  war  an  der 
kleinen  ebenen  Anodenfläche  der  Spannungsabfall 
zur  Ausbildung  eines  positiven  Lichtbüschels  hin- 
reichend. Als  Entladungsgefäß  diente  ein  Liter- 
kolben mit  Quarzfenster.  Der  beschriebenen 
Anode  gegenüber  war  das  untere  Drittel  des  Glas- 
kolbens innen  versilbert  und  bildete  die  Kathode. 
Als  Stromquelle  diente  eine  Hochspannungs- 
dynamomaschine von  35CO  Volt,  von  der  beliebige 
Spannungen  abgenommen  werden  konnten. 

In  Wasserstoff  von  2  mm  Druck  zeigte  der 
positive  Spitzenstrom  folgendes  Aussehen:  die 
ebene  Endfläche  der  Drahtanode  ist  von  einer 
dünnen,  weißblauen  und  ziemlich  hellen  Lichthaut 
überzogen;  dann  folgt  eine  viel  dunklere  0,3  mm 
dicke  Schicht.  Auf  dieser  sitzt  ein  weißlicher 
Kegel,  der  ganz  allmählich  in  einen  braunrötlichen 
Lichtpinsel  von  etwa  12  mm  Länge  übergeht  und 
dann  im  Gasraum  erlischt.  Bei  ganz  niedrigen 
Drucken  wird  das  Lichtbüschel  zwar  bis  25  mm 
lang,  aber  auch  äußerst  lichtschwach ;  unter  1  mm 
Gasdruck  ist  der  Spitzenstrom  nur  noch  schwierig 
zu  erhalten. 

Diese  beobachteten  Leuchterscheinungen 
stimmen  völlig  mit  der  von  Stark  aufgestellten 
Theorie  des  positiven  Spitzenstroms  überein.  Infolge 
der  kleinen  Oberfläche  der  positiven  Elektrode 
konzentriert  sich  der  Potentialabfall  an  dieser; 
daher  strömen  auf  die  Anode  aus  dem  Gasraum 
mit  wachsender  Geschwindigkeit  negative  Ionen 
und  vor  allem  Elektronen.  Die  Elektronen  treffen 
schließlich  mit  einigen  hundert  Volt  Geschwindig- 
keit auf  das  Anodenmetall  und  werden  reflektiert 
oder  lösen  sekundäre  Kathodenstrahlen  aus.  Daher 
herrscht  an  der  Anode  durch  den  dichten  Elektronen- 
schwarm  der  verschiedensten  Geschwindigkeiten 
eine  lebhafte  Oberflächenionisation;  durch  Elek- 
tronenstoß wird  unmittelbar  an  der  Anode  das 
Gas    stark    ionisiert    und    die    hier    entstehenden 


122 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Atom-  und  Molekülionen  emittieren  bei  ihrer 
Bildung  Licht,  das  uns  in  der  sehr  hellen  weiß- 
blauen Anodenlichthaut  entgegentritt. 

Aus  diesem  Gebiet  stärkster  Ionisation  unmittel- 
bar an  der  Anode  werden  die  positiven  Ionen 
abgestoßen  und  laufen  mit  zunächst  wachsender 
Geschwindigkeit  in  den  Gasraum.  In  nächster 
Nähe  der  Anode  ist  aber  die  Geschwindigkeit  der 
positiven  Ionen  noch  zu  gering,  um  beim  Zusammen- 
stoß mit  Gasmolekeln  ionisierend  oder  licht- 
erregend zu  wirken.  Wir  haben  hier  die  auf  die 
Anodenlichthaut  folgende  viel  dunklere  Schicht 
vor  uns,  welche  —  wie  oben  erwähnt  —  in  Wasser- 
stoff von  2  mm  Gasdruck  03  mm  dick  ist.  Am 
Ende  dieses  „Dunkelraumes"  ist  aber  die  Ge- 
schwindigkeit der  positiven  Ionen  so  groß  geworden, 
daß  sie  die  lonisierungsarbeit  beim  Zusammenstoß 
mit  Gasmolekeln  leisten  können. 

Auf  den  Dunkelraum  folgt  also  eine  zweite 
Zone  lebhafter  Ionisation  und  Lichterregung  durch 
den  Stoß  der  raschen  positiven  Ionen.  Dies  ist 
das  Gebiet  des  mit  dem  Auge  sichtbaren  weiß- 
lichen Lichtkegels  und  des  Lichtpinsels.  In  dem 
dichten  Gas  verlieren  allmählich  die  positiven 
Ionen  durch  Zusammenstöße  mit  Gasmolekeln 
und  durch  lonisierungsarbeit  an  Geschwindigkeit 
und  können  diese  auch  nicht  mehr  zurückgewinnen, 
da  in  größerer  Entfernung  von  der  Spitzenanode 
das  elektrische  Feld  immer  schwächer  wird.  Die 
positiven  Ionen  laufen  dann  langsam  auf  die  Platten- 
kathode zu,  wo  sie  neutralisiert  werden.  Auf  dem 
letzten  Teil  ihres  Weges  können  sie  wegen  ihrer 
geringen  Geschwindigkeit  weder  Ionisation  noch 
Leuchten  hervorrufen  und  erleiden  daher  auch 
keine  Umladungen  mehr. 

Großes  Interesse  bietet  die  spektrographische 
Untersuchung  des  positiven  Spitzenstroms.  Nach 
Starks  Theorie  werden  von  der  Spitzenanode 
positive  Ionen  in  den  Gasraum  hinausgestoßen 
und  bewirken  die  Bildung  des  positiven  Licht- 
büschels. Wenn  dieses  wirklich  von  schnellen 
leuchtenden  Ionen  (=  Kanalstrahlen)  hervorgerufen 
wird,  so  stellen  diese  eine  rasch  bewegte  Licht- 
quelle dar  und  die  Spektrallinien  der  Wasserstoff- 
ionen müssen  nach  Dopplers  Prinzip  eine  Ver- 
schiebung der  Wellenlänge  aufweisen.  Wirklich 
beobachtete  Weth  bei  den  Linien  Hß  und  Hy  des 
des  Balm  er  sehen  Serienspektrums  eine  Ver- 
schiebung um  3  Angströmeinheiten  (==  AE),  ^) 
was  einer  Geschwindigkeit  der  leuchtenden  Wasser- 
stoffteilchen im  Lichtpinsel  des  positiven  Büschel- 
lichts von  i8o-Volt  entspricht.  Da  im  Lichtpinsel 
auch  ganz  langsame  Teilchen  leuchten  und  da 
nach  Dempster  neutrale  Kanalstrahlenteilchen 
unter  50  Volt  Geschwindigkeit  nicht  mehr  leuchten, 
so  zieht  Weth  den  wichtigen  Schluß,  daß  es  nur 
die  positiv  geladenen  Wasserstoffteilchen  sind, 
welche  Licht  aussenden.  Dies  entspricht  Starks 
Hypothese,  daß  das  Balm  ersehe  Serienspektrum 

')  I  AE  ==  0,000000 1  mm. 


vom  positiven  Wasserstoffatom  emittiert  wird, 
während  nach  Bohrs  erfolgreicher  Theorie  die 
Balmerlinien  vom  neutralen  Wasserstoffatom 
stammen  sollen.  Immerhin  ist  durch  Unter- 
suchung des  positiven  Büschellichts  BohrsTheorie 
wohl  nicht  entscheidend  zu  widerlegen,  da  durch 
den  hohen  Gasdruck  im  positiven  Spitzenstrom 
die  Möglichkeit  der  Neutralisierung  und  Umladung 
der  Ionen  nicht  mit  völliger  Sicherheit  aus- 
geschlossen werden  kann. 

Das  Bandenspektrum  des  Wasserstoffs  fand 
Weth  am  stärksten  in  der  Nähe  der  Spitzenanode. 
Es  i^t  bekannt,  daß  es  vorzugsweise  von  langsamen 
Elektronenstrahlen  angeregt  wird  und  solche  haben 
wir  ja  auch  nach  Starks  Theorie  des  positiven 
Spitzenstroms  in  erheblicher  Dichte  an  der  Anoden- 
oberfläche anzunehmen.  Das  Bandenspektrum 
des  Wasserstoffs  ist  nach  Stark  dem  positiven 
Molekülion  Ho+  zuzuschreiben  und  auch  Bohr 
teilt  es  wegen  seiner  KompHziertheit  dem  Wasser- 
stoffmolekül zu. 

Auch  das  von  Stark  auf  Grund  theoretischer 
Erwägungen  entdeckte  kontinuierliche  Wasserstoff- 
spektrum ist  im  positiven  Büschellicht  in  erheblicher 
Stärke  vorhanden.  Während  sich  Elektronen  an 
positive  Atom-  oder  Molekülionen  anlagern,  gehen 
diese  aus  dem  stabilen  Zustand  des  Ions  kontinu- 
ierlich in  den  ebenfalls  stabilen  neutralen  Zustand 
über.  Deshalb  müssen  sich  die  Spektrallinien 
ebenfalls  kontinuierlich  ändern  und  während  sich 
das  Elektron  auf  einer  Spiralbahn  dem  Ion  all- 
mählich nähert,  werden  die  emittierten  Spektral- 
linien einen  gewissen  Wellenlängenbereich  über- 
streichen. Für  Auge  und  Spektrograph,  welche 
über  die  verschiedenen  Übergangsphasen  und 
über  die  Emission  vieler  einzelner  Lichtquellen 
integrieren,  entsteht  so  ein  kontinuierliches 
Spektrum.  „Seinen  Träger,  das  im  Übergang  vom 
positiven  zum  neutralen  Zustand  begriffene  Atom 
oder  Molekül  bezeichnet  Stark  als  Quantenpaar." 
Beim  positiven  Büschellicht  haben  wir  in  der  Nähe 
der  Anode  auch  langsame  Elektronen,  die  keine 
vollständige  Ionisation  bewirken  können.  Diese 
lagern  sich  an  positive  Ionen  an  und  die  so  ge- 
bildeten Quantenpaare  erklären  das  Auftreten  des 
kontinuierlichen  Wasserstoffspektrums  an  der  Anode 
des  positiven*  Spitzenstroms. 

Die  spektrographische  Untersuchung  des 
Büschellichts  durch  Weth  hat  also  ergeben,  daß 
die  Balm  ersehen  Serienlinien  des  Wasserstoff- 
spektrums, Starks  Anschauung  entsprechend, 
möglicherweise  vom  positiven  Wasserstoffatom 
stammen;  das  Auftreten  des  kontinuierlichen  und 
des  Bandenspektrums  des  Wasserstoffs,  das  nach 
der  Theorie  zu  erwarten  war,  ist  tatsächlich  fest- 
gestellt worden.  Schließlich  ist  die  Theorie  des 
positiven  Spitzenstroms  von  Stark  durch  die 
Auffindung  des  Dopplereffekts  am  Büschellicht 
glänzend  bestätigt  worden. 

Karl  Kuhn. 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


123 


Restitution  des  Auges  uaoh  Exstirpation  TOn 
Retina  und  Linse  bei  Tritonen.*) 

Weitere  Prüfung  der  Frage,  inwieweit  das  Vor- 
handensein von  Netzhautzellen  notwendig  sei  für 
das  Zustandekommen  der  Linsenneubildung  aus 
der  oberen  Iris  (vgl.  Naturw.  Wochenschr.  1920, 
Nr.  31,  S.  492),  führte  HorstWachs  zu  folgen- 
den wiederum  sehr  beachtenswerten  Versuchen 
und  Ergebnissen.  Es  wurden  aus  dem  Auge 
gleichzeitig  Linse,  Glaskörper  und  Netzhaut  ent- 
fernt und  zwar  durch  Herausdrücken  dieser  Teile 
aus  einer  an  der  Schläfenwand  des  Augenfelds  ge- 
setzten Öffnung  an  den  mit  Y2  P^oz.  Chloreton- 
lösung  betäubten  Tieren.  Hierauf  bildet  sich  die 
Netzhaut  und  die  Linse  neu,  und  zwar  letztere  — 
wie  nach  den  früheren  Ermittlungen  des  Verf  zu 
erwarten  —  erst  nachdem  bereits  die  neue  Reiina 
den  Hohlraum  austapeziert  hat,  wobei  jedoch  deren 
Zellenmaterial  noch  nicht  die  Ausbildung  der 
Stäbchen-  und  Zapfenzellen  erreicht  zu  haben 
braucht.  Material  zur  Neubildung  der  Netzhaut 
wird  vom  Wundrande  im  Umkreise  der  ganzen 
Iris  geliefert,  wo  bekanntlich  in  der  Grenzzone 
zwischen  Netzhaut  und  innerem  Irisblatt  die 
normale  Zuwachszone  der  Netzhaut  liegt,  außerdem 
erhält  die  Anlage  der  neuen  Netzhaut  Zuwachs 
von  dem  stehengebliebenen  Figmentepithel  oder 
Außenblatt  der  Netzhaut  aus.  Dieser  Zuwachs 
erfolgt  möglicherweise  innerhalb  breiter  Berüh- 
rungsflächen, sicherlich  aber  findet  eine  Zellabgabe 
statt  an  deutlichen  Umschlagsstellen  des  Tapetums 
in  das  Material  der  neuen  Netzhaut  hinein.  Mit 
letzterem  ist  gemeint,  das  Tapetum  ringsum  er- 
hebt sich  hier  und  da  zu  Falten,  deren  Scheitel- 
kante zu  Netzhaut  wird  und  sich  mit  den  übrigen 
Netzhautregeneraten  im  Auge  vereinigt  unter  Ab- 
schnürung von  dem  gleichzeitig  sich  wieder  zu- 
sammenschließenden Tapetum  nigrum.  —  Die 
Neubildung  der  Lmse  erfolgt  in  der  bekannten 
Weise  von  der  oberen  Iris  aus.  —  An  der  Um- 
bildung von  Tapetumzellen  in  Netzhautzellen  ist 
besonders  beachtenswert,  daß  hierzu  keineswegs 
etwaige  Reservezellen  verwendet  werden,  denn 
solche  sind  gar  nicht  vorhanden,  sondern  die 
pigmenthaltigen  Zellen  des  Tapetums  entledigen 
sich  ihres  Pigments  durch  Ausstoßung,  werden 
also  „entdifferenziert"  —  nicht  rückdifferenziert 
—  treten  in  rege  Zellvermehrung  ein  und  liefern 
so  das  Material  für  oben  besagten  Zweck.  ■')  So 
vollziehen  sich  im  Grunde  des  Augapfels  Vor- 
gänge, die  durchaus  an  die  bei  der  Linsenneubil- 


')  H.  Wachs,  Restitution  des  Auges  nach  Exstirpation 
von  Rilina  und  Linse  bei  Tritonen.  Zweiter  Teil.  Archiv  f. 
Entwicklungsmech.,  Bd.  XLVI,  Heft  2  und  3,  1920,  S.  328 
— 389     7  Tafeln. 

'']  Noch  1916  schrieb  Barfurth,  gemäß  dem  damaligen 
Stande  der  Forschung,  in  ,, Regeneration  und  Transplantation, 
Rückblick  auf  die  Ergebnisse  25Jähriger  Forschung"  (Anat. 
Hefte,  ..Ergebnisse",  S.  452):  ,,üie  Regeneration  geschieht 
nicht  als  Erneuerung  bereits  differenzierter  oder  in  Rückbildung 
begriffener  Gewebe,  sondern  immer  als  vollständige  Neubil- 
dung von  undifferenzierten  Anlagen  aus,  die  in  der  typischen 
Ontogenese  reserviert  wurden," 


dung  aus  der  oberen  Iris  erinnern:  Ausstoßung 
des  Pigments  der  Zellen,  Einsetzen  reger  Zell- 
teilungen und  Abgabe  der  gebildeten  Zellen  an 
das  zu  Regenerierende  in  Gestalt  von  Umfaltungen. 
Gelegentlich  finden  sich  in  der  neuen  Retina  noch 
Klümpchen  schwachen  Pigments,  das  wahrschein- 
lich aus  den  zum  Aufbau  verwendeten  Tapetum- 
zellen stammt. 

Gegenüber  dieser  vollständigen  Netzhautregene- 
ration, bei  welcher  übrigens  anfangs  infolge  der 
starken  Verkleinerung  des  Augapfels  das  Tapetum 
gleichsam  der  neuen  Retinaschale  entgegenkommt, 
fällt  auf,  daß  nach  Spemann  1912  Entfernung 
eines  Teils  der  Augenanlage  bei  wesentlich  jün- 
geren, nämlich  Neurulastadien  nicht  mehr  die 
Bildung  eines  Auges  von  normaler  Größe  gestattet, 
sondern  statt  dessen  ein  kleineres  Auge  ent- 
steht. Somit  ist  hier,  vielleicht  entgegen  dem, 
was  man  hätte  erwarten  können,  aber  in  Über- 
einstimmung mit  früheren  Befunden  Wachs'  an 
der  Linse,  die  Regenerationsfahigkeit  nicht  am 
größten  bei  den  jüngsten  Stadien,  und  der  Verf. 
legt  des  weiteren  dar,  daß  sie,  mit  höherem  Alter 
nach  Zuwachs  zu  einem  Optimum  wieder  ab- 
sinkend, anscheinend  parallel  sei  dem  „Ausgesetzt- 
sein", vielmehr  der  Verletzungsmöglichkeit  unter 
Berücksichtigung  der  Wahrscheinlichkeit  des  Über- 
lebens der  verletzten  Tiere.  — 

In  einer  bei  uns  wenig  bekannten  Arbeit  hat 
schon  Colucci  1891  ')  die  Regeneration  der 
Netzhaut  von  Triton  untersucht  und  wenigstens 
soviel  richtig  gesehen,  daß  die  Neubildung  vom 
Tapetum  nigrum  aus  erfolgt.  Doch  erkannte  er 
weder  die  Bedeutung  der  Linsen-  noch  der  Netz- 
hautregeneration richtig,  sondern  suchte  als  Er- 
gebnis einen  Parallelismus  zwischen  den  regene- 
rativen und  den  normal-embryonalen  Vorgängen 
festzustellen.  V.  Franz. 


Der  Ursprung  des  Menschengeschlechts. 

Wieder  eine  neue  Hypothese  über  den  Ur- 
sprung des  Menschengeschlechtes!  so  könnte  man 
ausrufen.  Doch  bedeutet  das  nicht,  daß  den  Aus- 
führungen Hilzheimers,-)  die  der  Autor  selbst 
als  aphoristische  bezeichnet  und  als  solche  zur 
Diskussion  stellen  will,  geringe  Aufmerksamkeit 
gebührte.  Sie  sind  vielmehr  sehr  anregend.  Wenn 
von  zwei  verwandten  Tierarten  —  führte  H  i  1  z  - 
heim  er  schon  in  seinem  Handbuch  der  Biologie 
der  Wirbeltiere  aus  —  die  eine  den  Wald,  die 
andere  die  Steppe  oder  offene  und  Parklandschaft 
bewohnt,  so  ist  das  Waldtier  allgemein  das  pri- 
mitivere: man  vergleiche  Okapi  und  Giraffe,  Hirsch 
und  Renn,  Wisent  und  Bison,  Dendrohyrax  und 
Procavia,   Tiger   und  Löwe.     Der   höchststehende 

')  Mera.  Accad.  Sc.  Ist.  Bologna,  Ser.  5,  Vol.  I,  erwähnt 
nach  H.  Wachs,  wie  auch  die  vorangehende  Fußnote. 

^)  M.  Hilzheimer:  Aphoristische  Gedanken  über  einen 
Zusammenhang  zwischen  Erdgeschichte,  Biologie,  Menschheits- 
geschichte und  Kulturgeschichte.  Zeitschrift  für  Morphologie 
und  Anthropologie,  Band  XXI,  Heft  2,  S.  185—208. 


124 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Büffel,  der  Kaffernbüffel,  das  spezialisierteste 
Schwein,  Phacochoerus,  die  eigenartigsten  Hunde, 
die  Mähnenhunde,  die  höchststehenden  Beuteltiere, 
die  Känguruhs,  die  ihnen  konvergenten  Nagetiere 
Springhase,  Springmaus  und  Taschenmaus  sind 
Steppentiere.  Den  letztgenannten  Beispielen  eignet 
der  nach  allen  Seiten  freibewegliche  Kopf  auf 
schlankem  Hals  hoch  über  den  Schultern  —  wie 
beim  Menschen.  Also  dürfte  auch  die  Mensch- 
werdung, die  Erhebung  zum  aufrechten  Gang  bei 
verlängerten  Hintergliedmaßen,  in  der  Steppe  er- 
folgt sein.  Nur  in  ihr  konnte  sich  Kultur  ent- 
falten, weiter  entwickeln  und  den  jetzigen  Höhe- 
punkt erreichen. 

Europas  Steppen  nach  der  Eiszeit  hatten 
reiches  Säugetierleben.  Vertreter,  die  schon  durch 
ihre  Körpergröße  sich  als  fortgeschritten  erweisen 
gegenüber  ihren  im  Wald  gebliebenen  Verwandten, 
waren  Breitstirnelch,  Riesenhirsch,  wollhaariges 
Rhinozeros,  Bison  priscus  und  Mammut.  Ihre 
weniger  ursprüngliche  Organisation  ist,  wie  das 
Hilzheimer  des  näheren  ausführt,  auch  im 
einzelnen  erweisbar.  Was  diese  Tiere  vernichtete, 
war  der  Wald,  als  er  in  ihre  Wohngebiete  ein- 
zog. Edelhirsch  und  Reh  konnten,  obwohl  auch 
sie  offenbar  in  Anpassung  an  die  Steppe  oder 
offene  Landschaft  ihre  Eigentümlichkeiten  erworben 
haben,  im  Wald  noch  fortbestehen,  die  großen 
Steppensäuger  dagegen  nicht.  Mag  auch  Sibirien 
nie  Wald  gehabt  haben,  so  wurden  das  Mammut, 
Bisonten  und  Rhinozeros  an  ihren  winterlichen 
südwärts  gerichteten  Wanderungen  —  die  sie 
mutmaßlich  ausführten  —  durch  einen  Waldgürtel, 
die  heutige  Taiga  südlich  der  Tundra,  gehindert; 
in  Nordamerika  dagegen,  wo  sich  eine  gewaltige 
Prärie  unbegrenzt  nach  Süden  erstreckt,  hat  sich 
der  Bison  erhalten. 

Sucht  man  nun  die  Sätze,  daß  das  Heraus- 
treten aus  dem  Wald  Fortschritt  bewirkt  und  die 
Rückkehr  in  ihn  auf  einer  gewissen  Organisations- 
höhe nicht  mehr  möglich  ist,  auf  den  Menschen 
anzuwenden,  so  findet  man  in  der  Tat  die  körper- 
lich und  kulturell  tiefstehenden  Völker  im  Wald 
lebend:  die  zurückgebliebensten  Indianer  Amerikas 
(wenn  wir  von  den  besonders  unwirtlichen  Ver- 
hältnissen im  äußersten  Süden  absehen),  die  Zwerg- 
völker Asiens  und  Afrikas.  Die  Erwerbung  des 
aufrechten  Ganges  wird  mit  dem  Heraustreten 
aus  dem  Wald  erfolgt  sein;  die  Pygmäen,  kurz- 
beinig, sind  also  vor  Erwerbung  der  verlängerten 
Hinterextremitäten  in  den  Wald  wieder  zurück- 
gekehrt. In  einem  mehrmaligen  Vorrücken  und 
Rückgehen  der  zwischen  dem  Eis-  und  dem  Wald- 
gürtel gelegenen  Zonen  liegt  der  Anstoß  zur 
körperlichen  und  kulturellen  Entwicklung  des 
Menschen. 

Nordostafrika,  in  der  Tertiärzeit  ein  Entwick- 
lungszentrum der  Elefanten,  Sirenen,  Zetazeen 
und  mancher  Huftiere,  das  ehemalige  Wohnge- 
biet eines  Affen,  den  Schlosser  wohl  mit  Recht 
für  den  Stammvater  aller  Anthropoiden  und 
Hominiden    hält,    dürfte    auch   die  Menschenaffen 


und  den  Menschen  geliefert  haben;  irgendwo  auf 
dem  Gebiet  südlich  des  nördlichen  Waldgürtels 
treimten  sich  Menschenaffen  und  Menschen  von- 
einander. Zu  Beginn  der  Eiszeit  paßte  der  Mensch 
sich  dem  südwärts  rückenden  Walde  an.  Im 
Norden  aus  ihm  hervortretend,  ergab  er  die 
Neandertalrasse.  Er  konnte  nicht  mehr  zurück  in 
den  nordwärts  vorrückenden  Wald,  und  so  mußte 
der  Homo  primigenius  aussterben.  Mit  Beginn 
der  jungen  Altsteinzeit  drangen  ein  zweites  Mal 
Menschen  in  die  nördliche  Steppe  vor,  schon  von 
höherer  Kultur,  sie  ergaben  den  Homo  aurigna- 
censis;  auch  er  starb  aus,  getötet  von  dem  wie- 
der nach  Norden  vorrückendem  Walde.  —  Süd- 
lich des  nördlichen  Waldgürtels  ist  wohl  die  Kul- 
turentwicklung nie  gestört  worden.  Zunehmende 
Wärme  und  Trockenheit  nach  der  Eiszeit  züchtete 
Wüstennomaden  und  als  deren  ausgeprägtesten  Typ 
den  feinknochigen,  bei  guter  Muskulatur  fettarmen, 
lebhaften,  nervösen,  dem  Ackerbau  seit  alters  ab- 
holden Juden. 

In  dem  Maße  wie  Eis,  Tundra  und  Waldgürtel 
sich  nordwärts  zurückzogen,  folgte  die  Kultur:  es 
blühte  Medien  und  dann  Persien  auf.  Vor  dem 
Wald  der  nordwärts  vorliegenden  Gebirge  mußte 
die  Kultur  nach  Westen  ausweichen.  Athen, 
Sparta,  Korinth,  Frankreich.  Wir  Deutschen  da- 
gegen sind  im  Begriff,  aus  einem  Waldvolk  ein 
Steppenvolk  zu  werden,  indem  wir  unter  Mithilfe 
der  Natur  die  Kultursteppen  schaffen. 

So  hypothetisch  wie  die  Darlegungen  des  Ver- 
fassers sind,  werden  sie  unausbleiblich  auf  manches 
Bedenken  stoßen,  doch  betrachte  ich  es  gerade 
aus  diesem  Grunde  nicht  als  meine  Aufgabe,  auf 
solche  Möglichkeiten  im  einzelnen  hinzuweisen. 

V.  Franz  (Jena). 


Der  Siiiupfzypressenwald  iu  Florida.^) 

Der  Klang  dieser  Bezeichnung  erweckt  beim 
Leser  unwillkürlich  die  Vorstellung  von  Sumpf, 
Moor,  von  schlammigem  Boden  und  wuchernder 
Pflanzenwelt,  allein  von  alledem  habe  ich  soweit 
ich  gekommen  bin,  d.  h.  bis  zur  ungefähren  Hälfte 
der  Halbinsel,  nichts  angetroffen,  nichts  wie  das 
märkische  Luch,  das  Hochmoor  der  Lüneburger 
Heide,  die  unergründlichen  Moore  des  hohen 
Venns  oder  die  Sümpfe  des  norwegischen  Fjelds. 
Florida  ähnelt  in  dem  mir  bekannt  gewordenen 
Stromgebiet  des  St.  John-River,  der  amerikanischen 
Riviera,  der  weiteren  Umgebung  von  Berlin  nach 
Osten  zu  ■ —  fester  grobkörniger  Sandboden  mit 
kärglichem  Pflanzenwuchs  und  seichten  Gewässern. 
Schematisch  zerfällt  die  Landschaft  in  vier  scharf 
gegeneinander  abgegrenzte  Zonen,  die  in  unmittel- 


')  Aus  Anlaß  der  Veröffentlichung  des  Aufsatzes:  Die 
Entstehung  der  bodenständigen  Braunkohlen- 
flöze. Eine  Würdigung  des  gegenwärtigen  Stand  es 
der  Forschung  in  Nr.  38  dieser  Zeitschrfft  hat  der  Geh. 
Rat  Prof.  Eugen  Bracht,  Darmstadt,  dem  Verfasser  einen 
Brief  übersandt,  der  mit  gütiger  Erlaubnis  hier  abgedruckt 
sei, 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


125 


barer  Abhängigkeit  von  ihrer  Erhebung  über  dem 
Wasserspiegel  stehen. 

Der  Kiefernwald  als  erste  Zone,  der  auf 
einem  Boden  steht,  der  sich  dort  meist  nur  um 
wenige  Dezimeter  über  den  Nullpunkt  des  Wasser- 
spiegels erhebt,  nimmt  den  größten  Raum  ein. 
(Die  Nadeln  erreichen  eine  Länge,  daß  ich  sie 
zweimal  zusammenlegen  mußte,  um  sie  in  der 
Brieftasche  zu  bergen.)') 

Der  Boden  wird  als  Unterholz  von  einer 
kriechenden  Fächerpalme  eingenommen,  so  daß 
eine  Durchquerung  dieser  Kiefernwälder  einige 
Schwierigkeiten  bereitet. 

Von  Zeit  zu  Zeit  erblickt  man  in  Gesichts- 
höhe eine  der  gefährlichen  grafitfarbenen  dicken 
Schlangen,  die  sich  auf  einem  Fächerblatt  aufge- 
rollt hier  sonnen,  beim  Herannahen  von  Menschen 
jedoch  nach  unten  verschwinden.  Der  Biß  dieser 
Schlange  ist  tödlich.  Hier  und  da  erhebt  sich 
über  die  Kronen  der  Kiefern  ein  etwas  höheres 
Stockwerk,  das  von  hohen  Fächerpalmen  gebildet 
wird.  Diese  Fächerpalme  ist  ein  Uferbaum,  der 
nur  an  feuchten  Stellen  wächst  und  daher  den 
Lauf  der  Ströme  und  die  Seeränder  begleitet,  in 
Buchten  sogar  im  Wasser  wurzelnd  und  der  ganzen 
Landschaft  einen  tropischen  Zug  verleihend.  Die 
Kiefernwaldzone  ist  eintönig  und  wird  nur  hier 
und  da  durch  kleine  Lichtungen  oder  Teiche  unter- 
brochen; an  den  offenen  Stellen  bildet  dann  die 
Yucca  am  Boden  vereinzelte  Beete,  während  als 
größte  Laubhölzer  eine  Nußbaumart  ihre  mächtigen 
Kronen  über  alles  erhebt. 

Die  zweite  Zone  seewärts  ist  die  uns  inter- 
essierende Sumpfzypressenzone.  Sie  tritt 
am  Monroe  Lake,  wo  ich  sie  zu  beobachten  Ge- 
legenheit hatte,  nicht  als  ein  zufällig  und  willkür- 
lich begrenztes  Gebiet  auf,  sondern  ihre  Grenzen 
sind  durch  die  Wassertiefe  gegeben,  die  schätzungs- 
weise zwischen  o — 1,50  m  liegen  mag.  Auf 
dem  festen  Ufer  wuchsen  keine  Zypressen,  sondern 
nur  Fächerpalmen,  dagegen  kam  sie  vereinzelt  im 
Buschwerk  auch  auf  höherem  Standort  an  den 
Flußrändern  vor. 

Die  Zypresse  erscheint  unmittelbar  als  ein 
Anpassungsergebnis  an  sinkenden  Boden.  Nach- 
dem sich  die  Pflanze  durch  Bildung  der  Atem- 
wurzeln dem  Leben  im  stehenden  Wasser  ange- 
paßt hat,  iieht  sie  die  Seichtwasserzone  dem  Fest- 
land vor.  Sie  ist  aber  in  derselben  an  ein  be- 
grenztes Maximum  der  Wassertiefe  gebunden;  es 
gibt  somit  in  Seen  wie  dem  Monroe- Lake  keine 
Wälder  von  beliebiger  Flächenausdehnung,  sondern 
nur  mäßig  breite  Gürtel,  die  im  Seichtwasser 
wachsen,  dessen  Tiefe  zwischen  ziemlich  engen 
Grenzen  schwankt.  Der  Wald  ist  also  nur  vom 
Kahn  aus  zu  erreichen;  da  aber  die  Atemwurzeln 
den  Stamm  rings  umgeben,  so  bedarf  es  einiger 
Vorsicht,  um  ohne  Leck  durchzukommen.  Die 
eigentlichen  Wurzeln  sind  sehr  dicht  und  radial 
angeordnet    und    liegen    ganz    flach    dem    harten 


•)  Pinus  palustris,  Longleavedpine  ? 


Seegrund  auf;  Pfahlwurzeln  habe  ich  bei  ent- 
wurzelten Exemplaren  nicht  bemerkt.  Aus  den 
Wurzeln  erheben  sich  die  hohlen  flachgedrückten 
Atemwurzeln  bis  etwa  50—75  cm  über  die  Was- 
seroberfläche heraus  und  besorgen  die  Luftzufuhr 
für  das  Wurzelsystem. 

Die  äußere  Erscheinung  des  Sumpfzypressen- 
waldes ist  sehr  eigenartig;  unheimlich  ist  der 
Anblick  der  zum  Teil  mächtigen,  sehr  locker 
stehenden  Stämme  mit  ihrem  stark  verbreiterten 
Fußende!  Da  jeder  Baum  eines  ausgebreiteten 
Podiums  bedarf,  so  ist  der  lichte  Bestand  erklär- 
lich. Beim  Fehlen  jeglichen  Unterholzes  ist  kein 
Vogel  zu  sehen  noch  zu  hören  —  es  herrscht 
vollkommenes  Schweigen.  Die  Belaubung  der 
älteren  Bäume  ist  sehr  dürftig,  die  winzigen 
Schüppchen  wirken  kaum  als  Laub  und  oft  ist 
mehr  Spanisches  Gras  vorhanden  als  Laub ;  dieser 
Epiphyt  hängt  in  massigen  schwarzen  Floren 
von  den  Asten,  als  Trauerschmuck  das  unheim- 
liche der  Stimmung  unterstreichend,  und  ich  fühlte 
mich  wie  in  eine  geologische  Vergangenheit  ver- 
setzt. 

Dort  wo  die  zunehmende  Tiefe  des  Seewassers 
dem  Fortkommen  der  Zypresse  eine  Grenze  setzt, 
beginnt  die  dritte,  die  Graszone;  diese  schließt 
sich  ohne  merkliche  Übergangszone  dem  Wald- 
gürtel an  und  auch  diese  botanische  Art  ist  offen- 
bar an  eine  gewisse  Wassertiefe  gebunden.  (Zahlen 
vermag  ich  leider  nicht  anzugeben.)  Ich  kann 
nur  erwähnen,  daß  unsere  langen  Ruder  beim 
Durchqueren  der  Graszone  nicht  mehr  bis  auf 
den  Grund  reichten,  so  daß  wir  mehrfach  stecken 
blieben;  wir  mußten  alsdann  Bündel  der  über 
mannshoch  aus  dem  Wasser  ragenden  Halme  zu- 
sammenraffen und  uns  auf  diese  Weise  mit  dem 
Kahn  weiterziehen.  Ähnlich  wie  die  Zypresse 
stellt  auch  dies  Schilfgras  eine  Anpassung  an  den 
sinkenden  Boden  dar.  Bei  seinem  dichten  Bestand 
muß  es  einen  ergiebigen  Produzenten  von  Pflanzen- 
substanz abgeben,  die  sich  unter  günstigen  Ver- 
hältnissen als  abgestorbene  organische  Masse,  als 
Flöz  anhäufen  kann. 

Diese  breiten  Schilfgrasflächen  werden  nun 
seewärts  von  einem  letzten  Vegetationsgürtel,  als 
vierter  Zone,  abgelöst,  nämlich  von  einer  auf  der 
Wasserfläche  schwimmenden  Pflanzen- 
decke. Dieselbe  besteht  meiner  Erinnerung 
nach  ganz  oder  wenigstens  der  Hauptmasse  nach 
aus  entwurzeltem  Schiifgrase  und  zwar  in  so 
dichter  und  tiefer  Packung,  daß  wir  unser  Boot 
nur  mit  größter  Mühe  hindurchzubringen  ver- 
mochten. Das  Rudern  war  natürlich  ausgeschlos- 
sen und  das  Abstoßen  mit  den  Rudern,  um  von 
einer  kleinen  Lücke  zur  anderen  zu  gelangen, 
hatte  wegen  des  Ausweichens  der  schwimmenden 
Massen  nur  geringen  Erfolg. 

Diese  schwimmende  Decke  enspricht  wohl  der 
größten  Tiefe,  bis  zu  welcher  das  Schilfgras  zu 
wachsen  vermag  und  bei  der  Wind  und  Stürme 
ihre  Entwurzelungstätigkeit  ausüben. 

Was  nun  die  Senkungsvorgänge  anbetrifft,  so 


126 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift, 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


haben,  wie  ich  las,  Bohrungen  im  Gebiet  von 
New  Orleans  das  Vorkommen  von  zwei  oder  gar 
drei  Horizonten  von  Sumpfzypressenstämmen,  bei 
30 — 40  und  öo  m  ?  Tiefe  ergeben ;  zwischen  diesen 
Horizonten  lagern  anorganische  Ablagerungen; 
hiermit  dürften  frühere  Senkungen  wohl  ge- 
nügend erwiesen  sein;  in  Florida  dagegen  würde 
bei  einer  heutigen  plötzlichen  Senkung  zur 
Ausfüllung  eines  tieferen  Seebeckens,  um  den 
Boden  für  einen  neuen  Zypressenwald  zu  schaffen, 
das  Schwemmaterial  fehlen  mangels  eines  höher 
gelegenen  Hinterlandes. 

Die  Betrachtung  des  von  der  schwarzbraunen 
Kohlenumhüllung  entblößten  Stubbenhorizontes 
in  der  Lauchhammerschen  Grube  im  Senfienberger 
Revier  versetzte  mich  unwillkürlich  nach  dem  noch 
lebenden  Sumpfzypressenwald  in  Florida  und  regte 
mich  zum  Feststellen  des  Gleichartigen  sowie  der 
Unterschiede  an.  Es  lag  zunächst  kein  Grund 
vor  anzunehmen,  daß  der  einstige  deutsche  Zy- 
pressenwald wesentlich  anders  ausgesehen  habe 
wie  der  amerikanische;  dagegen  hatte  ich  keine 
klare  Vorstellung  davon,  welche  Naturereignisse 
zur  Ausbildung  eines  Stubbenhorizontes  führen 
konnten.  Schon  die  bloße  Tatsache,  daß  alle 
Bäume  in  einer  gewissen  Höhe  abgebrochen  zu 
sein  schienen,  versetzte  mich  in  Erstaunen;  auch 
vermochte  ich  mir  aus  der  Erinnerung  an  den 
heutigen  Wasserwald  ohne  jede  andere  Vegetation 
noch  Unterholz  zunächst  nicht  klarzumachen, 
welche  Pflanze,  oder  welche  Pflanzengemeinschaft 
das  IVlaterial  zu  einer  solchen  Einbettung  geliefert 
haben  konnte. 

Nun  stellt  sich  bezüglich  einer  solchen  Ein- 
bettung seit  dem  Erscheinen  der  Po  tonieschen 
Arbeiten  bei  jedem  Beobachter  unwillkürlich  der 
Begrifif  der  Vertorfung  ein,  die  ja  in  normalen 
Verhältnissen  rasch  verläuft;  es  war  mir  auch 
gegenwärtig  wie  schnell  solche  Vertorfungen  sich 
vollziehen  können. 

Auf  dem  Torfgebiet  des  Hohlohs  zwischen  Gernsbach 
und  Wildbad  pflegen  I  m  tiefe  Entwässerungsgräben  bereits 
nach  wenigen  Jahren  wieder  völlig  zugewachsen  zu  sein. 
Einen  chronologischen  Anhalt  kenne  ich  von  den  Hochmooren 
des  Hohen  Venns,  wo  die  bisherige  preußisch-belgische  Grenze 
entlang  einer  Römerstraße,  „la  Vecquee"  genannt,  verläuft. 
Diese  Straße  liegt  unter  dem  Torf  auf  der  alten  Bodenober- 
fläche und  wurde  zu  der  Zeit,  als  ich  mich  dort  aufhielt,  der 
Steingewinnung  wegen  ausgehoben.  Dicht  dabei  fanden  sich 
auf  der  alten  Bodenfläche  beträchtliche  Schlackenlager  ausge- 
breitet, die  von  einstiger  Eisenverhüttung  herrührten,  aus  einer 
Zeit,  als  die  Höhen  des  Venns  mit  Wald  bestanden  waren 
und  man  das  Erz  zum  Brennmaterial  heraufführle,  anstatt  um- 
gekehrt wie  heute.  Römerstraße  und  Schlackenlager  liegen 
2  m  unter  der  jetzigen  Torfoberfläche,  so  daß  diese  Vertorfung 
an  1700  Jahre  beansprucht  hat. 

Es  erscheint  mir  daher  verständlich,  daß  ein 
Sumpfzypressenwald  durch  eine  geringe  Senkung 
des  Bodens  gelötet  werden  kann,  um  dann  sofort 
durch  jene  Schilfgrasvegetation,  die  ich  oben  be- 
schrieb, vollkommen  eingebettet  zu  werden,  und 
zwar  schnell  genug,  daß  noch  keine  weitgehende 
Vermoderung  der  Wurzelstumpfe  eingetreten  ist. 
Es  liegt  wohl  auf  der  Hand,  daß  dieses  Schilfgras 


bei  dem  nahezu  völligen  Fehlen  einer  Winterruhe 
zu  einer  schier  unbegrenzten  Wachstumsleistung 
gelangen  konnte,  um  in  verhältnismäßig  kurzer 
Zeit  ungeheuere  Mengen  abgestorbenen  organischen 
Materials  zu  erzeugen,  so  daß  selbst  in  den 
Subtropen  eine  Art  Torfbildung  auf  diesem  Wege 
möglich  war. 

Fassen  wir  die  für  Florida  so  einschneidenden 
Senkungsvorgänge  näher  ins  Auge,  so  ergibt  sich, 
daß  dieselben  nicht  ganz  einfach  zutage  liegen. 
Mein  Eindruck  des  Landes  war  nämlich  nicht  nur 
derjenige  von  Landsenkung,  sondern  es  erweckte 
die  gänzlich  verschlissene  Oberfläche,  die  ganz 
geringe  Hügelbildung  und  das  Fehlen  von  Auf- 
schlüssen und  anstehendem  Gestein  die  Vorstellung 
von  einer  nach  früherem  Untergetauchtsein  wieder 
gehobenen  Landmasse.  An  Steinen  traf  ich  nur 
einigemal  im  Urwald  kleine  bemooste  Häufchen, 
die  dem  Begriff  einer  Indianerbestattung  ent- 
sprachen; sonst  gibt  es  da  wo  ich  war,  keinen 
Siein  und  die  Reste  einer  einstigen  Steinzeit  sind 
nur  als  Analogie  als  solche  zu  deuten.  Schon 
bei  der  Landung  in  Sanford  am  Lake  Monroe  auf 
den  paar  Schritten  vom  Garteneingang  bis  zum 
Hotel  wußte  ich,  daß  ich  auf  vorgeschichtlichem 
Material  wandelte;  die  Wege  waren  nämlich  mit 
Muschelschalentrümmern  bekiest  und  ein  fünf- 
pfennigstückgroßes  Bruchstück  eines  halbgebrannten 
Napfes  verrieten  dies.  Der  Gärtner  bestätigte  mir 
die  Herkunft  dieses  „Kieses"  aus  einem  erreich- 
baren „Shellmound",  den  ich  bald  aufsuchte. 

Wenn  nun  die  Bildung  der  Stubbenhorizonte 
an  sich  schwer  verständlich  erscheint  und  in  der 
Tat  ohne  die  Annahme  einzelner,  innerhalb  der 
säkularen  Senkung  vorgekommener  instantaner 
Senkungen  unerklärlich  bleiben  müßte,  so  bietet 
das  Bild  des  Shell-mound's  in  schroffem  Gegensatz 
hierzu  den  Begriff  äußersten  Stillstandes  und 
säkularen  Verharrens  ohne  die  leiseste  physikalische 
oder  klimatische,  botanische  sowie  zoologische 
Veränderung. 

Die  bloße  Umschau  von  den  Muschelbergen, 
8 — 10  m  hoch,  50  Schritte  breit  und  kilometerlang 
sich  am  Seeufer  hinziehend,  erweckt  zunächst  die 
Vorstellung  unermeßlich  langer  Zeiträume,  die 
erforderlich  waren,  um  bei  dem  äußerst  geringen 
täglichen  Zuwachs  an  zerstampften  Gehäusen  solche 
Anhäufungen  zu  schaffen.  Hier  haben  Geschlechter 
in  vollkommenem  kulturellen  Stillstand  eben  gerade 
nur  gelebt  und  sich  ernährt  —  ohne  Klimaänderung, 
ohne  Jahreszeiten,  ohne  Winterkälte  —  jeden 
Kulturanstoßes  enthoben  und  nur  Schnecken- 
gehäuseschichten  über  ältere  Schichten  häufend. 
Ihre  einzige  Sorge  war,  Brennholz  für  das  Rösten 
sowie  Feuer  oder  allenfalls  Ton  für  die  Herstellung 
roher  Gefäße  zu  beschaffen.  Jedes  Gehäuse  wurde 
mit  einem  Holzstäbchen  angebohrt,  um  das  ge- 
bratene Tier  herauszuholen.  Als  einziges  anderes 
Gerät  kommen  als  große  Seltenheit  fossile  Haifisch- 
zähne  vor,  die  von  anderen  Gebieten  mitgebracht 
werden  mußten.  Ich  habe  trotz  eifrigen  Suchens 
nicht   die  leiseste  Spur  eines  Gerätes  angetroffen 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


127 


—  nur  die  dünnen  Aschenschichten  fanden  sich 
in  allen  Lagen. 

Steigt  man  den  steilen  Abhang  zu  dem 
brackischen  Seewasser  hinab,  so  sieht  man,  daß 
die  Schalenmassen  bis  unter  den  Wasserspiegel 
reichen  —  und  daß  in  dem  klaren  seichten  Wasser 
heute  noch  die  gleiche  Schnecke  weilerlebt,  deren 
Schale  die  Muschelberge  bildet,  wie  ein  Zeugnis 
zugunsten  der  S  i  m  r  o  t  h  sehen  Pendulationstheorie. 
Es  hat  somit  hier  seit  den  —  wir  dürfen  wohl 
sagen  —  vielen  Jahrtausenden  seit  dem  Auf- 
treten des  Menschen  eine  wesentliche  Senkung 
des  Bodens  nicht  stattgefunden;  es  ist  dies  eine 
Tatsache,  an  der  nicht  vorbeizukommen  ist,  wie 
sie  indessen  mit  den  sonstigen  Anzeichen  und 
den  auf  „Senkung"  eingestellten  Annahmen  in 
Widerspruch  steht  1 

Dieser  Widerspruch  ist  indessen  doch  nur  ein 
scheinbarer,  denn  eine  Betrachtung  der  Tiefenkarte 
des  mexikanischen  Meerbusens  liefert  den  Schlüs- 
sel dazu. 

Da  zeigt  es  sich  nämlich,  daß  die  Halbinsel 
nicht  als  Ganzes  gleichmäßigen  Senkungsvorgängen 
unterworfen  wurde,  sondern  die  Westküste  ganz 
anders  davon  betroffen  wurde  als  die  Ostküste. 
Dies  geht  aus  dem  Verlauf  der  Steilabsturzlinie 
nach  dem  mexikanischen  Meerbusen  zu  hervor, 
die  im  Westen  bei  270  km  Entfernung  von  der 
Küste  von  200  auf  2000  m,  im  Süden  sogar  von 
95  auf  3700  m  absinkt  und  hiermit  bezeugt,  daß 
die  Halbinsel  einst  an  dieser  Westseite  mehr  als 
doppelt  so  breit  warl 

Im  Osten  dagegen  ist  der  Absturz  nur  ganz 
gering  und  verläuft  nahe  der  Küste  bei  nur  unbe- 
deutender Landeinbuße. 

Es  bedeutet  dies,  daß  die  Senkung  sich  in 
einer  Art  Kippbewegung  um  eine  Drehachse  voll- 
zog, die  fast  genau  mit  dem  Verlauf  der  Ostküste 
zusammenfallt,  welche  somit  nahezu  stillstehend 
in  ihrer  alten  Lage  verharren  konnte. 

Da  der  beschriebene  Shellmound  ganz  nahe 
der  Ostküste  gelegen  ist,  wird  dessen  Verbleib  im 
ursprünglichen  Zustande  ganz  begreiflich  und  die 
etwaigen  Senkungen  und  Hebungen,  die  hier  statt- 
gefunden haben  mögen,  müssen  vor  Anwesenheit 
des  Menschen  sich  zugetragen  haben. 

Schließlich  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß 
der  Zypressenwald  des  Monroesees  zwar  eine  be- 
stimmte Form  des  Vorkommens  im  seichten 
Seewasser  darstellt,  während  die  Verhältnisse  im 
Süden  der  Halbinsel  etwas  andere  sein  mögen, 
dennoch  aber  insofern  auf  gleiche  Wachstums- 
verhältnisse hinauskommen  als  die  Okefeno  swamps 
mit  ihrer  Fläche  von  ca.  900  qkm,  und  die  Ever- 
glades  Cypress  swamps  mit  275  km  Länge  und 
95  km  Breite,  d.  h.  20  000  qkm  ein  Seichtwasser- 


gebiet von  0,30 — I  m  Tiefe  darstellen,  die  in  der 
Regenzeit  noch  anwächst;  eine  wesentlich  ver- 
schiedene Moorvegetation,  die  für  die  Vertorfung 
in  Frage  kommen  könnte,  darf  somit  kaum  vor- 
ausgesetzt werden ! 

Fassen  wir  die  Ergebnisse  der  Beobachtungen 
zusammen,  um  die  heutigen  noch  im  Sumpfzy- 
pressenwald bestehenden  Verhältnisse  mit  den 
fossilen  tertiären  Vorkommen  im  heimischen  Ge- 
biet zu  vergleichen,  so  ergeben  sich  folgende  Tat- 
sachen : 

1.  Es  gibt  in  Florida  heute  noch  Sumpfzy- 
pressenwald im  Seichtwasser  der  Seen,  der  bei  be- 
schränkter Wassertiefe  einen  Vegetationsgürtel 
darstellt. 

2.  Für  eine  eigentliche  Sumpfvegetation  ist  an 
diesen  Stellen  kein  Platz. 

3.  Die  Sumpfvegetation  wird  durch  eine  Schilf- 
graszone ersetzt,  deren  Zerfallprodukte  eine  Art 
Vertorfung  erzeugen  könnten. 

4.  Die  Einbettung  von  Strecken  des  Sumpf- 
zypressenwaldes in  organische  Schichten,  eventuell 
in  abgestorbenem  Schilfgras  ist  an  eine  Senkung 
des  Untergrundes,  beziehungsweise  an  ein  Vor- 
rücken des  Schilfgrasgebietes  landeinwärts  bei 
wachsender  Wassertiefe  gebunden. 

5.  Während  die  Bohrungen  im  Mississippigebiet, 
500  engl.  Meilen  westlich,  das  Vorhandensein  von 
Sumpfzypressenhorizonten  in  größeren  Tiefen  an- 
deuten, denen  Senkungen,  säkulare  sowie  in- 
stantane,  entsprechen  müssen,  zeigt  ein  Muschel- 
haufen eine  nur  unwesentliche  Senkung  des  Bodens 
seit  seines  Entstehens,  obwohl  die  Bildung  zwar 
unmeßbare,  aber  sicherlich  ungeheuere  Zeiträume 
in  Anspruch  genommen  hat. 

6.  Der  scheinbare  Widerspruch  zwischen  die- 
sem Stillstand  und  den  sonstigen  Anzeichen  von 
Bodensenkung  findet  seine  Erklärung  in  einem 
verschieden  gearteten  Anteil  an  den  Bodenbewe- 
gungen der  Ost-  und  der  Westküste  der  Halb- 
insel, in  dem  Sinne,  daß  während  die  erstere 
ziemlich  unberührt  verblieb,  die  Westküste  durch 
starke  Senkungen  ins  Meer  versank  und  die  Halb- 
insel auf  weniger  als  den  halben  Flächenraum 
einschrumpfte. 

7.  In  Anbetracht  der  Wahrscheinlichkeit,  daß 
organische  Ablagerungen  nur  dann  der  Zerstörung 
zu  entgehen  vermögen,  wenn  ihnen  durch  baldige 
Bedeckung  mit  anorganischen  Sedimenten  der 
nötige  Schutz  zuteil  wird,  darf  für  Florida,  bei 
dem  Fehlen  eines  abtragungsfähigen  höheren 
Hinterlandes,  die  Bildung  von  Stubbenhorizonten 
in  Verbindung  mit  Braunkohlenflözen  wie  unsere 
heimischen  nicht  vorausgesetzt  werden. 

Eugen  Bracht. 


Bücherbesprechimgen. 


Disp er,  Peter,  Über  die  Massenverteilung 
und    Verschiebung     der    Druck-     und 


Zugkräfte  in  einemKometen.  Montabau 
1919,  WUly  Kalb.     3  M. 


128 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  8 


Der  Verfasser  gibt  leider  nicht  genau  an,  wie 
er  sich  die  physikalische  und  chemische  Be- 
schaffenheit eines  Kometen  vorstellt,  was  aber 
zwischen  seinen  mathematischen  Ableitungen  an 
Bemerkungen  eingestreut  ist,  setzt  jedenfalls  ganz 
andere  Gebilde  voraus,  als  sie  über  die  Natur  der 
Kometen  durch  die  Beobachtung  bekannt  geworden 
sind.  Es  könnte  sonst  nicht  auf  S.  15  heißen: 
„Der  Schweif  besitzt  also  einen,  wenn  auch  äußerst 
geringen  Grad  von  Elastizität  und  Biegsamkeit, 
wie  sie  etwa  einem  erhitzten  und  schnell  abge- 
kühlten Stück  Eisen  eigentümlich  ist."  Der  Ko- 
metenkopf scheint  nach  Disper  eine  Gasmasse 
zu  sein,  und  keine  meteorische  Wolke,  so  daß  die 
von  ihm  abgeleiteten  Ergebnisse  für  die  wirklichen 
Kometen  kaum  in  Betracht  kommen  dürften. 
Interessant  sind  die  von  ihm  gefundenen  Be- 
ziehungen zwischen  Gravitation  und  Wärme,  die 
mit  den  Anschauungen  von  Fricke  identisch 
sind  (vgl.  S.  158  dieses  Bandes).  Riem. 

Beutner,  R.,  DieEntstehungelektrischer 
Ströme     in     lebenden     Geweben     und 
ihre     künstliche    Nachahmung     durch 
synthetische    organische  Substanzen. 
Stuttgart  1920,  Verlag  von  F.  Enke. 
In  dem  vorliegenden,  streng  wissenschaftlichen 
Werke    berichtet   der  Verf.   vor  allem    über  seine 
äußerst  interessanten  Versuche  über  die  Entwick- 
lung elektromotorischer  Kräfte   bei   der  Einschal- 
tung   einer   mit  Wasser    nicht  mischbaren  organi- 
schen Flüssigkeit  (kurz    als  „Öl"    bezeichnet)  zwi- 
schen wässrige  Lösungen  verschiedener  Salze  oder 
eines  Salzes  in  verschiedendn  Konzentrationen,  und 
über  Ketten,  die  aus  zwei  verschiedenen,  zwischen 
identische  wässrige  Salzlösungen  geschaltete  „Öle" 
aufgebaut  wurden. 

Ganz  abgesehen  vom  großen  Interesse,  daß 
diese  Ketten  und  ihre  Theorie  für  die  physikalische 
Chemie  besitzen,  sind  sie  von  außerordentlichem 
Werte  für  die  Deutung  der  elektrischen  Ströme, 
die  an  allen  lebenden  Geweben  zwischen  einer 
normalen  und  einer  verletzten  Gewebsstelle  auf- 
treten. 

So  sei  z.  B.  nur  darauf  hingewiesen,  daß  nach 
Ansicht  der  Ref  aus  Beutners  Versuchen  her- 
vorgeht, daß  alle  Versuche,  die  schädigende 
Wirkung  verschiedener  Salze  auf  tierische  Gewebe 
an  der  Größe  des  von  ihnen  hervorgerufenen 
elektrischen  Stromes  zu  messen,  ihr  Ziel  verfehlten, 
weil  nicht  die  Giftwirkung  des  Salzes,  sondern 
sein  Teilungskoefizient  zwischen  Wasser  und  Ge- 
websoberfläche  die    Ursache   der  Verschiedenheit 


der    entwickelten    elektromotorischen    Kräfte    zu 
sein  scheint. 

Die  den  Physiologen  am  meisten  interessierenden 
elektromotorischen  Wirkungen  der  tierischen  Ge- 
webe, die  „Akiionsströme"  werden  vom  Verf.  nicht 
diskutiert;  sicher  werden  auch  bei  ihrer  Deutung 
die  Beutnerschen  Versuche  zu  berücksichtigen 
sein. 

Es  ist  hocherfreulich,  daß  die  Verlagsbuch- 
handlung dieses  Buch,  obwohl  es  vielleicht  zu- 
nächst leider  nur  auf  einen  kleineren  Leserkreis 
hoffen  darf,  der  Wissenschaft  zugänglich  gemacht 
hat.  Brücke,  Innsbruck. 


Schulz,  H.,   Das  Sehen,   eine   Einführung 
in    die    physiologische    Optik.       Stutt- 
gart 1920,  Verlag  F.  Enke. 
Das   vorliegende  Werk   entstammt   der   Feder 
eines  Physikers    und    hat  die  Vorzüge  und  Nach- 
teile dieser  Abstammung. 

Es  führt  den  Leser  gut  in  die  mit  der  physio- 
logischenOptik  zusammenhängenden  physikalischen 
Probleme  ein.  In  die  Darstellung  der  speziell 
physiologischen  und  psychologischen  Tatsachen 
hat  sich  aber  leider  eine  recht  beträchtliche  Zahl 
von  Irrtümern  eingeschlichen. 

Dennoch  wird  das  Buch  als  Ganzes  weiten 
Kreisen  wertvolle  Kenntnisse   vermitteln   können. 

Brücke,  Innsbruck. 


Literatur. 

Seifert,  Prof.  Dr.  O. ,  Die  tierischen  Parasiten  des 
Menschen.  II.  Teil.  Klinik  und  Therapie  der  tierischen  Para- 
siten des  Menschen.  Mit  19  Te.xtabb.  2.  Aufl.  Leipzig  '20, 
C.  Kabitsch.     72  M. 

Pauli,  Prof.   Dr.  Wo.,  Kolloidchemie  der  Eiweifikörper. 

1.  Hälfte.      Mit    27  Textabb,      Diesden    u.    Leipzig    '20,    Th. 
Steinkopf. 

Beniner,  R. ,  Die  Entstehung  elektrischer  Ströme  in 
lebenden  Geweben  und  ihre  künstliche  Nachahmung  durch 
synthetische  organische  Substanzen.  Mit  15  Textabb.  Stutt- 
gart '20,  F.   Enke.     40  M. 

Fehlinger,  H.,  Das  Geschlechtsleben  der  Naturvölker. 
Mit  9  Textabb.     Leipzig  '21,  C.  Kabitsch.     15  M. 

Gothan,  Prof.  Dr.,  Potonies  Lehrbuch  der  Paläobotanik. 

2.  umgearb.  Aufl.     2.  Lief.     Berlin,  Gebr.  Bornträger.     22  M. 

Cassirer,  E.,  Zur  Einsteinschen  Relativitätstheorie.  Er- 
kenntnisiheoretische  Betrachtungen.     Berlin  '21,  B.  Cassirer. 

Schulz,  Dr.  H.,  Das  Sehen.  Eine  Einfuhrung  in  die 
physiologische  Optik.  Mit  86  Textabb.  Stuttgart,  F.  Enke. 
25  M. 

Donath,  Prof.  Dr.  und  Lissner,  Dr.  A. ,  Kohle  und 
Erdöl.     Mit  8  Abb.     Ebenda.     7,50  M. 

Kauffmann,  Prof.  Dr.  H.,  Beziehungen  zwischen  phy- 
sikalischen Eigenschaften  und  chemischer  Konstitution.  Ebenda 
60  M. 


Inhalt:  F.  Kobel,  Das  Problem  der  Wirtswahl  bei  den  parasitischen  Pilzen.  S.  1:3.  H.  Passarge  Die  Birotations- 
Iheorie.  S.  118.  —  Einzelberichte:  M.  Weth,  Der  positive  Spitzenstrom.  S.  121.  H.  Wachs,  Restitution  des  Auges 
nach  E.xstirpation  von  Retma  und  Linse  bei  Tritonen.  S.  123.  Hilzheimer,  Der  Ursprung  des  Menschengeschlechts. 
S.  123.  E.  Bracht,  Der  Sumpfzypressenwald  in  Florida.  S.  124.  —  Bücherbesprechungen:  P.  Disper,  Über  die 
Massenverteilung  und  Verschiebung  der  Druck-  und  Zugkräfte  in  einem  Kometen.  S.  127.  R.  B  eutner,  Die  Ent- 
stehung elektrischer  Ströme  in  lebenden  Geweben  und  ihre  künstliche  Nachahmung  durch  synthetische  organische  Sub- 
stanzen.  S.  1 28.     H.  S  c  h  u  1  z ,  Das  Sehen,  eine  Einführung  in  die  physiologische  Optik.  S.  128.  —  Literatur:  Liste.  S.  128. 

Manuskripte  und  Zuschriften  werden  an  Prof.  Dr.  H.  Mi  ehe,  Berlin  N  4,  Invalidenstraße  42,  erbeten. 

Verlag  Ton  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  der  G.  Pätz'schen  Buchdr.  Lippert  &  Co.  G.  m.  b.  H.,  Naumburg  a.  d.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 

Sonntag,  den  27.  Februar  1921.  Nummer  9. 


Neue  Folge  so.  Band; 
der  ganxen  Reihe  3Ö.  Band. 


[Nachdruck  verboten.] 


Pflanzen  als  Wetterpropheten. 

Von  K.  Goebel. 
Mit  2  Abbildungen. 


Das  Wetter  vorhersagen  zu  können,  war  von 
jeher  ein  eifrig  erstrebtes  Ziel  —  bekannthch  ist  es 
auch  jetzt  nur  noch  unvollkommen  erreicht.  So- 
lange man  aber  diesem  Wunsch  hilflos  gegenüber- 
stand, suchte  man  ihn  auf  einem  Umweg  zu  be- 
friedigen. Man  nahm  an,  daß  andere  Organismen 
bessere  Wetterpropheten  seien  als  der  Mensch. 

Zu  diesen  Organismen  rechnete  man  auch 
einige  Pflanzen,  die  durch  mehr  oder  minder  auf- 
fallende Bewegungen  erkennen  lassen  sollten,  ob 
gutes  oder  schlechtes  Wetter  bevorstehe.  Dieser 
Glauben  war  so  fest  begründet,  daß  manche  dieser 
Pflanzen  sogar  ihre  Artbezeichnung  daher  erhielten. 
Allgemein  bekannt  sind  bei  uns  die  „Wetterdistel" 
(Carlina  acaulis)  und  das  „Wettermoos"  (Funaria 
hygrometrica).  ^)  In  unseren  botanischen  Gärten 
aligemein  verbreitet  (auch  als  Zierpflanze  angebaut) 
ist  eine  Kappflanze,  Dimorphotheca  p  1  u  v  i  a  1  i  s ,  -) 
so  genannt,  weil  sie  ihre  Blütenköpfe  bei  Regen 
schließen  soll.  Auch  der  aus  Peru  stammende 
Strauch  Porliera  hygrometrica  verdankt  seinen  Art- 
namen einem  ähnlichen  Glauben.  Aber  auch 
solche  Pflanzen,  denen  man  es  nicht  schon  am 
Namen  anmerkt,  haben  zeitweise  als  Wetter- 
propheten Aufsehen  erregt.  So  der  unten  zu  er- 
wähnende Abrus  precatorius  und  andere. 

Wenn  wir  uns  fragen,  wie  diese  Pflanzen  zu 
ihrem  Rufe  gekommen  sind  und  ob  dieser  be- 
gründet ist,  so  sei  zunächst  daran  erinnert,  daß 
die  Bewegungen,  welche  diese  Pflanzen  ausführen, 
ganz  verschiedener  Natur  sind. 

Bei  Porliera,  Abrus,  Dimorphotheca  u.  a. 
handelt  es  sich  um  Bewegungen  lebender  Blatt- 
organe, bei  Carlina,  Funaria  u.  a.  dagegen  um 
tote  Pflanzenteile,  die  hygroskopische  Bewegungen 
ausführen.  Diese  bedürfen  hier  keiner  ausführlichen 
Besprechung  —  man  findet  sie  ja  in  jedem 
botanischen  Lehrbuch  erwähnt.  Es  sei  deshalb 
nur  weniges  hervorgehoben. 

1.  Die  hygroskopische  Empfindlichkeit  ist  eine 
außerordentlich  verschiedene.  Am  größten  ist 
sie  unter  den  mir  bekannten  Pflanzen  bei  einigen 
australischen  „Strohblumen".  Als  Strohblumen 
oder  „Immortellen"  bezeichnet  man  bekanntlich 
einige  Kompositen,  deren  Hochblatthülle  aus 
Blättern  besteht,  die,  wenigstens  in  ihrem  oberen 
Teile,  aus  totem  Gewebe  bestehen,  das  sich  ohne 


•)  Linne  führt  bei  Besprechung  des  Nutzens  des  Moose 
ausdrücklich  an;  „Mnium  hygrometricum  utwisar  luftens 
torka    eller  fuktighet  (Skrifter  afCarl  v.  Linne  II,    p.   137). 

^)  Noch  im  Katalog  für  1921  von  einer  Erfurter  Firma 
steht  bei  dieser  Pflanze  ,, zeigt  Regen  an". 


erhebliche  Schrumpfung  im  trockenen  Zustand 
erhält  und  so  dem  ungeübten  Auge  als  „lebend" 
erscheint.  Die  Bezeichnung  „Immortellen"  ist  also 
eine  ebenso  irrige,  als  die  der  „Jerichorose"  als 
„Auferstehungspfianze"  (Anastatica),  in  beiden 
Fällen  handelt  es  sich  um  totes  Gewebe,  das 
weder  nochmals  sterben  noch  wieder  aufleben  kann. 

Bekannt  sind  auch  außer  der  schon  genannten 
Wetterdistel  namentlich  die  auf  trockenen  Wiesen 
bei  uns  wachsenden  „Katzenpfötchen",  Antennaria 
dioica.  Die  hygroskopische  Empfindlichkeit  der 
Hüllblätter  dieser  Pflanzen  ist  aber  eine  recht 
bescheidene  gegenüber  der  einiger  australischer 
Helipteres  -  Arten ,  die  in  unseren  Gärten  nicht 
selten  als  Zierpflanzen  gezogen  werden,  weil 
deren  Hüllblätter  durch  ihre  lebhafte  Färbung 
(rot,  gelb  usw.)  ebenso  als  „Schauapparat"  — 
wenigstens  für  das  menschliche  Auge  —  auffallen, 
wie  bei  anderen  Kompositen  die  Randblüten. 

Diese  Hüllblätter  besitzen  eine  kurze  mittlere 
Zone,  die  als  hygroskopisches  Bewegungsgelenk 
tätig  ist. ')  Bestreicht  man  diese  Zone  auf  der 
Außenseite  mit  Wasser,  so  tritt  augenblicklich 
eine  starke  Einwärtskrümmung  des  oberen  Blatt- 
teiles ein,  während  keine  Bewegung  erfolgt,  wenn 
man  den  oberhalb  des  Gelenkteiles  gelegenen 
Teil  des  Involukralblattes  benetzt.  Das  Gelenk 
ist  eine  ganz  kurze  schmale  Zone  an  der  Grenze 
zwischen  dem  unteren,  teilweise  noch  aus  lebendem 
Gewebe  bestehenden  Teil  des  Involukralblattes 
und  dem  oberen,  schmäleren  gefärbten.  Es  ist 
dorsiventral,  denn  nur  die  Außenseite  (Unterseite) 
ist  in  erheblichem  Maße  hygroskopisch.  Diese 
aber  ist  sehr  empfindlich.  Es  genügt,  daß  man 
einen  „geöffneten"  Blütenkopf  in  einen  wasser- 
dampfreichen  Raum  bringt,  um  sofort  einen  Ver- 
schluß der  Blütenköpfe  herbeizuführen.  Als  solchen 
Raum  benutzte  ich  das  Victoria  regia- Haus  unseres 
Gartens.  Die  Blütenköpfe  von  Helipteres  roseum 
blieben  darin  dauernd  geschlossen.  Nur  bei  sta;i:em 
Sonnenschein,  der  zunächst  eine  Verminderung 
der  relativen  Luftfeuchtigkeit  bedingte,  trat  eine 
schwache  Öffnung  ein.  Es  genügt  also  Wasser- 
dampf, um  eine  Schließbewegung  herbeizuführen. 
Demgemäß  blieben  an  luftfeuchten  Tagen  auch 
die  Blütenköpfe  geschlossen.  Es  kann  keinem 
Zweifel  unterliegen,  daß  auch  der  abendliche  Ver- 
schluß derHelipteres-Blütenköpfe  auf  eine  Zunahme 
der  relativen  Luftfeuchtigkeit,  also  auf  einer  hygro- 


')  Vgl.  Goebel,  Die  Entfaltungsbcwegungen  der  Pflanzen, 
Jena   1920,  S.  93. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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skopischen  Bewegung  beruht.  Um  einigermaßen 
zahlenmäßige  Anhaltspunkte  für  die  hygroskopische 
Empfindlichkeit  dieser  Involukralblätter  zu  ge- 
winnen, wurden  im  Exsikkator  durch  Schwefelsäure 
verschiedenen  Wassergehaltes  verschiedene  Grade 
relativer  Luftfeuchtigkeit  hergestellt.  Bei  Anwendung 
von  40proz.  Schwefelsäure  (57%  relative  Luft- 
feuchtigkeit) blieben  die  Köpfe  offen.  Bei  35proz. 
(etwa  ö5"/(,  relative  Luftfeuchtigkeit)  waren  sie  halb- 
geöffnet, bei  30proz.  (/Ö^/q  relative  Luftfeuchtig- 
keit) geschlossen.  IMan  kann  also  wohl  annehmen, 
daß  Verschluß  erfolgt,  wenn  etwa  70%  relative 
Luftfeuchtigkeit  erreicht  ist.  Eine  Verminderung 
um  13%  genügt,  um  die  Offnungsbewegung  herbei- 
zuführen. 

Man  wird  geneigt  sein,  anzunehmen,  daß  diese 
starke  hygroskopische  Empfindlichkeit  der  Pflanze 
von  Nutzen  sei,  derart  etwa,  daß  nachts  die  Blüten 
durch  den  Verschluß  des  Involukrums  gegen  die 
schädliche  Einwirkung  von  Feuchtigkeit  geschützt 
seien. 

Das  ist  möglich.  Aber  es  sei  darauf  hinge- 
wiesen, daß  eine  hygroskopische  Empfindlichkeit 
auch  vorkommt,  wo  diese  Schutzbedeutung  aus- 
geschlossen ist.  So  ist  es  bei  Ammobium  alatum, 
der  bekanntesten  „Strohblume",  die  gleichfalls 
dem  australischen  Florengebiet  entstammt.  Hier 
sind  die  Hüllblätter  so  kurz,  die  Blütenköpfe  so 
dick,  daß  die  letzteren  von  ersteren  zur  Blütezeit 
nicht  mehr  ,, geschlossen"  werden  können.  Trotz- 
dem sind  die  Hüllblätter  hier  ebenfalls  hygrosko- 
pisch. Diese  Eigenschaft  ist  also  gewiß  nicht  im 
„Kampf  ums  Dasein"  zum  Schutz  der  Blüten  er- 
worben worden.  Vielmehr  sehen  wir  den  oberen 
Teil  der  Hüllblätter  an  den  Blütenköpfen  einer 
ganzen  Anzahl  von  Kompositen  aus  ganz  oder 
größtenteils  abgestorbenem  Gewebe  bestehen 
(z.  B.  Xeranthemum,  einige  Centaurea-Arten  u.  a.), 
ohne  daß  sie  ausgesprochen  hyproskopische  Be- 
wegungen ausführen.  Bei  Helipteres  ist  die  pri- 
märe Funktion  des  Gelenks  die  der  Öffnung  des 
Hüllblattapparates  beim  Austrocknen.  Das  ge- 
schieht durch  Schwinden  des  Gelenks  auf  der 
Außenseite.  Die  Schließbewegung  kann  ja  mög- 
licherweise auch  von  Nutzen  sein.  Aber  wenn 
ein  solcher  vorhanden  ist  —  was  nur  experimen- 
tell erwiesen  werden  kann  — ,  so  ist  er  nur  ein 
sekundärer. 

Die  kurz  besprochenen  hygrometrischen  Pflan- 
zen können  also  insofern  einigermaßen  als  „Wet- 
terpropheten" gelten,  als  sie  eine  Zunahme  der 
Luftfeuchtigkeit  anzeigen,  die  ja  vielfach  dem 
Regen  voran  geht. 

Geheimnisvollere  Kräfte  schrieb  man  der 
zweiten  Gruppe  von  Pflanzen  zu,  bei  denen  es 
sich  namentlich  um  Öffnungs-  und  Schließbe- 
wegungen von  Blütenköpfen  und  Blättern  handelt. 

Vaucher,  in  dessen  —  mit  Unrecht  fast  ver- 
gessenem —  Werk  sich  eine  Menge  „biologischer" 
Beobachtungen  finden,  sagt  ^)  von  Dimorphotheca: 
„Ce  que  le  Pluvialis  presente  de  remarquable,  c'est 
le    mouvement    de    ses   ligules    qui   s'ouvrent    le 


matin,  si  la  temp^rature  est  sereine,  mais  qui 
restent  fermes,  si  le  temps  annonce  une  pluie 
durable,  et  non  pas  une  pluie  d'orage."  Er  folgte 
darin  im  wesentlichen  dem,  was  Linne  von  einer 
anderen  Pflanze  anführte:  „Den  Sonchus  Sibiriens 
(=  Lactuca  sibirica)  hat  Linne-)  sogar  zum  Wet- 
terpropheten gemacht,  indem  er  sagte,  daß  der 
folgende  Tag  meistens  schön  ist,  wenn  die  Blüthen 
des  Sonchus  die  Nacht  hindurch  geschlossen  sind; 
der  folgende  Tag  wäre  aber  unbeständig  und 
regnigt,  wenn  die  Blüthen  des  Sonchus  die  ganze 
Nacht  hindurch  offen  geblieben  wären.  Ich  habe 
zwar  nicht  Gelegenheit  gehabt  den  Sonchus 
Sibiriens  des  Nachts  zu  beobachten,  aber  wahr- 
scheinlich wird  er  ein  ebenso  schlechter  Wetter- 
prophet sein,  als  die  Calendula  pluvialis,  von  der 
man  sagt,  daß  sie  sich  schließt,  wenn  Regen  bevor- 
steht; diese  Blume  richtet  sich  aber  mehr  nach 
dem  Sonnenschein,  als  nach  dem  kommenden 
Regen.  Herr  Link  sagte,  daß  er  die  Calendula 
pluvialis  sehr  oft  beobachtet  und  gefunden  habe, 
daß  sie  sich  nur  dann  an  das  Wetter  kehrt,  wenn 
es  lange  trocken  gewesen  ist,  wenn  aber  oft 
Regenschauer  kommen,  so  richtet  sie  sich  auf 
keine  Weise  darnach,  woraus  man  auf  ein  Ge- 
wöhnen an  schlechtes  Wetter  schließen  könnte."^) 
Tatsächlich  handelt  es  sich  bei  diesen  Kompositen 
aber  nicht  um  Wetterpropheten.  An  einem  warmen 
Julitage  blieben  in  unserem  Garten  die  Pflanzen 
von  Dimorphotheca  pluvialis  trotz  10  Minuten 
langem  prasselndem  Regens  geöffnet  —  während 
die  Blütenköpfe  von  Helipteres  roseum  und  H. 
Manglesii  durch  die  Bewegungen  ihrer  Involu- 
kralblätter geschlossen  waren.  Das  periodische 
Offnen  und  Schließen  dieser  Pflanzen  wird  viel- 
mehr wie  in  anderen  Fällen  durch  ihre  Empfind- 
lichkeit für  Schwankungen  der  Licht-  und  Wärme- 
intensität bedingt.  Je  nach  den  einzelnen  Pflanzen 
überwiegt  die  thermonastische  oder  die  photo- 
nastische  Reizbarkeit.  Dimorphotheca  gehört  zu 
den  ersteren  —  man  kann  sich  leicht  überzeugen, 
daß  Pflanzen  im  Victoriahaus  auch  nachts  10'', 
wenn  die  im  Freien  stehenden  längst  geschlossene 
Blütenköpfe  zeigen,  diese  noch  offen  haben.  Daß 
die  Blütenköpfe  auch  photonastisch  reizbar  sind, 
soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  indes  ver- 
dankt die  Pflanze  ihren  Namen  jedenfalls  nicht 
ihrer     photonastischen,     sondern    ihrer     thermo- 


')  Vaucher,  Histoire  pbysiologique  des  plantes  d'Eu- 
rope,  Vol.  III  (1S41),  p.   140. 

^)  Vgl.  Linne,  Phil.  bot.  ed.  II,  p.  275  wo  es  von  „Ca- 
lendula africana"  heißt:  .  .  .  at  vero  si  vigilias  non  adsumat, 
seu  non  aperiat  flores  hora  septima  matutina,  pluviae  hac 
die  cadent,  coustanti  lege  umbres  autem  ex  tonitru  evilare  non 
facile  didiscit.  Sonchus  Sibiriens  si  noctu  claudatur  proxi- 
ma  dies  plerumque  serena  erit,  si  vero  aperto  flore  per  noctem 
vigilet  insequens  dies  plerumque  erit  pluviosa."  Offenbar  be- 
ruht diese  Annahme  darauf,  daß  die  Blütenköpfe  stärker  ther- 
monastisch  als  photonastisch  sind,  in  einer  warmen  Nacht 
also  offen  bleiben.  Nach  einer  waimen  Nacht  regnet  es  öfter 
als  nach  einer  kalten.  Darauf  dürfte  Linnes  Annahme  be- 
ruhen. 

')  M  e  y  e  n ,  Neues  System  der  Pflanzenphysiologie,  III 
(1839),  S.  497- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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nastischen  Reizbarkeit.     Als  Regenprophet  ist  sie 
jedenfalls  ganz  unbrauchbar. 

Die  Pflanzen,  die  man  seit  Pfeffers  Unter- 
suchungen gewöhnlich  zur  Demonstration  der 
Öffnungs-  und  Schließungsbevvegungen  der 
Blüten  zu  benutzen  pflegt:  Crocus  und  Tulipa 
sind  im  getriebenen  Zustand  nicht  sehr  empfind- 
lich. Die  thermonastisch  am  stärksten  empfind- 
liche Pflanze,  die  ich  derzeit  kenne,  ist  0.\'alis 
hirta,  eine  wie  Dimorphotheca  vom  Kap 
stammende  Oxalis-Art.  Sie  bildet  in  unserem  im 
Winter  auf  12 — 15"  gehaltenen  Kaphause  zwar 
ihre  Blütenknospen,  aber  sie  entfaltet  sie  bei 
dieser  Temperatur  nicht.  Bringt  man  aber  eine 
Pflanze  mit  noch  geschlossenen,  hinreichend  aus- 
gebildeten Blütenknospen  in  ein  Gewächshaus  mit 
25",  so  öffnen  sich  die  Knospen  innerhalb  von 
5  Minuten.  In  das  kühle  Haus  zurückgebracht, 
schließen  sich  die  Blüten  wieder,  brauchen  dazu 
aber  eine  längere  Zeit — mehrere  Stunden.  Sie  können 
sich  bei  höherer  Temperatur  dann  noch  einmal 
öffnen.^)  Gegen  Benässung  sind  die  Blüten  sehr 
empfindlich,  nicht  nur  öffnen  sie  sich  in  warmes 
Wasser  gelegt  überhaupt  nicht,  sondern  es  genügt 
ein  kurzdauernder  Aufenthalt  im  Wasser,  um  sie 
abzutöten.  Es  mag  also,  da  Regen  und  niedrigere 
Temperatur  miteinander  zusammen  aufzutreten 
pflegen,  auch  aus  diesem  Grunde  für  die  Blüten 
vorteilhaft  sein,  daß  sie  nur  bei  höherer  Tempe- 
ratur sich  öffnen. 

Es  gibt  aber  auch  Blüten,  deren  Öffnungs- 
und Schließbewegung  von  anderen  Faktoren  ab- 
hängt, die  man  bisher  meist  übersehen  hat  und 
zwar  deshalb,  weil  die  meisten  Botaniker  die 
(Jffnungs-  bzw.  Schließbewegung  nur  als  einen 
durch  Wachstumsverschiedenheit  auf  den  beiden 
Seiten  der  Blumenblätter  usw.  bedingt  betrachten. 
Es  geschah  das  auf  Grund  der  berühmten  Unter- 
suchungen von  Pfeffer.  Dieser'-)  glaubte  nach- 
gewiesen zu  haben,  daß  die  Krümmungsbewegun- 
gen der  Blüten  durch  Wachstum  vermittelt  werden. 

Gewiß  ist  das  in  den  von  Pfeffer  unter- 
suchten Blüten  und  vielen  anderen  so.  Aber  man 
kann  nicht  von  Crocus  und  Tulipa  auf  die  Ge- 
samtheit der  Blüten  schließen.  Unzweifelhaft 
handelt  es  sich  bei  manchen  davon  nicht  um 
Wachstumsverschiedenheiten  auf  Ober-  und  Unter- 
seite, sondern  um  Verschiedenheiten  der  Turgor- 
spannung.  Das  läßt  sich  besonders  leicht  bei  den 
Blüten  von  Silene  Arten  zeigen. 

Manche  davon  zeigen  bekanntlich  ein  periodi- 
sches Offnen  und  Schließen,  wobei  der  Verschluß 
durch  Einrollen  der  Blumenblätter  stattfindet. 
Letzteres  erfolgt  bei  Melandryum  noctiflorum, 
Silene  nutans  u.  a.  am  Tage,  die  Öffnung  abends. 
Man  kann  aber  auch  am  Tage  leicht  eine  Öffnung 
der  Blüten  herbeiführen,  bzw.  sie  geöffnet  er- 
halten. 


Meine  Beobachtungen  an  Silene  nutans  und 
Mel.  noctiflorum  ergaben  zunächst  folgendes. 

Wenn  man  Blüten  von  Sil.  nutans  oder  Mel. 
noctiflorum  mit  eingerollten  Petalen  in  Wasser 
legt,  findet  bald  eine  Ausbreitung  statt.   So  hatte 


Abb.   I. 


Abb.   2. 


')  Bei  Pflanzen,  die  schon  länger  im  Warmhaus  stehen, 
tritt  die  photonastische  Reizbarkeit  hervor. 

-)  Pfeffer,  Pflanzenphysiologie,  2.  Aufl.,  II,  S.  175.  Auf 
die  sonstige  Literatur  kann  hier  nicht  eingegangen   werden. 


z.  B.  die  in  Abb.  i  abgebildete  Infloreszenz  5^1$ 
nachmittags  drei  Blüten  mit  eingerollten  Petalen. 
Abb.  2  zeigt  dieselbe,  nachdem  die  Blüten  ^/^  Stun- 
den in  Wasser  von  20°  gelegen  hatten  —  bei 
höherer  Temperatur  geht  die  Ausbreitung  wesent- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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lieh  rascher  vor  sich.')  Dem  entspricht,  daß  diese 
Blüten  an  trüben  feuchten  Tagen  gleichfalls  ge- 
öffnetbleiben können,  ebenso  wenn  man  sie  öfters 
bespritzt.  Selbstverständlich  spricht  dabei  aber 
die  Wasserversorgung  der  ganzen  Pflanze  mit. 
Daß  die  Einrollung  auf  einer  Turgorverminderung 
der  Oberseite  beruht,  ist  mir  nicht  zweifelhaft. 
iVIan  kann  sie  bei  Silene  conoidea  herbeiführen 
dadurch,  daß  man  die  Blüten  wiederholt  hin-  und 
herbewegt  oder  daß  man  sie  abgeschnitten  in 
trockener  Luft  liegen  läßt.  Es  ist  derselbe  Vor- 
gang, welcher  früher  ^)  von  Gräsern  wie  Leersia 
clandestina  und  Phalaris  arundinacea  beschrieben 
wurde,  nur  daß  er  bei  Sil.  nutans  und  Mel.  nocti- 
florum  mehrere  Tage  hintereinander  sich  einstellen 
kann.  Ferner  erhielt  ich  sehr  rasche  Einrollung 
der  Blumenblätter  von  Mel.  noctiflorum,  wenn  ich 
die  abends  geöffneten  Blumenblätter  auf  ihrer 
Oberseite  mit  einem  heißen  Körper  in  Berührung 
brachte  und  dadurch  den  Turgor  aufhob.  Be- 
streichen mit  hypertonischen  Lösungen  wirkt  viel 
langsamer  und  schwächer,  weil  die  Blumenblätter 
schwer  benetzbar  sind.  Andere  Sileneen  zeigen 
die  Einrollung  nur  beim  Abblühen. 

In  dem  Ein-  und  Aufrollen  der  Blumenkrone  eine 
Anpassungserscheinung  nachzuweisen,  wird  nicht 
leicht  sein.  Man  kann  die  Einrollung  nicht  etwa  als 
eine  Schutzvorrichtung  für  die'Staubblätter  und  ihren 
Pollen  ansehen,  denn  die  Staubblätter  von  Silene 
nutans  ragen,  wie  Abb.  i  zeigt,  aus  den  einge- 
rollten Blumenkronen  weit  hervor,  die  von  Mel. 
noctiflorum  treten  über  die  „Nebenkrone"  über- 
haupt nicht  hervor,  brauchen  also  auch  keinen 
Schutz.  Die  eingerollten  Blumenblätter  versperren 
auch  durchaus  nicht  immer  den  Eingang  in  die 
Blüte.  Daß  die  Blumenblätter  aber  gegen  Schä- 
digung durch  Austrocknen  empfindlicher  seien 
als  die  anderer  Silene- Arten,  welche  keine  peri- 
odische Bewegung  zeigen  und  sich  gegen  diese 
Gefahr  durch  Einrollung  schützen,  ist  weder  nach- 
gewiesen noch  wahrscheinlich.  Es  liegt  eine  Ab- 
hängigkeit des  Turgors  der  Oberseite  von  äußeren 
Faktoren  vor  —  ähnlich  wie  in  anderen  Fällen, 
ohne  daß  man  diese  derzeit  als  eine  adaptative 
bezeichnen  könnte. 

Daß  beim  Offnungsvorgang  der  Blumenkrone 
die  Blumenblätter  noch  erheblich  heranwachsen, 
ist  auch  ohne  Messung  leicht  wahrnehmbar.  Dann 
aber  wirkt  der  Antagonismus  zwischen  Ober- 
und  Unterseite  so,  daß  nur  bei  starker  Turges- 
zenz  der  ersteren  die  Blüte  geöffnet  bleibt.  Sinkt 
die  Turgeszenz  auf  der  Oberseite,  ^)  so  tritt  Ver- 

')  Vaucher  (Histoire  physiol.  des  plan'es  d'Europe,  I 
(1841),  p.  365),  welcher  die  Bewegungen  der  Fetalen  einiger 
Silene- Arten  erwähnt,  meint,  sie  seien  ,,independants  de  tout 
ageut  exterieur,  puisqu'ils  ont  lieu  par  un  temps  pluvieux 
comme  par  un  ciel  serein,  et  dans  l'obscurile  comme  au  plein 
jour".  Daß  das  nicht  zutrifft,  geht  aus  dem  oben  Mitge- 
teilten hervor. 

'■')  Goebel,  Entfaltucgsbewegungen,  S.  44. 

^)  Wenn  man  eingerollte  Blumenblätter  ausbreitet,  schnellen 
sie  wieder  (wie  schon  Gärtner  beobachtete)  in  ihre  ur- 
sprüngliche Lage  zurück. 


Schluß  ein.  Das  kann  bei  manchen  Sileneen 
mehrmals  (periodisch)  erfolgen,  bei  anderen  ge- 
schieht es  nur  einmal  beim  Abblühen.  Künst- 
lich kann  der  Vorgang,  wie  die  bei  Silene 
conoidea  angeführte  Beobachtung  zeigt,  auch  vor 
dem  Abblühen  durch  Transpirationssteigerung, 
und  mehrmals  hervorgerufen  werden.  Der  Unter- 
schied liegt  also  nur  in  einer  größeren  Empfindlich- 
keit der  Oberseite  bei  den  Silenazeen  mit  mehr- 
mals sich  öffnenden  Blüten. 

Sehen  wir  noch  zu,  wie  es  sich  mit  den 
„Wetterpflanzen"  verhält,  deren  Blattbewegungen 
als  ein  Anzeichen  für  die  Witterungsfestslellung 
abgeben  sollten. 

Porliera  hygrometrica  ist  ein  zu  den  Zygo- 
phyllen  gehöriger  Strauch,  der  an  trockenen  Stand- 
orten in  Peru  wächst.  Der  Artname  rührt  von 
den  Beobachtungen  her,  die  schon  die  ersten  Be- 
schreiber  der  Pflanze,  Ruiz  und  Pavon')  ver- 
anlaßten,  diese  als  Wetterpropheten  zu  betrachten. 
Zunächst  sei  erwähnt,  daß  die  Blätter  sehr  schöne 
Schlafbewegungen  ausführen.  Sie  sind  doppelt 
gefiedert.  Die  Fiederbläitchen  schlagen  sich  nach 
oben  zusammen,  die  Blattspindel  senkt  sich.  Das 
Aussehen  der  ganzen  Pflanze  wird  durch  diese 
„nyktinastische"  Bewegung  so  verändert,  daß  sie 
auf  die  genannten  Forscher  den  Eindruck  machte, 
als  ob  sie  blattlos  und  vertrocknet  sei.  Die  Wet- 
terprophezeiung soll  nun  darin  bestehen,  daß 
wenn  der  folgende  Tag  trocken  sein  wird,  eine 
halbe  Stunde  vor  Sonnenuntergang  die  Blätter 
anfangen  sich  zusammenzufalten,  was  früher  ein- 
tritt, wenn  der  folgende  Tag  neblig  und  stürmisch 
sein  wird. 

Die  Zeit,  in  der  die  nyktinastische  Bewegung 
eintritt,  soll  also  anzeigen,  wie  das  Wetter  am 
folgenden  Tage  sich  gestalten  wird.  Außerdem 
kommt  das  Verhalten  zum  Regen  in  Betracht :  R  u  i  z 
und  Pa  von  geben  an,  wenn  es  nachmittags  stark 
geregnet  habe  und  die  Pflanze  naß  geworden  sei, 
so  schließen  sich  die  Blätter  vor  oder  kurz  nach 
Sonnenuntergang  vollständig.  Das  tun  sie  aber 
auch  sonst. 

Endlicher-)  dagegen  meint ,  die  Blätter 
seien  bei  heiterem  Wetter  ausgebreitet,  wenn 
Regen  bevorstehe  (instante  pluvia)  aber  geschlossen. 
Ob  das  auf  eigener  Wahrnehmung  oder  auf  einer 
mißverstandenen  Mitteilung  von  Ruiz  und  Pa- 
von  beruht,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Jeden- 
falls ist  die  Angabe  nicht  richtig. 

Eingehender  untersucht  wurde  das  Verhalten 
von  Porliera  von  Pantanelli. ')  Wie  zu  erwar- 
ten war,  ergab  sich  dabei,  daß  Porliera  kein 
Wetterprophet  ist.     Die  Blattbewegungen  können 


')  Ruiz  et  Pavon,  Systema  vegetabilium  florae  peru- 
vianae  et  chilensis,  1,   1798,   p.  94  u.  95. 

*)  Endlicher,  Genera  plantarum  ( 1836 — 1840),  II,  110. 

')  Enr.  Pantanelli,  Studi  d'anatomia  e  fisiologia  sui 
Pulvini  motori  di  Robinia  Pseudacacia  L.  et  Porliera  hygro- 
metrica R.  et  P.  Atti  della  societa  dei  Naturalisti  e  Matematici 
de  Modena,  Ser.  IV,  Vol.  II,  1901.  Daselbst  auch  weitere 
Literatur. 


N.  F.  XX.  Nr.  9 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


133 


zwar  abgesehen  vom  Licht  auch  von  anderen 
äußeren  Einwirkungen  —  namentlich  der  Luft- 
feuchtigkeit —  beeinflußt  werden,  aber  wenn  die 
alten  Autoren  daraus  auf  eine  Vorahnung  des 
Wetters  am  folgenden  Tage  geschlossen  haben, 
so  beruht  das  nur  darauf,  daß  nach  einem  trüben 
feuchten  Abend  am  folgenden  Tage  häufig  schlechtes 
Wetter  eintritt.  Im  übrigen  bestätigte  Panta- 
nelli,  daß  je  nach  der  Luftfeuchtigkeit  die  Schlaf- 
bewegungen früher  oder  später  eintreten  können, 
derart,  daß  ein  Steigen  der  Luftfeuchtigkeit  im 
allgemeinen  die  „Schlafbewegung"  und  die  Wach- 
bewegung früher  eintreten  läßt,  was  nicht  zu  ver- 
wundern ist,  da  es  sich  dabei  um  Beeinflussung 
des  Turgors  der  Gelenkpolster  handelt.  Doch  ist 
der  Einfluß  ein  verhältnismäßig  wenig  starker 
gegenüber  den  „inneren",  die  Turgoränderungen 
bedingenden  Einflüssen.  Eine  höhere  Luftfeuchtig- 
keit begünstigt  nur  zeitweilig  die  Ausdehnung  der 
gerade  „aktiveren"  Hälfte  des  Gelenkpolsters. 

Außerdem  nimmt Pantan eil i  noch  eine„Regen- 
scheu"  der  Pflanze  an.  Nach  oder  während  eines 
Regens  verändern  sich  die  Öfi'nungswinkel  der 
Blättchen  und  noch  mehr  der  Blätter.  Dabei  kann 
es  sich  nicht  um  den  Einfluß  der  Luftfeuchtigkeit 
handeln,  sondern  entweder  um  den  der  Benetzung, 
einer  Temperaturdifferenz  oder  den  mechanischer 
Erschütterung.  Letzteres  lehnt  Pantanelli  ab,  aber 
er  ist  über  die  eigenthche  Ursache  nicht  ins  Klare 
gekommen.  Denn  es  ist  nur  eine  teleologische 
Zurechtlegung,  wenn  er  sagt,  „wir  stehen  also  vor 
einer  Abwehreinrichtung  gegen  das  Wasser  in  den 
Beziehungen  auf  die  Ernährungsphysiologie:  ein- 
mal um  die  Transpiration  nicht  zu  hemmen,  sodann 
um  die  Infiltration   zu  verhindern,   oder   auch   für 


beide  Zwecke.  Daß  die  Spaltöffnungen  auf  der 
Oberseite  der  Blättchen  zahlreicher  sind,  wird 
diese  Annahme  stützen".  Daß  aber  Porliera  nicht 
einen  Regen  voraus  ahnen  kann,  ist  klar.  Es  ist 
möglich,  daß  Endlichers  Angabe  darauf  beruht, 
daß  einem  Regen  starke  Licht-  oder  Temperatur- 
abnahme vorausging. 

Die  Bewegungen  von  Porliera  sind  also  zwar 
noch  nicht  vollständig  aufgehellt,  aber  sicher  ist, 
daß  sie  ihren  Artnamen  „hygrometrica"  ebenso- 
wenig zu  Recht  trägt,  wie  Dimorphotheca 
„pluvialis"  genannt  zu  werden  verdient. 

Im  Jahre  1888  tauchte  eine  neue  „Wetter- 
pflanze" auf.  Es  erschien  in  Prag  eine  Broschüre 
„J.  F.  Nowacks  Wetterpflanze,  deren  Eigen- 
schaften, Cultur  und  Pflege,  mit  Anleitung,  wie 
durch  dieselbe  jegliche  Witterungs-  und  Temperatur- 
veränderung für  den  Horizont,  die  Umgebung  und 
Local  unbedingt  verläßlich  und  genau  48  Stunden 
vorher  bestimmt  werden  kann". 

Diese  Pflanze,  deren  Eigenschaften  in  so  merk- 
würdigem Deutsch  gepriesen  wurde,  ist  Abrus 
precaiorius,  eine  Leguminose. 

Eine  sorgfältige  in  Kew  von  F.  W.  Oliver 
ausgeführte  Untersuchung  ')  ergab,  daß  die  Blatt- 
bewegungen wie  bei  anderen  Leguminosen  un- 
mittelbar von  Schwankungen  des  Lichtes  und 
der  Wärme  beeinflußt  werden,  aber  keine  Vor- 
ahnung für  künftige  Ereignisse  erkennen  lassen. 
Das  wird  nicht  hindern,  daß  solche  Wetterpflanzen 
wieder  auftauchen  —  Mysterien  haben  die  Menschen 
stets  mehr  angezogen  als  nüchterne  Beobachtung! 


')    The    weather    plant,    Bulletin   of  miscellaneous   infor- 
mation  Royal  Gardens,  Kew,  Nr.  37,  1890. 


[Nachdruck  verboten.] 


Der  Holunder  (Sainbucus  uigra)  iu  der  Volkskuudfe. 

Von  Dr.  Heinrich  Marzell,  Gunzenhausen  (Bayern). 


Obwohl  sich  der  Holunder  meist  in  nächster 
Nähe  der  menschlichen  Siedelungen  findet,  so 
daß  es  scheinen  könnte,  er  wäre  überall  der  Kul- 
tur entsprungen,  so  ist  er  doch  ein  in  Mitteleuropa 
wirklich  einheimischer  Strauch.  Seine  natürlichen 
Standorte  sind  Auenwälder  und  Flußufer.  Aller- 
dings wurde  er  sicher  schon  sehr  früh  auch  von 
den  Menschen  angepflanzt,  so  daß  ein  Vorkom- 
men im  Walde  nicht  selten  ein  Überrest  früherer 
Kultur  sein  mag.  Auch  haben  wohl  beerenfres- 
sende Vögel  viel  zu  seiner  Verbreitung  außerhalb 
seines  natürlichen  Standortes  beigetragen.  In  den 
steinzeitlichen  Niederlassungen  der  Schweiz  und 
den  bronzezeitlichen  Oberitaliens  wurden  Samen 
des  Holunders  aufgefunden.  Dies  läßt  darauf 
schließen,  daß  schon  der  prähistorische  Mensch 
die  Beeren  einsammelte  und  (zu  Mus  gekocht) 
verzehrte.^)  Da  der  Holunder  auch  in  Südeuropa 
ein   ziemlich    häufiger  Strauch  ist,    so    haben   ihn 


die  Völker  des  klassischen  Altertums  sicher  ge- 
kannt. Theophrast')  beschreibt  den  von  ihm 
,akte'  genannten  Strauch  sehr  ausführlich,  gibt  aber 
keine  arzneilichen  Verwendungen  an.  Daß  aber 
solche  bekannt  waren,  beweisen  die  Schriften  der 
Hippokratiker,  die  die  akte  als  abführendes,  harn- 
treibendes und  gynäkologisches  Mittel  nennen, 
vorausgesetzt  daß  hier  dieser  Pflanzenname  das- 
selbe bedeutet  wie  bei  Theophrast  und  nicht 
etwa  den  verwandten  Attich  (Sambucus  Ebulus). 
Dioskurides')  unterscheidet  akte  (Sambucus 
nigra)  und  chamaeakte  (^„Erdholunder";  Sam- 
bucus Ebulus).  Er  sagt  aber,  daß  Anwendung  und 
Wirkung  bei  beiden  Pflanzen  die  gleiche  sei.  Als 
solche  gibt  er  die  harntreibenden  Eigenschaften 
an,  ferner  führen  die  als  Gemüse  gekochten  Blätter 
Schleim  und  Galle  ab.  Die  in  Wein  gekochte 
Wurzel  dient  den  Wassersüchtigen;   auch  soll  sie 


Buschan  1895,  137. 


')  Hist.  plant.  3,   13. 
')  Mat.  med.  4,   173. 


134 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  XX.  Nr.  9 


gegen  Schlangenbiß  helfen.  Die  frischen  Blätter 
lindern  als  Umschlag  Entzündung  und  Geschwüre, 
ferner  helfen  sie  bei  Podagra,  wenn  sie  mit  Ochsen- 
oder Bockstalg  aufgelegt  werden.  Die  Beeren 
werden  schließlich  zum  Schwarzfärben  der  Haare 
benutzt.  Viele  dieser  von  Dioskurides  ange- 
gebenen Anwendungen  finden  wir  noch  heute  in 
der  Volksmedizin.  P 1  i  n  i  u  s  ^)  berichtet  von  einem 
Aberglauben  der  Hirten,  demzufolge  Hörner  und 
Posaunen,  die  aus  dem  Holz  des  „sabucus"  ge- 
fertigt sind,  lauter  schallen,  wenn  das  Holz  dazu 
da  geschnitten  wurde,  „wo  der  Strauch  das  Krähen 
der  Hähne  nicht  hören  kann".  An  anderer  Stelle  -) 
bespricht  er  die  Heilkraft  des  Holunders.  Seine 
Angaben  decken  sich  ungefähr  mit  dem  bei 
Dioskurides  Gesagten.  Die  Masern  werden 
vertrieben,  schreibt  Plinius,  wenn  man  die  von 
ihnen  befallenen  Körperstellen  mit  einem  Holunder- 
strauch peitscht.  Es  erinnert  dies  an  die  „Über- 
tragung" des  Rotlaufs  auf  einen  Holunderzweig, 
wie  sie  die  deutsche  Volksmedizin  kennt. 

Die  medizinischen  und  botanischen  Schriften 
des  deutschen  Mittelalters  behandeln  den  Holunder 
ausführiich,  nicht  nur  weil  ihn  die  alten  Arzte  so 
hoch  schätzten,  sondern  weil  der  Baum  auch  im 
deutschen  Volksglauben  ein  ganz  besonderes  An- 
sehen genoß.  Albertus  Magnus  (gest.  1280) 
sagt  am  Schluß  seines  Kapitels  über  den  Holunder,  ^j 
daß  er  nicht  alle  Eigenschaften  des  Strauches  be- 
sprochen habe,  weil  sie  ja  ohnehin  allgemein  be- 
kannt seien.  Ferner  behauptet  er,  daß  die  innere 
Rinde  des  Holunders,  wenn  sie  von  unten  nach 
oben  geschabt  werde,  ein  Brechmittel,  wenn  von 
oben  nach  unten  ein  Abführmittel  sei; 
ja  er  setzt  sogar  hinzu:  „et  haec  saepius  est  ex- 
pertum"  (und  dies  ist  schon  öfter  erprobt  worden). 
Daß  diesem  Glauben  eine  Art  „Sympathie"  zu- 
grunde liegt,  ist  ohne  weiteres  ersichtlich.  Ein 
schlagender  Beweis  für  die  Gleichartigkeit  des 
primitiven  Denkens  ist,  daß  wir  diese  Meinung 
bei  den  verschiedensten  Volksstämmen  finden, 
so  daß  es  ausgeschlossen  ist,  daß  sie  von  einem 
Volk  zum  anderen  gewandert  und  über- 
nommen worden  ist.  Wir  treffen  nämlich  den- 
selben Glauben  im  südlichen  und  westlichen  Ruß- 
land in  der  Form  an,  daß  der  Saft  der  frühmorgens 
von  unten  nach  oben  geschabten  Rinde  brechen- 
erregend, der  von  oben  nach  unten  geschabten 
abführend  sei.*)  Dem  Pharmakologen  Kobert 
wurde  er  aus  Sibirien  mitgeteilt  und  der  Ethno- 
graph Bartels  berichtet  ihn  von  den  Winnebago- 
Indianern,  die  der  Meinung  sind,  daß  die  Ho- 
lunderrinde (wohl  von  der  verwandten  S.  cana- 
densis  L.)  nur  dann  abführende  Wirkung  zeige, 
wenn  sie  der  Medizinmann  von  oben  nach  unten 
schabe,  d.  h.  von  den  Zweigen  nach  der  Wurzel 
zu.  Schabt  er  sie  aber  in  umgekehrter  Richtung, 
also  von  der  Wurzel  aufwärts,   so  wirkt  sie  nicht 

')  Hist.  nat.  16,  180. 

^)  Hist.  nat.  24,  52  f. 

')  De  Vegctabilius,  6,  220  f. 

*)  Demitsch   1889,  230. 


abführend,  sondern  als  Brechmittel.^)  Entsprechend 
glauben  die  Rumänen  in  der  Bukowina,  daß  man 
die  Spulwürmer  los  werde,  wenn  man  Hollerrinde, 
die  man  nach  unten  geschält  hat,  kocht  und 
diesen  Absud  trinkt,  denn  dann  „kommen  sie 
herunter",  hat  man  aber  die  Hollerrinde  nach 
oben  geschält,  dann  kommen  die  Spulwürmer 
zum  Mund  heraus.-)  Noch  heute  ist  diese  Meinung 
im  deutschen  Volksglauben  ziemlich  verbreitet. 
Aus  Röckingen  am  Hesseiberg  (Mittelfranken)  wird 
mir  berichtet  (1909),  daß  die  aufwärts  geschabte 
und  in  Milch  gekochte  Holunderrinde  Erbrechen 
bewirke  („es  geht  überschie"),  die  nach  unten  ge- 
schabte aber  Diarrhöe  („es  geht  unterschie").  Das 
Tatsächliche  an  diesem  wirklich  „internationalen" 
Aberglauben  ist  übrigens,  daß  die  Holunderrinde 
brechenerregende  und  abführende  Wirkung  zeigt. 
Wie  volkstümlich  übrigens  der  Holunder  auch  in 
früheren  Jahrhunderten  war,  beweisen  schließlich 
noch  die  Worte  Bocks:")  „In  Teutscher  Nation 
ist  freilich  der  Holder  jederman  bekant  /  darumb 
nit  von  nötten  viler  wort  /  wie  /  wo  oder  wann 
derselbig  wachse  /  sintemal  ein  jeder  zuvor  den 
Holder  kennet.  Denn  kaum  ein  gemeiner  bäum 
under  allen  zu  finden  /  als  eben  Holder." 

Soweit  die  ältere  Geschichte  des  Holunders. 
Was  seine  Stellung  in  der  Volkskunde  betrifft,  so 
kann  hier  über  dieses  Gebiet  nur  ein  kurzer 
Überblick  gegeben  werden,  denn  der  Holunder 
ist  wohl  die  Pflanze,  die  die  meisten  volkskund- 
lichen Beziehungen  aufweist,  und  eine  „Volkskunde 
des  Holunders"  würde  eine  umfassende  Arbeit 
sein.  Was  ist  nun  der  Grund,  daß  gerade  der 
Holunder  so  innig  mit  dem  Denken  und  Fühlen 
des  Volkes  verknüpft  ist?  Als  Baum,  der  schon 
in  der  Urzeit  bei  den  Wohnungen  der  Menschen 
wuchs,  der  diesem  in  allen  seinen  Teilen  Heil- 
mittel liefert  —  „die  lebendige  Hausapotheke  des 
deutschen  Einödbauern",  wie  Höfler  so  treffend 
sagt  — ,  ist  er  die  Personifikation  oder  der  Sitz 
eines  guten  Hausgeistes,  dem  der  Mensch  zu  Dank 
verpflichtet  ist.  „Vor  dem  Holunder  soll  man 
den  Hut  abnehmen",  heißt  ein  Bauernspruch.  Er 
ist  heilig,  unverietzlich.  Wenn  man  einen  Holunder- 
busch umhaut,  so  stirbt  jemand,  meint  man  auf 
der  schwäbischen  Alb  *)  und  im  Bergischen  glaubt 
man,  daß  der  Verstümmler  eines  Holunderbusches 
bisweilen  am  dritten  Tag  nach  seinem  Frevelwerk 
verschieden  sei.  ^)  Hierher  gehört  es  wohl  auch, 
wenn  man  sich  vielerorts  scheut  das  Holunder- 
holz zu  verbrennen.  In  verschiedenen  Gegenden 
wird  dies  verschieden  begründet.  In  Siebenbürgen 
glaubt  man,  daß  man  sonst  das  ganze  Jahr  Zahn- 
schmerzen habe,«)  in  der  Schweiz,  daß  man  sich 
Krankheiten  oder  andere  Unfälle  zuziehe, ')  in  der 


')  Henri ci  1894,  &• 

^)  Zeitschr.  f.  österr.  Volkskunde   7,  256. 

")  Kreutterbuch   1551,  376a. 

*)  Thierer,  Ortsgesch.  v.  Gussenstadt  1912,  1,  204. 

S)  Zeitschr.  Ver.  rliein.-westf.  Volkskunde  11  (1914),  266, 

*)  Schullerus  1901,  3. 

')  Schweiz.  Id.  2,  1185. 


N.  F.  XX.  Nr.  9 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


135 


Altmark  würden  die  Pferde  des  Bauern,  der  mit 
Holunderholz  einheizt,  zugrunde  gehen.')  Nach 
dänischem  Glauben  sitzt  im  Holunder  ein  Geist, 
die  Hyldemoer  (Holundermutter),  ihr  opferte  man, 
indem  man  Milch  über  die  Wurzeln  des  Baumes 
goß.  Zahlreiche  Beispiele  für  die  Personifikation 
des  Holunders  als  guter  Dämon  bringt  W.  Mann- 
hardt  in  seinen  geistvollen,  für  mythologische 
und  volkskundliche  Forschungen  so  fruchtbaren 
„Wald-  und  Feldkulten". ^)  Der  Holunder  ist  nach 
dem  Volksglauben  der  geeignetste  Baum,  auf  den 
Krankheiten  „übertragen"  werden  können.  Manch- 
mal geschieht  dies  auf  eine  recht  einfache  Weise 
z.  B.  wenn  man  in  Schlesien,  um  sich  von  Zahn- 
schmerzen zu  befreien,  am  Karfreitag  in  einen 
Holunderast  beißt.^)  Oft  wird  dagegen  der  Ho- 
lunder mit  einem  Spruch  angeredet.  Einen  alten 
„Schwinsegen"  (Schwindsegen,  d.  i.  Segen  gegen 
die  Schwindsucht)  enthält  eine  161 7  niederge- 
schriebene Handschrift  aus  dem  Kloster  St.  Blasien: 
„Gang  an  einem  Sonntag  zu  Vesperzeit  zue  einem 
Holderstock  und  brich  ein  schoß  darab,  daß  in 
einem  jähr  gewachsen  ist  und  brich  dreimal  daran 
ab  und  sprich  dreimal  allemal  wann  du  es  brichst: 
Was  ich  brich  das  schwin,  und  was  ich  darmit 
bestrich  das  wachs.  Im  Namen  usw."  *)  Das 
Fieber  zu  vertreiben  bindet  man  in  Zechlin  (Ost- 
Prignitz)  in  der  Nacht  bei  abnehmendem  Mond 
einen  Bindfaden  um  einen  Fliederbaum,  der  auf 
der  Scheid'  (Grenze)  steht  und  spricht: 

Guten  Morgen,  Herr  Flieder, 

Ich  bring  dir  mein  Fieber 

Ich  binde  dich  an 

Nun  gehe  ich  in  Gottes  Namen  davon  1  °) 

In  Mecklenburg  geht  man  drei  Tage  hinter- 
einander vor  Sonnenaufgang  zu  einem  Flieder- 
baum, umfaßt  ihn  und  spricht: 

„Fleder,  ich  hevv  de  Gicht, 

Du  best  se  nich 

Nimm  se  mi  af, 

So  hevT  ik  se  nich."  ^) 

Auch  das  geschriebene  Wort  tut  seine  Wirkung. 
Auf  ein  Blatt  Papier  werden  folgende  Worte  ge- 
schrieben: Gott  der  Herr  ging  über  das  Land; 
da  begegneten  ihm  die  siebenzigerlei  Gichter  und 
Gichtinnen.  Da  sprach  der  Herr:  Ihr  siebenziger- 
lei Gichter  und  Gichterinnen,  wo  wollt  ihr  hin? 
Da  sprachen  die  siebzigerlei  Gichter  und  Gichte- 
rinnen: Wir  gehen  über  das  Land  und  bringen 
die  Menschen  um  ihre  Gesundheit  und  Glieder. 
Da  sprach  der  Herr:  ihr  sollt  zu  einer  Holler- 
staude gehen,  da  sollt  ihr  alle  Ästlein  abbrechen 
und  lassen  nur  dem  N.  N.  (Name  des  Kranken) 
seine  geraden  Glieder.  Im  Namen  usw.  Dieser 
Spruch  muß  in  Bockleder  genäht  und  dem  Kranken 
als  Amulett  umgehängt  werden." ') 


')  Danneil   1859,   53. 

2)  2.  Aufl.   1904,  z.  B.  1,   10  ff. 

')  Drechsler  1  (1903),  90. 

*)  Mones  Anz.  f.  Kde.  Vorz.  6  (1837),  461. 

^)  Zeitschr.  Ver.  f.  Volkskunde  7  (1897),  70. 

•)  Bartsch  2  (1879),  404. 

')  Panzer,  Beitr.  2  (1855),  305. 


Ganz  besondere  Wirkung  hat  der  Holunder 
am  Johannistag,  der  verchristlichsten  Feier  der 
heidnischen  Sommer- Sonnenwende,  an  der  die 
Geister  besondere  Macht  haben.  Wer  am  St. 
Johannistag  um  12  Uhr  mittag  unter  der  Feuer- 
esse (Sitz  der  Hausgeister!)  eine  Holunderdolde, 
die  in  Butter  gebraten  wurde,  ißt,  bekommt  ein 
Jahr  lang  kein  Fieber.')  Ebenso  wird,  wer  am 
Johannistag  gebackene  Hollerküchlein  ist,  das 
ganze  Jahr  nicht  krank.-) 

Daß  der  Holunder  als  „guter  Hausgeist"  die 
bösen  Geister  vertreibt,  ist  nach  dem  Gesagten 
ohne  weiteres  verständlich.  „Die  Leipziger  nehmen 
um  die  Hexen  zu  vertreiben  Holunder",  sagt 
Praetorius  (1668,  459)  im  17.  Jahrhundert  und 
die  alte  „Rockenphilosophie"  ^)  schreibt:  „Einen 
Holunder-Strauch  vor  eine  Stall-Thür  gepflantzt, 
bewahret  das  Vieh  vor  Zauberey".  Der  Holunder- 
strauch am  Haus  oder  Stall  schützt  gegen  Hexen 
und  böse  Geister,  meint  noch  heute  der  Grau- 
bündner.*)  Ähnlich  wie  mit  Hilfe  des  Gunder- 
manns kann  man  auf  der  schwäbischen  Alb  die 
Hexen  entlarven:  In  der  Nacht  vom  Gründonners- 
tag auf  den  Karfreitag  muß  man  mit  dem  Schlag 
12  Uhr  auf  dem  Kirchhof  einen  Holunderzweig 
abschneiden  und  aushöhlen.  Damit  kann  man  am 
Karfreitag  während  des  vormittägigen  Gottes- 
dienstes die  Hexen  ausfindig  machen,  die  verkehrt 
dasitzen.  Jedoch  dreht  die  Hexe  ihrem  Beobachter 
den  Kragen  um,  wenn  er  sich  nicht  vor  dem 
Läuten  aus  der  Kirche  macht.*) 

Und  doch  ist  auch  der  Holunder  in  schlechten 
Ruf  gekommen,  denn  nach  einem  weitverbreiteten 
Volksglauben  (z.  B.  Posen,  Mecklenburg,  aber  auch 
in  der  Haute-Bretagne)  hat  sich  der  Verräter  Judas 
an  ihm  aufgehängt.  Als  Erinnerung  an  diese  Be- 
gebenheit sendet  der  Strauch  einen  unangenehmen, 
leichenartigen  Geruch  aus.  Ein  Nachklang  an 
diese  Sage  ist  es,  wenn  der  an  den  Stämmen  des 
Holunders  wachsende  Holunderschwamm  (Auri- 
cularia  auricula  Judae)  häufig  als  „Judasohr"  be- 
zeichnet wird.  Dieser  zu  den  Basidiomyzeten  ge- 
hörige Pilz  war  übrigens  früher  als  Fungus  Sam- 
buci  offizineil. 

An  dem  Namen  Holunder  ist  vielfach  von 
Unberufenen  herumgedeutelt  worden,  und  er  wurde 
bald  mit  „hohl",  auch  mit  der  „Göttin  Holle" 
(Frau  Holle),  ja  sogar  mit  „heilig"  in  Verbindung 
gebracht.  Die  althochdeutsche  Form  holuntar 
zeigt,  daß  im  2.  Bestandteil  die  Ableitung  -tar 
steckt,  die  wir  auch  in  Maßholder  (ahd.  mazzaltra), 
Wacholder  (ahd.  wechalter)  finden.  Sie  bedeutet 
soviel  wie  „Baum"  (vgl.  engl.  tree).  Den  ersten 
Bestandteil  treffen  wir  z.  B.  in  hyll,  der  schwe- 
dischen Bezeichnung  des  Holunders  an.  Ein  ety- 
mologischer Zusammenhang  mit  dem  russischen 
jkalina'    (Viburnum  opulus)    wird    vermutet.      Im 


')  Mitteil.  Nordböhm.  Exk -Kl.  20,  71- 

^)  Oberösterreich;  Baumgarten  1862,  28. 

')  1707,  2,  328. 

')  Ulrich,    1S97,  39- 

''}  Alemannia  13,   199. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Oberdeutschen  ist  das  Wort  oft  zu  Holler,  Holder  sowie  Kelke,  Keilke  sind  ebenfalls  niederdeutsch, 
verkürzt.  Die  Bezeichnung  Flieder  ist  Ursprung-  Thüringisch  sind  Zwebchen,  Zwöbbeken,  Ziwecken, 
lieh    eine    niederdeutsche.      EUhorn    und    Älhorn     sächsisch  Schibicke. 


Einzelberichte. 


Untersuchungen  von  Metallen  mittels 
Röntgenstrahlen. 

Hierüber  berichten  S.  Nishikawa  und 
G.  Asahara  in  „The  Physical  Review"  (Americ. 
Phys.  Soc.)  Band  XV,  S.  38—45  (Januar  1920).  — 
Läßt  man  ein  enges  Bündel  inhomogener  (weißer) 
Röntgenstrahlen  durch  ein  dünnes  Metallblech 
gehen,  so  erhält  man  photographisch  ein  Röntgeno- 
gramm,  das  außer  von  der  allgemeinen  kristal- 
linischen Beschaffenheit  des  betr.  Metalls  abhängig 
ist  besonders  auch  von  der  Vorgeschichte  des 
untersuchten  Stückes,  d.  h.  z.  B.  von  mechanischer 
Bearbeitung  oder  von  verschiedenartiger  Bean- 
spruchung durch  Wärme  usw.  Die  Verfasser 
haben  in  dieser  Hinsicht  die  Wirkung  des  Walzens 
mit  nachfolgendem  Glühen  bei  verschiedenen 
Metallen  untersucht  und  glauben,  daß  derartige 
Studien  zu  wichtigen  Schlüssen  für  die  Metallurgie 
führen  werden.  Geprüft  wurden  AI,  Cd,  Cu,  Pb, 
Ag,  Th,  Sn,  Zn  und  verschiedene  Arten  von 
Messing.  Die  Metalle  wurden  in  jedem  Falle  zu 
Stücken  von  30X30X4  mm  geschnitten;  diese 
Platten  wurden  dann  bis  zu  einer  Dicke  von 
0,1—0,18  mm  (bei  AI  bis  0,54  mm)  ausgewalzt. 
Die  Photogramme  wurden  durch  heterogenes 
Röntgenlicht  von  einer  CoolidgeRöhre  bei  60000 
Volt  Maximalspannung  erhalten.  Abstand  von 
photographischer  Platte  und  Objekt  betrug  5  cm, 
der  Durchmesser  des  Strahlenbündels  war  3  mm. 
Expositionszeit  i  Stunde  bei  einer  Stromstärke 
von  5  Milliampere.  Insgesamt  wurden  über  100 
Photogramme  aufgenommen. 

Gewalztes  AI  uminium,Ca  dm  ium,Kupfer, 
Zink  und  Messing  lieferte  schlecht  ausgebildete, 
verwaschene  Röntgenogramme,  aber  alle  sym- 
metrisch in  bezug  auf  die  Walzrichtung 
und  in  jedem  Falle  charakteristisch  für  das  be- 
treffende Metall.  —  Silber  und  Zinn  gaben 
ebenfalls  schlecht  ausgebildete  verwaschene  Laue- 
Diagramme,  aber  diese  gingen  während  der 
folgenden  2  oder  3  Wochen  allmählich  bei  Wieder- 
holung der  Aufnahme  in  deutliche  Punktdiagramme 
über,  wie  sie  bei  den  anderen  Metallen  nur  nach 
längerem  Glühen  erhalten  werden.  Für  diese 
beiden  Metalle  tritt  also  das  Kristallwachstum, 
das  für  den  geglühten  Zustand  charakteristisch 
ist,  bereits  bei  Zimmertemperatur  ein.  Selbst  bei 
-j-S"  dauert  hier  noch  die  Erholung  der  kristalli- 
nischen Struktur  von  der  kristalldeformierenden 
Beanspruchung  durch  das  Walzen  in  gleicher 
Weise  an,  wenn  auch  weniger  schnell.  —  Blei 
und  Thallium  ergaben  unregelmäßig  verteilte 
Flecke,  die  keinerlei  Symmetrie  in  bezug  auf  die 


Walzrichtung  erkennen  ließen.  Für  diese  Metalle 
ist  also  entweder  die  kristallinischen  Struktur 
durch  das  Walzen  überhaupt  nicht  gestört  worden, 
oder  die  Wiederherstellung  der  ursprünglichen 
Struktur  ist  außerordentlich  schnell  schon  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  erfolgt.  Beim  Thallium 
war  indessen  das  Röntgenogramm  nicht  identisch 
mit  dem  durch  Glühen  erhaltenen. 

Die  Wirkung  des  Glühens  nach  dem  Walzen 
wurde  mit  Hilfe  eines  besonderen  Ofens  beobachtet, 
der  die  Herstellung  der  Röntgenogramme  ermög- 
lichte, während  die  Metallbleche  bei  jeder  ge- 
wünschten Temperatur  bis  zu  800"  gehalten  wurden. 
Die  verschiedenen  Metalle  unterscheiden  sich  hin- 
sichtlich ihres  Verhaltens  beim  Glühen  ganz  be- 
trächtlich. Bei  Silber  und  Zinn  genügen  z.  B. 
30  Minuten  langes  Erwärmen  auf  80",  um  die 
Wirkungen  des  Walzens  zum  Verschwinden  zu 
bringen,  während  beim  Kupfer  zweistündiges 
Erwärmen  auf  800"  hierzu  noch  nicht  genügt. 
In  beigegebenen  Photogrammen  werden  die  ver- 
schiedenenWirkungen  des  Erhitzens  für  C  a  d  m  i  u  m 
bei  100",  150^',  200"  und  250"  gezeigt.  Die  Ver- 
fasser glauben  auf  Grund  ihrer  Ergebnisse  sagen 
zu  können,  daß  diese  Methode  sich  zur  Unter- 
suchung der  Wirkung  aller  Arten  von  mechanischer 
wie  thermischer  Behandlung  von  Metallen  besonders 
eignen  wird. 

Übrigens  hätten  sich  auch  auf  Grund  der  ver- 
schiedenen Röntgenogramme  die  Umwandlungs- 
punkte von  Thallium  und  Zinn  bestimmen 
lassen.  Wenn  man  nämlich  die  in  oben  geschil- 
derter Weise  erzeugten  Röntgenogramme  von 
erhitztem  Thallium  für  eine  Reihe  von  steigenden 
Temperaturen  herstellt,  so  ergibt  sich,  daß  nach 
Überschreitung  des  Umwandlungspunktes  das  Dia- 
gramm plötzlich  in  das  eines  einfachen  Kristalles 
übergeht.  Beim  Abkühlen  des  Metalles  kehrt  sich 
der  Wechsel  um.  Unter  Berücksichtigung  der 
Verzögerungserscheinungen  ergab  sich  hierdurch 
als  Umwandlungspunkt  ca.  227",  in  guter  Über- 
einstimmung mit  Bestimmungen  nach  anderen 
Methoden.  Auch  Zinn  wurde  in  dieser  Weise 
nachgeprüft  und  zwar  besonders  in  der  Nach- 
barschaft von  160",  es  wurde  jedoch  keinerlei 
Veränderung  des  Röntgenogramms  beobachtet. 

Spbg. 

Untersuchungen  über  Osmose. 

Zu  einer  neuen  Methode  der  Bestimmung  von 
Molekulargewicht  und  Dissoziationsgrad,  die  wie 
die  bekannte  de  Vriessche  Methode  der  plas- 
molytischen    Grenzkonzentration     auf     pflanzen- 


N.  F.  XX.  Nr.  9 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


137 


physiologischer  Grundlage  ruht,  gelangte  neuer- 
dings C.  V.  Wisse li n gh  "^j  bei  seinen  Unter- 
suchungen über  die  Epidermiszellen  der  Samen 
der  Gattung  Cuphea.  Es  handelt  sich  dabei  um 
folgendes:  Wie  die  Lythraceen  überhaupt,  so 
besitzen  auch  die  Samen  von  Cuphea  die  Eigen- 
schaft, beim  Quellen  in  Wasser  auf  ihrer  ge- 
samten Oberfläche  Haare  auszustülpen,  so  daß 
sie  nachher  aussehen  wie  ein  krauses  Lockenhaupt. 
Diese  Erscheinung,  die  man  bisher  irrtümlicher- 
weise auf  Quellungsprozesse  zurückführte,  beruht 
nach  den  Versuchen  von  Wisselingh  auf  osmo- 
tischen Vorgängen.  Normalerweise  ragen  die 
Haare  ins  Innere  der  Epidermiszellen  herein  und 
sind  dort  ihrer  Länge  halber  spiralig  aufgerollt. 
Bringt  man  nun  die  Samen  in  Wasser,  dann  ent- 
steht ein  osmotisches  Gefalle,  das  sich  dadurch 
auszugleichen  sucht,  daß  Wasser  durch  die  Plasma- 
haut in  die  Zellvakuole  eindringt.  Dadurch  wird 
der  Turgordruck  in  der  Zelle  so  erhöht,  daß  die 
Haare  mit  Gewalt  durch  die  Außenwand  heraus- 
gequetscht werden,  wobei  sie  sich  handschuh- 
fingerartig  umstülpen,  bis  sie  das  Innere  vollstän- 
dig nach  außen  gekehrt  haben.  Das  Volumen 
der  Zelle  kann  auf  diese  Weise  durch  das  ein- 
dringende Wasser  auf  das  Vierfache  erhöht  wer- 
den. Bringt  man  nun  die  Haare  während  dieses 
Vorgangs  in  immer  höher  konzentrierte  Salz- 
lösungen, dann  kommt  ein  Moment,  wo  das  Aus- 
stülpen innehält,  weil  die  Außenkonzentration  der 
Innenkonzentration  das  Gleichgewicht  hält.  Ist 
der  osmotische  Wert  der  Außenlösung  bekannt, 
dann  ist  damit  auch  derjenige  der  Zelle  in  dem 
gerade  erreichten  Ausstülpungsstadium  gegeben. 
Mit  dieser  einen  Lösung  (a)  kann  man  nun  jede 
beliebige  andere  Lösung  (b)  aichen.  Man  braucht 
zu  dem  Zwecke  nur  zu  bestimmen,  welche  Konzen- 
tration dieser  zweiten  Lösung  ein  Verharren  des 
Haares  in  genau  demselben  Stadium  bedingt,  a 
und  b  werden  dann  isosmolisch  sein.  Ist  b  ein 
Nichtelektrolyt  (z.  B.  Saccharose),  dann  kann  man 
das  Molekulargewicht  direkt  berechnen;  ist  es 
dagegen  ein  Elektrolyt,  also  dissoziiert,  dann  er- 
gibt sich  aus  dem  Gleichgewichtszustand  unmittel- 
bar der  Dissoziationsgrad  von  b.  Von  Wisselingh 
hat  diese  Bestimmung  für  verschiedene  Sub- 
stanzen (Saccharose,  Glyzerin,  NaCl,  KNOg)  be- 
stimmt und  gefunden,  daß  die  Genauigkeit 
der  Methode  der  Größenordnung  nach  hinter  den 
physikalischen  Methoden  (Gefrierpunktserniedri- 
gung, Siedepunktserhöhung,  elektrolytisches  Leit- 
vermögen) keineswegs  zurücksteht.  So  bestimmte 
er,  um  nur  2  Beispiele  anzuführen,  das  Molekular- 
gewicht von  Saccharose  auf  342,1  (statt  342,2)  und 
von  Glyzerin  auf  93,3  (statt  92,1).  Weiterhin 
kann  man  auf  Grund  des  Ausstülpungsvorganges 
auch  die  Permeabilitätsverhältnisse  bestimmter  Sub- 
stanzen näher  umgrenzen,  und  das  bildet  eine  zweite 
Analogie  zu  der  Methode  der  plasmolytischen 
Grenzkonzentration   von   de  Vries.     Handelt  es 


*)  Flora,  N.  F.   13,  1920. 


sich  um  Stoffe,  für  die  das  Plama  in  höherem 
Maße  permeabel  ist,  dann  wird  bei  der  Über- 
tragung von  Wasser  in  die  isotonische  Lösung 
kein  dauernder  Stillstand  eintreten,  sondern  in 
dem  Maße,  als  der  Stoff  eindringt  und  mithin  die 
Konzentration  im  Zellinnern  wächst,  das  Aus- 
stülpen weiter  fortschreiten,  und  die  Schnelligkeit, 
mit  der  dieser  Prozeß  sich  fortsetzt,  wird  als  Maß 
für  die  eingedrungenen  Stoffmengen  dienen  können. 
Auf  diesem  Wege  stellte  von  Wisselingh  fest, 
daß  z.  B.  für  Salze  wie  NaCl  und  KNO3  eine  leicht 
nachweisbare  Permeabilität  vorhanden  ist  und  daß 
selbst  Saccharose  —  wenn  auch  in  beschränkten 
Mengen  —  aufgenommen  wird.  Es  wird  der 
Zukunft  überlassen  bleiben,  den  Anwendungsbe- 
reich und  die  praktische  Bedeutung  dieser  neuen 
Methode  schärfer  herauszuarbeiten. 

Peter  Stark. 


Eigenartige  Form  des  Parasitismus. 

Sowohl  der  Parasit  (Chaetocladium)  als  auch 
der  Wirt  (Mucor)  gehören  der  Gruppe  der  Joch- 
pilze (Zygomyzeten)  an.  Der  Vorgang  der  In- 
fektion wurde  von  H.  Burgeff  (Zeitschr.  f.  Bo- 
tanik, 12,  1920)  Schritt  für  Schritt  auf  Objekt- 
trägerkultur beobachtet.  Sporen  von  Parasit  und 
Wirt  wurden  gemeinsam  ausgesät  und  keimten  zu 
Hyphen  aus.  Es  ergab  sich  nun  die  merkwürdige 
Tatsache,  daß  die  Fäden  des  Mucor  (Wirtspflanze !) 
—  offenbar  durch  einen  chemischen  Reiz  ange- 
lockt —  auf  die  Hyphen  des  Parasiten  gerade- 
wegs zuwuchsen,  bis  Berührung  stattfand.  Nun 
machen  sich  in  dem  Parasiten  folgende  Änderungen 
bemerkbar.  In  der  Hyphenspitze,  die  dem  Mucor- 
faden  anliegt,  reichern  sich  die  Kerne  an  und  die 
Spitze  wird  durch  eine  Zellwand  von  dem  übrigen 
Faden  abgegrenzt.  Diese  Zelle  tritt  nun  dadurch, 
daß  die  Mucorzellwand  resorbiert  wird,  in  offene 
Kommunikation  mit  dem  Plasrria  des  Wirtes.  Nun 
treten  Plasma  und  Kerne  aus  dem  Mucorfaden  in 
den  „Schröpfkopf",  wie  die  Zelle  weiterhin  ge- 
nannt werden  kann,  über,  der  also  nebeneinander 
lebende  Substanz  zweier  verschiedener  Gattungen 
enthält  und  sich  weiterhin  zu  einer  auffälligen 
Gallenbildung  auswächst.  Die  Zelle  schwillt  kugelig 
an  und  bildet  Seitenverzweigungen,  an  die  sich 
weitere  Chaetocladiumhyphen  eng  anschmiegen, 
so  daß  ein  inniger  Kontakt  zwischen  Galle  und 
Parasit  erzielt  wird  und  ein  Stoffaustausch  über 
möglichst  große  Flächen  stattfinden  kann.  Bur- 
geff nimmt  an,  daß  die  Chaetocladiumkerne  in 
der  Galle  („Pionierkerne")  die  Aufgabe  haben,  die 
Plasmahaut  permeabel  zu  machen  für  die  Stoffe, 
die  aus  dem  Wirte  übertreten  wollen.  Um  die 
Entstehungsgeschichte  dieser  seltsamen  Gallen, 
die  innerhalb  einer  einzigen  Zelle  zweierlei  art- 
fremde Kerne  friedlich  nebeneinander  beherbergen 
(„Heterocaryose")  verständlich  zu  machen,  erinnert 
Burgeff  an  die  geschlechtlichen  Vorgänge,  wie 
sie  für  die  Jochpilze  bezeichnend  sind.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  werden   die   Geschlechtspro- 


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dukte,    die   Zygoten,    dadurch    gebildet,    daß    die 
Hyphenenden    zweier   Mycelien    miteinander    ver- 
schmelzen.     Im  einzelnen    spielt   sich  dieser  Vor- 
gang in  folgender  Weise  ab :  ^  Fadenäste  wachsen 
aufeinander    zu,    platten    sich    an    der  Berührungs- 
stelle gegeneinander  ab  und  grenzen  sich  von  der 
Traghyphe  jeweils    durch    eine  Zellwand  ab.     An 
der   Berührungsstelle    selbst    wird     die    trennende 
Wand  gelöst    und    die  Zellinhalte    der  beiden  ab- 
gegrenzten Zellen,  der  Gametangien,  verschmelzen 
miteinander.     Die  so  entstandene  Zygote,  welche 
die   absterbenden  Myzelien   überdauert   und    einer 
neuen  Generation  den  Ursprung  gibt,  enthält  also, 
genau  wie  die  beschriebenen  Gallen,  zweierlei  Kerne' 
ist  also  ebenfalls  heterokaryotischer  Natur.    Es  be- 
steht demnach  eine  weitgehende  Anologie  zwischen 
beiderlei  Prozessen.    Da  nun  selbst  zwischen  weit 
entfernten    Arten    und    Gattungen    der    Jochpilze 
wenigstens  Versuche  sexueller  Betätigung  bestehen 
und    da   auf   der   anderen  Seite   auch  der  Parasit 
nicht  jede  beliebige  Gattung  befällt,  sondern  sich 
auf  bestimmte  systematische  Gruppen  beschränkt, 
so   besteht    die   Möglichkeit,    die   Chaetocladium- 
gallen  so  zu  erklären,  daß  sie  sich  von  Kopulations- 
vorgängen herleiten,    und    daß    erst    sekundär  die 
Entwicklung    in    andere  Bahnen  gedrängt  worden